Origenes: Aufforderung zum Martyrium

Origenes: Werke. Mit deutscher Übersetzung [OWD],
Hrsg. von Alfons Fürst; Christoph Markschies.

OWD Band 22: Aufforderung zum Martyrium. Hrsg. von Maria‐Barbara von Stritzky.
Freiburg; Berlin 2010
VI, 131 Seiten. Euro 59,95.
ISBN 978‐3‐451‐32948‐7

 

U n t e n  eine Übersicht aller bisherigen Rezensionen von Christoph Auffarth zu den Origenes-Ausgaben!

Zwei Lesarten des Martyriums: Origenes Werke, Band 22

Das Büchlein Aufforderung zum Martyrium ist innerhalb eines Jahres der dritte Band in der Ausgabe, die zweisprachig den ganzen Origenes leicht zugänglich macht. Er folgt den ersten, begeisternden Bänden mit den Jesaja-Homilien [ Besprechung hier] und der Genesis. Maria-Barbara von Stritzky, emeritier­te Professorin an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Münster, hat eine knappe, aber inhaltsreiche Einführung geschrieben, wenige, aber gewichtige Anmer­kungen und eine Übersetzung dem Text beigegeben, der ganz der Ausgabe von Paul Koetschau in den GCS 1 folgt.[1] Der Text in einer gut lesbaren Griechisch-Type, Zeilen­zähler, Nachweis der Bibelzitate oder –anspielungen. Nützlich wäre noch für die weiteren Bände, wenn die Paginierung der Originalausgabe eingefügt würde. Die Register führen auf die zitierten Bibelstellen; wo Origenes auf eigene Werke Bezug nimmt, etwas dürr das Register der Namen und Sachen.[2]

In welcher Tradition Origenes’ Modell des Märtyrers zu anderen antiken Autoren steht, ist in der Einleitung angesprochen. Allerdings sollten auch die Unterschiede herausgearbeitet werden, v.a. zu Tertullian.[3] Denn die Aufforderung zum Martyrium (Εἰς μαρτύριον προτρεπτικός) fordert keineswegs auf, den Tod zu suchen. Nach Eusebios’ unzuverlässigen Nachrichten (historia ecclesiastica 6, 39,5) habe O. das Mar­tyrium gewünscht und in grausamer Weise in der Christenverfolgung unter Kaiser Decius dann erfahren. Die Werbeschrift für das Martyrium aber ist mindestens 15 Jahre früher, etwa 235 geschrieben. MBvS vermutet nichtsdestotrotz (S. 7 f) eine befürchtete Verfolgung. Die Bedeutung von μαρτυρέω usf. „bezeugen“ ist im NT noch ohne die Zuspitzung auf das Erleiden des Todes; sie bedeutet autoritative Zeugenschaft, Mitwisser des Evangeliums. Unter dem Einfluss griechischer Vorstel­lungen entwickelt sich erst bei den Makkabäern (vorchristlich also, etwa 165-163 v.Chr.) der stellvertretende gewaltsame Tod des Blutzeugen; Origenes erzählt dra­matisch den Tod des alten Eleazar, der sieben Makkabäer-Brüder und den Tod ihrer Mutter, die das alles ansehen musste (exhort. mart. 22-27)[4]. Die Makkabäerbücher verweisen deutlich auf den griechischen Hintergrund, das vierte Makk. schlägt die Brücke zum stoischen Ideal. Im Polykarp-Martyrium (einer der frühen nicht-neutesta­mentlichen Schriften unter dem Namen der Apostolischen Väter) ist es christiani­siert. Erfreulicherweise hat die Autorin jeden Bezug zu der falschen Vorstellung eines „Selbstopfers“ vermieden.[5]

Origenes preist den gewaltsamen Tod keineswegs so, dass das das Ideal sei und die Märtyrer ausgezeichnete Christen, demgegenüber die anderen Christen zweiter Klas­se wären. Martyrium kann man auch beweisen in der Ausübung der Sakramente, das Trinken des Kelches, den Jesus vor seinem Tod als Symbol seines Todes trank (interessant die militärische Metapher des Helden, der unmöglich seinen Tod habe umgehen wollen in dem Wort „… so gehe dieser Kelch an mir vorüber!“ protr. mart. 29: hier stirbt stoisch der Weise) und die Taufe in den Tod (protr. mart. 30 f). Zeugnis heißt dabei, sich nicht an den Opfern der Nichtchristen beteiligen. Mehrfach und ausführlich setzt sich O. mit dem Problem der Bilderverehrung auseinander. Damit gibt auch der normale Christ ohne Christenverfolgung Zeugnis gegen die Dämonen (protr. mart. 45 mit Anm. 90). Martyrium gibt es also auch im Verborgenen (protr. mart. 12 u.ö.).

