Kirchenkunstsammlung Norwegen

Justin Kroesen, Stephan Kuhn (Hrsg.): Die mittelalterliche Kirchenkunstsammlung.

Universitätsmuseum zu Bergen (Norwegen).

Regensburg: Schnell & Steiner. 2022.
ISBN 978-3-7954-3604-9
208 Seiten, 142 farbige Illustrationen.
25 €.

 

Eine Kirchenlandschaft aufgeschlossen: Norwegen

Eine Rezension von Christoph Auffarth

Kurz: Hervorragende Bilder und Texte für die Kirchenschätze der Gegend um Bergen in Norwegen in ihrem europäischen Kontext.

Ausführlich:
Eine für viele ganz überraschende Sammlung mittelalterlicher Kirchenkunst wird in diesem Band präsentiert: aus dem westlichen Norwegen, gesammelt im Museum von Bergen. Im Wesentlichen chronologisch geordnet haben der Leiter und Forschungsprofessor Justin Kroesen[1] und Stephan Kuhn eine Auswahl von hundert Objekten getroffen. Exzellente Foto­grafien und knappe, äußerst informative Texte mit den aktuellen Forschungsergebnissen, bibliographisch erschlossen, stellen die Objekte vor.

Wie an vielen anderen Orten wurden die Objekte musealisiert im Zuge der Säkulari­sierungen, die man der Französischen Revolution und Napoléon anlastete, die aber vor allem in den katholischen Gebieten die Voraussetzung für die Entwicklungen der politi­schen, industriellen, agrarischen, medizinischen Revolutionen des langen 19. Jahrhunderts waren. Das Museum in Bergen wurde 1825 gegründet, um “Relikte des katholischen Kultes” zu sammeln (9).[2] 11 Jahre zuvor hatte Norwegen seine Unabhängigkeit (vom dänischen Königreich) erlangt, blieb aber noch bis 1905 in der Monarchie des Drei-Kronen-Reiches. 1946 wurde das Museum Teil der neugegründeten Universität. Viele Kirchenschätze aber hatten die Einführung der lutherischen Konfession 1536/37 überdauert.[3] Aber da manche Stabkirche (Holzkirchen) abgebrochen wurde, ergab sich die Notwendigkeit der Aufbewah­rung in einem Museum. Die engen Räume der Holzkirchen (von den etwa 230 Kirchen im frühen 14. Jh. waren nur 56 aus Stein, darunter 18 in Bergen [S. 15]), die etwa die Fotos S. 14-19 zeigen) sind mit verflochtenen Schnitzereien verziert wie die Portalwangen Kat. 10-15, und Abb. S. 6. Über dem Altar waren runde Baldachine ausgemalt. Die Altäre waren an der Schauseite mit hölzernen Altarfrontalien ausgestattet. (Davon sind 19 erhalten von insgesamt 125 in ganz Europa. Katalog 60-73). Neben den Geräten für den Gottesdienst wie Aqua­manilen (Wasserkrüge aus Metall, an denen sich die Priester vor der Eucharistie die Hände waschen, oft phantasievoll als Löwe oder Greif geformt Nr. 55; vor der Messe konnten sich die Priester schon in der Piscina die Hände reinigen, dem Wachbecken in der Sakristei), Weihrauchfässer, Kelche, liturgische Gewänder. Der Aufbewahrungsschrank der Abendmahlsgeräte und Hostien (Tabernakel) ist meist das am aufwändigsten gestaltete Ausstattungsstück.[4] Hier sind zwar vielfach die nationalen Heiligen abgebildet: Die Heilige Sunniva, die irische Königin, die im 10. Jahrhundert das Christentum nach Norwegen brachte und dabei den Märtyrertod erlitt, wie man nicht müde wurde zu erzählen. Und der König Olav, der das Christentum – oft gewaltsam – durchsetzte. Aber die Stücke sind meist anderswo von erfahrenen Meistern geschnitzt und gemalt. Als Herkunftsort bietet sich der Hansische Raum an, also kamen die Kunstwerke auf den viel benutzten Handelsrouten der Schiffe nach Norwegen, besonders die Bergen-Fahrer aus Lübeck, Hamburg, den Nordrhein und den Niederlanden in die norwegischen Siedlungen, die Stadt Bergen, die Klöster, aber auch in die einsamen und abgelegenen Kirchen in den Bergen und Fjorden weitab der Stadt. Ich hoffe, dass ein nächster Band von Justin Kroesen die Marienkirche von Bergen vorstellen wird, die Kirche der Bergenfahrer aus Lübeck mit den Skulpturen und – sensationell – der Kanzel.[5]

