Islam Didaktik Grundschule

cover-islam-didaktikGül Solgun-Kaps (Hrsg.)
Islam – Didaktik für die Grundschule

ISBN 978-3-589-16395-3
21,95 Euro
Cornelsen Schulverlage 2014

Islamunterricht in Deutschland ist seit einiger Zeit ein `Renner` in der bildungspolitischen Diskussion. Im Dickicht der unterschiedlichen Bildungssysteme von sechzehn Bundesländern ist es schwer den Durchblick zu behalten. Der vorliegende Sammelband will hier sowohl auf der rechtlich-grundlegenden, als auch auf der praktisch-gestalterischen Ebene helfen. Auf viele Beiträge aus diesen beiden Grundbereichen werde ich im Folgenden eingehen.

Vom Provisorium zum regulären islamischen Religionsunterricht an deutschen Schulen“, so ist der Aufsatz von Michael Kiefer (15-28) überschrieben. Er beschreibt die mühsame Entstehungsgeschichte dieses Unterrichts. In jedem Bundesland war die Entwicklung anders – Teil des bundesdeutschen Bildungspluralismus-Problems! Hauptfrage war und ist die Kooperation der Muslime als Religionsgemeinschaft mit dem Staat im Sinne des Grundgesetzes [1]. Folgende drei Formen sind gegenwärtig zu finden: Länder mit Schulversuchen (z. B. Bayern und Baden-Württemberg), Länder mit Beiratslösungen (Niedersachsen und Norddrein-Westfalen), Länder mit direkten Partnerschaften (Hessen). Kiefer benennt klar die Desiderate bei der Lehrerausbildung und den Unterrichtsmaterialien: „Die islamische Religionslehre oder der islamische Religionsunterricht stellen in allen Bundesländern gänzlich neue Fächer dar, die auf keine eigenständige oder gar etablierte islamische Fachdidaktik zurückgreifen können“ (25).
Andreas Renz, der bekannte Dialogbeauftragte der Katholischen Kirche, benennt in seinem Beitrag klare „Anforderungen aus Sicht der katholischen Kirche und Religionspädagogik. In sechs gut zusammengefassten Argumenten (59-61) wird die islamische Religionspädagogik begrüßt und fundiert unterstützt. Die Chancen und Möglichkeiten eines nachbarschaftlichen Verhältnisses werden für beide Seiten positiv gesehen. Der Frage nach dem Verhältnis von Islamischem Religionsunterricht und Integration stellt sich Rabeya Müller, seit vielen Jahren eine Protagonistin des Faches (62-68). Sie stellt mit einem einschlägigen Zitat für die koranische Lehre die Geschöpflichkeit aller Menschen ins Zentrum: „Und wirklich, Wir erschufen den Menschen, und Wir wissen, was er in seinem Inneren hütet; und wir sind ihm näher als seine Halsschlagader“ [50:16]. Hier liegt der Ansatzpunkt bei der Integration – nämlich das Miteinander der unterschiedlichen Menschen. Für den einzurichtenden islamischen RU richtet R. Müller Erwartungen an die Lehrkräfte. Diese sollen einen eigenen Standpunkt haben und diesen auch bei Bedarf kenntlich machen, jedoch sollten andere Religionen und auch andere islamische Konfessionen mit Respekt, Sachkenntnis und Neutralität vermittelt werden.[2] Didaktisches Prinzip eines Islamunterrichts sollte die fachliche Auseinandersetzung mit der eigenen Religion sein, die mit einer klaren Schülerorientierung gekoppelt sein muss.