Dieser dritte Band der OWD erreicht nicht ganz die herausragende Qualität der beiden ersten. Die Einleitung ist allzu kurz geraten. Die Übersetzung bleibt in der etwas künstlichen Übersetzungssprache oder setzt zu schnell einen modernen Begriff ein (wie das matthäische Reich der Himmel als „Himmelreich“; παράκλησις (42) mit „Trost“ ohne im Hintergrund den Parakleten „Rechtsanwalt“ des Joh. 15, 26). Aber das soll die solide und zuverlässige Leistung nicht schmälern. Eine weitere Schrift des Origenes ist hier zweisprachig erschlossen, die ein zentrales Thema des frühen Christentums erklärt: Martyrium heißt nicht nur den gewaltsamen Tod erleiden; auch im täglichen Gottesdienst kann man Zeugnis von Gott ablegen.

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[1] Die Erstausgabe von Johann Rudolf Wettstein 1674, im niederländischen Nachdruck 1694 ist jetzt übrigens digitalisiert auf http://resolver.sub.uni-goettingen.de/purl?PPN600091139

[2] Beispielsweise hat O. die Metapher der „Erbauung“ (protr. mart. 11 =OWD 22, p. 44, 24; dort weist MBvS den Bezug auf 1 Kor 3,12 gut nach) mehrfach benutzt, sie kommt aber im Register nicht vor.

[3] Zuletzt Jan Willem van Henten: Martyrium II. Reallexikon für Antike und Christentum, Band 24, Lfg. 186/193 [2011], 300-. Eine Sammlung der Texte (mit Übersetzung) zum Thema von Theofried Baumeister (Bern 1991); seine Aufsätze zum Thema sind jetzt gesammelt: Martyrium, Hagiographie und Heiligenverehrung im christlichen Altertum, Freiburg: Herder 2009 – in der Bibliographie schon berücksichtigt.

[4] Zitiert wird so: Orig. exhort. mart. und die Kapitelzahl, wer will kann noch angeben =OWD 22, p. 60-69 und die Zeile. Nicht die Zwischenüberschriften mit den römischen Ziffern.

[5] Das das keine antike Vorstellung ist, zeigt Hildegard Cancik-Lindemaier: Opferphantasien (1987); Tun und Geben (2000). Beides in: HCL: Von Atheismus bis Zensur. Würzburg: Königshausen&Neu­mann 2006, 193-229. Ferner Andreas Bendlin: Anstelle der anderen sterben: Zur Bedeutungsvielfalt eines Modells in der griechischen und römischen Religion. in: J. Christine Janowski, Bernd Janowski, Hermann P. Lichtenberger (Hrsg.): Stellvertretung: Theologische, philosophische und kulturelle Kontexte. Band 1: Interdisziplinäres Symposion Tübingen 2004. Neukirchener Verlag: Neukirchen 2006, 9-41.


In der Reihenfolge des bisherigen Erscheinens der Bände:
Rezensiert von Christoph Auffarth.

OWD Band 10: Die Homilien zum Buch Jesaja. Eingeleitet und übersetzt von Alfons Fürst und Chris­tian Hengstermann.

OWD Band 1/1: Die Kommentierung des Buches Genesis. Hrsg. von Karin Metzler.

OWD Band 22: Aufforderung zum Martyrium. Hrsg. von Maria‐Barbara von Stritzky.

OWD Band 7: Origenes: Die Homilien zum Ersten Buch Samuel .
Eingeleitet und übersetzt von Alfons Fürst.

OWD Band 21: Origenes: Über das Gebet.
Eingeleitet und übersetzt von Maria-Barbara von Stritzky

OWD Band 11: Origenes: Die Homilien zum Buch Jeremia.
Eingeleitet und übersetzt von Alfons Fürst und Horacio E. Lona.

