Franziskus-Quellen. Herausgegeben von Dieter Berg und Leonhard Lehmann

Franziskus-Quellen
Die Schriften des Heiligen Franziskus, Lebensbeschreibungen, Chroniken und Zeugnisse über ihn und seinen Orden
Im Auftrag der Provinziale der Deutschsprachigen Franziskaner, Kapuziner und Minoriten
hrsg. von Dieter Berg und Leonhard Lehmann

Kevelaer: Butzon&Bercker 2009. [XXXI, 1797 S. (Zeu­gnisse des 13. und 14. Jahrhunderts zur Franziskanischen Bewegung 1)
ISBN: 978-3-7666-2111-5
Kunstleder in Schuber
EUR 98.00

 

Franziskus als legendarische und historische Gestalt:
die Quellen in Übersetzung

Zusammenfassend: Endlich gibt es eine deutsche Übersetzung aller Quellen für Franziskus und die Entstehung und Entwicklung seiner Bewegung hin zu einem – auch dann noch ungewöhnlichen – Orden. Ausgezeichnete Einführungen und kurze Kommentare erklären in aller Kürze, wer der Autor ist, den Zusammenhang, historischen Anlass und das angesprochene Publi­kum. Dieser Band gehört in jede Schulbibliothek und natür­lich jede wissenschaftliche Bibliothek, wo immer man sich über diese einzigartige Gestalt und Bewegung der Europäischen Re­li­gionsgeschichte zuverlässig aus den Quellen informieren will. So gut, so kompakt ist das ein Meilenstein.

 

Im Einzelnen: Franziskus von Assisi ist zweifellos eine der interessantesten Persön­lichkeiten in der Religionsgeschichte Europas. Seine Bewegung gehört in den bunten religiösen Aufbruch des 12. Jahrhunderts, an dessen Ende eine lang dauernde Ver­folgung von Ketzern und eine streng auf den Papst hin zentrierte Kirche stand. Die Freunde und Anhänger des Franziskus waren eine Laien-Bewegungen aus dem Stadt­bürgertum, die sich von den Werten und Zielen ihrer Eltern und Schulkame­ra­den abwandten: als reiche Bürger geboren, lebten sie als Bettler – von den Almosen eben des Reichtums ihrer bisherigen Gesellschafts­schicht. Der Gefahr, als Ketzer verfolgt zu werden, konnte die junge Gemeinschaft nur entkommen, indem sie sich zum Orden organisierte, eine eigene Regel gab und sich dem Papst unterstellte.[1] Aus dem charismatischen alter Christus, dem „zweiten Christus“, wird dank Bonaventura ein geregelter Orden mit vielen Freiheiten. War das ein Verrat an den ursprüng­lichen Idealen des Gründers, der als „Nackter dem nackten Christus folgen“ wollte, nudus nudum Christum sequi?[2]

Bislang gab es viele deutsche Ausgaben einzelner Schriften, immer wieder der Le­gen­den wie der „Blümchen“ oder der Dreibrüderlegende, der verschiedenen Biogra­phien, zusammengestellt für den Heiligsprechungsprozess (hier die weitaus größte Abteilung II: Die hagio­graphischen Quellen, S. 145-1484). Dazu sind in dem Band versammelt (Abteilung III) die Zeugnisse in und außerhalb des Ordens, wie Chroni­ken, vor allem die kurzen Berichte von Brüdern. Interessant unter den nicht-franzis­kanischen Zeug­nissen ist zunächst, was etwa die Zeitgenossen über die Teilnahme des Franziskus am 5. Kreuz­zug und über sein Religionsgespräch vor dem Sultan in Ägypten (1543-48) erzählten.[3] Darauf folgen die Zeugnisse, die nach Franziskus‘ Tod und im Zusammenhang mit seiner Heilig­sprechung (bereits 1228, zwei Jahre nach seinem Tod) wie auch der Notwendigkeit, sich zu einem Orden zu regulieren, ent­standen. Abtei­lung I (S. 1-144) übersetzt die Schriften des Franziskus, seine Gebete, die geistlichen Weisungen und Testamente, die Regeln (S. 65-104), die Briefe, Frag­mente. Alle Texte sind nach den besten neuen lateinischen Ausgaben übersetzt. Sehr präzise und knapp sind die Einleitungen historisch klug und mit Verweis auf die wissenschaft­liche Literatur vorgestellt. So die etwa ausge­zeichnete Einordnung des Thomas von Celano, wenn Johann Baptist Freyer (187-194) dessen hagiographische Texte in ihrer Funktion erklärt.

