Hans Thomann • Mit freundllicher Unterstützung der Artothek in rpi-virtuell

Unorthodox christlich

Hans Thomann setzt sich kreativ mit dem Glauben heraus. Seine Kunst provoziert, fordert heraus, hinterfragt, löst Gespräche und Diskussionen zur Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben aus. Auf frische Art und Weise verwendet er vorgefundene Kreuze, dem Christuskorpusse, Marienstatuen, etc., stellt sie in neue Zusammenhänge, um neue Zugänge zum Glauben zu ermöglichen.

bewegend

Eine stehende Person ist aus den vielen Umrisslinien heraus zu erkennen. Hervorgehoben durch die breite dunkle Linie scheinen Beine und Oberkörper einen festen Platz zu haben, während die Arme von seitlich bis nach oben ausgestreckt in unterschiedlichen Positionen variieren. Auch im Hüftbereich weichen die Linien vom „Hauptstrom“ ab.

Der Künstler Hans Thomann hat den Corpus von über 30 Kreuzen in den Umrisslinien aufgezeichnet.
Die unterschiedlichen Armhaltungen des gekreuzigten Jesus ergeben übereinander eine Bewegung, die dem Auf und Ab eines Flügelschlages nicht unähnlich sind. Zusammengefasst verleihen sie dem irdisch schweren Körper von Jesus so etwas wie Flügel und erhält er die Leichtigkeit eines Engels.

Das Kreuz, an dem Jesus mit Nägeln festgehalten und das ihn noch mehr als sonst an die Erde gebunden hat, ist überwunden. Von seiner Gestalt sind die Umrisse der vielen Darstellungsformen übriggeblieben, vom Licht umgeben und durchflutet. Aus dem Gekreuzigten ist so ein Auferstandener, aus dem Festgehaltenen ein sich Bewegender, aus dem irdischen ein geistiger Leib geworden (vgl. 1 Kor 15,44-49).

Durch die erhobene Handhaltung kommt mir Psalm 47 in den Sinn, wo es heißt: „Ihr Völker alle, klatscht in die Hände; jauchzt Gott zu mit lautem Jubel!“ Die übereinander gezeichneten Gestalten könnten auch für uns Menschen stehen, die über einander folgende Generationen hinweg vor Gott stehen und den Tod und die Auferstehung seines Sohnes feiern.

Die weiteren Verse des gleichen Psalms könnten aus einem solchen Gottesdienst stammen und würden durch die Rede vom Aufstieg und dem Sieg gut in den Kontext dieses Kunstwerkes passen: „Gott stieg empor unter Jubel, der Herr beim Schall der Hörner. Singt unserm Gott, ja singt ihm! Spielt unserm König, spielt ihm! Denn Gott ist König der ganzen Erde. Spielt ihm ein Psalmenlied! Gott wurde König über alle Völker, Gott sitzt auf seinem heiligen Thron. Die Fürsten der Völker sind versammelt als Volk des Gottes Abrahams. Denn Gott gehören die Mächte der Erde; er ist hoch erhaben.“ (Verse 2.6-9)

 

Erstveröffentlichung von Patrik Scherrer am 09.04.2005 bei www.bildimpuls.de

fliegen, 2004, Zeichnung auf Papier, 21 x 30 cm, © Foto und Bildrechte: Hans Thomann

Bibel auf Empfang

Eine Bibel und eine Radioantenne bilden dieses provozierende Kunstwerk. Fast zu einfach – und doch sehr anregend.

Die Bibel ist hier wie ein Radio durch eine Antenne „auf Empfang“ gesetzt worden. Damit wird eine wesentliche Aussage der Bibel sichtbar dargestellt. Sie vermittelt durch Worte eine Botschaft, die sie von einem unsichtbaren „Sender“ empfangen hat und an willige Zuhörer weitergibt.

Stehen nicht in der Bibel die Erfahrungsberichte unserer Vorfahren mit dem unsichtbaren Gott, der durch sein Wort sich ein Volk geschaffen und zu ihm gesprochen hat? Übermittelt nicht die Bibel diese Erfahrungsberichte sowie die Botschaft Jesu und die Erfahrungen der ersten Christen in unsere Zeit – ähnlich wie das Radio seine Sendungen zeitgleich über das Land ausstrahlt?

Im Vergleich mit dem Radio bietet die Bibel auch mehrere Programme mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten an: z.B. Geschichtliches in den fünf Büchern Mose, den Makkabäern, der Apostelgeschichte, usw., Prophetisches bei den Propheten, Philosophisches in den Büchern der Weisheit, Ijob, Kohelet, Jesus Sirach und dem Hohenlied, usw., Lieder in den Psalmen und an vielen anderen Orten der Bibel, Verkündigung in den Evangelien und den Briefen von Paulus, Johannes, Petrus, usw.

