Origines Kommentar zum Hohelied

Origenes: Kommentar zum Hohelied.
Eingeleitet und übersetzt von Alfons Fürst und Holger Strutwolf.
(Origenes Werke in deutscher Übersetzung OWD 9-1)

Berlin: de Gruyter; Freiburg im Breisgau: Herder 2016.
[VI, 481 Seiten ISBN: 978-3-11-044255-7 . 978-3-451-32913-5

 

Origenes: Die Homilien und Fragmente zum Hohelied.
Eingeleitet und übersetzt von Alfons Fürst und Holger Strutwolf.
(Origenes Werke in deutscher Übersetzung OWD 9-2)
Berlin: de Gruyter 2016. VI, 288 Seiten. ISBN 978-3-11-046161-9

 

Verlangen nach der Geliebten und Sehnsucht nach Gott:
Origenes legt das Hohelied aus

Eine Rezension von Christoph Auffarth

Kurz: Der Kommentar und die Predigten zum Hohelied, dem Liebeslied aus der Bibel, von dem großen christlichen Intellektuellen des 3. Jh.s ist ein grundlegender Text für die christ­lich-abendländische Mystik. In diesen zwei Bänden ist das Original durch Text, Übersetzung und Kommentar vorbildlich erschlossen.

Ausführlich: Das Hohelied (im Deutschen ein Wort, daher auch nicht flektiert wie Hohes L.; hebr. (שׁיר השׁירים; šîr haššîrîm, griech. asma asmáton; lateinisch canticum canticorum, also Lied der Lieder) ist eine Reihe von Gedichten zweier Geliebter, die sich hoch erotisch ihre Bewun­derung und Liebe zusagen, durchaus nach sexueller, körperlicher Erfüllung verlangend. Es ist in keiner Weise theolo­gisch. Wie das Lied in den Kanon der Hebräischen Bibel kam, zu­sätzlich geadelt durch den Namen König Salomons als Verfasser, ist auffallend. Aber schon die frühe jüdische Ausle­gungs­geschichte zieht nicht in Frage, dass das Buch in den Kanon der Bibel gehöre, ebenso wenig die christliche (von Ausnahmen abgesehen, wie Theodor von Mopsuestia, s. OWD 9/1, 42). Zum Teil der Bibel wird es dank der Auslegung, die ihm einen theologischen Gehalt verleiht. Gegen den literarischen Wortsinn setzte sich die allegorische Auslegung durch. Zwei Möglichkeiten wurden hier beschritten: Die Braut ist die Seele des gläubigen Individuums, das in Liebe zu Gott entbrannt ist und umgekehrt liebt Gott als Bräutigam den Menschen. Oder: Die Braut ist die Synagoge bzw. die Kirche, der Bräutigam ist dann Gott oder Christus. Die christolo­gische Deutung des ansehnlichen Mannes wird zur häufigsten Deutung. An die Auslegung dieses biblischen Buches haben sich viele Theologen gewagt, besonders berühmt im Mittel­alter die Auslegung durch Bernhard von Clairvaux in seinen 66 Predigten.[1] Ob er Origenes selbst kannte, stellt HS[2] im Vorwort in Frage, aber Bernhards Predigten geht ein langer Krankenaufenthalt mit Wilhelm von St. Thierry voraus, der Origenes ‚wiederentdeckte‘. So muss Bernhard die Gedanken des Origenes sehr genau gekannt haben.[3]

Der Kommentar des Origenes ist das herausragende Werk in der langen Auslegungsge­schich­te. Von ursprünglich 10 Büchern, die O. teils in Athen ab 240, teils etwas später in Caesarea verfass­te, hat Rufinus 410 die drei ersten ins Lateinische übersetzt, besser gesagt paraphra­siert (wie der Vergleich mit den griechisch erhaltenen Passagen zeigt – diese sind im zweiten [Homili­en-] Band OWD 9/2, 140-247 gedruckt und so kann man die Texte neben­ein­ander halten und verglei­chen). Leider sind auch die griechischen Fragmente vielfach nur Para­phra­sen und Zitatausschnitte. O. verfolgt zwei Linien. Zum einen versteht er das Hohe­lied als ein Drama mit verschiedenen Personen, das er zu einer zusammenhängenden Hand­lung rekonstruiert. HS nennt das ‚Literalsinn‘ (was aber nicht den Wortsinn bedeuten soll? OWD 9/1, 12-). Die andere Linie ist der ‚geistige Sinn‘ des Hohelieds (OWD 9/1, 15-). O. warnt vor der Lektüre des Textes nach dem Wortsinn. Vielmehr sei das Buch etwas für Fort­geschrittene und entsprechend anspruchsvoll schreibt er dann auch. Was O. nicht öffnet, ist ein morali­scher Sinn. Vielmehr ist der mystische Sinn das zentrale Deutungsmuster. Die caritas ordina­ta, die geordnete Liebe, versteht O. so, dass Gott die Menschen durchaus ver­schie­den liebt. Nicht grenzenlose Liebe, auch nicht wie die Gnostiker Prädestination der Menschen in Gerettete und Nicht-Rettbare,[4] auch nicht willkür­liche Zuteilung von Gnade, sondern nach den Werken und Verdiensten der Menschen!

