Julian Strube: Vril

cover-vrilJulian Strube: Vril. Eine okkulte Urkraft in Theosophie und esoterischem Neonazismus. München: Fink 2013.

 

 

 

 

Esoterik und Science Fiction:
die phantastische Urkraft Vril macht Karriere

Julian Strube: Vril. Eine okkulte Urkraft in Theosophie und esoterischem Neonazismus. München: Fink 2013.

 

Zusammengefasst: Die Entzauberung einer Verschwörungstheorie durch genaue Analyse der historischen Zusammenhänge. Man lernt viel, was Religionswissenschaft leisten kann.

Im Einzelnen:  Julian Strube,[1] der gerade in Heidelberg an seiner Doktorarbeit sitzt, geht in dem Buch einem Motiv nach, das auf den ersten Blick ein phantastisches Konstrukt, eine Spinnerei darstellt, aber eine erstaunliche Karriere durchmachte. Dieses Motiv erklärt JS im Kontext der Esoterik von der Jahrhundertwende 1900 über den Nationalsozialismus bis in die Neo-Nazi-Bewegung hinein mit großem religionswissenschaftlichem Können:[2] Die Erwar­tung einer Energie­quelle ohne Grenzen und ohne Schaden für die Umwelt. Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, der Gründerzeit in Deutschland und Österreich-Ungarn, dem viktoria­nischen Zeitalter in England, der dritten Republik in Frankreich entstehen Phantastische Zu­kunftsent­würfe, die das, was zu der Zeit technisch mög­lich war, extrapolieren in die Zukunft (science fiction), damit aber der religi­ösen Gegenwelt und dem Neuen Jerusalem analog.[3] Jules Vernes, Theodor Fritschs Garten­stadt, Edward Bellamy als Beispiele.[4]

Die ‚Kraft‘[5] ist für die Esoteriker eine Realität, die seit unvordenklichen Zeiten existiert. JS zeigt nun die Geschichte: Erfunden hat die Figur der endlosen Kraft Vril der englische Autor Edward Bulwer-Lytton (1803-1873). Der hatte in seinen jungen Jahren den heute noch be­kann­ten hi­sto­rischen Roman über Die letzten Tage von Pompeji 1834 geschrieben. Sein Zukunfts­roman The coming race [Das kommende Geschlecht] 1871[6] beschreibt ein Volk, das unter der Erde leben muss. Zweifellos höher entwickelt als die Menschen auf der Erde verfü­gen sie über eine überlegene Zivilisation: Es gilt das Gleichheitsprinzip auch für Frauen, Kon­flikte werden friedlich geregelt, harte Arbeit übernehmen Maschinen. Angetrieben und er­leuch­tet ist ihre Welt von der unsichtbaren und absolut sauberen Energie Vril. Die Architektur und sogar der Gesichtsausdruck erinnern an die Ägyptische Kultur. Überzeugt von der Evolu­tionstheorie von Charles Darwin und der Entwicklung der Sprache, wie sie Friedrich Max Müller vertrat, erweist sich der Roman weniger als Phantasie über die Zukunft, sondern als Gesellschaftskritik seiner Gegenwart. Was er da schildert ist keine Utopie, sondern eine Dys­topie.[7] – Als dann die Theosophische Gesellschaft, v.a. Helene Blavatsky, das Buch entdeckte (65-76), begannen die Mythen über den „eingeweihten“ Bulwer-Lytton. Rudolf Steiner em­pfahl das Buch als Lektüre in seinen Waldorfschulen. Der (sich auf Naturwissen­schaft beru­fende) deutsche Okkultismus mit der „Reichsarbeitsgemeinschaft“ macht nun den britischen Autor nach dem ‚Rosenkreuzer‘ zum großen Magier und Visionär des Weltdyna­mis­mus. Im Nationalsozialismus werden die okkulten Ideen zunächst weiter verbreitet, dann aber geht die Partei gegen Okkultisten vor und ab 1941 wird es still um Vril. (77-125) Nach der Katastro­phe des Weltkriegs aber popularisierte das Buch Aufbruch ins Dritte Jahrtausend (1960)[8] der französischen Autoren Louis Pauwels und Jacques Bergier den Traum von Vril weit mehr, als dies zuvor der Fall gewesen war (126-192): Hinter dem Faschismus stünden der geheime Orden mit schwarzen (bösen) Magiern. Die französischen Autoren konnten sich auf die Gesprä­che berufen, die Hermann Rauschning mit Hitler geführt zu haben behauptete. Sein Hitler arbeitet nicht nur mit dunklen Kräften zusammen, sondern ist von ihnen besessen.[9] Daraus machten nun die Franzosen die Vril-Gesellschaft, eine Geheimgesellschaft, die zwar vorläufig geschlagen, aber sich anschickte, im dritten Jahrtausend die Welt zu beherrschen.