„Die multikulturelle Situation ist in vielen Grundschulen selbstverständlich geworden“, stellt Stephan Leimgruber in seinem Beitrag „Interreligiöses Lernen in der Schule“ (68-75) fest. Das hat auch Folgen für den Religionsunterricht, denn Kultur und Religion sind oft eng verknüpft. Leimgruber erläutert klar sein Verständnis des interreligiösen Lernens: Ziel ist keine „Mischmaschreligion auf kleinstem gemeinsamen Nenner“, sondern eine Verdeutlichung der eigenen Position im Dialog. Die verschiedenen Möglichkeiten eines interreligiösen Lernens im engeren Sinn bzw. in einem umfassenden Sinn werden elementar für die Grundschule vorgestellt: „Bereits Grundschüler sollen fähig werden, die Angehörigen anderer Religionen wertzuschätzen und mit ihnen ‚kleine Gespräche‘ zu führen“ (72). Der Weg dazu führt über eine Fülle didaktischer Möglichkeiten, vom Geschichten erzählen über das Lernen an religiösen Zeugnissen und Lernen in Begegnungen. Letzteres gilt, wie Leimgruber auch an anderen Stellen schon betont hat, als der Königsweg des interreligiösen Lernens.[3] Diese knappe, aber ungemein dichte Beschreibung der Chancen des interreligösen Lernens in der Grundschule schließt mit der motivierenden Einschätzung: „Interreligiöses Lernen ist in der Grundschule ein faszinierendes Unternehmen“ (75).

Eine konkrete Form der interreligiösen Begegnung in der Grundschule stellt Gül Solgun-Kaps [4] vor: Inter- und multireligiöse Feiern in der Schule (75-92). Ihr Aufsatz ist teilweise geprägt von früheren Erfahrungen der Ausgrenzung bei Schulfeiern in bayerischen Schulen, jedoch inzwischen auch erfahrungsgesättigt mit positiven. Beispielen. Die Autorin beschreibt aus islamischer Sicht wohl abgewogen die Chancen und Grenzen des Mitmachens. Diese Kriterien sind einleuchtend und dürften auch bei christlichen Kolleginnen und Kollegen Zuspruch finden:

– gründliche Vorbereitung im Unterricht und Information der Eltern
– Wortwahl „religiöse Feier“ statt Gottesdienst
– Gottes- und Gebetsvorstellungen klären
– Umgang mit Bibel und Koran klären
– gleichberechtigte Gestaltung
– keine Religionsmischung
– u.a.m.

Erprobte Planungsbeispiele werden in ihrem Ablauf vorgestellt:

„Wir folgen Abraham“
„Eigene Wege gehen“
„Multireligiöse Abschlussdankfeier“

Diese Beispiele machen Mut, sich auf eigene Gestaltung multireligiöser Feiern in der Schule einzulassen. Manches kann man problemlos übernehmen, anderes muss neu an die jeweilige Situation angepasst werden.

Die ‚Baustelle‘ Unterrichtsmaterialien für Islamunterricht nimmt sich Miyesser Ildem [5] vor (93-98). Kompetenzorientierung ist notwendig, entsprechende schülerorientierte Materialien sollen in didaktischer Vielfalt im Unterricht eingesetzt werden. Auf die Achtung der Gleichwertigkeit der Religionen und Konfessionen müsse besonderer Wert gelegt werden und Interreligiosität sei ein fester Bestandteil aller Unterrichtsinhalte. M. Ildem ruft Lehrkräfte verschiedener Religionen dazu auf, bestimmte Themenkomplexe gemeinsam zu erarbeiten (96f). Möge dieser Ruf in den Kollegien und Lehrerfortbildungseinrichtungen gehört werden!

Amin Rochdi, Realschullehrer und Lehrerausbilder in Erlangen-Nürnberg, stellt Schwerpunkte der Koranarbeit im Unterricht vor (98-113). Für islamisch nicht geschulte Leserinnen und Leser wird die Offenbarungsgeschichte des Koran zusammengefasst erläutert. Als Hürden für die Lehrkräfte werden beschrieben:
1. Die Sprache des Koran: „Der Koran mit seinen 114 Suren und mehr als 6000 Versen ist in seiner Urform ein arabischer Text“ (100);

  1. Das koranische Selbstverständnis und die Muslime: „Die muslimischen Geister scheiden sich jedoch bei der Frage, ob nun diese Botschaft wörtlich zu verstehen sei […] oder ob sie als Botschaft an Muhammad zu einer bestimmten Zeit, in einer bestimmten Situation“ zu verstehen sei (101 f)
  2. Ist die koranische Botschaft eine Botschaft für das 21. Jahrhundert? Rochdi bejaht diese Fragestellung, allerdings unter der Voraussetzung, dass den Schülerinnen und Schülern durch eine so genannte „didaktisierte Koranarbeit“ (103) Verstehenswege und Zugangsmöglichkeiten eröffnet werden.