Aufregend ist die Stelle (Hld. 1,5), wo die Braut angesprochen wird „Schwarz bist Du und schön“. Der Wortsinn erklärt die dunkle Haut damit, dass Sie stundenlang im Weingarten arbeitet. O.s Auslegung bringt die Sünde ins Spiel, die sich auf der Haut zeigt. (Wieweit das sich gegen Schwarze richtet, ist schwierig zu klären. Es hat jedoch nichts mit dem Fluch des Noah zu tun).[5] Christus als Sonne bringt die Sünde ans Licht, aber er gibt auch die Mittel zur Hand, sich von der Sünde zu befreien, wie die Taufe. Wenn es in Hld 8,5 von der Braut heißt: „Wer ist diese, die weiß gewaschen heraufsteigt?“, dann müsse das bedeuten: sie ist von Sünden rein gewaschen (OWD 9/2, 48f).

Die Homilien des Origenes zum Hohelied:

Die Homilien (Predigten) zum Hohelied sind ebenfalls in der lateinischen Übersetzung des Rufinus überliefert. Von der etwas früheren Übersetzung des großen Stilisten Hieronymus ist vor allem die Widmungsrede bekannt, die mit dem nicht zu steigernden Lob einsetzt: „Während Origenes bei den übrigen Büchern [der Bibel] alle übertroffen hat, hat er beim Hohelied sich selbst übertroffen.“ (OWD 9/2, 62f). In diesem Fall sind die Homilien in – für Origenes – auffallend schlichten Sätzen formuliert. Ihr (zeitliches) Verhältnis zum Kommen­tar muss offen bleiben; aber Predigten und Kommentare sind für Origenes ganz verschie­dene Gattungen, die nicht als Kurzfassungen oder Entwürfe verstanden werden können. In der Einleitung (OWD 9/2, 3-59) hebt HS zwei „Großgedanken“ des Origenes hervor. Zum einen geht es um eine zentrale Synonymität von Liebe zwischen der biblischen Konzeption von agape ἀγάπη und eros ἔρως. Während Origenes sonst eros meist negativ versteht als (nur) körperliche Liebe (und daher ein Gegensatz zwischen antikem Eros/Amor und christlicher Agape/caritas konstruiert wird),[6] übernimmt er hier ganz im Sinne von Platons Symposion dessen Verständnis als geistiges Verlangen, das schon eine Ahnung von dem Geliebten haben muss. Also synonym statt antagonistisch: „Was darin (in den Johanneischen Schriften) als Liebe beschreiben wird, ist grundsätzlich dasselbe wie der Eros, den Platon im Symposi­on vorführt.“ (OWD 9/2, 20; 43). Das Ziel des (von Rufinus nicht übersetzten Endes des) Kommentars muss der Aufstieg der Seele zu Gott gewesenen sein (OWD 9/2, 47), das zentrale Thema von Platon (etwa im Phaidros). Grundlegende Liebes-/Leid-Metaphern hat Origenes geprägt: „Pfeil“, „Wunde“, „Feuer“, Brautgemach. Wichtig auch die Vorstellung von sich nähern/ sich entziehen. Während Origenes schon im ersten Kapitel die Einladung des Bräutigams an die Braut aussprechen sieht, sie ins Hochzeits­zimmer zu begleiten, also den Höhepunkt gleich am Anfang, versteht er doch den Weg zur Hochzeit als langsamen Aufstieg. Er be­grün­det das mit der Ambivalenz von den Menschen als Ebenbild Gottes einerseits, der Sünde andrerseits. – Das zweite ist die Individualität und Subjektivität. Auch in der Ekkle­si­o­logie, also dem Verständnis von Kirche, steht für O. der perso­nal-individuelle Aspekt im Vorder­grund, wenn er formuliert ecclesia sumus – „Die Kirche, das sind wir“, wobei der philosophi­sche Intellektu­elle voraussetzt, dass die „Wir“ mit einer Vernunftseele ausgestattet sind.[7] Für die OWD 9/2, 27 folgende Kurzfassung der Vorgeschi­chte des Liebes­lieds erlaube ich mir eine Kritik. Die Rede von Muttergottheiten, Fruchtbarkeit, etc. trifft weder die Differenziertheit des Poly­theis­mus noch die Differenziertheit der literari­schen Bilder in der Hebräischen Bibel, etwa bei Ezechiel 16 und 20, noch die Brechungen zwischen Literatur und Religion in Origenes‘ mittlerer Kaiserzeit. –  Vorzüglich wieder die Analyse der „Sinne“, auch das grundlegend für die allegorische Auslegungsmethode des Mittelalters. Origenes verweist nicht einfach auf den wörtlich-leiblich-vergänglichen Sinn als Gegensatz zum allegorisch-göttlichen Sinn, sondern sieht die Seele als Bindeglied zwischen Leib und Körper. Und so muss es auch in der Seele den Sinn fürs Sehen, Hören, Schmecken, Riechen, Tasten geben.

