Hubel Glasmalereien

Achim Hubel: Die Glasmalereien des Regensburger Doms.
Vom 13. bis zum 20. Jahrhundert
(Regensburger Dom Stiftung 7)

Regensburg: Schnell + Steiner 2021.
416 Seiten.
ISBN 978-3-17-026974-3
39,95 €.

 

Leuchtendes Mittelalter und glänzende Wissenschaft

Eine Rezension von Christoph Auffarth

Kurz: Wunderbar in Farbe werden hier die Glasfenster des Regensburger Doms präsentiert und in bester Wissenschaft erklärt und eingeordnet.

Ausführlich: Der Band ist ein Juwel. Zum ersten Mal zeigt ein Band sämtliche Glasfenster eines der großen Dome durchwegs in Farbe, alle Aufnahmen in bester Qualität. Für den Regensburger Dom gab es schon drei Anläufe, die Glasmalereien wissenschaftlich zu prä­sentieren. Das monumentale Werk von Alois Eisen 1940 ordnete nach einem eigenwilligen System. Nach dem Zweiten Weltkrieg und den großen Schäden durch Luftangriffe beschloss man international die mittelalterlichen Glasmalereien zu dokumentieren in einem Corpus Vitrearum Medii Aevi (CVMA). Dabei wurde der Regensburger Dom in zwei großen Bänden von Gabriela Fritzsche mit allen 1.100 Glasfeldern vollständig dokumentiert und beschrie­ben, von den 609 Abbildungen gerade einmal 20 Farbtafeln. Alles Übrige in schwarz-weiß Aufnahmen, Glasmalerei in Graustufen, das war bisher die Norm! Dann kamen die fünf Bände der Kunstdenkmäler-Reihe, in denen Achim Hubel[1] zusammen mit dem Kollegen Manfred Schuller und einem großen Team die Ergebnisse von 30 Jahren Forschungen am Dom zusammentrugen.[2] Das Kapitel über die Glasmalereien im Textband 2(2014), 456-517 wollte keine vollständige Dokumentation bieten – die gab es ja schon zwei Mal – wohl aber andere Gesichtspunkte und Forschungsergebnisse vortragen. Die Kritik am Corpusband von Fritzsche fiel harsch aus (im vorliegenden Band würdigt AH die Arbeit viel konzilianter, da die Kunsthistorikerin eine Aufgabe im Rahmen und nach den Vorgaben des Corpus erfüllte). Jetzt also ermöglichte die Domstiftung und der Verlag (mit neuen Drucktechniken) einen durchgehend farbigen Bildband, der gleichzeitig eine wissenschaftliche Dokumentation in Form eines Katalogs (374-397) und Analyse der Glasfenster als Bestandteil der Architektur darstellt. Und das Buch umfasst auch die nachmittelalterlichen Glasmalereien (327-373), als vor allem im 19. Jahrhundert die gotischen Kathedralen neu entdeckt und ‚vollendet‘ wurden, so auch in Regensburg 1859-1869[3] die Stummeltürme zu den beiden ragenden Türmen ausgebaut wurden.[4]