Die große Sorgfalt, sich von dem Kult von Bildern (Idololatrie) abzusetzen, hält die Inschrift auf Kat.Nr. 44 (um 1275) fest – auf Latein; für wen ist das dann geschrieben? Der Satz ist ein oft zu findender Merksatz des Balderich von Bourgueil (1046-1130):[6]

Nec deus est nec homo presens quam cernis imago,

Sed deus est et homo presens quam signat imago

Das Bild hier, das Du betrachtest, ist weder Gott noch der (Gott-) Mensch,

wohl aber ist (existiert) Gott und der (Gott-) Mensch, auf die das Bild hier verweist.

Neben dem Hanseraum sind noch zwei Regionen aufregend. Da gibt es zum einen Textilien aus dem Nahen Osten. Das ist bekannt aus dem Reliquien-Handel, dass dafür exzellente Stoffe zum Umhüllen verwendet wurden (Nr. 49).[7] Überraschend aber sind die Verbindun­gen nach Katalonien, also zur Mittelmeerseite der Iberischen Halbinsel (Nr. 43 um etwa 1300; Nr. 56). Was fehlt sind Beziehungen nach dem oströmischen Reich (Byzanz), wo doch die skandinavischen Waräger/ Wikinger/ Normannen als Händler und Militärs im Einsatz waren.[8]

Einzelne Objekte hervorzuheben erübrigt sich eigentlich, da die Forscher dies mit ihrer Auswahl schon getan haben. Religionswissenschaftlich interessant ist das »Handelnde Kunstwerk«, also der Angleichung eines (toten) Bildes mit einem lebendigen Menschen, wenn das Kruzifix (1500/1510, Katalog 92) eine Perücke aus Naturhaar, eine Krone aus echtem Dornengestrüpp und aus der Seitenwunde ‘echtes’ Blut hervortrat.[9] Die Wieder­gewinnung des Heiligen Kreuzes durch den byzantinischen Kaiser Heraklios 620 n.Chr. wird in der Kreuzzugszeit erinnert, nachdem Saladin 1187 die Kreuzesreliquie und Jerusalem erobert hatte (Nr. 65), und ebenso Nr. 60: Mit Marias Hilfe besiegt Heraklios die Muslime, die angeführt werden vom Sassaniden-König Chosroe und seinem Monster.[10] Das ist um 1300 ein Wunsch, nachdem 1292 die letzte Besitzung der Kreuzfahrer im Heiligen Land verloren gegangen war.

Statt eines Bestandskatalogs (die Beschreibung sämtlicher Objekte in einem Museum) haben die beiden Autoren einen attraktiven Band gestaltet, der eine Auswahl in knappen präzise beschreibenden Texten vorstellt und in ihren europäischen Bezügen einordnet. Damit machen sie eine Region bekannt und zeigen attraktive Stücke, nicht zuletzt durch die durch­gehend farbigen Abbildungen, die es wert sind, mit anderen Kirchenschätzen verglichen zu werden. Mehr als nur ein Museumsführer, weniger als ein kiloschwerer Bestandskatalog, gut zum Vorbereiten, Nachbereiten oder einfach zum aufmerksamen Betrachten und kluge Einordnungen zu lesen zu Hause.

Bremen/Much, Juni 2022

Christoph Auffarth
Religionswissenschaft,
Universität Bremen

E-Mail: auffarth@uni-bremen.de

……………………………………………………………………………………………………..