Die Antenne in der Bibel erinnert mich an noch etwas: Die Bibel ist nicht ein Buch, das nur Vergangenes zu berichten hat. Ihre Botschaft bleibt aktuell und hat mir und Dir heute und jetzt Wichtiges für unser Leben zu sagen. Die Geschichte des Volkes Gottes hört nicht mit den letzten Worten der Offenbarung auf, sondern setzt sich fort. Gott sendet unermüdlich sein sinn- und lebenstiftendes Wort aus und hofft auf aufmerksame Leser und Zuhörer, die ihr Leben nach seinem Wort gestalten. „Selig sind … die, die das Wort Gottes hören und es befolgen,“ sagt Jesus in Lk 11,28 und am Ende der Bergpredigt: „Wer diese meine Worte hört und danach handelt, ist wie ein kluger Mann, der sein Haus auf Fels baute.“ (Mt 7,24)

Letztlich ist die Bibel mit der Antenne ein Sinnbild für uns selber. Unser Herz, in dem unsere Geschichte mit Gott aufgezeichnet ist, sollte immer seine Fühler / Antenne ausgestreckt haben, um Sein Wort, das ER auf unterschiedlichste Art und Weise an uns richtet, empfangen und umsetzen zu können.

 

Erstveröffentlichung von Patrik Scherrer am 21.012004 bei www.bildimpuls.de
Ra-DIO, 2002, Konfirmationsbibel des Künstlers, Antenne, H 57 x B 12,5 x T 4 cm, © Foto und Bildrechte: Hans Thomann

Schwebendes Kreuz

Ein liegendes Kreuz, nein schwebend, von vielen transparenten Ballons getragen. Was geht hier vor, was hat es uns zu sagen? Das liegende, und nicht stehende Kreuz? Die vielen Ballons, die dem Kreuz für einen Moment die Schwere nehmen?

Ohne die Hilfe von oben liegt es schwer auf dem Boden. Umgefallen, niedergestreckt von seiner Last? Wie wir Menschen, wenn wir krank sind, müde, überlastet?

Seine dunkle Farbe lässt mich zusätzlich an unsere Fehler, Unzulänglichkeiten und Vergehen denken, die unser Leben oft schwer machen. Die Psalmisten wie die Christen nennen diese Erfahrung Sünde. „Denn meine Sünden schlagen mir über dem Kopf zusammen, sie erdrücken mich wie eine schwere Last.“ (Ps 38,5) Und für diese Sünden ist Jesus am Kreuz gestorben: „durch sein Blut haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden nach dem Reichtum seiner Gnade.“ (Eph 1,7)

Deshalb verbinden viele Menschen ihre Hoffnungen mit dem Kreuz. Auch wenn wir den Stachel der Sünde wie der Krankheit an unserem schwachen und vergänglichen Leib immer wieder neu erfahren, spüren wir in uns eine Kraft, uns gegen alles Zerstörende zu erheben.

Vielfach sind wir allein zu schwach – dann tut es gut, entlastende Hilfe von Mitmenschen zu erfahren. Die Ballons sind für mich ein schöner Ausdruck eines derart erleichternden Beistandes. Sie zeigen vielerlei auf.

Die vielen Ballons können sagen, dass es viele „Liebkosungen“, Aufmerksamkeiten und Liebenswürdigkeiten braucht, um einen – aus welchen Gründen auch immer – Daniederliegenden „aufzustellen“, ihm Erleichterung zu verschaffen. Gemeinsam, von Gottes Geist durchweht und getragen, als von Gott und Mensch zusammengewirktes Ganzes haben die vielen einzelnen Gebete, guten Gedanken und Taten diese erhebende Kraft.

Durch die Ballons wird auch noch etwas anderes spürbar nachvollziehbar. Wer dauerhaft zusammenstehen will, jemandem helfen will, ist auf immer wieder neue Energie, Energieträger angewiesen, weil wie beim Ballon mit der Zeit die Tragkraft sinkt und die Luft „raus“ geht. Nicht nur das. Wie sich gute Absichten oft in Luft auflösen, kann auch ein kleiner Materialfehler, ein Nadelstich einen Ballon platzen lassen.

Wo viele Menschen sich in ihren Visionen und Gedanken vom Geist Gottes führen lassen und diese gebündelt in Taten umsetzen, wird das Kreuz vieler Leidender leichter werden und sie die Auswirkungen der Auferstehung Christi spürbar erfahren lassen.

 

Erstveröffentlichung von Patrik Scherrer am 24.04.2004 bei www.bildimpuls.de

Kunst-Aktion in der evang. Kirche Lachen (CH) am 4. April 2004
Maße: Länge des Kreuzes: 1,7m, Querschnitt der Balken: 20x20cm,
Material: Styropor bemalt, 92 mit Helium gefüllte transparente Ballone
© Foto und Bildrechte: Hans Thomann

Auferstehung

Die Figur des gekreuzigten Jesus dominiert das Bild. Mit den ausgebreiteten Armen, dem nach rechts geneigten und mit Dornen gekrönten Kopf sowie den geschlossenen Augen ist er noch in der Körperhaltung des Gekreuzigten und am Kreuz Verstorbenen.

