Thomas Oberlies: Der Rigveda und seine Religion

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Thomas Oberlies

Der Rigveda und seine Religion.

Berlin: Verlag der Weltreligi­onen 2012.

621 S.
ISBN: 978-3-458-71035-6*
EUR 38.00

 

 

Götter und wie die Welt funktioniert, eine dreitausend Jahre alte indische Sicht

Wie in der Planung des Verlagsprogramms des Verlags der Weltreligionen ange­dacht, sollen neben den Ausgaben der klassischen Texte für die einzelnen Religionen auch Einführungen in die großen Quellenwerke stehen, die neben dem Aufbau des Werkes den kulturellen Kontext und die Geschichte darstellen. Die große deutsch­sprachige Ausgabe der Rigveda  mit Gesang eins und zwei (von 10 Gesängen) im gleichen Verlag, erarbeitet von einem Team um Michael Witzel (Harvard), umfasst 889 S.[1] Der zweite Band ist für Frühjahr 2013 angekündigt.[2]

Thomas Oberlies, Professor für Indologie an der Universität Göttingen, hat unter dem gleichen Obertitel zwei Bücher veröffentlicht von einer geplanten Trilogie.[3] Dieser Band ist eine stark – etwa um zwei Drittel – gekürzte Version  der beiden ersten Teile, aber vervollständigt um den dritten Teil in den Kapiteln 7, Der Kult der rig­vedi­schen Religion (232-315), und Kapitel 8, Die rigvedischen Jenseits- und Seelen­vor­stellungen, 316-335 (dazu die 180 Seiten Anmerkungen). Die Gesamtdarstellung der vedischen Religion nur aufgrund der literarischen Aussagen des Ŗigveda bezieht religions­wissenschaftliche Erkenntnisse und methodische Schritte ein. Aber es bleibt ein gewisser Zirkel: Was in den Gesängen steht, ist die (auch praktizierte?) Religion und die Religion wurde in dem Text dargestellt.

Das grundsätzliche Problem kann hier nur angesprochen werden: Über die histori­schen Realitäten aus einem literarischen Werk Rückschlüsse zu ziehen, kann immer nur zu Plausibilitäten führen. Die religionswissenschaftliche Komparatistik gibt zwar Möglichkeiten der Hermeneutik und dafür, literarische Aussagen als Literatur und nicht einfach als geglaubt und religiösen Fakt zu übernehmen.[4] Insofern ist TO wesentlich vorsichtiger als ältere Darstellungen zur indo-germanischen,[5] indo-iranischen[6] Religion und unterscheidet diese – rekonstruierten[7] – religiösen Vorstellungswelten als Vorstufen von (1) den vedischen Gottesvorstellungen und (2) von den vedischen Mythen. TO hat erfreulicher Weise für jede seiner Rekonstruktionen und Schlüsse die Stellen im Text nachgewiesen, auf die er seine Behauptung stützt. So kommt er hauptsächlich an Göttergesta­lten und Mythen, nicht an religiöse (Grund)konzepte. Dies ist die vorrangige Idee des neuen dritten Teils, nämlich für den Kult und die Jenseitsvorstellungen näher an die gelebte Religion damals (es war nicht beabsichtigt, die Brücke zur heutigen Religion des Hinduismus aufzuzeigen) zu kommen. Hier hilft die religionswissenschaftliche Komparatistik erheblich weiter.

TO hat etwa für die Seelenvorstellungen ein positives und vorbildliches Beispiel benutzt, der den enormen Fortschritt religionswissenschaftlicher Hermeneutik zeigt: Jan Bremmer: The Early Greek Con­cept of the Soul. Princeton: UP 1983 konnte zeigen, dass vor Platon Psyche nicht – wie dann vom Chris­ten­tum aufgegriffen – die (einzige und ungeteilte) postmortale Identität des Menschen meint, sondern eine Mehr­zahl von Seelen/Lebenskräften das Leben ausmachen, von denen die Exkursionseele auch nach dem Tod noch existiert. Er konnte dabei auf indologische Erkenntnisse, u.a. von Arbman, aufbauen. Bremmers Arbeit ist bei TO in dem neuen dritten Teil intensiv aufgegriffen. Damit kommt man weg von Aussagen „Die Indogermanen glaubten, …“. So ist ein Buch entstanden, das auf hohem und neuem wissenschaftlichem Niveau in ein großes Werk der Weltliteratur einführt.

