Religio duplex. Ägyptische Mysterien und europäische Aufklärung. Von Jan Assmann


Jan Assmann
Religio duplex. Ägyptische Mysterien und europäische Aufklärung
Berlin: Verlag der Weltreligionen 2010
507 S.
ISBN 978-3-458-71032-5

 

Aufgeklärte Religion – Ausweg aus dem Krieg der Kulturen?

Ein neuer Assmann, ein neues Lesevergnügen. Und wieder Thesen, denen man nicht zustimmen muss, aber die einen beschäftigen.

Die These, die A. in dem neuen Buch vertritt, behauptet, es gebe „zweierlei Religion“ oder „zwei Seiten von Religion“. Zum einen die geschichtlich bestimmte Religion mit ihren Institutionen (wie „die Schrift“, beruhend auf Offenbarung, Kult und Kultfunk­tionäre, Lehramt usf.), das andere ist die Religion – im Singular – die alle (mehr als eine) „positiven“ Religionen umfasst, aber dadurch aufhebt, dass sie den Wahrheits­anspruch und Abgrenzungen relativiert in einem größeren Ganzen; A. schlägt den Begriff der „Oberflächen-„ und der „Tiefenreligion“ vor (218). In seiner „Mosaischen Unterscheidung“ hat A. zwei Weisen von Religion unterschieden, eine vor und eine nach Moses: „In meinen Büchern Moses der Ägypter (1998, engl. 1997) und die Mos­a­ische Unterscheidung (2003) habe ich die Unterscheidung zwischen Wahr und Falsch im Bereich der Religion als eine Errungenschaft des Monotheismus bezeichnet und in ihr eine der Quellen religiöser Gewalt identifiziert.“ (182). Die Religion vor Moses ist der Polytheismus, der Gottheiten aus verschiedenen Religionen als zwei Namen für das Gleiche akzeptiert, während der Monotheismus sie als Teil einer falschen Gegen­religion sieht und sie zu vernichten auffordert. Die Zweiteilung ist problematisch (und ihm wurde energisch widersprochen) und sie ist wohl nicht so sehr Moses (so wie A. Echnatons erste monotheistische Revolution auch nicht als entscheidend an­sah),[1] sondern eher Platon mit seiner Metaphysik und die Übernahme im Christen­tum mit den entsprechenden Gewaltmöglichkeiten, v.a. auch der Unterscheidung von Wahr und Falsch, Rechtgläubig und Ketzer. Was A. jetzt über das Judentum schreibt, wird dessen Umgang mit „Wahrheit“ weit mehr gerecht „In diesem Zusam­menhang ist es nun sehr bedeutsam, dass gerade das Judentum, das sich auf Mose als seine Gründungsfigur stützt, die wirkungsvollsten Konzeptionen zur Relati­vie­rung und Überwindung der Mosaischen Unterscheidung entwickelt hat.“ (218). Abgesehen von dem Problem, was das Judentum ist und wie Mendels­sohn dazu gehört, ist das eine Feststellung, die A. treffen musste, aber nicht erst jetzt.

In diesem Buch will A. nun zeigen, wie in der Aufklärung die Gewaltpotentiale des Monotheismus unterlaufen wurden durch die doppelte Religion. Dabei spielt das „Geheimnis“ eine zentrale Rolle. Während die Freimaurer zunächst ihre tiefe Kennt­nis, was die Welt im Innersten zusammenhält, auf die freien Maurer (=Architekten) des Tempels Salomons und der gotischen Kathedralen zurückführten, bricht diese Kontinuitätsthese 1782 zusammen (S. 243). Stattdessen berufen sich die Aufklärer jetzt auf die ältesten, die ägyptischen Mysterien. Da ist der Ägyptologe A. in seinem Element. Er kann auf frühere Arbeiten zurückgreifen, und doch ist die Fragestellung originell und nichts einfach wiederholt.

Der erste Teil, die eigentliche Darstellung, stellt folgende Epochen der doppelten Re­ligion dar. Erstens in Ägypten war eine doppelte Religion durch das Schreibsys­tem für internen (esoterischen) einerseits und allgemein zugängliche Weisheit  ander­er­seits gegeben, durch die interne Tempelreligion und das nach außen Tragen der Bilder. – Dann die Unter­scheidung Platons von Schein – für das Volk – und Sein, was aber nur die philosophische Religion begreifen kann. – Weiter die Priestertrugsthese: Obwohl die Priester die Inhalte der Religion selbst nicht daran glauben, ist Religion not­wen­dig, um die Staatsord­nung aufrecht zu erhalten, entweder im positiven Sinne, dass der Betrug dem guten Zweck dient, oder im negativen Sinne, weil sich die Priester und Könige damit ihre Macht ergaunern und erhalten. Und schließlich – nun ganz anders gefasst – die vierte Epoche, seit Lessing, Men­delssohn und dann bei Gandhi, die über die einzel­nen Religionen, die nur regional und sozial begrenzt sind, die Religion setzen, die universale Gültigkeit beansprucht (aber eben im Wesent­lichen eine gedachte Religi­on ist). Diese doppelte Religion sei die Religion der Zu­kunft, weil partikulare Religionen nur Differenzen setzen, die universale aber diese aufhebt. Scheint mir zu optimistisch und nicht historisch, eine gedachte Religion, die keine Verbindlichkeit schafft. Man kann diese gedachte Tiefenreligion in der Bindung an das Grundgesetz realisiert sehen, die „Verfassungsloyalität“, mit all den Institutionen, die eine ‚Religion’ braucht: vom Politik- und Ethik-Unterricht in der Schule bis zum Bundesverfassungsgericht. In aber, sagen wir Afghanistan, was ist dort Verfassung anderes als der Wasserhahn einer Partei um an westliches Geld zu kommen, während die andere Partei die Leitung aus Arabien geöffnet hat?

Der zweite Teil (213-350) gibt lesbar aufbereitete und – glücklicherweise, bei den schreibwütigen Aufklärern – auf das Wichtigste gekürzte Texte aus den Journalen des Kreises um die Wiener Freimaurer-Loge „Zur Wahren Eintracht“. Diese führt A. uns vor als die ersten Religionswissenschaftler. Ob man das Antiquarische mit der Absicht eigener Religionsproduktion mit der Wissenschaft in Beziehung setzen kann, wie sie sich im 19. Jh. herausgebildet hat, ist kühn.

A sagt selbst „Wir haben in diesem Buch nur von Ideen über Religion gehandelt, aber nicht über Religion selbst, wir haben Ideengeschichte, aber nicht Religionsge­schichte betrieben“ (352). Ja. Und doch ist das Buch auch für Religionsgeschichte interessant, unbedingt lesenswert die Kapitel über die Zauberflöte und über Lessings Ringparabel. Hinreißend gut formuliert, immer wieder das Argument zusammen­gefasst und den nächsten Schritt vorbereitet.

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[1] Die Spiegel-Titelgeschichte von Weihnachten 2006 (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-49976963.html ), brachte die Erfindung des Monotheismus von „Gott kam aus Ägypten“ Matthias Schulz, der sich auf A.s Mosaische Unterscheidung  berief – mit deutlich judentumskritischen Äußerungen. In einem Interview, http://www.welt.de/print-welt/article708288/Ist_eine_Spiegel_Titelgeschichte_massiv_antisemitisch.html , distanzierte sich A. davon, die These wurde aber nicht ausgeräumt.  .

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09.12.2010
Christoph Auffarth
Religionswissenschaft
Universität Bremen

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