Am Bespiel der letzten beiden Suren des Korans, 113 und 114, wird ein komplexer hermeneutischer Weg vorgeschlagen, verbunden mit einer knappen didaktischen Analyse (11-112). Dieses Vorgehen erinnert im christlichen Kontext an die Phase des hermeneutischen Religionsunterrichts und schlägt gleichzeitig eine Brücke zu den „didaktisierten“ Bibelübertragungen, wie wir sie etwa von Dietrich Steinwede kennen. Dieser Beitrag ist anspruchsvoll, nicht zur direkten Umsetzung in der Grundschule gedacht. Fachlich jedoch ein notwendiger Beitrag zur wissenschaftlichen Fundierung der Ausbildung von islamischen Religionslehrkräften. Im Anschluss stellt Gül Solgun-Kaps den Bezug zur Grundschulpraxis (wieder) her, mit gebündelten Hinweisen zur Koranarbeit (113-115): Stationenarbeit, Umgang mit deutschen Übersetzungen, altersangemessene Kompetenzen zum Kennen des Korans und seines Kontextes.

Wiederum im Doppelpack: Die Geschichte des Propheten Muhammad im Unterricht (117-140). Die fachwissenschaftliche Einführung erfolgt ausführlich durch Hamideh Mohagheghi. Didaktischer Ausgangspunkt: „Der Religionsunterricht sollte die Kinder befähigen, die Gegenwart mit der Tradition zu verbinden und daraus eine Religiosität zu entwickeln, die in ihrer Zeit und in ihrer Umwelt gelebt werden kann“ (117). Eingangs warnt die Autorin vor der Gefahr, Muhammad unkritisch als Idol zu verherrlichen. Es folgt eine Einordnung in die Reihe der Gesandten und die Betonung der besonderen religiösen Rolle des Propheten Muhammad. Ausführlich wird die Lebens- und Wirkungsgeschichte vorgestellt – hervorragendes Material zum Gestalten eigener Erzählungen für den Unterricht. Die Leser werden aber auch zu wissenschaftlicher Kritik angehalten, etwa bei den Unterscheidungen zwischen Historie und Legende. Mit vielen Literaturhinweisen bereichert H. Mohagheghi die Ausführungen. Auch für Nichtmuslime eine großartige Gelegenheit, kompakt und kenntnisreich Informationen über Muhammad und die islamische Religionsgeschichte zu erhalten. Gül Solgun-Kaps (140-144) ergänzt mit gut strukturierten Anregungen für den Unterricht in der Grundschule; beim Thema Muhammad kommen besonders Zeitreisen, Meditationen, Erzählungen, Bodenbilder und Rollenspiele zum Einsatz. Denn: „Das Leben des Propheten Mohammed ist ein zentrales Thema im Religionsunterricht. Die Schüler sollen einen Einblick in die Lebensumstände der damaligen Zeit und die wichtigsten Ereignisse aus dem Leben des Propheten Mohammed kennenlernen.“ (140). Harry Harun Behr (144-153) bringt die weiteren Propheten des Koran ins Spiel. Manchem Koranleser wird die unterschiedliche Darstellung von bekannten Gestalten wie Mose, David, Noah oder Yunus im Verhältnis zur jüdisch-christlichen Überlieferung aufgefallen sein. Behr stellt klar, dass dem Koran nicht an historischer Sachgemäßheit gelegen sei, sondern an der Sache, an der Botschaft der Propheten: „Es geht nicht um den Gesandten, sondern um das, was er sagt!“ (147). Gerade christlichen Interessierten seien diese Ausführungen sehr empfohlen. Sie helfen Irritationen zu beseitigen! Dieser fachwissenschaftliche Teil wird wiederum didaktisch ergänzt mit grundschulbezogenen Anregungen.

