Thomas Müntzer

Siegfried Bräuer; Günter Vogler

Thomas Müntzer: neu Ordnung machen in der Welt.
Eine Biographie.

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, [2016] – 542 Seiten.
ISBN 978-3-579-08229-5
Festeinband 58 €

 

Thomas Müntzer: eine radikale Alternative zu Luthers Reformation

Eine Rezension von Christoph Auffarth

Kurz: Zwei Altmeister ihrer Fächer, ein Theologe und ein Historiker, haben gemeinsam eine Biographie Müntzers geschrieben, die angesichts der wenigen gesicherten Zeugnisse vor allem die Kontexte erhellen und so die Ziele des Revolutionärs besser erklären können: das Grundlagenwerk!

Ausführlich: Die Reformation war auch für die DDR ein grundlegendes Ereignis der deut­schen Geschich­te. Dabei stellte sie aber nicht Luthers Reformation, vielmehr die frühbürger­liche Revolution mit ihrem Helden Thomas Müntzer in den Vordergrund. Luther war für sie der Fürstenknecht. Auch nach ‚der Wende‘ 1989 fasziniert der scharfzüngige Reformator als Alternative zu den Wittenbergern, aus deren Schule er hervorgegangen war. Wie kann man ihn und sein Tun verstehen, den kein Ende seines Tod schreckte, was war seine Motivation? Revolutionär im Sinne von Marx‘ Evolution der Weltgeschichte?[1] Mystiker? Apokalyptiker?[2] Um diese Grundfrage klären zu können, mussten die Schriften und Dokumente noch einmal gründlich untersucht werden: Was ist sicher von Müntzer selbst geschrieben, was ist von seinem Begleiter Ambrosius Emmen (in der Biogra­phie famulus genannt) nach seinem Tod als Müntzers Schrift erklärt worden), was ist nur Entwurf geblieben, aber nie veröffentlicht worden? Eine neue Kritische Gesamt­ausgabe zu Thomas Müntzer war die notwendige Vor­aussetzung für die dringend erwartete Biographie. Nach dem Band 3 Materialien, und 2 Brief­wechsel erscheint nun endlich 2017 der Band 1 mit den Hauptschriften und Entwürfen.[3] Zwei 80-Jährige, die ihr Leben lang sich immer wieder mit Müntzer beschäftig haben, haben ge­meinsam eine Biographie geschrieben: Der Historiker Günter Vogler,[4] der u.a. die Bildüber­lieferung und die Erinnerungskultur genau untersucht hat,[5] und der Theologe Siegfried Bräuer.[6] Angesichts der Quellenlage machen die Autoren SB&GV[7] überall deutlich, was man Münt­zer sicher zuschreiben kann und wie es zu Zuschreibungen kam, die sie nicht überneh­men. Dafür beschreiben sie möglichst genau das jeweilige Umfeld, die Herrschaftsverhält­nisse, die wirtschaftlichen Bedingungen, die Aufga­ben, die mit dem jeweiligen Amt des Klerikers Müntzer verbunden waren.[8] Das ist für die Lektüre angesichts der vielen Stellen­wechsel etwas anstrengend, aber für eine Biographie mit so wenigen sicheren Selbstzeug­nissen eine Grundlagenarbeit, eine hervorragende Kon­textualisierung, eine Sozialbiographie. Die Kon­flikte, denen Müntzer nie auswich und dabei mit derben Worten seine Position klar machte. Dabei wird deutlich, dass Müntzer als ange­stell­ter Kleri­ker eher konservativ die Rituale (die Messe mit der Abendmahlsfrage, die Taufe, Eheschlie­ßung, Beichte, Sterbevor­bereitung und Bestattung) nur mäßig änderte. So bleibt für ihn die Ehe ein drittes Sakrament, während Luther sie für „ein weltlich Ding“ erklärte hatte, als Kon­sens und Vertrag zweier Ehepartner. Und doch setzte Müntzer, wie SB&GV erklären, in den Ritualen deutlich refor­ma­torische Veränderungen wie die Beteiligung der Gemeinde am Gottesdienst (181-198). Umgekehrt wird Müntzer, je häufiger er in Konflikten seine wirtschaftliche Grundlage verloren hatte, desto radikaler, selbst­bewusster und existenzieller in seinen Ansichten und Zielen. Zu Luther klaffte der Abstand immer weiter, wurde der Ton schärfer. Luther ver­traute auf das Zusammenwirken mit seinem Landesherren, der ihm für sein Werk Sicherheit und Unter­stützung gewährte, Müntzer verlangte, dass seine Gemeinde­mitglieder – etwa als Gemeinde­pfarrer im mansfeldischen Allstedt, wo er schnell in Konflikt mit dem dortigen Grafen geriet – ihr Leben ganz dem Christus weihten, und fand viel Un­kraut unter dem Weizen.[9] Kein Alltagstrott mehr, sondern nur noch das Ziel, das Gottesreich zu erkämpfen, und damit das ganze Leben umkrempeln!

