Ägyptische Religion-2-Götterliteratur

Jan Assmann; Andrea Kucharek:
Ägyptische Religion. [2] Götterliteratur
.

Aus dem Altägyptischen übersetzt und herausgegeben von Jan Assmann und Andrea Kucharek.
Mit zahlreichen, teils farbigen Abbildungen Berlin: Verlag der Weltreligionen 2018.
1099 Seiten, 25 Ab­bildungen. [ISBN 978-3-458-70056-2 ]
78.-

 

Ägyptische Religion in Texten und genauen Erklärungen

Eine Rezension von Christoph Auffarth

Der umfangreiche Band mit Texten zu Göttern Ägyptens folgt dem Band über die Toten- und Unterwelt-Texte.[1] Die Texte (S. 11-560). Kommentar 563-1056. Bibliographie 1057-1084. Bilderläuterungen 1085-1091. Die Texte umfassen: (1) die Kultbildrituale (9-148), (2) Abwehr, Schutz, Heilung (149-298). (3) Kosmographie und Theologie (299-420). (4) Hymnen und Klagen (421-508). (5) Lebensführung und Persönliche Frömmigkeit (509-560).

Jan Assmann hat als einer der international führenden Ägyptologen und sprachmächtigen Kulturwisssenschaftler[2] gemeinsam mit Andrea Kucharek[3] eine substantielle Auswahl von Texten aus der gesamten ägyptischen Zeit, die von der frühdynastischen Zeit (etwa 3000-2650 v.Chr.), dem Alten Reich, dem Mittleren und dem Neuen Reich reicht mit den sog. Zwischenzeiten. Aber auch Hellenismus (332-30 v.Chr.) und Römerzeit sind nicht ausge­schlossen (Zeittafel 587f). Die Texte sind guten Teils neu übersetzt in einer Sprache, die im Deutschen als Zielsprache mutig Wörter und Begriffe wählt, statt veraltete und bedeutungs­arme Wörter zu verwenden, die ein früherer Übersetzer verwendete, wenn er sich der Bedeutung nicht sicher war. Die Kommentare sind ebenso stark. Ein Beispiel zu nennen: Die in Europa in der Renaissance als älteste Religion wahrgenommenen Texte unter dem Namen des Hermes, die Hermetik, leitet sich her von dem griechischen Namen (Hermes trismegistos)[4] des Gottes Thot. Für diese Symbolfigur der modernen Esoterik findet JA die folgende Charak­­terisierung: „Er ist der paradigmatische Verwaltungsbeamte unter den Göttern, der Weisungen erteilt, plant, Gesetze erlässt, ‚die Schrift reden lässt‘, d.h. aus Geschriebenem vorliest, und die Opfer an Götter und Totengeister verteilt. Er hat das Sonnenauge heimge­holt, das sich im Zorn entfernt hatte, er hat Horus mit Seth versöhnt und dadurch die Einheit des Staates begründet, er verfügt über die Zaubersprüche, den Wütenden abzuwehren und die Rebellen zu vernichten, und er hat verhindert, dass das Wunder des restituierten Osiris dem Seth sichtbar wurde.“ (719, vgl. 698f). Vielleicht sollte aber der Hinweis auf die Schrift als gehütete Expertenwissenschaft seine Bedeutung doch etwas heben. Ein weiteres Beispiel die knappe Charak­teri­sierung des Seth, heute ein Symbol für das personifizierte Böse (zB in der Church of Seth der Satanisten), S. 696-700 und die folgenden Stellenkommentare 701-728 Seth ist meist ein komplementäres Gegenstück zu Osiris, nur beide zusammen machen die Weltord­nung aus, Wüste und Nil gehören zusammen. Hier aber finden sich Tendenzen zur Verteufe­lung. Der Kommentar (561-586) gibt eine Einführung in die hier versammelten Texte.[5] JA schöpft aus und fasst hier zusammen, was er in zahlreichen Büchern so exzellent erklärt hat: Was er den kosmogonische Monotheismus nennt mit seiner sich täglich erneu­ernden Welt­ordnung und ihre wechselseitige Rechtfertigung mit der Monarchie der Phara­onen.[6] Dann erklären sie, was man unter Götterliteratur, ihre Entstehung, Umfang und Wachstum, ver­steht: Texte zu den Ritualen, in deren Mittelpunkt die Götterstatuen stehen, darunter das berühmte Mundöffnungsritual (Texte 100-148, kommentiert 653-687). Sie müssen gegen Feinde geschützt werden. Kosmotheistische Texte binden die Statuen ein in die Erhaltung der Weltordnung. Hymnen verehren die Götter in den Statuen. Schließlich gibt es auch Texte der Theologie außerhalb des Tempelrituals (die sog. Persönliche Frömmigkeit). Der christ­liche Theologe Clemens aus Alexandria hat in seinen Stromateis („Teppichen“) auf Griechisch eine Bibliothek eines ägyptischen Tempels und das Personal für den Kult beschrieben (570-573). Großartig auch die Beschreibung der ‚Hierosphäre‘ als eine begrenzte Transzendenz der dem Kosmos immanenten Götter, die zwar Flüsse, Winde, Bäume, aber auch Kultur­techniken wie die Schrift repräsentieren, aber den Menschen in einer geschlossenen Sphäre trans­zendent gegenübertreten; gleichzeitig kann ganz Ägypten vom ersten Katarakt bis ins Nildelta als ein einziger Tempel verstanden werden (574). Über den Tempelkult hinaus­greifend ist die Vorstellung der Ma’at als Kult und Recht umgreifende Idee (579-583). Sie manifestiert sich in den Gesetzen und der Rechtsprechung, erhält ihre Bestätigung im Toten­gericht. Die Rezeption des Konzeptes außerhalb Ägyptens in Israel bei den Propheten oder im frühen Griechenland, bildet eine wichtige Transformation oder eine mitlaufende Ent­wicklung in den Religionen, die aus den monotheistischen Konzepten her­vor­gegangen sind: unter den polytheistischen Oberflächen des Kultes findet man mono­theistische Unter­strö­mun­gen.[7]

