Juden in der hellenistischen und römischen Antike

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Schwartz, Seth
Das Judentum in der Antike. Von Alexander dem Großen bis Mohammed.

Übersetzt von Ursula Blank-Sangmeister; Anna Raupach. Ditzingen: Reclam 2016.
[284 S. – ISBN 978-3-15-011010-2]

 

 

Juden in der hellenistischen und römischen Antike

Eine Rezension von Christoph Auffarth

Kurz: Erfrischend neu und anders der Blick auf die antiken Juden im Hellenismus und im Römischen Reich. Aber keine Religionsgeschichte.

Ausführlich: Seth Schwartz gehört zu den Judaisten,[1] die ‚erfrischend nicht-theo­logisch‘ argumentieren. Und mit einem weiten vergleichenden Blick die Besonder­heiten der Juden im Kontext der antiken Kulturen herauszuarbeiten versteht. So hat er gegen die Behauptung einer die ganze Mittelmeeerwelt umfassenden mediterra­nen Kultur geradezu eine Gegenkultur der Juden gestellt: Gehört in der (allerdings ziemlich grob gezeichneten)[2] mediterranen Kultur die soziale Bindung durch Geschen­ke Geben und Nehmen (Reziprozität), Klientelbildung durch Euergesie (d.h. reiche Familien schenken der Allgemeinheit beispielsweise ein Kriegsschiff oder einen Tempel), der Scham- und Ehre-Kodex, Angst vor der Sexualität. Demgegen­über hat S. die Kultur der Juden geradezu als Gegenmodell gezeichnet.[3] Die ‚Helleni­sierung‘ des Judentums weist S. im ersten Kapitel zurück und findet v.a. den Einfluss des persischen Reiches. Im zweiten Kapitel wird v.a. der Makkabäeraufstand dargestellt. Es folgt die Geschichte der jüdischen Aufstände, darunter die Zerstörung des Jerusalemer Tempels. Für S. das zentrale Ereignis in der Geschichte des Judentums (122-128).[4] Während die Epoche danach meist als ‚das rabbinische Judentum‘ bezeichnet wird, macht S. klar: „Das öffentliche Leben in der Provinz Judäa/Palästina [… war] kaum oder gar nicht spezifisch jü­disch geprägt.“ (159). Vielmehr romanisiert (gut differenziert S. 162), wie die Papyri zeigten. Ein interessantes Beispiel bildet die Biographie der Babatha, die zwar jüdisch heiratet, sonst aber nur das säkulare Recht anwendet (163-167). Statt der Rabbinen sieht S. das Patriarchat als politische Elite. Die „standardmäßig toleranten“ Römer werden relativiert mit dem Hinweis auf den fiscus Iudaicus, eine Strafsteuer, die statt wie bisher für den Tempel in Jerusalem jetzt nach dessen Zerstörung für die Reparatur des Jupiter-Tempels in Rom verwendet wurde. Bemerkenswert Neues liest man zu den Juden unter christlicher Herrschaft und dem kurzen Zwischenspiel der Perser/ Sassaniden in Jerusalem 614-629 n.Chr., unmit­tel­bar vor der Eroberung Jerusalems durch die Muslime.

Allerdings geht es nicht um ‚das Judentum‘, wie der deutsche Titel erwarten lässt, dass es um jüdische Religion in der Antike geht. Wer das erwartet, wird zwar ein paar sehr kluge Hinwei­se finden, aber Religion spielt keine große Rolle. Das ist auch begründet, wenn S. über das sog. Rabbinische Judentum für ausgeschlossen hält, „dass die Rabbinen in den Provinzen eine politische Führungsschicht bildeten“ (142; 144-158 eine Kontinu­ität von Pharisäern zu Rabbinen wird klug bestritten). Das Buch ist das eines Histori­kers, eines Wissenschaftlers, der sehr knapp und präzise formuliert, jeder Satz in­haltsreich und informiert. Mich stört etwas die Art von Anmerkungen in Klammern im Text. Dazu gibt es im Anhang einige (lesenswerte) Anmerkungen, eine Charak­terisierung der Forschung (242-249), Bibliographie (fast ausschließlich englischsprachige Bücher) und ein Register. Die hebräischen Namen sind in der im Deutschen üblichen Schreibwei­se wiedergegeben, sehr sorgfältig kor­rigiert!  (Namen sind sonst ja eine häufige Fehler­quelle). Schwartz` Buch[5] handelt von den antiken Juden von Alex­ander bis Mohammed, also in der globalisierten Welt des Hellenismus und des Römischen Reiches mit lebhafter Begegnung und Austausch. Es tritt an, „die Darstellungen zu kippen, die Althistoriker verfasst haben, entweder auf der Basis einer ungeeigneten Auswahl von Quellen oder als Mittel der Präsenta­tion der großen reduktiven Abläufe der globalen Geschichte.“ (215). Das ist S. nicht nur gelungen, sondern er hat ein wohl begründetes Gegenbild entwickelt.

 

 Mai 2017                                                                              Christoph Auffarth

Religionswissenschaft,    Universität Bremen

E-Mail: auffarth@uni-bremen.de


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[1] Seth Schwartz ist Professor an der Columbia University, New York. Unter seinen Büchern Imperia­lism and Jewish Society: 200 B.C.E. to 640 C.E. Princeton: UP 2001. Und das u.g. Anm. 3. Seine home-page http://history.columbia.edu/faculty/Schwartz.html . ‘erfrischend nicht-theologisch’ sagte Schwartz einmal über Elias Bickermann.

[2] Was John George Peristiany: Honour and shame: the values of Mediterranean society. London: Weiden­feld & Nicolson [1965] herausarbeitete, ist vergröbert bei Bruce Malina. Der Rezensent hat die frühe griechische Gesellschaft untersucht und differenziert, u.a. C.A.: Protecting Strangers. Establishing a Fundamental Value in the Religions of the Ancient Near East and Ancient Greece. in: Numen 39(1992), 193-216.

[3] Seth Schwartz:  Were the Jews a Mediterranean Society? Reciprocity and Solidarity in Ancient Judaism. Princeton: UP 2010.

[4] Das begründet S. gegen die These, dass der Tempel für die meisten Juden nur noch wenig Bedeu­tung gehabt habe. Vgl. Christoph Auffarth: Das Ende des Opfers – eine jüdische Perspektive. [Rezensi­on zu] Guy G. Stroumsa: Das Ende des Opferkults: Die religiösen Mutationen der Spät­antike, 2011. http://buchempfehlungen.blogs.rpi-virtuell.net/2011/12/30/das-ende-des-opferkults-die-religiosen-mutationen-der-spatantike-von-guy-g-stroumsa/ (30.12.2011). C.A. Religion nach dem Opfer: Stolper­stein der Europäischen Religionsgeschichte. In: Berliner Theologische Zeitschrift 2016, 39-54.

[5] Seth Schwartz: The Ancient Jews from Alexander to Muhammad. (Key Themes in Ancient History) Cambridge: University Press 2014. Das Buch ist die Vorlage der Übersetzung.

 

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