Kompendium der Gleichnisse Jesu. Herausgegeben von Ruben Zimmermann

Kompendium der Gleichnisse Jesu

Herausgegeben von Ruben Zimmermann in Zusammenarbeit mit Detlev Dormeyer, Gabi Kern, Annette Merz, Christian Münch und Enno Edzard Popkes.
Gütersloh: Gütersloher VA, 2007
1101 S. Geb.
EUR 78,00
ISBN 978-3-579-08020-8

Dieses Handbuch ist ein Ereignis! Zu den Gleichnissen gab in den letzten Jahren viel Forschung. Das Literaturverzeichnis umfasst allein 70 Seiten. Mehrere neue Theorien wurden eingeführt und erprobt. Das Problematische aber war, dass diese Theorien je auf einer kleinen (und verschiedenen) Auswahl von Gleichnissen beruht, ohne sich dem gesamten Material zu stellen. Auch wenn es nun die Gemeinschaftsarbeit von 47 Autoren geworden ist, so sind end­lich wieder alle 104 überlieferten Gleichnisse behandelt (zur Abgrenzung Kompendium 28 f). Auch im Johannes Evangelium gibt es unter der weiten Definition Gleichnisse. Und das Kompendium umfasst auch die Gleichnisse, die nicht im Kanon des Neuen Testaments stehen, die Texte in Q und die in den Agrapha.

Das Buch beginnt mit einer umfangreichen Einleitung, die die bisherigen Deutungen und die Hermeneutik der Forschung vorstellt und demgegenüber dann das Vorgehen des Kompendi­ums erläutert. Die Definition lautet: „Die Parabel ist ein kurzer (1) narrativer, (2) fiktionaler Text, der (3) in der erzählten Welt auf die bekannte Realität bezogen ist, aber durch implizite und explizite Transfersignale zu erkennen gibt, dass (4) die Bedeutung des Erzählten vom Wortlaut des Textes zu unterscheiden ist. (5) In seiner Appellstruktur fordert er den Leser bzw. eine Leserin auf, einen (6) metaphorischen Bedeutungstransfer zu vollziehen, der durch Ko- und Kontextinformationen gelenkt wird.“ (Kompendium, S. 25). Zu dem Feld anderer Formen, die in einer Eigenschaft übereinstimmen mit den Gleichnissen, sich sonst aber unterscheiden, vergleiche die Grafik Kompendium S. 25:

Jesus war ein Gleichniserzähler.

Das hervorstechende Merkmal der Redeweise Jesu war, dass er in Gleichnissen sprach. Daraus leitete die Bibelwissenschaft zwei Aufgaben ab, durch die man die Einzigartigkeit der Botschaft Jesu herausarbeiten könnte: Wenn man die Gleichnisse, die Jesus selbst erzählt hat von denen unterscheiden könnte, die Spätere ihm zugeschrieben haben, dann kommt man dem historischen Jesus näher. Und zweitens: Warum spricht Jesus in Gleichnissen?

Lange wurden die Gleichnisse dazu untersucht, den historischen Jesus zu rekonstruieren.  Dafür wurde die klassische Methode entwickelt, durch den Vergleich der Evangelien untereinander, die ‚hinzugedichteten’ auszuscheiden und die ursprünglichen Worte Jesu zu rekonstruieren. Joachim Jeremias, der selbst das Aramäisch  sprach, das auch Jesu Sprache war, war überzeugt, dass damit Jesu ureigenste Stimme ipsissima vox zugänglich würde. Darin ist ein Paradigmenwechsel zu sehen, dass in dem hier vorgestellten Handbuch alle Gleichnisse jeweils als Teil der theologisch so gewollten Einheit Evangelium der einzelnen Evangelisten vorgestellt und nicht durch den synoptischen Vergleich die Urform erschlossen wird. Nicht mehr der historische Jesus, sondern die in verschiedenen Gemeinden gepflegte Erinnerung an Jesus kann das Ziel der historisch-exegetischen Forschung sein: der erinnerte Jesus. Zu diesem neuen Forschungsziel findet man Programmatisches im Heft 20 der Zeitschrift für Neues Testament (Band 10, 2007).