Das Kreuz ist allerdings nicht mehr zu sehen, auch ist die Dunkelheit jener Stunde einem hell erleuchteten Umfeld gewichen. Die bleibende Körperhaltung von Jesus erzählt, dass er, auch vom Kreuz abgenommen, der vom Kreuz Gezeichnete bleibt.

Aufmerken lässt der Eisblock, der seinen Unterleib umgibt und festhält. Diese Darstellung ist ungewöhnlich und lässt innehalten. Eis ist Wasser, das bei Temperaturen unter null Grad gefror. Wir verbinden es mit großer Kälte, Erstarrung und Unbeweglichkeit. Im Zusammenhang mit der Figur des vom Kreuz Abgenommenen könnte es für den Tod stehen, der seinem Leib das Leben genommen hat, ihn erstarren ließ und wie Eis umklammerte. Andererseits könnte der Eisblock auch das Grab symbolisieren, in das der Leichnam hineingelegt worden war.

Doch Eis wird auch zum Konservieren verwendet. Diesbezüglich könnte es auch ein Hinweis sein, dass der Tod das Leben nur scheinbar nehmen bzw. festhalten kann. In Wirklichkeit wird es für die Auferweckung zum ewigen Leben aufbewahrt. Denn ein Anderer steht durch seine Liebe näher bei den Menschen und ist mit seiner Herzlichkeit und Wärme stärker als der Tod.

Der obere Teil des ursprünglich die Figur vollständig umgebenden Eises ist bereits geschmolzen. Hier scheint sich der Gekreuzigte nun wie nach dem Schlaf die Arme zu strecken und seiner wiedergewonnenen Freiheit zu freuen. Zudem wird deutlich, dass sein Erlöser von oben her wirkt. Durch seine Wärme schmilzt das Eis nach und nach und werden zuletzt die Fesseln seiner Füße freigegeben (ganze Bildreihe)). Eine sonnenförmige Erscheinung auf der Schauseite des Objektes legt nahe, dass die abschmelzende Kraft wie eine Sonne wirkt, und suggeriert durch ihre Strahlen gleichzeitig, dass das Eis auch von Innen aufgebrochen werden kann.

Im Zusammenhang mit dem gekreuzigten und ins Grab gelegten Jesus kann sein Erlöser nur Jesu Vater sein. Durch das von oben her schmelzende Eis wird verstärkt, dass die Befreiung durch die Liebe Gottes bewirkt wurde, durch seine Herzlichkeit, sein Erbarmen, seine tiefen Gefühle für uns Menschen.

All diese Gaben stehen auch uns zur Verfügung, um uns Menschen nahe zu machen, die in todesähnlichen Zuständen leben, in erkalteten blockierten Beziehungen stecken oder unter menschlicher Kälte und Ignoranz leiden. Durch unsere Empathie, durch unsere Herzlichkeit und Barmherzigkeit haben wir das Potential, Mitmenschen zumindest in unseren irdischen Umständen zu neuem Leben zu verhelfen und dazu beitragen, dass sie wieder Mut fassen, aufstehen, neu zu leben beginnen.

 

Erstveröffentlichung von Patrik Scherrer am 30.03.2013 bei www.bildimpuls.decool. 2013, Corpus Christi, Eis, Bild 3 von 5 Fotos der Performance
© Foto und Bildrechte: Hans Thomann


Zu finden in den Ausstellungen:

Hans Thomann

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Kontakt

In der großen Bildtafel begegnet uns eine Fülle von in Blautönen gehaltenen Einzelszenen. Was stellen sie dar? Durch die verschwommenen Formen bleibt das auf den 96 quadratischen Fotografien Gezeigte geheimnisvoll verhüllt oder entrückt. Distanz! Doch trotz aller Unschärfe weisen die weichen Schattierungen auf menschliche Körperteile hin, die stark vergrößert, sehr nahe und nur Ausschnittweise fotografiert wurden. Nähe! Diese Detailaufnahmen sind wie Teile eines rätselhaften Puzzles, in welchem der Mensch in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen angedeutet wird. Alle zusammen ergeben ein ungewöhnliches Ganzes, das zum Betrachter Kontakt aufnimmt, mit ihm ins Gespräch kommt.

In der Spitalkirche, wo das Bild hängt, ist das etwas ganz Wichtiges. Menschen, die sich hier einfinden, machen meist eine leidvolle Phase durch. Jede Krankheit und jede Operation birgt in sich viel Ungewissheit und Angst. Das geschliffene Acrylglas spiegelt die Unklarheit des Danach. Die Hoffnung auf Gesundung und Heilung ist da. Doch ohne Durchblick braucht es viel Zuversicht und Vertrauen in die Ärzte, die PflegerInnen und die Medizin, ein gläubiges Schauen über das jetzt Sichtbare hinaus. Die Blautöne des Bildes mögen die Zwiesprache mit dem Himmel eröffnen, das Gebet zu Gott erleichtern.

