Brandenburg – Die Frühchristlichen Kirchen

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Hugo Brandenburg: Die frühchristlichen Kirchen in Rom vom 4. bis zum 7. Jahrhundert. Der Beginn der abendländischen Kirchenbaukunst.

[Regensburg: Schnell & Steiner, ³2013. [368 S., 149 Pläne, Aufrisse, Schnitte, 109 schw.-w. Ill., 167 farb. Ill. ISBN: 978-379-54220-0-4 : Gebunden 79 €]

 

 

Die frühen christlichen Kirchen von Rom verstehen und bewundern

Zusammengefasst: In seinen beiden Teilen bietet dieses Handbuch die 55 Kirchen Roms der Spätantike als Beschreibung mit großartigen farbigen Photos und in einer Dokumentation die Grundrisse, Rekonstruktionen. Für die Architektur ist das die klassische Darstellung. Wer eine Religionsgeschichte sucht, findet davon wenig, aber als Grundlage herausragend in Text und bildlicher Darstellung.

Im Einzelnen: Als Student kaufte ich – zusammen mit Richard Krautheimers Ge­samt­darstellung der früh­christ­lichen und byzantinischen Kirchen[1] – das Taschenbuch von Hugo Brandenburg,[2] ver­glichen mit denen diese neue Auflage ein Buch von einem anderen Stern erscheint:[3] die Grundrisse und Aufrisse der Gebäude sind pro­fessionell neu ‚aufgenommen‘ (d.h. neu ver­messen und in ei­nem Architektur-Zeichenprogramm dargestellt). Zwischen der ersten Darstel­lung und diesem Pracht­stück liegt ein Lebenswerk intensiver Forschungsarbeit. Die technischen Un­terstüt­zungen in der architektonischen Forschung sind meilenweit voran­gekommen (und konnten nur mit Hilfe von Forschungsgeldern der DFG finanziert werden), aber weit mehr Gewinn liegt in den jahrelangen Forschun­gen HBs vor Ort. Er hat sein Können und Kennt­nis erworben und ausgebaut an den Untersuchungen einer (ganz) beson­deren Kirche: der Rundkirche San Stefano Rotondo.[4] Was er dort an Analysefragen und –methoden erworben hat, ist die Grundlage für den Blick, die präzisen Fragen, die Ver­messung der zahlreichen früh­christlichen Kirchen in Rom: 55 sind in dem Buch vor Augen geführt mit den Grundrissen, Auf­rissen, dreidimensionalen Grafi­ken, je in einem Text eines Kapitels und dem wissen­schaft­lichen Anhang, der die Forschungsliteratur nennt, die dafür verarbeitet ist. So ist ein Handbuch entstanden, das sowohl den genauen Stand der gegenwärtigen Forschung nachvollziehen lässt, die Forschungsliteratur umfassend angibt und gleichzeitig hervorragende Photo­graphien, alte Stiche, moderne Rekonstruktionen, Details der Ausstattung vor Augen führt. Die durchgehend farbigen Photos von Arnaldo Vescovo fangen die Atmo­sphäre so lebendig ein, die Bilder von oben lassen die Umgebung mit erkennen. Die Aufnahmen im Innern versuchen nicht einen Weitwinkel-Gesamteindruck zu geben, der immer etwas steril erscheint, sondern wie ein Besucher die Kirche wahrnimmt (allerdings ohne den Straßenlärm oder die Touristengruppe); in mehreren Teilansich­ten wandert man durch das Gebäude. Das sind herausragende Architektur-Photo­gra­phien. Ein Fest für die Augen! Ein kleines Problem ergibt sich aber aus der Ent­scheidung: Man braucht vier Lesezeichen, wenn man etwa die gesamte Argumenta­tion zu San Stefano Rotondo aufnehmen will: S. 216-233 steht die Beschreibung und die herrlichen Farbphotos; S. 333-337 die Bilddokumentation in schwarzweiß mit Stichen, Grundriss, Rekonstruktionen; S. 351 die Anmerkungen; S. 363 das Literatur­verzeichnis). Der Autor hätte wohl vorgezogen, die Dokumentation in den Text ein­zubinden, der Verleger hat sich im Text nur für die herrlichen farbigen Bilder ent­schieden statt zu mischen (mit Horaz aut delectare aut docere volunt). Eine nachvoll­zieh­bare Entscheidung, dafür braucht man nun Lesezeichen. Und eine gute Rom-Karte, denn die auf Seite 348 kann nur helfen, die Orte der Kirchen in einem guten Stadtplan zu finden.