OWD Band 3: Origenes: Die Homilien zum Buch Levitikus.
Eingeleitet und übersetzt von Agnethe Siquans.

Stand: 02.06.22

Origenes: Die Kommentierung des Buches Genesis (Band 1/2). Von Karin Metzler


Origenes: Werke mit deutscher Übersetzung [OWD], Hrsg. von Alfons Fürst; Christoph Markschies.
OWD Band 1/1: Die Kommentierung des Buches Genesis. Hrsg. von Karin Metzler.
Freiburg; Berlin 2010 [xxv, 341 Seiten. Euro 89,95. ISBN 978‐3‐451‐32901‐2

 


Die Schöpfungsgeschichte christlich gelesen

Nach dem ersten, begeisternden Band mit den Jesaja-Homilien [Rezension: hier] folgen im gleichen Jahr zwei weitere Bände in der Ausgabe, die zweisprachig den ganzen Origenes leicht zugänglich machen.

Hier die Kommentierung der Genesis. ‚Kommentierung’ nennt die Herausgeberin Karin Metzler[1] die Sammlung des Erhaltenen, weil Origenes einerseits einen Kom­mentar zur Genesis schrieb, der aber nur die vier ersten Kapitel von der Erschaffung zu den Sündenfällen umfasst und in Vers Gen 5,1 abgeschlossen und besiegelt wird. Dafür benötigt er 13 ‚Bücher’ (Papyrusrollen). Dazu kommen „Scholien“, die auch die weiteren Kapitel der Genesis kommentieren. Scholien bezeichnen Kommentare, die man zur Erklärung unbekannter Worte oder Zusammenhänge an den Rand oder zwischen die Zeilen antiker Werke schrieb. Christoph Markschies vermutet, es hand­le sich in diesem Fall um (Auszüge aus) Mitschriften seiner Schüler und Gäste. Ange­fan­gen hat Ori­genes seinen Kommentar zunächst in Alexandria, den Rest vollendete er wohl 234 in Caesarea, seinem neuen Wohnort (dem römischen Hafenort in Palä­stina). Zur glei­chen Zeit schrieb er an seinem philosophischen Hauptwerk Περὶ ἀρχῆς (Perì archês, de principiis), während die große Verteidigung gegen die Angrif­fe des Intellektu­ellen Celsus danach entstand. Das längste zusammenhängende Stück (D 7) umfasst etwa 40 Doppelseiten und handelt von der Vorsehung mit einer langen Auseinander­setzung über die Richtigkeit der Prophetie und die Falschheit der Astro­logie. Die Sterne sind Zeichen, nicht Mächte (82 f σημεῖα – δυνάμεις): es geht um das Problem der Willensfreiheit. Hatte Judas die Chance, sich auch anders entscheiden zu können (118 f)? Dass hinter σῶσαι (96,15) das platonische Problem steht, wie man die Idealbilder mit dem Faktengewimmel in Einklang bringen will, „die Phänomene retten“ σῴζειν τὰ φαινόμενα, ist wieder eine kluge Beobachtung von KM.

Der Text ist der aus der großen wissenschaftlichen Ausgabe der Griechischen Christ­lichen Schriftsteller, den die gleiche Wissenschaftlerin gerade herausgibt und zahl­reiche Verbesserungen in der Zuordnung und im Verständnis bringt. Eine enorme Arbeit kommt zum Abschluss, all die Stücke zusammenzusuchen und zu prüfen, die teils in Origenes eigenen Schriften zitiert, in drei umfangreichen (beschädigten) Papyri und in den Texten 13 anderer antiker Schriftsteller zu suchen sind. Tat­säch­lich: „Spurensuche“! Testimoni­en (A-C), Fragmente aus dem Kommentar (D) und die Scholien (E), die in den Sammelkommentaren (Catena ‚Kette’) immer wieder ausge­schrieben wurden. Man sieht die sorgfältige Arbeit von Jahren nicht nur im grie­chischen Text. Die Entschei­­dung übrigens, den griechischen Text in einer seriphen­losen Type zu setzen (was eigentlich einem Grundsatz widerspricht, keine Seriphen­schrift – die deutsche Übersetzung – parallel daneben zu setzen), führt zu einem sehr gut lesbaren und übersichtlichen Resultat. Die Arbeit ist konzentriert zusammenge­führt in der Übersetzung. Man sieht die genauen Überlegungen. Beispielsweise wählt KM für inordinatus nicht ‚ungeordnet’ (was eher eine durcheinander gebrachte Ordnung voraussetzte), sondern ‚ordnungs­los’ (48 f). Für den griechischen Strich­punkt der als Punkt in halber Höhe notiert wird, wählt sie ‚Hochpunkt’ (70 f) und die kluge Erläuterung für das grammatikalische Problem, das man ohne griechischen Text nicht verstehen kann, in Anm. 65. Apò koinoû 154 f. Der „Wal“ (das κῆτος) des Jona, wie wurde er geschaffen (162 f) – der Leviathan fehlt?