Zur Vervollständigung des Selbstbildes der Franziskanerbewegung gehören die Bilder des Franziskus mit ihren umlaufenden kleinen biographischen Bildern, die die Bettelbrüder in Prozessionen durch die Städte trugen und Spenden sammelten. Klaus Krüger hat diese glänzend zusammengestellt und ihre Funktion erklärt.[4] In einer far­bigen  Grafik am Schluss des gewaltigen Quellenbandes von über 1800 Seiten sind die Beziehungen der Quellen untereinander auf einen Blick dargestellt. Und siehe da, die „Blümchen“ stehen am Ende einer Traditionslinie, fünf Generationen später. Die Tex­te sind mit Registern der Bibelstellen, Personen und Orte erschlossen; ein Sachregis­ter (in der Ausgabe der lateinischen Texte ist es das wertvollste Register!) fehlt, einiges findet man dafür im Glossar; die Verweise auf Kirchenväter und zeitgenös­sische Theologen findet man im Personen­register. Sehr brauchbar sind die synop­ti­schen Tafeln, in denen die einzelnen Geschichten und Erfahrungen des Franziskus auch in den anderen Quellen berichtet werden (1725-1794), vergleichbar einer Evangeliensynopse.

Die lateinischen Texte des Franziskus (also Abteilung I) hat 1976 Kajetan Esser her­ausgegeben, eine von Engelbert Grau verbesserte Auflage erschien 1978.[5]

Auf die hier versammelten Quellen soll ein weiterer Band folgen, in dem die Quellen zur Geschichte von Franziskus‘ Schwester Klara und ihres Frauenordens in deut­scher Übersetzung dargestellt werden wird.

Der Band ist ein Meilenstein für die geduldige Arbeit, mit dem die Franziskaner ihre Geschichte selbst wissen­schaftlich aufarbeiten.

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[1] Christoph Auffarth: Die Ketzer. München: Beck Wissen 2005; ²2009, 96-101.

[2] Zur franziskanischen Frage Leonhard Lehmann 165-179. Es geht nicht mehr darum eine ‚historische‘ Biographie aus den Legenden zu rekonstruieren, sondern Legenden sind historische Quellen eigener Qualität. Man kann nur Bilder, das jeweilige Image rekonstruieren, das eigene und das derer, die von außen darauf schauen. – Das nudus nudum Christum sequi konnte ich in dem Band nicht im Wortlaut verifizieren, es geht auf Hieronymus ep. 125, 4 zurück, s. Bonven­turas 1. Predigt (i.J. 1266) 4, 9 u 13. Erzählerisch [Little 3] S. 1608.

[3] Dazu die Synopse 1764: Da der Sultan ihn nicht tötet, erleidet er ein freiwilliges Martyrium, indem er die Wundmale (stigmata) Jesu an seinem Körper erhält. Im Ortsregister Damiette, Heiliges Land.

[4] Klaus Krüger: Der frühe Bildkult des Franziskus in Italien. Gestalt- und Funktionswandel des Tafelbildes im 13. und 14. Jahrhundert. Berlin: Mann 1992.

[5] Franziskus <von Assisi>: Die Opuscula des hl. Franziskus von Assisi. Grottaferrata (Romae): Collegii S. Bonaventurae ad Claras Aquas ²1989, XLIV, 511 S.

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15. März 2012
Christoph Auffarth
Religionswissenschaft
Universität Bremen

 

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