Der nach Halt suchende Blick vermag mit der Zeit auf den Fotos Nahaufnahmen von Händen entdecken. Tatsächlich hat der Künstler Hände von Ungeborenen bis zu Sterbenden ins Blickfeld gebracht. Hände, die berühren, Verbundenheit zeigen, streicheln, beten, helfen, arbeiten, trösten, schützen …

Neben den Augen hängen unsere Handlungen wesentlich von unseren Hände ab. Mit den vergrößerten Bildausschnitten und Handteilen werden einzelne Schicksale stellvertretend hervorgehoben und gleichzeitig in ein großes Ganzes eingebettet. So reihen sich Einzelschicksale, die sich ähnlich sind, aneinander, neben- und übereinander. Eine mit Krankheit und Tod ringende Schicksalsgemeinschaft findet sich in diesem Raum und vor diesem Bild zusammen, um in Gemeinschaft mit Jesus Christus, der Leid und Tod überwunden hat, Kraft zu schöpfen.

„Kommt alle zu mir, die ihr Euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen“, verkündigte Jesus (Mt 11,28). Er hatte keine Berührungsängste und legte den Kranken seine göttlichen Hände auf (8,15; 9,25), sie rettend (14,31), heilend (4,23; 9,29), segnend (19,13-15).

Über die Momentaufnahmen der Hände hat der Künstler mit malerischen und zeichnerischen Mitteln eine zweite, diesmal dynamische Ebene gelegt. In einer leichten Aufwärtsbewegung durchquert diese künstlerische Intervention das Bild von links nach rechts.

Mit dem blauen Rechteck un der weißen,nach rechts auslaufenden Übermalung ist auf der linken Seite ein starker Akzent gesetzt, der auf der rechten Seite von ansteigenden Linien aufgenommen und fortgesetzt wird.

Weiße Farbspritzer begleiten diese Bewegung, die Zeit und Krankheit, operativer Eingriff und heilende Prozesse zur Sprache bringen. Übrig bleiben Narben und Einschränkungen, die das wiedergewonnene Leben zeichnen, aber nicht mehr wie vorher zudecken. Das tröstet und stärkt die Hoffnung, bald selbst wieder handeln zu können.

 

Erstveröffentlichung von Patrik Scherrer am 30.09.2006 bei www.bildimpuls.de

Kontakt, 2007, Gebetsraum in der Kantonsklinik Wintertuhr, © Foto und Bildrechte: Hans Thomann720 x 120 x 1 cm, Wandabstand 12 cm, Acrylglas geschliffen, Malerei, Fotografie

Zu finden in den Ausstellungen:

Frauen und Männer im Licht

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Buchstäbliche Auflösung


Unzählbar viele Buchstaben türmten sich im November 2007 in der evangelisch-reformierten Kirche in Zürich-Witikon vor dem Besucher auf einer großen schwarzen Metallplatte auf. Die Buchstaben waren als Suppeneinlagen allen bekannt, ja vom Aussehen her sogar vertraut.Aber das Auftauchen der Suppenbuchstaben in der Kirche war doch verwirrend. Wieso Suppenbuchstaben? Warum diese Anhäufung? Lose liegen die einzelnen Buchstaben unter-, über- und nebeneinander. Der Zufall hat kein Wort ergeben. Ohne menschliches Zutun haben diese Buchstaben ebenso wenig eine geistige Bedeutung wie die Buchstaben in einer Suppe.Da die Suppenbuchstaben in einer Kirche – und erst recht einer Kirche der Reformation – angehäuft wurden, drängt sich die Vermutung auf, dass sie etwas mit DEM Wort zu tun haben: dem Wort Gottes. Tatsächlich wurden alle Buchstaben in der neuen Zürcher Bibel gezählt und durch die entsprechende Anzahl eines jeden Buchstaben als Suppenbuchstabe auf der Metallplatte, auf der jedes Jahr das Osterfeuer brennt, sichtbar gemacht. Am meisten kommen die Buchstaben E und G vor (571’347 x), am seltensten das X (144 x).

3’402’248 Buchstaben sind eine beeindruckende Anzahl. Doch das kann nicht alles sein. Ohne den ordnenden und sinngebenden Rahmen der biblischen Bücher wären sie bedeutungslos. Es muss also einen weiteren Grund geben, dass der Künstler die Aktion in einer Kirche durchführt. Noch haben wir nicht hinterfragt, warum der Künstler Suppenbuchstaben verwendet hat. Um die Anzahl zu visualisieren, hätte er die Buchstaben der Bibel auch ausstanzen oder in einem anderen Material sichtbar machen können.

Suppenbuchstaben sind jedoch zum Essen vorgesehen. Sie wollen verzehrt werden. Und darum geht es auch Hans Thomann. Er möchte die Gemeinde darauf aufmerksam machen, dass die Texte der Bibel nicht nur gelesen, sondern verinnerlicht, angeeignet werden sollen, immer mehr wesentlicher Bestandteil von uns werden sollen. Interessanterweise entspricht das Gewicht der 3,4 Millionen (Suppen)Buchstaben der Zürcher Bibel mit 74,875 kg ungefähr demjenigen eines „durchschnittlichen“ Menschen. Wie DAS Wort in Jesus Christus Mensch geworden ist, soll auch Gottes Wort in der Heiligen Schrift in uns Gestalt annehmen, uns immer mehr zu seinen Menschen gestalten.

