Aus dem Gurū Granth Sāhib und anderen heiligen Schriften der Sikhs. Herausgegeben von Martin Kämpchen


Aus dem Gurū Granth Sāhib
und anderen heiligen Schriften der Sikhs

Ausgewählt, aus dem Panjābī und Braj übersetzt und kommentiert von
Tilak Raj Chopra und Heinz Werner Wessler

Hrsg. von Martin Kämpchen
Berlin: Verlag der Weltreligionen 2011
254 S.
ISBN 978-3-458-70033-3
Gebunden € 34.00

 

Der Guru als Buch: Die heiligen Schriften der Sikhs

Zusammenfassend:
Die ‚kleine Weltreligion‘ der Sikhs hat ihr Zentrum in dem Buch, das sie als ihren Lehrer (Guru) ansprechen und behandeln. In diesem Band sind einige wichtige Texte versammelt und kommentiert.

Im Einzelnen:
Ein spannender Fall der Religionsgeschichte. Die Sikhs bildeten zunächst eine militante Gruppe, vielleicht eine Art militärischer Orden, gleichzeitig Soldaten und ihrem geistlichen Führer (Guru) gehorsam. Meditationen bereiteten sie vor auf den nächsten Einsatz. In der Zeit der Eroberung Indiens durch die muslimischen Maharajas mussten sie der Gewalt abschwören. Aber auch so sahen sie sich bedroht durch eine muslimische Auslegung, die  ein Gebot zur Ausrottung von Polytheisten im Koran zu erkennen meinte.  So bekannten sie den einzigen Schöpfergott bzw. die Muttergöttin, erklärten sich also zu Monotheisten. Ihre zwei­te Überlebensstrategie unter muslimischen Herrschern war: Sie erklärten sich  zu einem „Volk des Buches“, dem islamische Herrscher Toleranz gewährten. So sam­melten sie Aussprüche der zehn großen Gurus, aber auch anderer frommer Menschen (darunter  Hindus und Muslime) in einem Buch. Der zehnte Guru Gobing Singh er­hob das Buch zu seinem Nachfolger (er starb 1708) und gab ihm den Namen Śri Gu­ru Granth Sahib. Dieses Buch wird nun jeden Abend ins Bett gelegt und zugedeckt, am Morgen freund­lich aufgeweckt, gesäubert, mit Blumen geschmückt und es ‚redet‘ dann zu den Menschen (d.h. einer liest aus dem Buch einen Abschnitt vor), die in sein Haus kommen und nach der Andacht gemeinsam trinken und essen.  Auch wenn in Amritsar im Norden Indiens der Haupttempel, der Goldene Tempel, steht, so kann doch eine Gud­wara überall gebaut werden und der Guru Adi Granth kommt überall hin mit. Die Sikhs, obwohl nur eine winzige Min­der­heit im großen Indien, sind sehr auffällig mit ihren Turbanen und dem Dolch. Und sie prägen das Straßenbild, weil viele ent­we­der Busfahrer, Lokomotivführer und Schaffner oder in der Armee überrepräsentiert sind. Und viele sind ausgewan­dert, heute leben sie etwa in Australien, Ugan­da (wo sie Eisenbahnen gebaut haben), Großbritannien und Kanada. So kann man sie, obwohl in der Zahl klein, doch als Weltreligion bezeichnen. Diese Mobilität ist deshalb möglich, weil ihr Guru, der ‚Herr‘ Buch, überall mitzieht. Dieses Buch ist nun im Verlag der Welt­religionen in einer Auswahl übersetzt.

Im Kommentar bietet der Herausgeber MK zunächst die ‚Einleitungsfragen‘ 173-209. Was ist ein Sikh? Die Reihe der zehn Gurus, deren Sprüche in dem Buch gesammelt sind, dann das Problem der Heiligen Schrift und ihre Theologie. Weiter die interreligi­ösen Konflikte und Dialogebenen der Inklusion und Exklusion. Ganz wichtig ist die für die Sikhs geradezu typische Migration, wodurch sie sich und ihre Religion ständig an andere Umwelten und Kulturen anpassen müssen und ihre Religion zur ‚Weltreligion‘ wird. Zum Schluss begründet MK die Auswahl, erläutert die Metrik und die Entscheidungen bei der Übersetzung. Es schließt sich – sehr knapp in diesem Band – ein Stellenkommentar an. Dazu die in dieser Reihe üblichen sorgfältigen Schlüssel: Literaturverzeichnis, ein Glossar, die Transliteration und das Verzeichnis der 16 teils farbigen Abbildungen in der Mitte des Buches (nach S. 192). In diesem Band fehlt ein (Sach-)Register, das die anderen Bände so nützlich erschließt.

Die Texte auf rund 160 Seiten sind eine kleine Auswahl, die kommentierte Standardausgabe umfasst 1350 Seiten. [ref] Von Gopal Singh, New Delhi 1960; 101996. [/ref] Zunächst liturgische Texte, dann Texte zu den großen Lebenslaufritualen, wie die Schwangerschaft, Geburt, Hochzeit und Sterben. Es folgt das Schauspiel der Welt Dasam Granth, eine kleine Heilsgeschichte. Eine kleine Hagi­o­­graphie des Guru Nanak (S. 144-171; Nanak lebte 1469-1539). Das Selbstbewusstsein der Sikhs ist klar zum Ausdruck gebracht, durchaus in Abgrenzung zu Hindus und Muslimen. In der Lebensbeschreibung des Guru Nanak macht er sich auf die Pilger­reise nach Mekka (Episode 5 und 6, S. 152-157). Als er seine Füße (statt wie ein guter Muslim seinen Kopf) beim Schlafen gegen Mekka legte, beschwert sich ein anderer Pilger. Nanak aber erklärt, dass Gott überall und nicht allein in Mekka sei. Als der muslimi­sche Pilger nun Nanaks Füße dreht, da dreht sich die Mihrab (Gebets­nische, die in jeder Moschee die Richtung auf Mekka weist) mit. Einem muslimischen Khan gegenüber erklärt dann Nanak, dass es weder Hindu noch Muslim gebe. Gefragt, ob denn nicht der Islam die einzig wahre Religion sei, verweist der Sikh auf die ethi­sche Verhaltensweise als menschliche Grundform, für die es keiner Rituale, Mosche­en, Gesetze bedürfe: Mitleid sei deine Moschee, Lauterkeit dein Gebetsteppich, ehr­licher Lebenswandel dein Koran, Demut deine Beschneidung, die Güte des Charak­ters dein Fasten, …(S. 157). Es folgen Dichtungen des Bhai Gurdas und das häufig gesprochene Gebet Ardas.

Eine kleine Auswahl, die aber den Einblick gibt in diese ganze besondere religiöse Tradition der Sikhs, mit guten Einführungen zu den einzelnen Texten.

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Bremen, 8. Januar 2012
Christoph Auffarth
Universität Bremen

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