AH versteht die Glasfenster als Teil der Kirche. Wenn die Gläubigen und Besucher die Kirche betreten, dann leuchten die Wände, die Heiligen als Skulpturen,[5] Altar und ewiges Licht, die Priester und Ministranten in ihren bestickten Gewändern nicht im strahlenden Sonnenlicht, sondern „der Dom schließt sich […] mit seinen leuchtenden Wänden komplett von der Außenwelt ab und will nach innen ein Abbild des himmlischen Jerusalem sein“ (7).[6] Die Glasfenster funkeln natürlich ganz anders (und jetzt im farbigen Bildband kann man das nachvollziehen, etwa S. 8, aber es ist kein mystisches Dunkel, sondern durchaus hell (wie etwa S. 36f), heller als Bilder, die auf Stein gemalt sind. Um riesige Öffnungen für die Fenster zu ermöglichen, haben die Architekten der Gotik kühne Konstruktionen erdacht, die die Last der Wände und Dächer auffangen mit Strebepfeilern und Bögen außen. Teils bilden die Fenster ein Thema als Zyklus, so etwa die Passion Christi, Kreuzigung, Auferstehung und Himmelfahrt oder das Leben Marias, Katharinas, die Patrone des Bistums. Keinem theolo­gischen Programm aber folgen die 39 Heiligen – mit der Ausnahme der Hl. Petronella, die die Verbindung mit dem Papst in Rom repräsentiert (43). Hier kommt eine andere Funktion der Kathedrale zum Ausdruck, nämlich Stolz der Bürger und Präsentation des Reichtums auch einzelner Stifterfamilien, die ‚ihre‘ Heilige oder Heiligen in Auftrag gaben. Glasfenster waren extrem teuer (AH 25-30 mit konkreten Angaben, darunter das folgende Beispiel). In Landshut wurde an einer geschlossenen Wand ein ‚Fenster‘ aufgemalt, das noch mit Brettern verschalt war, weil noch niemand die Gläser gestiftet hatte. Großartiges Beispiel!

Spannend ist das Kapitel, in dem AH die Technik beschreibt, wie das farbige Glas geglättet und mit Schwarzlot bemalt, dann überschmolzen wird. Dann werden die Einzelscheiben in Bleiruten gefasst zu Fensterfeldern, die dann in den Rahmen, das Maßwerk eingesetzt werden. Sehr anschaulich sind die Abbildungen. In einem weiteren Kapitel zeigt AH, wie die unterschiedlichen Materialien, wie Buchmalerei/Miniaturen, Wandmalerei, bemalte Skulpturen stilistisch mit der Glasmalerei der Zeit und des Ortes vernetzt sind (vgl. das Zitat 134). Es sind wohl Regensburger Glaskünstler, nicht wandernde Werkstätten. Am Meister Ludwig (dem sog. Erminold-Meister, 84-86) zeigt AH diesen Zusammenhang.[7] Ein anderer wichtiger Meister mit seiner Schule ist der Maler Heinrich Menger, der auch in Privathäu­sern gemalt hat (er arbeitete 1345-1375, S. 198-306). Besonders beeindruckend fand ich etwa, wie das Erscheinen Christi bei dem Damaskus-Erlebnis des Paulus dargestellt wird und die Entsprechung in einer Miniatur in einer Handschrift (134f).

Schon um 1230, noch spätromanisch, entsteht das erste Fenster, das man rekonstruieren kann (50-65). AH macht auf die Angelschnur aufmerksam und erschließt die Quelle, mit der Gott den Leviathan/Teufel aus seinem Lebenselexier zieht, indem Jesus durch die Kreuzigung die Welt erlöst, und als Seil die ganze Heilsgeschichte verbindet. Dann zeigt AH in chronologi­scher Reihenfolge die sich ändernden ästhetischen Wünsche, einschließlich der Fenster des 19. Jahrhunderts, wo trotz sorgfältiger Pflege (325f) Neuverglasungen nötig wurden.

Das ist ein Meisterwerk. Nicht nur wunderbare große Aufnahmen von ganzen Fenstern wie von Details, die man so, in Augenhöhe, nie betrachten kann, wenn sie nicht im Museum, aus dem Zusammenhang gelöst, präsentiert werden. Sondern das Buch ist vor allem große Wissenschaft, ein Referenzbuch für alle mittelalterliche Glasmalerei, in dem Achim Hubel sein ganzes methodisches Können, sein Wissen aus jahrelanger Leitung der deutschen CVMA, aus langen Recherchen zu Vergleichbarem zusammengeführt hat für ‚seinen‘ Dom. Er baut auf früheren Forschungen auf, aber er ist viel weiter gekommen. Ein glückliches Zusammenkommen von Augenlust und Erkenntnissen.