Der Anspruch geht damit weit über den Brauch der sogenannten Fresszettel hinaus, bei dem kleine Stücke aus den Seiten der Bibel herausgerissen und gegessen wurden, um die Genesung der Patienten zu fördern. Im Rahmen des Martinimahls und dreier Suppentage im Januar wurde die Gemeinde eingeladen, sich die Bibel einzuverleiben.

Ein schönes Symbol, das viele Parallelen zur Bibelmeditation aufweist. Die Buchstaben müssen eingeweicht, essbar gemacht werden, so wie die Bibeltexte gelesen werden und ihnen ein Sinn abgerungen wird. Oft ist dabei ein wiederholtes Lesen notwendig, ein ähnlich dem (Wieder)Kauen im Geiste, dem Hin- und Herbewegen, um seine Bedeutung für mich zu verstehen. Dabei werden die Worte und einzelnen Buchstaben aufgelöst und erhalten – ihrem Ziel zugeführt – in Leib und Seele eine ganz neue, individuelle Bedeutung, die durchaus stärkend und heilsam sein soll.

 

Erstveröffentlichung von Patrik Scherrer am 19.01.2008 bei www.bildimpuls.de

3’402’248 Suppenbuchstaben, 2007, evang.-ref. Kirche in Zürich-Witikon, © Foto und Bildrechte: Hans Thomann

Unfassbarer Halt

Im Pfarreizentrum der Katholischen Kirchgemeinde in Wil finden sich an öffentlich zugänglichen Stellen wie Korridore und Treppenhaus 100 Wörter wie Gefühle, Amore, Krieg, Wow, Zweifel oder wie im Bild Halt in die Ziegelsteinwände gemeißelt. Die Worte treten kaum in Erscheinung. Sie sind einfach aus dem Ziegelstein herausgehauen, fallen nur durch das Spiel von Licht und Schatten auf. Schlicht und zurückhaltend sind sie präsent, laden zum Entdecken ein, zur Sinnsuche. Wer ihnen folgt, muss sich im Haus bewegen, unterschiedliche Standpunkte einnehmen. Dem einen Besucher mögen sie geheimnisvoll erscheinen, dem anderen vielleicht unverständlich. Begegnungen werden sich ergeben, vielleicht Gespräche über die Bedeutung dieser eigenartigen Wörtersammlung.

Denn nirgends steht geschrieben, dass diese Worte anlässlich des Totalumbaus des Hauses 2008-09 aus einer Umfrage bei den Gläubigen hervorgegangen sind. 584 Personen zwischen acht und 92 Jahren haben mit 1146 Begriffen auf die Frage geantwortet: „Welche zwei Worte sind für Sie / Dich im Zusammenhang mit GLAUBEN die wichtigsten?“ Es wurden sehr persönliche Begriffe gesucht, die viel mit der entsprechenden Person zu tun haben. Dabei wurden 65 Begriffe 652 mal erwähnt. Ausgewählt wurden:

Wasser Glück Trost Hilfe individuell fromm Gott Liebe Brot Zukunft Amore Engel Vertrauen Kraft Hoffnung Jesus Kirche Leere Geborgenheit Gebet Gemeinschaft Leben Sicherheit Licht Zuversicht Frieden Religion Zweifel Halt Familie Freude Ruhe Bibel Wärme Himmel ewig Geschenk Krieg schwer Luce Geist Stütze Maria Freunde Schatten Geld Weg Humor Kleider Herz Salz Verità Weg Gefühle Kontakt Angst Krampf Geheimnis Fest Treue Ziel Rückhalt Erfahrung viel Fanatismus Lügen forza Glut Spass via – offen Variationen Wow Schmerz Beweis Erde Kunst Corazón Vater Quelle Ewigkeit leicht Tod Macht Augen Suche Freundschaft Leid nichts Sinn Schönheit Heimat gleich Freiheit Mut Amen Stärke ? Kritik

Stellvertretend für alle anderen Wörter sehen wir im Bild das Wort Halt. Es lässt an Halt, Stopp, Anhalten, Innehalten, Aushalten usw. denken. Gleichzeitig mag die Frage nach dem Halt und Haltgebenden im Leben sich stellen … Sinnsuche. Was bedeutet der Glaube für mich? Woraus besteht er? Worauf ruht er, was gibt ihm Halt?

So wie die Wörter im ganzen Haus verteilt sind, so haben viele Menschen mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen den Glauben an Gott. Ohne sie würde das Gebäude des Glaubens zusammenbrechen. Sie tragen es.

Zentraler Mittelpunkt ist Jesus, den der Künstler im großen Saal in Spiegelkontur so dargestellt hat, dass sich die Anwesenden in ihm spiegeln und wiederfinden können.

