Manusmŗti – Manus Gesetzbuch

Axel Michaels (Hrsg.)

Manusmŗti – Manus Gesetzbuch
Aus dem Sanskrit übersetzt und herausgegeben von Axel Michaels unter Mitarbeit von Anand Mishra
Berlin: Verlag der Weltreligionen 2010
427 Seiten, Leinen
35,00 €
ISBN: 978-3-458-70028-9

 

Die Kastenordnung bewahrt die Weltordnung:
Manus Rechtslehrbuch des Alten Indien erstmals auf Deutsch

„Manus Gesetzbuch“ hat in der deutschen Kultur durch Friedrich Nietzsche einen geradezu sprichwörtliche Bedeutung. Denn in seiner letzten Abrechnung „Der Anti­christ“ (1888) erhält das Buch den Rang einer Heiligen Schrift, besser noch eines Grundge­setzes: Denn dort ist die „arische“ Dreiteilung der Gesellschaft festgelegt: in Philo­sophen, starke Männer zur Aufrechterhaltung der Ordnung, und das einfache Volk, das die Ernährung sicher stellen muss.[1] Die jüdisch-christlichen Bücher gehö­ren verbannt, weil sie die Gleichheit verlangen und damit die Starken einer Diktatur unterwerfen nach den Regeln der Schwächsten. Nietzsche kannte das Buch nur über sekundäre Quellen, auch nicht die bislang einzige deutsche Version (die 1797 eine eng­lische Übersetzung übersetzte). Nun hat Axel Michaels,[2] Indologe in Heidelberg, erstmals dieses Lehrbuch des Rechts und der gesellschaftlichen Ordnungen voll­ständig aus dem Sanskrit übersetzt auf der Grundlage der ersten kritischen Edition von Patrick (und Suman) Olivelles (2005) und dessen Forschungen.

Auf rund 270 Seiten sind Regeln zusammengestellt, die aus einer brahmanischen Perspektive eine Ordnung restaurativ mehr fordern denn dass sie ein Gesetzbuch darstellen, das in den Gerichten bindende Ordnung vorschrieb: Eine restaurative Ordnung, die die Ständegesellschaft als religiöse Notwendigkeit vorgibt. Sie wendet sich gegen die Reformbewegungen, wie den Buddhismus und den Jainismus, die dem Einzelnen eine größere Freiheit und Selbstbestimmung zusprechen und damit auch die Ständegrenzen auflösen. Manu (wenn man hier von einem Autor sprechen kann)[3] ist ein prominen­ter Vertreter der brahmanisch-sanskritischen Tradition. Mit drastischen Strafen wird eine geradezu rassische Reinheit herzustellen den brahma­nischen Rechtsgelehrten ans Herz gelegt. Der König soll für die Durchsetzung sorgen. Man kann folgende Großgliederung erkennen, die freilich vielfach durch Einschübe unterbrochen ist: Ursprung der Welt – Quellen des DharmaDharma der Stände und Lebensstufen – Bestimmungen für Taten und ihre Folgen. Quellen seiner Rechtsauffassung sind lo­kales Gewohnheitsrecht, dharma, Verfahrensrecht und Königshoheit. Da diese Regeln gesellschaftliche Veränderungen strikt ablehnen, stießen sie immer auf Kritik, insbe­sondere nach der Begegnung mit den islamischen und europäischen Kolonial­herren. Aus einer modernen westlichen Sicht wird man die Bestimmungen, zumal die frauenfeindlichen anstößig finden (S. 302-304), aber die Quellen der Religionsgeschichte sind dazu da herauszufordern.

Michaels präsentiert eine sehr lesbare und auf die Rechtssprache und –sachen Rück­sicht nehmen­de Übersetzung (nicht konkordant, wie er S. 322 erklärt), es folgt eine Einführung auf 40 Seiten, ein Kommentar zu den erklärungsbedürftigen Stellen, der teils auch die alten indischen Kommentare einbezieht, Glossar, Literaturverzeichnis und ausführliche Indices zu Personen und Sachen.

Die Manusmŗti (Sanskrit), auch Mānava Dharmaśāstra (das ś ist als ‚sch’ zu lesen), ist das wichtigste indische Rechtslehrbuch (nicht „Gesetzbuch“) und bildet in der vor­kolonialen und kolonialen Geschichte (Nord-) Indiens einen Referenztext für die Ordnung der Gesellschaft auf einer religiösen Grundlage. Die Entstehungszeit ist schwierig zu bestimmen, Micha­els setzt sie in die Maurya-Zeit (etwa 320 v.Chr.[4] – 185 n.Chr.), aber schon nach der Zeit Aśoka (268 v. Chr. bis 232 v.), der in sein Reich alle Religionen einlud. Dass er nun in einer verlässlichen und gut kommentier­ten Übersetzung zu brauchen ist, verdankt man neben der mühseligen Überse­tzungs­­arbeit von Axel Michaels dem Verlag der Weltreligionen. Keine erbauliche, oft widerstrebende Lektüre, aber für das Verständnis Indiens von höchster Bedeutung.

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[1] Friedrich Nietzsche: Der Antichrist. Kritische Studienausgabe 6, hrsg. von Giorgio Colli; Mazzino Montinari, München; Berlin ²1988, 241-244. Ebenso schon in der „Götzendämmerung“ KSA 6, 100, wo Manus Gesetzbuch als „das großartigste Beispiel“ für die „Züchtung einer bestimmten Rasse und Art“, ausdrücklich genannt ist dann die arische, herangezogen wird. Bei Michaels ist die Rezeptions­geschichte immerhin knapp erwähnt (309). Annemarie Etter hat als Quelle eine französische Arbeit über die antiken Gesetzgeber (1876) von Louis Jacolliot nachweisen können: Nietzsche-Studien 16 (1987), 340-352. Vgl. auch schon KSA 14, 420 mit Zitat aus einem Brief an Peter Gast.

[2] Unübertroffen ist sein Buch Der Hinduismus. Geschichte und Gegenwart. München: Beck 1998, das die Religion in ihrer Lebens­welt des heutigen (Nord-) Indiens und in seiner Geschichte beschreibt (und nicht als – exotische – Lehre) – nicht nur aus brahmanischer Sicht. Dort muss man einmal das Kapitel über die Kasten lesen (S. 176-193), um zu erkennen, wie ideologisch das Lehrbuch des Manu argu­men­tiert. Beide Bücher ergänzen sich.

[3] Er kommt im Text vor 1, 58 als der erste Mensch bzw. Sohn Gottes, den Gott dieses von ihm selbst geschriebene Buch lehrte.

[4] Das ist also nach Alexanders des Großen Indien-Expedition.

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20.12.2010
Christoph Auffarth
Religionswissenschaft
Universität Bremen

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