Ein Bogen auf Kunstdruckpapier (zwischen S. 640 und 641) stellt einige Abbildungen vor, die auf Seite 1085-1090 bzw. im Stellenkommentar erklärt sind. – Etwas betrübt bin ich, dass die in allen bisherigen Textaus­gaben exzellente Arbeit, die Claus-Jürgen Thornton in die Indices der Personen, Orte, Sachen gesteckt hat, hier fehlt. Ein erhebliches Manko.

Der Verlag der Weltreligionen beruhte auf der Zusammenarbeit mit der Udo Keller Stiftung  Forum Humanum. Die Zusammenarbeit ist leider aufgekündigt. Aber es werden noch begonnene Projekte weiter und hoffentlich zu Ende geführt. Dieses Buch ist eines davon. Der Koran-Kommentar das andere. Immerhin. Auch wenn das Gesamtprogramm nicht weiter voran kommt,[8] so hat es bedeutende Bücher hervorgebracht. Dazu gehört dieses Buch von Assmann/ Kucharek über die ägyptische Religion.

Der Band ist eine Summe des Lebenswerkes von Jan Assmann auf dem Gebiet der Ägypto­logie, eine Einsicht in die aktuelle Forschung, wichtige Texte in einer genauen, gut lesbaren Über­setzung und umsichtige Kommentare, nicht in Details sich verlierend, sondern die großen Zusammenhänge am Detail erklärt. Großartig!

  1. Juni 2019
    Christoph Auffarth
    Religionswissenschaft
    Universität BremenE-Mail: auffarth@uni-bremen.de

    ……………………………………………..

[1] Jan Assmann: Ägyptische Religion. [1] Totenliteratur. Frankfurt am Main: Verlag der Weltreligionen 2008.

[2] Die Wertschätzung zeigt sich in der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels im Jahre 2018 an den 80-Jährigen gemeinsam mit seiner Frau, der Anglistin Aleida Assmann. Die Qualität seiner Sprache würdigt der Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa 2016, die welterklärende Weitsicht der Karl-Jaspers-Preis 2017. – Wenn ich im Folgenden JA oder Assmann nenne, so ist der Anteil von Andrea Kucharek mit gemeint.

[3] Andrea Kucharek arbeitet am Institut für Ägyptologie der Universität Heidelberg. Der Nachfolger Assmanns, Joachim Quack, arbeitet an der Edition von aufregenden, bisher unveröffentlichten ‚spä­ten‘ Osiris-Texten, die die römerzeitliche Götterliteratur erforscht.

[4] Florian Ebeling: Das Geheimnis des Hermes Trismegistos. Geschichte des Hermetismus. München: Beck 2005. Christoph Auffarth: Hermetik. Enzyklopädie der Neuzeit, Band 5(2007), 391-395. Vgl. Assmann 564 zu Iamblichos als Vermittler in die Religions- und Geistesgeschichte des Abendlandes.

[5] Begründung der Auswahl 573.

[6] Vgl. Christoph Auffarth: Der drohende Untergang. ”Schöpfung” in Mythos und Ritual im Alten Orient und in Griechenland am Beispiel der Odyssee und des Ezchielbuches. (RGVV 39) Berlin; New York 1991: der latente Dualismus, den die Theologien zwischen Chaos und Kosmos behaupten, trifft nicht „dieses dramatische und latent apokalyptische Weltbild“ (Assmann 564).

[7] Kenntnis solcher Königsideologie und Übertragung auf eine völlig andere Gesellschaftsordnung: Auffarth, Der drohende Untergang 1991, 524-558. Auffarth: Justice, the King and the Gods: Polytheism and Emerging Monotheism in the Ancient World. In: Reinhard G. Kratz / Hermann Spieckermann in collaboration with Björn Corzilius and Tanja Pilger (eds.): One God – One Cult – One Nation. Archaeo­logical and Biblical Perspectives. (BZAW 405) Berlin; New York 2010, 421-453.

[8] Das war in dem Almanach zur Eröffnung des Verlags der Weltreligionen, hrsg. von Hans-Joachim Simm. Frankfurt: VdWR 2007 auf 415 Seiten angekündigt worden. Vgl. Christoph Auffarth: Habermas trifft Papst Benedikt, Suhrkamp verlegt Religion. Die ersten Programme 2009 des Verlags der Weltreligi­onen. In: Zeitschrift für Religionswissenschaft 17(2009), 213-220.

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