Der Kommentar KMs ist anspruchsvoll und verlangt einige Kenntnis in antiker Rhe­­torik und Grammatik. Dann aber führt KM aufschlussreich durch die komplizier­te Argumentation. Origenes liest die Schöpfungstexte ja nicht als jüdischen Text histo­risch, sondern allegorisch, d.h. der Text sagt etwas anderes, zumindest mehr, als was auf der wörtlichen Ebene dasteht. Origenes will die ethische Herausforderung darin erkennen, ihren anagogischen Sinn. C I 1 gibt einen Aufriss: Adam als Christus, Eva als Kirche, Gott in der Trinität als Vater, Wort und Geist (der über der Urflut schwebt C I 3) – und die Weisheit! sapientia C II 1, 276, S. 51 –, der Teufel als das Dunkle (C I 1b), wo aber sind die Engel (C II 2)? Origenes verbindet sie mit dem Wasser – nicht wie seit Augustinus üblich, mit der Erschaffung des Lichtes. Oder meinte er die Bäume im Paradies (C II 4)? Und wie kann man den Kosmos hinein bringen, der nicht im Horizont des Schöpf­ungs­berichters „Mose“ liegt. Doch! behauptet Origenes, dafür steht die merkwürdige doppelte Erschaffung von Himmel und der Erde (Gen. 1,1 und 1,8 u. 10). Gegen die Gnostiker mit ihrem Dualismus muss Origenes den Text verteidigen, er spreche vom guten Gott, nicht vom böswilligen Demiurgen (108 f) Er hat, auch wenn er wohl selbst nicht Hebräisch konnte, jüdische Gelehrte gefragt, wie sie den Text verstehen (S. 48, Anm. 26).

Die Einleitung zum Gesamtwerk durch die Herausgeber (vii-xxv) ist sachlich knapp und lesenswert zugleich. Das Abkürzungsverzeichnis (xv f) sollte, auf dickem Papier gedruckt, jedem Band beiliegen.

Kurz: auch dieser zweite Band der OWD ist hervorragend gelungen. Das Ergebnis jahrelanger Arbeit gipfelt in der abgewogenen Übersetzung und den Kommentaren der Anmerkungen.

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[1] Künftig mit den Initialen abgekürzt.

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5. Dezember 2010
Christoph Auffarth,
Religionswissenschaft,
Universität Bremen

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In der Reihenfolge des bisherigen Erscheinens der Bände.
Rezensiert von Christoph Auffarth.

OWD Band 10: Die Homilien zum Buch Jesaja. Eingeleitet und übersetzt von Alfons Fürst und Chris­tian Hengstermann.

OWD Band 1/1: Die Kommentierung des Buches Genesis. Hrsg. von Karin Metzler.

OWD Band 22: Aufforderung zum Martyrium. Hrsg. von Maria‐Barbara von Stritzky.

OWD Band 7: Origenes: Die Homilien zum Ersten Buch Samuel .
Eingeleitet und übersetzt von Alfons Fürst.

OWD Band 21: Origenes: Über das Gebet.
Eingeleitet und übersetzt von Maria-Barbara von Stritzky

OWD Band 11: Origenes: Die Homilien zum Buch Jeremia.
Eingeleitet und übersetzt von Alfons Fürst und Horacio E. Lona.

OWD Band 3: Origenes: Die Homilien zum Buch Levitikus.
Eingeleitet und übersetzt von Agnethe Siquans.

Stand: 02.06.22