Welche Bedeutung hat dabei die Mystik? Dazu geben SB&GV S. 217-219 eine Antwort. Bei Müntzer ist zunehmend der Gebrauch von Denkformen und Begriffen der deutschen‘ Mystik zu beobachten. Die Beschreibung und Analyse ist gut gelungen. Aber es müsste noch schärfer deutlich werden: Während Luther sein reformatorisches Programm ganz auf das schriftlich niedergelegte „Wort Gottes“ begründete, stellt Müntzer eine zweite Quelle für Gottes Aufgaben für ihn noch darüber: Der Geist Gottes. Das schöpft er in der Predigt zu Drei-Könige 1524 aus Matthäus 2: Die Drei Könige wussten schon, bevor ihnen jemand das gesagt hatte, dass der König der Welt geboren würde – gegen die Aussage der Schriftgelehr­ten (das ist das Wort, das Müntzer gerne für Luther verwendet) und des irdischen Herr­schers – und sie verlassen Bethlehem auf Geheiß Gottes im Traum ohne den König zu infor­mieren. Die Verbindung zu Gott ohne das niedergeschriebene Wort steht vor und gewich­tiger als ‚die Bibel‘. Bezüglich der spezifischen Art der Apokalyptik fand ich keine entspre­chend gute Erklärung: Denn die Apokalypse lässt gerade keine Aktivität der Menschen in dem kosmischen Kampf zu; sie müssen warten und standhalten. Und die Prominenz der Propheten ist keine Apokalyptik (am nächsten noch Ezechiel 39). Hier müsste die Rezeption des Chiliasmus von Joachim von Fiore erklärt werden.[10] Im Verhör nach der Nieder­­lage von Frankenhausen am 15. Mai 1525 kommt dann noch ein programmatisches Thema hinzu: omnia sunt communia, alles ist Gemeinbesitz (Nach Apg 4,32), das vorher nicht angesprochen war. Das Verhör und die Folter sind – wie das meiste, was von Müntzer bekannt ist (vgl. SB&GV 385f) – von de­nen verzerrt, die es an die Öffentlichkeit brachten, sie unterstellen einen bösartigen Charakter. Dem treten die Autoren entgegen. Ihnen ist wichtig, dass Müntzer eine andere Theologie der Reformation vertrat als Luther und dass es darüber zu der unüberbrückbaren Kluft kam.

Ein paar technische Bemerkungen: Die Umlaute wurden im Frühneuhochdeutschen mit einem kleinen über dem Vokal geschrie­benen e gedruckt. Das ist mit heutiger Computer-/Drucktechnik zu lösen; hier im Buch ist der (unnötige) Kompromiss gewählt etwa das ö als o(e) zu drucken. Eine Chrono­logie, eine Karte S. 406. Die Anmerkungen sind am Ende ge­druckt. Bibliographie, Register der Perso­nen (mit Lebenszeiten) und Orte. Farbige Abbildun­gen zu den Kirchen, an denen Müntzer wirkte, drei Gemälde, darunter Cranachs (mutmaß­liches) Müntzer-Porträt und zwei moderne Kunstwerke.

Das wird die maßgebliche Biographie sein und bleiben, beruhend auf den vielen Detailunter­suchungen und den großen Linien der beiden erfahrenen Autoren. Dass sie das Buch gemein­sam geschrieben haben, bringt ihre beiden Perspektiven zusammen, die für eine Biographie des großen Reformators, von dem so wenige sichere Daten und Zeugnisse über­liefert sind, unbedingt nötig sind. Man kann nur mit großem Respekt dieses doppelte Lebenswerk als Grundlagenwerk für die Reformationsgeschichte anerkennen.