[1] Justin Kroesen hat mit seinem Mentor Regnerus Steensma Kirchen auf dem Lande erforscht in den Niederlanden, in Ostfriesland (auf Deutsch das wunderbare Buch Kirchen in Ostfriesland und ihre mittelalterliche Ausstattung. Petersberg: Imhof 2011). Er wurde zum Jahresbeginn 2016 aus Groningen nach Bergen berufen und ist dort seit 2017 Professor of Cultural History (specialization: Material Culture of Christianity), University Museum of Bergen, Norway. Seine Home-page Justin E A Kroesen | University of Bergen (uib.no) (19. Juni 2022.

[2] Das Kölner Wallraff-Richartz-Museum entstand 1824, als Wallraff seine private Sammlung der Stadt Köln vermachte.

[3] JK bestätigt das Motto Die Bewahrende Kraft des Luthertums, so der Titel des Buches von Johann Michael Fritz (Regensburg: Schnell+Steiner 1997).

[4] Justin Kroesen hat schon schwedische Kirchenschränke beschrieben (gemeinsam mit Peter Tångeberg): Die mittelalterliche Sakramentsnische auf Gotland (Schweden). Kunst und Liturgie. Petersberg: Imhof 2014.

[5] Ein paar Tage durfte ich in Bergen verbringen, als ich zu einer Tagung zur Reformation im Frühjahr des Jubiläumsjahrs 2017 eingeladen war. Einer der Höhepunkte war eine eindrückliche Deutsche Messe in der Marienkirche. – Meine Beobachtungen zur materiellen Transformation im Zuge der Reformation am Beispiel Bremen findet man im Aufsatz »Bilder und Ritual im calvinistischen StadtBild Bremens«. In: Jan van de Kamp; Christoph Auffarth (Hrsg.): Die andere Reformation. Bremen und der Nordwesten Europas. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2020, 277-306. Zur Materialität der Heiligen- und Gottesbilder u.a. im re-katholisierten Heidelberg s. Auffarth:  Das angemessene Bild Gottes: Der Olympische Zeus, antike Bildkonvention und die Christologie. In: Natascha Kreutz; Beat Schweizer (Hrsg): Tekmeria. Archäologische Zeugnisse in ihrer kulturhistorischen und politischen Dimension. Beiträge für Werner Gauer. Münster: Scriptorium 2006 [Mai 2007], 1-23.

[6] Zu den verschiedenen Versionen des Satzes Javier del Hoyo: »Nec Deus est nec homo. A propósito de la inscripcion de la portada norte de San Miguel de Estella«. in: Proceedings of the III Hispanic Congress of Medieval Latin. Hrsg. Maurilio Pérez González. Leon 2002, Bd. II, S. 797-802, hier 798f.

[7] Die zahlreichen Stücke aus der Grabung im Bremer Dom, heute restauriert im Dommuseum, s. 22 R 8 Textilien und Grabbeigaben Grab 7_hw (dommuseum-bremen.de) (25.Juni 2022).

[8] Im Herbst 2022 wird es eine spektakuläre Ausstellung im Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museum geben.

[9] Zum handelnden Kunstwerk im Mittelalter Johannes Tripps: Das handelnde Bildwerk in der Gotik : Forschungen zu den Bedeutungsschichten und der Funktion des Kirchengebäudes und seiner Ausstattung in der Hoch- und Spätgotik. Berlin: Gebr. Mann, 1998. Für die Antike Jan N. Bremmer: The Agency of Greek and Roman Statues: from Homer to Constantine. In: Opuscula 6 (2013), 7–21.

[10] Das wird in der Kreuzzugszeit wieder aktuell. Vgl. Boris Gübele: Deus vult, Deus vult. Der christliche heilige Krieg im Früh- und Hochmittelalter. Ostfildern: Thorbecke 2018. (mit meiner Rezension) https://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2018/12/28/guebele-deus-vult/ (28.12.2018). 1235 bzw 1249 hat Alexander Minorita in seinem Apokalypse-Kommentar den Drachen der Apokalypse 12,3 mit Chosroe zusammengestellt (ed. Wachtel MGH-QG 1, 1955, p. 260,14) und aktualisiert auf die Muslime (p. 273,2). Die Wiedergewinnung des Kreuzes und die Eroberung Jerusalems durch die Muslime 638 werden zu einem Ereignis zusammengezogen.

 

Schreibe einen Kommentar