Die bedeutsame religionswissenschaftliche Analyse am Schluss (196f): Hier geht es nicht um eine magische Aufladung von Naturwissenschaft, um die ‚Wiederverzauberung der Welt‘, sondern (im Anschluss an Max Webers These) um die ‚Entzauberung‘ der Magie. Im Zeitalter der Wissenschaften und der Aufklärung halten die Esoteriker nicht an einer alten ‚irrationa­len‘ Erklärung der Welt fest, vielmehr rechnen sie mit einem Fortschritt ohne dessen negative Seiten und nicht nur auf die materialistische Seite beschränkt. (In den Fünfziger Jahren rech­ne­te man noch damit, dass die Atomkraft solch eine ‚Kraft‘ sei – deren Besitz Weltherrschaft bedeute). Wie sie sagen eine holisti­sche Weltsicht.

 

30. 12. 2013                                                                                         Christoph Auffarth

Religionswissenschaft

Universität Bremen


[1] Im Folgenden meist abgekürzt mit den Initialen JS.

[2] In einem weiteren Aufsatz ist JS hervorgetreten mit einer Untersuchung über das Motiv der „Schwar­zen Sonne“: Die Erfindung des esoterischen Nationalsozialismus im Zeichen der Schwarzen Sonne. In: Zeitschrift für Religionswissenschaft 20 (2012), 223 – 268.

[3] Burkhard Gladigow hat das Thema für die Religionswissenschaft erschlossen: Historia extra terram. Geschichts­stunden im All. in: Richard Faber; Ina Ulrike Paul (Hrsg.): Der historische Roman zwischen Kunst, Ideologie und Wissenschaft. Würzburg: Königshausen & Neumann 2013, 15-34.

[4] Interessant der Nachdruck des Werkes Wie sich die Wissenschaftler von 1910 das Jahr 2010 vorge­stellt haben! Arthur Brehmer (Hrsg.): Die Welt in 100 Jahren. Reprint von 1910. Mit einem einführenden Essay ‚Zukunft von gestern‘ von Georg Ruppelt.  Hildesheim: Olms 2010. Edward Bellamy: Looking backward: 2000-1887. Boston: Houghton, Mifflin 1887; dt. Ein sozialistischer Roman: (ein Rückblick 2000 – 1887). (Berliner Arbeiterbiblio­thek [Serie 1], 1) Berlin: Verlag der “Berliner Volkstribüne” 1889. Bei Reclam 1890.

[5] Zu Kraft bzw. Macht/power in der Religionswissenschaft s. Burkhard Gladigow: Kraft, Macht, Herrschaft. Zur Religionsgeschichte politischer Begriffe. in: Burkhard Gladigow (Hrsg): Staat und Religion. Düsseldorf : Patmos 1981, 7-22. B.G.: Naturwissenschaftliche Modellvorstellungen in der Religionswissenschaft in der Zeit zwischen den Weltkriegen. In: Hans G. Kippenberg; Brigitte Luchesi (Hrsg): Religionswissenschaft und Kulturkritik. Bei­träge zur Konferenz “The History of Religions and Critique of Culture in the Days of Gerardus van der Leeuw (1890-1950)”. Marburg 1991, 177-192. B.G.: Macht. HrwG 4(1998), 68-77. B.G.: Elektrizität. In: Christoph Auffarth; Jutta Bernard; Hubert Mohr: Metzler Lexikon Religion, Band 1, 1999, 266-268. In Kürze erscheint ein Buch von Kocku von Stuckrad über die Scientification of religion. Berlin: De Gruyter 2014.

[6] Edward Bulwer-Lytton: The Coming race. [1888] Das kommende Geschlecht. Roman. Übersetzt und neu überarbeitet von Michael Walter. Mit einem Nachwort und Anmerkungen von Günter Jürgensmeier. München: Deutscher. Taschenbuch-Verlag, 1999. Englischer Text unter http://www.gasl.org/refbib/Bulwer__Coming_Race.pdf  (27.12.2013). Das Buch ist dem (deutschen) Gründer der Religionswissenschaft (science of religion in Oxford) [Friedrich] Max Müller gewidmet.

[7] Das Wort Utopie (von dem Humanisten Thomas Morus 1516 aus den griechischen Wörtern οὐ ou nicht und τόπος topos Ort gebildet. In der englischen Aussprache kann man auch εὐ eu „gut“ heraushören. Wenn eine Utopie aber nicht positiv gemeint ist sondern als schreckliche Vision (wie Aldous Huxley 1984), dann verwendet man die griechische Vorsilbe δυσ- dys- „schlecht“.

[8] Die französische Ausgabe Le matin des magiciens. Die deutsche Übersetzung erschien 1963.

[9] Zur Quellenproblematik s. Horst Junginger: Der Führer als „höllischer Messias“, in: humanismus aktuell, Heft 19, hrsg. von der Humanistischen Akademie e.V., Berlin 2006, 83-94.

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