Yunus Haque geht auf ein hoch kritisches Thema ein: „Gottesvorstellungen bei muslimischen Kindern“ (158-163). Vielen Religionslehrkräften ist bekannt, dass bei diesem Thema hohe Sensibilität angesagt ist, sowohl bei muslimischen als auch bei andersgläubigen Kindern. Der Autor ermuntert, sich pädagogisch den metaphorischen und realen Vorstellungen zu nähern. Er hat die Erfahrung gemacht, dass auch muslimische Kinder „im geschützten Raum der Anonymität“ (159) ihre Vorstellungen und Wünsche in realen und metaphorischen Bildern zum Ausdruck bringen. Nicht als dogmatische Realität, sondern als Ausdruck der eigenen religiösen Empfindungen. Gestützt wird dieses Vorgehen sogar vom Koran selbst; man denke an die bekannten 99 Namen Allahs und an den besonders metaphorischen „Lichtvers“ [24:35]. Eine mutige religionspädagogische Ansage!

Wissensvermittlung und Kompetenzerwerb, das sind die Stichworte von Yasemin Harter. Sie stellen moderne Paradigmen auch für den Islamunterricht dar. Beispielhaft wird das Modell des niedersächsischen Islamunterrichts vorgestellt, das strukturell den christlichen Rahmenplänen entspricht. Folgende Leitfragen stehen im Zentrum:

  • Nach dem Menschen fragen
  • Nach Allah, dem Glauben und dem Handeln fragen
  • Nach dem Koran und der Sunna fragen
  • Nach dem Propheten Mohammed und anderen Propheten fragen
  • Nach den Weltreligionen fragen
  • Nach der Verantwortung des Menschen in der Welt fragen.

 

Zuasammengefsst: Der Sammelband „Islam. Didaktik für die Grundschule“ ist kein Lehrbuch im klassischen, universitären Sinn. An vielen Stellen zeigen sich noch offene Fragestellungen und Situationen des Aufbruchs. Jedoch: maßgebliche Erfordernisse und Aufgaben werden aufgezeigt, wichtige Pfeiler legen fachwissenschaftlich und fachdidaktisch guten Grund. Die Anregungen sind auch weit über die Grundschule hinaus eine wertvolle Hilfe.  Hoffentlich folgen noch weitere Konkretionen, gestützt auf praktische Erfahrungen.

 

Dr. Manfred Spieß
ehemals: Universität Bremen

Oldenburg, 13. Februar 2015

 

[1] Leider ist hier der einschlägige Grundgesetzartikel 7, Abs. 3, falsch wiedergegeben: es muss heißen : „ …wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ [Plural] erteilt. Im Aufsatz steht unkorrekt: „mit den Grundsätzen einer Religionsgemeinschaft“.

[2] In diesem Zusammenhang kritisiert Rabeya Müller (65f) die so genannte Igaza, die Erlaubnis zur Erteilung von Islamunterricht. Die Praxis in NRW sei eine dem Islam nicht angemessene Engführung der Lehrkräfte!

[3] Ausführlich dazu der Klassiker des Autors: Stephan Leimgruber: Interreligiöses Lernen, München 2012 (2. Aufl.)

[4] Gül Solgun-Kaps ist Mitautorin der Grundschulbücher: Mein Islambuch, Oldenbourg- Verlag. Hier die Rezension zu Band 3: http://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2013/11/24/mein-islambuch-grundschule-3/

[5] Miyesser Ildem ist Mitautorin der islamischen Schulbuchreihe Saphir, Kösel-Verlag. Hier der Link zu einer Rezension des Bandes 5/6: http://tinyurl.com/cgfhws5

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