Der Diwan

cover-farid-diwanIbn al- Fāri: Der Diwan. Mystische Poesie aus dem 13. Jahrhundert.

 

Aus dem Arabischen übersetzt und hrsg. von Renate Jacobi.

Berlin: Verlag der Weltreligionen 2012.

[407 S. Gebunden. ISBN 978-3-458-70037-1]

 

 

 

Eine Liebeserklärung an den islamischen Mystiker Ibn al- Fāriḍ (1181-1235)

 

Kurz: Renate Jacobi hat durch Übersetzungen und eine umfassende Einführung einen islamischen Mystiker vorgestellt. Das Buch lädt ein zum Vergleich mit latein-europäischen Mystikern.

Ausführlich:

Der Band beginnt mit der Übersetzung, die sprachlich auch im Deutschen erkennen lässt, dass es sich um kunstvolle Dichtung handelt. Die Professorin für Arabistik in Saarbrücken (heute lehrt sie in Berlin)[1] hat ihre wissenschaftliche Lebensarbeit den Formen der arabischen Poesie gewidmet und insbesondere der Mystik des Sufismus. Man sieht, wie sie für dieses Buch ihr ganzes Können eingebracht hat, um diesen Mystiker und seine Dichtung (in der lyrischen Form der Qassiden, s. S. 364) im deutschen Sprachraum bekannt zu machen. Neben einer Auswahl aus den Qassiden übersetzt sie das „Weinlied“, ein Lied, in dem geradezu überirdische Eigenschaften des Weins besungen werden und seine Wirkung, die in der latein-europäischen Mystik Sobria ebrietas – Nüchterne Trunkenheit genannt wird.[2] In „Die Ordnung des Weges“ beschreibt al-Farid in einem Lehrgedicht den mystischen Weg, die Mühen, Rückschläge und das Fortschreiten über drei Stufen (Übersetzung 71-126; Kommentar 316-356). Wie die etwas frühere Brautmystik[3] (etwa bei Bernhard von Clairvaux) wird die Mystik als ein Liebesverhältnis beschrieben, das die Geliebte zurückweist, zuerst müsse der Mystiker seine Selbstsucht ablegen. Nach dem Tod des Ich kommen die drei Stufen der unio mystica, der Einheit. Dem Vorwurf an die Mystiker, die Einheit von Gott und Mensch sei im Islam undenkbar, begegnet Farid in den Versen 277-285. In der coincidentia oppositorum, dem Zusammenfallen des Unvereinbaren, findet er eine Formel. Danach aber warnt er seine Schüler davor, dass es Erfahrungen gebe, die der mystischen ähnlich seien, aber in die Irre führten. Wenn RJ sagt: „Der Sufismus ist das Herz des Islams“, dann ist das eine sehr umstrittene Behauptung. Sie begründet das, dass die mystische Erfahrung in jeder Religion das Entscheidende sei, nicht die rationalen Sätze und die Rechtgläubigkeit, die der Mystik oft die Orthodoxie abspricht. Die mystischen Traditionen im Islam und die orthodoxe Kritik, die herrscherliche Gewalt an ihr hat RJ umfassend dargestellt.[4] Zu einer dieser Traditionen wird al-Farid gezählt als „später Sufismus“ (sufi ist die „weiße Wolle“, aus der ihre Wollmäntel gewebt sind). In der der Übersetzung folgenden Einführung (S. 129-260) stellt sie den Dichter vor, den „Fürst der Liebenden“. Der lebte 1181-1235, zunächst in seiner Geburtsstadt Kairo und lernte bei dem bekannteren Mystiker Ibn al-‘Arabi. Der Herrscherhof hegte offenbar große Sympathien für die Gelehrten, zu denen al Fāriḍ gehörte. 35-jährig zieht er für 15 Jahre nach Mekka, um an den Pilgerorten des Islam zu lehren, zu dichten (was bei ihm oft mit einem Zustand der Trance verbunden war, S. 152) und mit den bedeutendsten Gottesmännern ins Gespräch zu kommen. Zur Beerdigung, des einfachen Mannes, der ihn damals aufgefordert hatte, nach Mekka zu ziehen, kehrt er nach Ägypten zurück und lebt dort die letzten Jahre seines Lebens, bevor er mit 53 Jahren stirbt. Auf die Einführung folgt der Verskommentar (261-336), zwei Karten, ein wertvolles Glossar für die arabischen Begriffe, die RJ in der Einführung und Kommentar verwendet (359-370), das Literaturverzeichnis, die zitierten Koranstellen, ein Verzeichnis der Personen, Orte und – besonders hilfreich – der angesprochenen Sachen. Wieder ein großes Lob an den Verlag, bes. Claus-Jürgen Thornton für die sorgfältige Arbeit.

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  1. April 2015                                                                                         Christoph Auffarth,

Religionswissenschaft

Universität Bremen

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[1] Die wissenschaftliche Biographie und ihre Veröffentlichungen sind zu finden unter http://www.geschkult.fu-berlin.de/e/semiarab/arabistik/staff/honprof/jacobi/art/index.html Im Folgenden kürze ich ihren Namen mit den Initialen RJ ab.

[2] Richard Brunner: Sobria ebrietas – Nüchterne Trunkenheit. Über eine den Kirchenvater Augustinus stark beeindruckende rhetorische Figur. http://www.augustinus.de/bwo/dcms/sites/bistum/extern/zfa/texteueber/vortragbeitrag/rbrunner.html (24.4.2015)

[3] Das ungelöste Problem, ob es historisch nachweisbare Abhängigkeiten und Beeinflussungen gibt oder anthropologisch-religiöse Konstanten unabhängig von einander zu ähnlichen Ergebnissen führen, führt bei RJs Beschäftigung mit Carl Gustav Jung eher zu der letzteren Lösung (etwa S. 190 f).

[4] S. 174-250; von besonderer Bedeutung ist dabei die Frage der religiösen Pflichten. Al-Farid hat selbst durch seine Biographie die Bedeutung der Pilgerfahrt nach Mekka als dem realen Ort herausgestellt, nicht in der mystischen Phantasie.

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