Otto Weiß: Kulturkatholizismus

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Otto Weiß: Kulturkatholizismus.
Katholiken auf dem Weg in die deutsche Kultur (1900–1933).

Mit einem Vorwort von Hans Maier. Regensburg: Pustet 2014.

978-3-7917-2615-1

kartoniert, 29.95 €

 

 

 

 

Wir haben auch Kultur:
Katholiken vom deutschen Kaiserreich bis in die Weimarer Republik

Eine Rezension von Christoph Auffarth

Ein überraschender Titel! Kulturprotestantismus ist ein bekannter Begriff, der – im Nachhinein – die herrschende Religion im deutschen Nationalstaat benannte.[1] Wer Deutsche sind, bestimmte sich daraus, dass man Protestant war; Katholiken waren dagegen so etwas wie „Primitive“ in einer Kolonialherrschaft, die im sogenannten Kulturkampf bekämpft wurden.[2] Otto Weiß schreibt als Professor am Historischen Institut der Redemptoristen in Rom, das Buch erscheint zu seinem 80. Geburtstag.[3] Schon in seinem grundlegenden materialreichen Buch über den Modernismus hat OW sich quer durch Bibliotheken gelesen, um neben den romtreuen Katholiken, den sogenannten Ultramontanen, gerade den katholischen Intellektuellen Aufmerksamkeit zu widmen, die den Rückfall zur Gegenreformation nicht mitmachten,[4] wie ihn das Erste Vatikanische Konzil 1870 vollzogen hatte. Die Gegner des Abschottens gegenüber der Moderne hatten ihre Professuren (wie J.J. Döllinger) verloren oder flüchteten, wie der Rottenburger Bischof Carl Joseph Hefele in die historische Arbeit, um zu beweisen, dass der Papst nicht unfehlbar und nicht monarchisch bestimmen dürfe, sondern die Konzilien über ihm stünden.[5] Davon ist in dem Buch nicht die Rede. Vielmehr stellt OW die Schriftsteller vor, die in den drei Zeitschriften eine katholische Kultur zeigen und voranbringen wollten: „Das Hochland“, hrsg. von Karl Muth, die „Stimmen aus Maria Laach“,[6] die Wiener in die „Schönere Zukunft“ um Richard Kralik, manchmal auch die jesuitische Zeitschrift “Stimmen der Zeit“. Überraschend vielfältig und kontrovers zeigen sich diese explizit katholischen ‚Stimmen‘! Sie erheben den Anspruch, dass Katholiken Kultur ‚können‘ und mit bestimmen wollen (wie die Görres-Gesellschaft den Beweis erbrachte, dass Katholiken gute Wissenschaftler sein können, S. 159-172).

Das Buch ist nicht die zusammenfassende Geschichte des (österreichischen und) deutschen Katholizismus 1900-1933. Dafür bleibt OW zu oft bei Details. Aber diese sind für die, die den Kontext kennen, interessant. An Hand von Aufsätzen in den Zeitschriften werden Diskurse deutlich, die im Ersten Weltkrieg und in der Weimarer Republik den Weg der Katholiken in die deutsche Kultur beschreiben. Aber auch das Eintreten für die Initiative des Papstes Benedikt XV. für einen maßvollen Frieden mit Russland unterscheidet (einige) Katholiken von der deutschen ‚Leitkultur‘, die dann einen brutalen Siegfrieden aufzwang. Man findet in dem Buch auch gute Einschätzungen von führenden Intellektuellen, wie Romano Guardini und seine Jugendbewegung Quickborn (150-158), Joseph Eberle, Theodor Haecker (135-141) und am Ende einige umstrittene Diskursthemen.

Am Ende muss man sagen, dass mit der Arbeit eine kleine Elite benannt ist, nicht das katholische Milieu, das sich nach dem Kulturkampf aufgestellt hatte und ein wichtiger Träger der Weimarer Republik wurde. Das leistet die Arbeit von Margaret Stieg Dalton.[7] Sodann ist der These, dass viele katholische Intellektuelle dem Nationalsozialismus ablehnend gegenüberstanden (wie vor allem im „Hochland“ diskutiert), mit Reserve zu begegnen: Richtig einerseits, dass diese katholischen Intellektuellen die NSdAP ablehnten. Andrerseits sind das keine Kämpfer für Demokratie oder Menschenrechte. Das macht Weiß in aller Deutlichkeit 228-236 klar. Überhaupt spart OW nicht an Kritik und nimmt etwa Richard Fabers Kritik an der Abendland-Ideologie positiv auf (187-189). Man kann das Buch nicht als Einführung oder als historische Arbeit empfehlen. Wer sich aber schon etwas auskennt in der Geschichte und vor allem dem Kulturprotestantismus von der Kaiserzeit und dem Ersten Weltkrieg und seiner mehrheitlichen Ablehnung der Weimarer Republik, für den/die ist das eine wertvolle Ergänzung der ‚anderen‘ Seite der immer noch stark von Konfessionen bestimmten Kultur[8] der spannungsreichen ersten drei Jahrzehnte der deutschen Kultur und dem Aufstieg der deutschen Diktatur des Nationalsozialismus.

  1. September 2015                                                                              Christoph Auffarth,
    Religionswissenschaft
    Universität Bremen

 

E-Mail: auffarth@uni-bremen.de

 

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[1] Das zeigt Friedrich Wilhelm Graf: Kulturprotestantismus. Zur Begriffsgeschichte einer theologie­politischen Chiffre, in: Archiv für Begriffsgeschichte 28 (1984), 214-268.

[2] Grundlegend Manuel Borutta: Antikatholizismus : Deutschland und Italien im Zeitalter der europäischen Kulturkämpfe. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010; ²2011. David Blackbourn: Wenn ihr sie wieder seht, fragt wer sie sei: Marienerscheinungen in Marpingen. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1997. = Mar­pingen, das deutsche Lourdes. Saarbrücken ²2007.

[3] Der Kürze halber meist mit den Initialen abgekürzt OW.

[4] Otto Weiß: Der Modernismus in Deutschland. Ein Beitrag zur Theologiegeschichte. Regensburg: Pustet 1995 [632 Seiten].

[5] Carl J. Hefele: Conciliengeschichte : nach den Quellen bearbeitet. 8 Bände. Freiburg im Breisgau: Herder 1855-1887.

[6] Über die Bedeutung des Klosters in der Südeifel als ein Motor des deutschen Katholizismus ab 1893 vgl. das ausgezeichnete Buch Marcel Albert: Die Benediktinerabtei Maria Laach und der Nationalsozialismus. Paderborn: Schöningh 2004.

[7] Margaret Stieg Dalton: Catholicism, popular culture, and the arts in Germany, 1880-1933. Notre Dame, Ind.: University Press 2004. Das würdigt Weiß S. 228f.

[8] Olaf Blaschke: Konfessionen im Konflikt. Deutschland zwischen 1800 und 1970: ein zweites konfessionelles Zeitalter. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2002.

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