Auch diese Bände, der siebte und achte in der Reihe, die dank des Fleißes und Könnens von Alfons Fürst[8] in höchster Qualität Jahr für Jahr wächst, ist wieder eine sehr gute Er­schlie­ßung des berühmten Textes des großen und daher auch umstrittenen frühen Theolo­gen mit dessen großem Hintergrund in der platonischen Philosophie.[9] Knappe präzise Ein­lei­tungen, für das Verständnis hilfreiche Kommentare und Verweise, eine ebenso lesbare wie genaue Übersetzung zu dem derzeit besten Text.

 

  1. März 2017 Christoph Auffarth
    Religionswissenschaft
    Universität Bremen

    E-Mail: auffarth@uni-bremen.de

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[1] Die ausgezeichnete Ausgabe mit einer deutschen Übersetzung und kleinem Kommentar in Band 2 und 3 der BvC, Werke. Hrsg. von Gerhard Winkler. Innsbruck: Tyrolia 1991-1992.

[2] Die Übersetzung wird von beiden Autoren verantwortet. Zu Alfons Fürst in den früheren Rezensi­onen. Den Namen der Verfasser des Vorworts Holger Strutwolf kürze ich mit den Initialen ab, HS. Origenes mit O. Das Hohelied wird Hld. bzw. cant. abgekürzt.

[3] Eine deutschsprachige Auslegung ist das St. Trudperter Hohelied (um 1160), mit dem exzellenten Kommentar (1050 Seiten!) von Friedrich Ohly. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker-Verlag 1998. Ein Handbuch von Fried­rich Ohly: Hohelied-Studien. Grundzüge einer Geschichte der Hoheliedauslegung des Abendlandes bis um 1200. Wiesbaden: Steiner 1958.

[4] Ein sehr interessanter Vergleich, den der Gnosis-Spezialist HS hier einführt!

[5] Die Rechtfertigung, Schwarze als Sklaven zu halten, beruft sich auf den Fluch, den Noah über Ham bzw. Kanaan ausspricht: er solle seinen Brüdern als Sklave dienen. Gen 9,25. Dort ist aber nicht von der Hautfarbe die Rede. Vgl. Cant comm. III 6,5 (S. 316)

[6] So kritisierte  A. Nygren in seinem bekannten Buch Eros und Agape ²1954 Origenes, er bleibe dem platonischen Eros mehr verbunden als der biblischen Agape.

[7] Homilie 2,3.

[8] Eine ausgezeichnete Zusammenfassung ist der Artikel Origenes von Alfons Fürst im Reallexikon für Antike und Christentum 26 2014, 460-567.

[9] Jesja-Homilien 2009 http://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2010/04/27/origenes-die-homilien-zum-buch-jesaja-herausgegeben-von-alfons-furst-und-christoph-markschies/   (27. April 2010). Kommentierung des Buches Genesis. Hrsg. von Karin Metzler 2010, in: http://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2010/12/05/origenes-die-kommentierung-des-buches-genesis-band-12-von-karin-metzler/ (5. Dezember 2010) – Aufforderung zum Martyrium. 2010. Origenes: Werke (OWD), Band 22. in: http://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2010/12/29/231/  (29. Dezember 2010). – Homilien zum Ersten Buch Samuel. (Origenes Werke Deutsch OWD 7) 2014. http://buchempfehlungen.blogs.rpi-virtuell.net/2014/11/20/origenes-die-homilien-zum-ersten-buch-samuel/ (20.11.2014). – Wozu und wie beten? Origenes erklärt. Origenes: Über das Gebet. Eingeleitet und übersetzt von Maria-Barbara von Stritzky (Origenes Werke Deutsch OWD 21) Freiburg im Breisgau: Herder 2014, in: http://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2016/04/22/origenes-ueber-das-gebet/ (22.4.2016).

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