 

7 März 2017 Christoph Auffarth
Religionswissenschaft
Universität Bremen

E-Mail: auffarth@uni-bremen.de

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[1] Der junge Ernst Bloch schrieb nach dem Ersten Weltkrieg Thomas Münzer als Theologe der Revolution. München: Wolff 1921. Ab 1960 vielfach nachgedruckt, u.a. in Blochs Gesamtausgabe, Band 2, 1969. Als Historiker hat Peter Blickle 1975 (Erinnerung 450 Jahre) den sog. Bauernkrieg als die „Revolution des Gemeinen Mannes“ (also aller Nicht-Adeligen und Nicht-Kleriker) erklärt.

[2] Hans-Jürgen Goertz hat seine Deutung Thomas Müntzer. Mystiker – Apokalyptiker – Revolutio­när von 1989 völlig überarbeitet als Thomas Müntzer. Revolutionär am Ende der Zeiten. Eine Biografie. München: Beck 2015.

[3] Thomas-Müntzer-Ausgabe. Band 1: Schriften, Manuskripte und Notizen. Hrsg. von Armin Kohnle und Eike Wolgast. 2017 [ca. 500 S.]. Zuvor erschienen Bd. 3: Quellen zu Thomas Müntzer, bearbeitet von Wieland Held und Siegfried Hoyer. 2004 [294 S.]. Bd. 2:  Briefwechsel, bearb. und kommentiert von Siegfried Bräuer und Manfred Kobuch. 2010. [L, 581 S.]. Damit sind die älteren Ausgaben überholt, auch Günther Franz, Paul Kirn (Hrsg.): Thomas Müntzers Schriften und Briefe. Kritische Gesamtausgabe. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1968

[4] Gerade noch hervorgetreten mit dem Abschluss einer langjährigen Forschungsarbeit, die der Rezensent auf dieser Seite besprochen hat: Christoph Auffarth: Das Neue Jerusalem darf es nicht geben. Die Niederschlagung der radikalen Reformation in Münster 1534/35. Günter Vogler: Die Täuferherrschaft in Münster und die Reichsstände. 2014, in: http://buchempfehlungen.blogs.rpi-virtuell.net/2015/02/15/vogler-taeuferherrschaft-in-muenster/ (15.2.2015). GV hatte schon eine Biographie geschrieben: Günter Vogler: Thomas Müntzer. Berlin: Dietz 1989. In dem Jahr feierte man den 500. Geburtstag Thomas Müntzers, das Jahr ‚der Wende‘.

[5] Günter Vogler: Thomas Müntzer in einer Bildergeschichte. Eine kulturhistorische Dokumentation.  (SVRG 211) [Gütersloh]: Gütersloher Verlags-Haus 2010 [auch Mühlhausen: Thomas-Müntzer-Gesellschaft].

[6] Von ihm etwa Der Theologe Thomas Müntzer: Untersuchungen zu seiner Entwicklung und Lehre. Berlin: Evangelische Verlags-Anstalt 1989.

[7] Im Folgenden mit den Initialen abgekürzt SB und GV. Als Autorenteam SB&GV.

[8] Trotz der vielen Erklärungen des Kontextes bleiben Begriffe zu wenig erklärt, wie Thomismus, via antiqua und via moderna. (S. 45)

[9] Das Gleichnis Jesu ist eigentlich eines, das zur Toleranz aufruft: Lasst das Unkraut stehen und überlasst Gott das Urteil! Es wurde aber im Mittelalter als Aufruf zur Entfernung Andersgläubiger verstanden durch Menschen, die sich im Besitz der Wahrheit wähnten. Aus dem Feuer des End­gerichts wird das Feuer der Inquisition. Siehe Christoph Auffarth: Die Ketzer. München ³2016, 61-64.

[10] Das grundlegende Buch von Marjoree Reeves: The influence of prophecy in the later Middle Ages : a study in Joachimism. Oxford: Clarendon Press 1969. Christoph Auffarth: Das Grauen des Weltendes hat einen Namen: Alexander Minoritas Kommentar zur Apokaly­pse. In: Tilman Hannemann (Hrsg.): Bremer Religionsgeschichten. Kontinuitäten und Wandel zwischen Religion und Gesellschaft. Bremen: Edition Lumière 2012, 19-43.

 

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