 

Bremen/Wellerscheid, Februar 2022                                              Christoph Auffarth

Religionswissenschaft,
Universität Bremen
E-Mail:
auffarth@uni-bremen.de 

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[1] Prof. Dr. Achim Hubel (*1945) leitete zuletzt die Arbeitsstelle für Glasmalereiforschung des CVMA in Potsdam. Er war zunächst sieben Jahre Domkonservator in Regensburg, dann seit 1981 Professor für Denkmalpflege an der Universität Bamberg. Seinen Namen kürze ich mit den Initialen ab: AH.

[2] Zu allen Bänden hat der Rezensent je eine Besprechung geschrieben, sie sind  h i e r  noch einmal genannt: Der Regensburger Dom unter der Lupe. Achim Hubel und Manfred Schuller:  Der Dom zu Regensburg. Teil 4: Fotodokumentation. (Kunstdenkmäler von Bayern 7,4) Regensburg: Pustet ²2018. [xiii, 800 S. https://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2018/08/10/der-dom-zu-regensburg-fotodokumentation/ (10.8.2018).

[3] Das beschreibt der erste Band in der Reihe Regensburger Domstiftung | Bistum Regensburg (bistum-regensburg.de) (30.1.2022) von Friedrich Fuchs 2006.

[4] Zur neuen Ästhetik und Bedeutung in der Urbanisierung Christoph Auffarth: Kölner Dom und Kölner Bahnhof. Ankunft und Zukunft: technische Machbarkeit und unerfüllte Heilserwartung. [https://doi.org/10.1515/zfr-2020-0003]. In: [Themenschwerpunkt Sakralarchitektur. Hrsg. von Peter Bräunlein; Sabrina Weiß]. In: Zeitschrift für Religionswissenschaft 28 (2020), 39-66. Ders.: Das Mittelalter re-konstruieren: Dome. Von der aufgeklärten zur nationalen Religion. In: Sonja Kerth (Hrsg.): Vergangenheit als Konstrukt. Mittelalterbilder seit der Renaissance. (Imagines medii aevi 30) Wiesbaden: Reichert 2012, 103-124.

[5] Zur leuchtenden Farbigkeit statt mattem Stein der Architekturglieder und Skulpturen haben die Forschungen an vielen Orten, so auch in Regensburg neue Erkenntnisse gebracht. An französischen Kathedralen (etwa in Amiens) werden mit nächtlichen Laser-Shows die Fassaden illuminiert, so dass man den Eindruck der mittelalterlichen Farbigkeit erfahren kann. Für Regensburg ist das umfassend untersucht, s. S. 35 und digitale Rekonstruktionen wie S. 40, Abb. 37 oder S. 44f, Abb. 41 und 42.

[6] Die These vom himmlischen Jerusalem, eine Mischung aus theologischer Deutung eines bestimmten Baus und moderner Ästhetik, wie sie vor allem Hans Sedlmayr (1896-1984) 1950 vortrug, reduziert die vielen Funktionen einer Kathedrale auf einen – wichtigen – Aspekt und präsentiert sie als die Ästhetik des mittelalterlichen Menschen. Sehr gute wissenschaftsgeschichtliche Einordnung Maria Männig: Hans Sedlmayrs Kunstgeschichte. Eine kritische Studie. Wien: Böhlau 2016. Zum himmlischen und irdischen Jerusalem mein: Irdische Wege und himmlischer Lohn. Kreuzzug, Jerusalem und Fegefeuer in religionswissenschaftlicher Perspektive. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 144), Göttingen: Vandenhoeck&Ruprecht 2002. Christoph Markschies: Gibt es eine „Theologie der gotischen Kathedrale“? Nochmals: Suger von Saint-Denis und Sankt Dionys vom Areopag. (AHAW-PH 1995,1) Heidelberg: Winter 1995.

[7] Jetzt diskutiert in dem Band von Achim Hubel, Jens Rüffer: Meister Ludwig – Peter Parler – Anton Pilgram: Architekt und Bildhauer? Zu einem Grundproblem der Mediävistik. Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, [2021].

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