Die zweite Frage zielt darauf, warum Jesus diese indirekte Redeweise wählt. Will er durch eine Rätsel-Rede eine Geheimnis mitteilen, das nur die Jünger entschlüsseln können sollten? Die Lösung im Anschluss an Mt 13, 10-23, die Jünger verstünden die Gleichnisse, nicht aber die Nicht-Eingeweihten, scheint mir zu eindeutig (Kompendium 389), wozu wird dann 18-23 den jüngern noch einen ausführlichen Allegorese des Gleichnisses gegeben? Insbesondere, das Geheimnis von der Herrschaft Gottes, die man eben nur indirekt aussagen kann. Doch die Inhalte der Gleichnisse sind reicher. Gerd Theißen und Annette Merz haben das in ihrem Lehrbuch (Der historische Jesus, 1996, 286-310) so benannt: „Jesus als Dichter“. Bei den Gleichnissen handelt es sich um eine kunst­volle Rede, die einer bestimmten Form folgt. Seit Adolf Jülichers für die Bibelwissen­schaft grundlegendem Werk (Band 1, Die Gleichnisreden Jesu im allgemeinen, 1888; Band 2: Auslegung der Gleichnisreden der drei ersten Evangelien, 1899; beides ²1910) die einfache und unverrätselte Erzählung als die Absicht Jesu ansah (sprach er doch zu allen Menschen), mussten alle verhüllten, uneigentlichen Vergleiche als nicht-jesuanisch gelten. Seither hat man die Form zu unterschieden in Parabeln, Gleichnis im engeren Sinne und Beispielserzählung (Bultmann noch: Bildworte). Wenn man mittlerweile immer weniger diesem Prinzip folgt, bleiben grundlegend die Unterscheidung von Bildhälfte und Sachhälfte und das Prinzip, dass die beiden nur einen einzigen Punkt miteinander verschränkt sind, im tertium comparationis und nicht jede Figur in der Sachhälfte auch auf je eine Erklärung in der Bildhälfte abzielt. Das wäre eine Allegorese, genau die falsche Auslegung, die Jülicher verbietet. Die Unterscheidung, die auf die Rekonstruktion des echten historischen Jesus zielt, war erst einmal ein wichtiges hermeneutisches Prinzip, trifft aber nicht immer; das Kompendium hat sie aufgegeben und geht von der einen Form Parabel aus. Wenn diese (und das hat auch schon Jülicher getan) parabolé literatur­wissenschaftlich aus der klassischen Definition des Aristoteles beschrieben wird, dann trifft das einen wesentlichen Punkt nicht, dass antike „Literatur“ nur begrenzt Literatur ist und gerade bei den Gleichnissen eines bestimmte Erzählsituation gegeben ist, in der der Autor und sein Publikum gemeinsames Wissen teilen und auf die Pointe gespannt sind. Zu einer vor- und nichtaristotelischen Perspektive auf griechische Literatur jetzt grundlegend der Doppel-Band hrsg. von Anton F. Bierl: Literatur und Religion: Wege zu einer mythisch-rituellen Poetik bei den Griechen. (MythosEikon­Poiesis 1) Berlin; New York 2007, bes. die Einleitung; bzw. der Artikel des Herausgebers im Neuen Pauly, Band 15/2 (2002), 670-679.

Die Auslegungsschritte nennt das Kompendium eine „integrative Methodik“. Folgende wer­den benötigt:  Aus (1) der Übersetzung wird die Bedeutung in einem Titel zusammengefasst (der „kreative Titel“ neben dem eingeführten „klassischen“) mit einer sprachlichen Analyse geboten. Dabei sind die griechischen Begriff ebenso genannt wie eine Umschrift und die jeweilige Übersetzung. Man kann diesen Teil also auch ohne Griechisch-Kenntnisse mit großer Belehrung lesen. – Dem folgt (2) die Erklärung des „Bildspendenden Bereichs“ mit den dort angespro­chenen Realia. (Nebenbei: diese als „sozialgeschichtliche“ Analyse zu benennen, trifft oft nicht zu.) – Dann folgt der Schritt (3) „Bedeutungshintergrund“, in dem stärker als sonst üblich eine bestimmte Semantik angesprochen, die in der hebräischen bzw. in der griechisch-römischen Tradition eine bestimmte Figur in der Regel metaphorisch mit einer bestimmten Person in Beziehung setzt (v.a. mit König oder Gott). Die Ergebnisse führen zu Lösungen der Deutung, wobei beabsichtigt ist, nicht nur „die“ Lösung zu offerieren, sondern Deutungsmög­lichkeiten aufzuzeigen („Offenheit der Auslegung“). Dies gelingt in den Aus­le­gungen nicht immer; vor allem die Deutungen, die in historischen Auslegungen der Gleichnis­se gefunden wurden, sind nicht aufgegriffen. So hat etwa der Rezensent das aufregend-unanständige Gleichnis vom betrügerischen Prokuristen (Lukas 16, 1-8/13; Kompendium 634-646) besprochen oder das „Unkraut unter dem Weizen“  (Matth 13, 25-30; Kompendium 405-13) als Aufforderung zur Ketzerverfolgung (Angels on Earth and Forgers in Heaven, in: Christoph Auffarth; Loren Stuckenbruck (ed.): Fall of the Angels. Leiden 2004, 192-223; ders.: Die Ketzer. München 2005, 61-64)