Mit einer zwölffarbigen Wand im Café wird an die Apostel erinnert, welche als Zeugen den Glauben an Jesus in die Welt hinausgetragen haben. Die einzelnen Farben finden sich an den Decken der Versammlungsräume wieder.

Die Gemeindemitglieder sind die heutigen Glaubenszeugen. Dadurch, dass sie ihre persönlichen Glaubenserfahrungen in die Gestaltung des Pfarreizentrums einbringen konnten, kommt zum Ausdruck, dass jeder Einzelne wesentlicher „Teil“ dieser Glaubensgemeinschaft ist. Sie sind unverzichtbare Bausteine dieses Hauses, das glaubenden Menschen offen steht, Menschen, die sich von Gott gehalten und geführt erleben, Menschen, die aus einer inneren Haltung heraus bewusst einander Halt sein wollen. Wie die im Haus verteilten Wörter wirkt jeder auf seine Weise und an seinem Ort. Kein menschliches Wesen kann ihr Wirken mit einem Blick erfassen. Es braucht viele Begegnungen und Erfahrungen, um die Vielfalt und Tiefe des Glaubens in seiner Fülle kennen zu lernen. Von außen mag die Ausstrahlung dieser Glaubensgemeinschaft spürbar sein. Wer jedoch ihr Leben kennen lernen will, der muss sich auf sie einlassen, hineingehen, sich mitten unter sie begeben. So wird er den Glauben von innen kennen lernen, seine Faszination und sein Halt gebendes Wesen in direktem Kontakt gleichsam berühren können. Auch wenn die Größe des Glaubens letztlich unfassbar bleibt.

 

Erstveröffentlichung von Patrik Scherrer am 03.10.2009 bei www.bildimpuls.de

100 Worte zum GLAUBEN , 2009 Pfarreizentrum der Kath. Kirchgemeinde Wil (Kt. St. Gallen, Schweiz), © Foto und Bildrechte: Hans Thomann

Bezwingbar?

Ein ungewöhnliches Zusammentreffen: die feingliedrige Gestalt des Gekreuzigten inmitten dieser Schraubzwingen. Beide Akteure sind uns aus anderer Umgebung gut bekannt. Der geschnitzte Jesuskorpus hängt normalerweise an einem Kreuz in den Wohnungen. Die Schraubzwingen werden in Werkstätten zum Zusammenhalten oder –pressen von Holz, Metall etc. verwendet.

Für diese Arbeit wurden sie in eine neutrale Umgebung versetzt und ein geringfügig zweckentfremdet. Der Jesuskorpus schwebt losgelöst vom Kreuz in der Waagrechte, fast möchte man an eine Grablegung denken. Die sieben Schraubzwingen umgeben den Korpus wie ein Zwinger. Sie umschließen ihn wie einen Gitterkäfig, halten ihn wie Fesseln, foltern ihn mit Druck und Gewicht. Dabei sind fünf Schraubzwingen an seinem Körper angesetzt, zwei von ihnen dienen der Stabilisierung.

Was für ein Gegensatz: Zerbrechliches Naturmaterial zwischen dem Metallzwingen, bei denen sich der Druck stufenlos erhöhen und halten lässt. Sinnbild für den zerbrechlichen Menschen, der durch Machtinstrumente anderer Menschen in grausame Bedrängnis gekommen ist. Die Schraubzwingen stehen für alles, was sich an uns festgemacht hat, an uns angesetzt worden ist und wie auch immer Druck auf uns ausübt. Wer schon mal Schraubzwingen in der Hand gehabt hat, weiß, wie fest sie angezogen werden müssen, damit sie halten und nicht herunterfallen, wie schwer sie gerade an feinen Gegenständen zu befestigen sind.

Die Aufgabe der Schraubzwingen ist es Druck auszuüben, etwas so in eine Position zu zwingen, dass es kein Auskommen mehr gibt. Bei zu viel Druck gibt es nicht nur Druckstellen, der eingeklemmte Gegenstand zersplittert und zerbricht. Bei dieser Installation scheinen die Druckverhältnisse ausgeglichen. Die Jesusfigur wird von den Schraubzwingen so gehalten, dass nichts an ihm zerbricht. Damit vermag die Installation daran erinnern, dass Jesus bei der Kreuzigung die Beine nicht gebrochen wurden, weil er schon tot war (Joh 19,33).

Gleichzeitig ist in der Übermacht dieser martialischen Folterinstrumente seine Ohnmacht zu spüren, sein ausharrendes Leiden in dieser ausweglosen Situation. Während er den Kopf leicht gebeugt hält, umgeben die Zwingen den geradezu kleinen Holzkorpus hart und stetig. In der schwarzen Farbe schwingt das Dunkle des Bösen mit, das glänzende Metall erinnert an Rüstungen, die roten Griffe an das Teuflische in den Handlungen derer, die so etwas machen, an das Leid, das sie bereiten, das Blut, das sie vergießen.