Das Buch ist wieder in der Qualität ausgestattet, für die der Verlag der Weltreligi­onen (Suhrkamp) Maßstäbe setzt: sorgfältig lektoriert (Claus-Jürgen Thornton sei einmal genannt), mit reichen Stellen-, Namens- und – unschätzbar – Sachverzeich­nissen.

Bremen, Mai 2013                                                                               Christoph Auffarth

Religionswissenschaft,
Universität Bremen


[1] Rig-Veda. Das heilige Wissen. Erster und zweiter Liederkreis. Aus dem vedischen Sanskrit übers. und hrsg. von Michael Witzel und Toshifumi Gotō. 2007. Der zweite Band 2013

[2] Die ältere deutsche Übersetzung von Karl Friedrich Geldner, in Marburg geschaffen, aber erst nach seinem Tod (1929) Cambridge, Mass. 1951 in 3 Bänden, abgeschlossen mit einem Registerband 1957 in den Harvard Oriental Series 33-36 zusammen mit einem Kommentar veröffentlicht (ca. 1350 Seiten), ist als PDF zusammen mit einer Transkription des Sanskrit-Textes aufzufinden (auf 1328 Seiten) unter http://www.sanskritweb.net/rigveda/rigveda.pdf. Nur die Übersetzung hrsg. von Peter Michel: Rig-Veda. Das heilige Wissen Indiens. Wiesbaden: Marix 2008. 1660 S.

[3] Thomas Oberlies: Das religiöse System des R̥gveda. Wien: Institut für Indologie der Universität Wien 1998. [XIV, 632 S.] – Kompositionsanalyse der Soma-Hymnen des R̥gveda. 1999. XX, 313 S. (Publications of the De Nobili Research Library 26 und 27).

[4] TO hat auch das Buch des Rezensenten (Der drohende Untergang, 1991) methodisch aufgegriffen, wo ich für die homerischen Gedichte Religion untersuchte. Vergleicht man das Buch von Hartmut Erbse: Untersuchungen zur Funktion der Götter im homerischen Epos. Berlin: de Gruyter 1986, der rein literatur­wissenschaftlich den „Götterapparat“ rekonstruiert, wird die hermeneutische Methode der Religions­wissenschaft  augenfällig.

[5] Der Begriff ist einerseits in Verruf geraten durch seine paganistische Indienstnahme für eine nation­al­­sozialistische Religion. Beispiel ist der Tübinger Indologe und Religionswissenschaftler Jakob Wil­helm Hauer, etwa mit seinem wissenschaftlichen Werk Glaubensgeschichte der Indogermanen, Stuttgart: Kohlhammer 1937. Wissenschaftsgeschichtlich Horst Junginger: Von der philologischen zur völkischen Religionswissenschaft. (Contubernium 51) Stuttgart: Steiner 1999. – Andrerseits ist er der eingeführte Begriff in der Sprachwissenschaft und transportiert Ideen politisch und historisch wenig reflektiert weiter, die zur Rechtfertigung etwa von Militarisierung benutzt wurden. (Angedeutet in meiner Rez. der dt. Übersetzung von Émile Benveniste: Indoeuropäische Institutionen. Numen 41 (1994), 195 f).

[6] Nicht zitiert ist die grundlegende Neubewertung der indo-iranischen Religion durch Michael Stausberg: Die Religion Zarathushtras. 3 Bände, Stuttgart: Kohlhammer 2002-2004.

[7] Wie in der Sprachwissenschaft üblich werden solche rekonstruierten Götter, Namen etc. mit einem vorangestellten Sternchen (Asterisk) als Rekonstruktion gekennzeichnet. Die Darstellung bei TO ist in der sprachwissenschaftlich korrekten Darstellung der Namen keinem Tribut an ein größeres Publi­kum gewichen. Das ist professionell und besteht auf Prinzipien, die vom Leser eben auch fordert, sich auf eine andere Welt einzulassen,  wofür man eine gewisse Anstrengung leisten muss.

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