Das Buch ist ein einbändiges Handbuch für Architektur der frühen christlichen Kirchenbauten in Rom. Das hat mehrere Konsequenzen: Die Architektur außerhalb Roms wird allenfalls angedeutet. Also beispiels­weise die Kirchen in Konstantinopel oder die Kirchen im Heiligen Land werden nicht verglichen. Es geht nur um die christliche Architektur; an welche Bautraditionen der Kaiserzeit die christlichen Bauten anschließen, sich mit ihnen messen oder bewusst anders darstellen, ist selten einmal in einer Nebenbemerkung angesprochen. Was in den Kirchen geschah, Liturgie, Predigt, Rituale, Gemeinde, wird nicht umfassend eingebracht.  Also versucht sich HB auch nicht an einer Religionsgeschichte, in der Architektur dann Bestandteil und Zeichen der Veränderung des Christentums wäre. Vor einiger Zeit hat Martin Wallraff eine sehr schöne religionsgeschichtliche Beobachtung gemacht.[5] Die erste große Architektur, die die Christen im Zentrum Roms in Beschlag nehmen und zu einer Kirche umwandeln, ist das Pantheon im Jahre 608. Wallraff zeigt nun, da der Tag der Kirchweihe der 1. November ist, dem Fest der Allerheiligen, dass an die Stelle des allen Göttern gewidmeten Tempels Maria und alle Heiligen treten. Das ist religionsgeschichtlich von höchster Bedeutung, was Kontinuität und Bruch mit der antiken Religion betrifft. Weder kann man hier einfach die Ablösung der antiken Polytheismus durch den jüdisch-christlichen Monotheismus sehen noch die alte These weiterspinnen, dass das Christentum den Kult der Heroen (Halbgötter) fortsetzt, wenn Kirchen über den Gräbern der Heiligen gebaut werden. Es ist viel komplexer.[6]

Solchen Fragen und Perspektiven will sich das Buch nicht stellen. Dafür bietet es für die Architektur der frühen Kirchen Roms ein umfassendes und detailliertes Hand­buch, das zudem mit seinen Bildern atmosphärisch die Schönheit, Erhabenheit, die Stille erfahren und gleichzeitig dank der Rekonstruktionen den Bau im Ganzen wie im Detail verstehen lässt. Ein herrliches Buch zum Bewundern und Studieren. Nur auf diesem präzisen Fundament kann man dann religionsgeschichtliche Fragen stellen und prüfen.

 

13. Januar 2014                                                                                  Christoph Auffarth

Religionswissenschaft

Universität Bremen

 


[1] Richard Krautheimer 1897-1994, einer der vielen Kunsthistoriker, die in Deutschland geboren und ausgebildet durch Flucht vor den Rassegesetzen ihr Leben retten mussten. Obwohl er in den USA keine große Professur erhielt und er nicht zu der Theorieschmiede um Aby Warburg gehörte, ist sein Lebenswerk grundlegend für die Kunstwissenschaft. Für das Thema hier seine meisterhaften Werke, nämlich das Handbuch, hrsg. mit Wolfgang Frankl, Spencer Corbett und Alfred K. Frazer: Corpus basilicarum Christianarum Romae. 5 Bände. Vatikanstadt 1937–1977. – Early Christian and Byzantine Architecture. (Penguin Books) Harmondsworth 1965; überarbeitete Auflage 41986. – Rome. Profile of a City. Princeton: UP 1980; deutsch Rom. Schicksal einer Stadt, 312–1308. München: Beck 1987. – Three Christian Capitals. Topography and politics. Rome, Constantinople, Milan. Berkeley: UCP 1983. Und seine Ausgewählte Aufsätze zur europäischen Kunstgeschichte. Köln: Dumont 1988.

[2] Der Kürze halber im Folgenden abgekürzt mit HB. Der Autor ist 1929 geboren, war bis zu seiner Emeritierung 1994 Professor an der Universität Münster.

[3] Hugo Brandenburg: Roms frühchristliche Basiliken des 4. Jahrhunderts. (Heyne-Stilkunde 14) München: Heyne 1979 [185 S., ein Kapitel des umfassenderen Handbuchs.

[4] Hugo Brandenburg: Die Kirche S. Stefano Rotondo in Rom: Bautypo­logie und Architektursymbolik in der spätantiken und frühchristlichen Architektur. Berlin: de Gruyter 1998.

Nicht auf Deutsch sein Beitrag zu Carlo Bertelli: Milano, una capitale da Ambrogio ai Carolingi. Milano: Electa 1987.

[5] Martin Wallraff: Pantheon und Allerheiligen. Einheit und Vielfalt des Göttlichen in der Spätantike, in: Jahrbuch für Antike und Christentum 47 (2004), 128-143.

[6] HB kennt den Aufsatz nicht. Seine Einschätzung, das Pantheon sei gar kein Götter-Tempel gewesen und daher die christliche Weihung nicht so revolutionär, weicht einem religionswissenschaftlichen Problem aus.

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