Aus ihnen spricht die Macht, den Jesuskorpus wie ein Streichholz zu knicken. Doch der mit ausgestreckten Armen Daliegende stemmt sich ihnen mit der in ihm ruhenden Kraft entgegen. Unsichtbar in ihm gegenwärtig, gibt sie ihm den inneren Halt, allen Bedrohungen und Zwängen standzuhalten und sie auszuhalten. Die Installation lässt spüren: die Gegner sind vielleicht mächtig, sie bedrängen Jesus sehr, aber bezwingen werden sie ihm nie können.

 

Erstveröffentlichung von Patrik Scherrer am 17.03.2012 bei www.bildimpuls.de

Ohne Titel , 2011, Christuskorpus, Schraubzwingen
© Foto und Bildrechte: Hans Thomann

Potentielle Lichtgestalt

Eine menschliche Gestalt befindet sich im Zentrum eines Strahlenkranzes aus Feuerwerkskörpern. 50 Holzstäbe gehen von der Brust bzw. von der Herzgegend aus in alle Richtungen, formal mit den kurzen Armierungseisen korrespondierend, aus denen die Figur zusammengeschweißt ist. Ansonsten steht die weiße Menschengestalt im Gegensatz zu den bunten Feuerwerkskörpern. Die Figur ist innen hohl, die Raketen sind mit Pulver gefüllt, sie besteht aus unbrennbarem Stahl, die vielen entfalten sich in genialen Lichteffekten, der Mensch bleibt am Boden, die Leuchtkörper verzaubern den Himmel, er hat eine große Langlebigkeit, sie verbrennen in wenigen Sekunden.Was diese so gegensätzlichen Materialien wohl über den Menschen aussagen vermögen? Eine nähere Betrachtung der menschlichen Gestalt und vertiefte Gedanken zu den im Kreis angeordneten Feuerwerkskörpern werden Anhaltspunkte zum Verständnis dieses spannungsvollen Kunstwerks geben.

Der im Zentrum der Installation stehende Mensch ist mit den Stahlstücken plastisch skizziert. Er ist ähnlich flüchtig festgehalten wie in einem Skizzenbuch, und doch mit Eisenstäben beständig in den Raum geholt. Die verwendeten Rundstäbe werden normalerweise für die Armierung, die innere Verstärkung von Beton gebraucht. Am fertigen Bauwerk sind sie unsichtbar. Bei dieser Menschengestalt bilden sie jedoch die Hülle, die sich nach oben verdichtet. Und sie wirken wie ein transparenter Panzer, der Halt gibt, schützt, und doch für das Licht durchlässig ist. Da weder die Hände noch die Füße oder die Gesichtszüge ausgearbeitet sind, kann diese Gestalt für jeden Menschen stehen.

Durch die unterschiedliche Beinlänge scheint dieser menschliche „Platzhalter“ in den Raum zu schreiten, mit den leicht nach hinten geneigten Armen den Raketenkranz wie ein Gepäckstück auf dem Rücken haltend. Assoziative Vergleiche mit einem Propeller oder einem großen bunten Flügel mögen aufsteigen und die Menschengestalt zu einem modernen Ikarus machen.

Doch die strahlende Darbietung eines Feuerwerks ist stets von kurzer Dauer, begleitet von lauten Knallern sowie starker Rauch- und Geruchsentwicklung. Neben der Erinnerung an einen an ein Wunder grenzenden Lichtzauber bleiben nur Leitstäbe und ausgebrannte Hülsen übrig. Die künstlichen Lichteffekte erregen wohl kurzfristig Aufsehen und Staunen, auf die Dauer kann sich allerdings niemand eine solch kostspielige und letztlich auch umweltbelastende und gesundheitsschädliche Inszenierung leisten. Sie ist in allen Belangen weder tragfähig noch tragbar.

Letztlich stellt die Installation die Frage, wie wir mit einfachen Mitteln, mit unseren eigenen Energien Glanzpunkte setzen können. Es geht darum, wie wir, ohne auf künstliche Effekte zurückgreifen zu müssen, mit unserem Handeln Akzente setzen können, die eine anhaltende Ausstrahlung haben.

Die 50 Leuchtkörper verweisen mit ihren Leitstäben bildsprachlich auf das Herz. Alles was wir denken, reden und tun hat seinen Ursprung im Herz. Wenn dieses Denken, Reden und Handeln gut ist, wird es eine positive Wirkung zeigen. Jesus sagt in der Bergpredigt zu seinen Zuhörern: „Ihr seid das Licht der Welt. … Euer Licht soll vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.“ (Mt 5,14.16) Für ihn ist die Ausstrahlung eine Folge der guten Werke und gleichzeitig eine zweifach erhellende Kraft. Nämlich, dass andere das Gute sehen und gleichzeitig Den erkennen, der im Ursprung das Gute bewirkt. Der tief im Innern der Herzen berührt und bewegt, ruhig und ohne Effekthascherei. Was Gott bewirkt, besitzt eine natürliche Leuchtkraft. Es muss nicht wie bei einem Pfau mit einem großen Rad stolz zur Schau getragen werden noch mit künstlichen Mitteln überhöht werden. Ein lateinisches Sprichwort fasst in weltlichen Worten treffend zusammen: „Gute Taten leuchten auch im Dunkeln.“ Sie tun dies ohne Hilfsmittel – einfach weil sie gut sind!