Die 28 Gleichnisse in der Logienquelle werden eingeleitet von Gabi Kern, dann die Übersicht und die S. 49-254. Die 17 Parabeln im Markusevangelien sind von Detlev Dormeyer einleitend vorgestellt S. 257-382. Darauf folgen die 51 Parabeln im Matthäusevangelium nach einer Einleitung von Detlev Dormeyer, S. 385-509. Lukas hat 54 Gleichnisse, die Einleitung von Annette März, 513-695. Die 18 Parabeln des Johannes-Evangelium, eingeleitet von Ruben Zimmermann, 699-847. Thomasevangelium mit 41 Gleichnissen, eingeleitet von Enno Edzard Popkes, 851-931. Schließlich 15 Gleichnisse in den ‚Unbekannten Jesusworten’, den sog. Agrapha. Einleitung von Ruben Zimmermann. 935-981. Der Herausgeber RZ lehrt an der Uni Bielefeld. Zum Thema Gleichnisse jetzt auch das Heft Bibel und Kirche 63/Heft 2, 2008 mit Beiträgen zu dem aktuellen Handbuch.

Verzeichnisse stellen die traditionellen und die kreativen, von den Bearbeitern gewählten Titel nebeneinander, 983. Ein Register der Motivfelder 1003-1010. Abkürzungen und das Verzeichnis der Stellen, biblische wie außerbiblische.

Ein Beispiel sei noch vorgestellt: Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lukas 10, 30-35) hatte Jülicher als Vorbild für (christliche) Nächstenliebe verstanden. Ruben Zimmermann (Kompendi­um 538-555) liest erst einmal das Gleichnis, ohne die Erklärungen schon vorweg zu nehmen. Die Rolle des Wirtes wird herausgearbeitet. Dass der Samariter im Kontrast zu den Jerusale­mer Priester und Leviten die Tora (mit ihrem Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe Lev. 19,18, das als Leitfrage für das Gleichnis dient: „Wer ist der Nächste“?) richtig auslegt und hilft (nicht „liebt“), ist provozierend. Aber nicht antijudaistisch auszu­legen: Der Norm­konflikt zwischen jüdischem Reinheitsgebot und christlicher Nächstenliebe zeige die Gesetz­lichkeit des Judentums! Nein. Jesus wendet die Frage neu: „Wie werde ich zum Nächsten?“  Mehr noch: Ausgerechnet der Wirt, ein verrufener Beruf, erfüllt die Fürsor­ge. (Und das, obwohl das Geld des Samariters das nicht weit reicht) Die Pflege des Verletzten wird delegiert an eine Institution; nicht Selbstaufgabe der Pflegenden wird gefordert. Das hätte wohl auch der Priester initiieren können.

Also: Ein richtiges Handbuch, das sich der gesamten Überlieferung stellt. Viele Gleichnisse, die lange nicht mehr behandelt wurden und auch in den Kommentaren stiefmütterlich behandelt wurden, werden hier gewürdigt. Ein Einblick in die aktuelle Forschung, gleichwohl in gut verständlicher Sprache. Die Auslegungsschritte sind klar voneinander unterschieden. Ein Band, der die Methoden noch ausführlicher reflektiert (Hermeneutik der Gleichnisse Jesu (WUNT) ist für dieses Jahr 2008 angekündigt bei Mohr in Tübingen.

Was dem Buch fehlt, ist erstens die orale Komponente des Erzählens. Das zweite, was fehlt, ist die Deutung der Gleichnisse in unterschiedlichen Epochen, ein historisches Bewusstsein. Dazu gibt es gute Vorarbeiten, aber wahrscheinlich bedarf das eines eigenen Bandes. Und einer Öffnung der Wissenschaft vom Neuen Testament.

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29.06.2008
Christoph Auffarth,
Universität Bremen
Religionswissenschaft
(Geschichte und Theologien des Christentums)

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