Interreligiöse Erziehung und Bildung in Kitas

cover-harzFrieder Harz: Interreligiöse Erziehung und Bildung in Kitas. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 2014

ISBN 978-3-525-70154-6
ISBN 978-3-647-70154-7 (E-Book)

Hilfreiche Veröffentlichungen zur interreligiösen Erziehung und Bildung für die schulische Praxis gibt es inzwischen viele, z. B. in Form von Sachinformationen zu anderen Religionen, auch in Kinderperspektive. Doch Interreligiöse Erziehung und Bildung in Kitas von Frieder Harz ist anders. Sein Buch „will mehr sein als eine theoretische Entfaltung von Problemstellungen“ (S.9). Hier finden sich Sachinformationen zu anderen Religionen (insbesondere dem Islam), Praxisbeispiele (zunächst für Kitakräfte, teilweise jedoch auch adaptierbar für die Grundschule) sowie konzeptionelle Überlegungen und theologische Gedanken.
Als angehende Elementarpädagogin freue ich mich über praxisnahe Fachliteratur. Frieder Harz gibt zu bedenken, dass sich Deutschland mittlerweile zum Einwanderungs-, also zum multireligiösen Land gewandelt hat. Gerade die circa vier Millionen Muslime spielen für Bildungsinstitutionen eine große Rolle, daher es ist sinnvoll, interreligiöse Bildung bereits im Kindergarten zu beginnen.
Das Buch ist in fünf Kapitel untergliedert:
1. Interkulturelle und interreligiöse Erziehung und Bildung gehören zusammen
2.Interreligiöse Herausforderungen angesichts der religiösen Vielfalt
3. Die eine Wahrheit in der Vielfalt der Religionen
4. Die eigene Haltung im Umgang mit religiöser Vielfalt in der Kita
5. Religionen im Überblick
Die Kapitel werden weiter differenziert, sodass wirklich die Perspektiven aller Beteiligten im Kontext der religiösen Vielfalt Beachtung finden.
In dem Buch gibt es einige erwähnenswerte Besonderheiten. So ist zum Beispiel die grafische Aufbereitung der einzelnen Unterkapitel hervorzuheben. Der Autor möchte nämlich in seinem Buch den „so oft angemahnten Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis“ bauen. Also fügt er den theoretischen und konzeptionellen Überlegungen direkt Beispiele und Problemstellungen aus dem Kita-Alltag oder Fragen an, die zum eigenen Nachdenken anregen. Das kann zum Beispiel folgendermaßen aussehen (siehe S.116ff.):
Tobi und Arif sind gute Freunde. Sie spielen miteinander, streiten und versöhnen sich. Gestern hat es wieder einmal zwischen den beiden gekracht. Heute aber ist es nichts mit der Versöhnung. Stattdessen sucht Arif Kontakt zu Selim. Die Erzieherin fragt behutsam nach und Arif erzählt: „Meine Eltern haben gesagt, ich soll mir doch besser Freunde suchen, die zu uns gehören. Dann ist alles viel einfacher.“
Wie könnte die Erzieherin etwa zu den Folgen der Streitigkeiten zwischen Tobi und Arif Stellung nehmen?
–          Sollte sie die Meinung der Eltern in einem Gespräch mit ihnen zurückweisen?
–          Sollte sie bei Arif nachfragen, was denn mit „Wir“ und „Sie“ gemeint sein könnte und ob das eine oder andere in Wirklichkeit gar nicht zutrifft?
–          Sollte sie Gruppenkonstellationen einfädeln, in denen Tobi und Arif ‚zusammengespannt‘ sind?
Durch dieses Vorgehen – Beispiele direkt mit Fragen verbinden – entstehen Bilder im Kopf, die helfen, die eigene Situation, beispielsweise in der Kita, einzuordnen. Außerdem gibt es hilfreiche „Info“-Boxen, die einen kurzen Überblick zu religions- oder kulturspezifischen Traditionen liefern. Weiter wird häufig der sprachliche Stil der Dialogform verwendet. Das ist ansprechend, entstehen doch dadurch erneut realitätsnahe Bilder im Kopf. Bei den Dialogen geht es um – teilweise fiktive –Gespräche zwischen Erzieher*innen und Eltern, zwischen Kitakräften oder sogar Kindern selber. So wird der gewünschte Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis greifbar. Folgendes Das Ein Gesprächsbeispiel zum Thema Speisegebote (S. 115). Es unterhalten sich zwei Kinder:
I: Du darfst Schweinefleisch essen, mhm. Und kannst du trotzdem mit dem Mahdi befreundet sein, auch wenn der Muslim ist?
F: Ja klar.
I: Geht das trotzdem? Okay.
F: Wir sind alle im Kindergarten Freunde. Von da ist das egal.
Besonders hervorzuheben sind die christlich-islamischen Gespräche in Kapitel 3.8 zwischen zwei Elternteilen. Hier wird das zentrale Augenmerk auf die Unterscheidung von „Ich“ und „Du“ beziehungsweise „Wir“ und „Ihr“ in der religiösen Vielfalt gerichtet. Es geht um die Bereitschaft, sich auf die religiöse Vielfalt einzulassen. Gemeinsames führe zwar zum Miteinander, Trennendes jedoch rege an, sich Neuem zu öffnen. Erst dann könne es zum wahren Miteinander kommen, mithilfe des Dialogs.
Dabei bedient sich Frieder Harz des anschaulichen Bildes vom sogenannten „Gespräch über den Zaun“, das der Theologe Christoph Schwöbel entwickelt hat. Dabei geht es darum, dass bei einem Gespräch der Zaun die Grenze zwischen „Ich“ und „Du“ bildet und dadurch Sicherheit für den weiteren Dialog verleiht. Auf diese Weise wird dazu angeregt, sich Neuem lediglich anzunähern anstatt es umfassend verstehen zu wollen.
Dieser Weg ist, so F. Harz, „sicherlich der anstrengendste, aber wohl auch der notwendige“ . Es könne sein, dass der Dialog nicht zu „befriedigenden Lösungen“ führt. Aber es sei eben auch in Ordnung, wenn am Ende Gegensätze oder gar Widersprüche bestehen bleiben. Dies gelte es zu akzeptieren.
Insgesamt geht es diesem Buch um den Anstoß, mehrperspektivisch zu denken, sich in andere hineinzuversetzen und dadurch den Blick für das Gegenüber zu schärfen. Gleichzeitig wird der Blick für das Eigene geschärft. Es ist in der Kita möglich, gemeinsam die jeweils andere Religion kennenzulernen und dadurch trotzdem „das Recht auf den eigenen Standpunkt“ zu behalten. Das entspricht auch dem Inklusionsauftrag, wonach eine Gesellschaft in ihrer gesamten Vielfalt zu denken ist, um ein gleichberechtigtes Zusammenleben von Menschen jeder Kultur und Religion zu gewährleisten. Das Buch kann sein Ziel vor Allem umsetzen, weil immer wieder die Sicht verschiedener Beteiligter aus dem Kita-Umfeld gezeigt wird. Auch schwierige Themen wie etwa das Tragen von Kopftüchern werden angesprochen. Diese Themen werden sehr praxisnah vorgestellt und können dadurch helfen, Konfliktfelder schon im Vorfeld wahrzunehmen und zu beachten.
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Jana Hallmann
Bremen, 25. Juni 2014

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