 

Erstveröffentlichung von Patrik Scherrer am 01.06.2013 bei www.bildimpuls.de

Strahlenkranz , 2011, Armierungseisen, 50 Feuerwerk-Raketen,
© Foto und Bildrechte: Hans Thomann

Kampf der Titanen

Spider-Man hält den Gekreuzigten in den Armen. Mit theatralischer Geste präsentiert Spider-Man auf seiner Brust und dem vorgestellten rechten Bein den Leichnam Jesu. Eine ungewöhnliche, ja verrückte Kombination. Zwischen den beiden Personen liegen Welten … und doch haben sie einiges gemeinsam. Einige Vergleiche mögen als Impulse für eine weitere Auseinandersetzung dienen:

Aussehen
Jesus ist bis auf das Lendentuch nackt. Er ist ganz Mensch. In seinen Handflächen und Füßen sind noch die Nägel zu sehen, mit denen er ans Kreuz geschlagen wurde. Er ist vom Kreuz abgenommen, doch seine Haltung ist die eines Gekreuzigten geblieben. Die Arme weit ausgestreckt, den mit Dornen gekrönten Kopf zu Seite geneigt, die Augen geschlossen, als würde er schlafen. Still „hängt“ er in den Armen von Spider-Man. Alles an ihm ist offenbart, nichts ist verborgen. Spider-Man hat ebenso eine Menschengestalt, die jedoch vollständig von einem Spinnenkostüm verhüllt ist. Auch das Gesicht ist hinter einer Maske verborgen. Nichts verrät, wer in der Haut von Spider-Man steckt. Im Vergleich zu Jesus demonstriert diese Figur Lebendigkeit und Stärke.

Substanz
Die Jesusfigur besteht aus Holz, einem natürlichen und nachwachsenden Rohstoff. Es passt symbolisch gut zum historischen Menschen Jesus, der in Israel zur Zeit des Herodes als Kind zur Welt gekommen und wie wir über die Jahre wir zum Erwachsenen herangereift ist. Das Material Holz verbindet ihn mit den Eckpunkten seines Lebens, der Kippe und dem Kreuz. Die Figur des Spider-Man besteht hingegen aus Plastik. Das Material passt gut zur Kunstfigur Spider-Man. Er ist eine menschliche Erfindung der Sechzigerjahre, lebt also nur in den Comiczeichnungen oder in den gespielten Szenen der Filme über ihn. Ansonsten existiert er nicht.

Identität
Die Personen beider Figuren leben mit einer Doppelidentität. Jesus ist von Ewigkeit her Gottes Sohn, in der Zeit ist er der Sohn von Maria und Josef. Hinter Spider-Man steckt Peter Parker, der als Waise bei seiner Tante und seinem Onkel in New York lebt. Während Jesus die göttliche und die menschliche Natur gleichzeitig lebt, wechselt Peter Parker hin und her. Er kann nur sich selbst sein oder in der Verkleidung Spider-Man.

Kraft und Macht
Jesus spielt die Macht, die ihm von seiner göttlichen Herkunft her zukommt, nicht in einer unmenschlichen Überlegenheit aus. Er lebt vielmehr aus der Kraft der Liebe und wird darin ein Vorbild für alle Menschen. Peter Parker entwickelt als Jugendlicher nach einem Biss von einer genetisch manipulierten Spinne Superkräfte, die ihn wie eine Spinne Wände erklettern, Fäden spinnen oder Gefahren frühzeitig erkennen lässt.

Retter
In den Figuren von Jesus und Spider-Man prallen die Sehnsüchte aus zwei ganz unterschiedlichen Zeiten und Welten aufeinander: Die Wahrheit des historischen Menschen Jesus versus der Fantasie der Kunstfigur Spider-Man. Es geht um Offenbarung und Verhüllung, um wirkliche Rettung durch Gottes Barmherzigkeit und illusorischem Wunschtraum, dass einer von uns durch ein Wunder zu Superkräften kommt und uns das Böse vom Leib hält. Doch während Jesus durch seinen Tod am Kreuz die ganze Welt von Sünde und Schuld erlöst, kann Spider-Man die Welt immer nur punktuell und virtuell von Bösewichten befreien.

Fazit
Als Betrachter können wir das Zusammenbringen dieser beiden Figuren als Spielerei abtun. Die beiden Figuren können aber auch Anlass zur Frage sein, auf was oder wen wir vertrauen, an was oder wen wir glauben. Es liegen Welten zwischen den beiden Figuren, auch in der Auswirkung dessen, wofür wir uns entscheiden.

 

Erstveröffentlichung von Patrik Scherrer am 23.11.2013 bei www.bildimpuls.de

Zwei Figuren , 2011, Holz, Kunststoff
© Foto und Bildrechte: Hans Thomann