Leonie Exarchos: Lateiner

Leonie Exarchos: Lateiner am Kaiserhof in Konstantinopel.
Expertise und Loyalitäten zwischen Byzanz und
dem Westen (1143–1204).

(Mittelmeerstudien 22)
Paderborn: Schöningh 2022.

ISBN 978-3506760982

 

Vermittler, Trickser, Versager: Die lateinischen Kultur-Makler
am griechischen Kaiserhof im 12. Jahrhundert

Eine Rezension von Christoph Auffarth

Kurz: Für die Vermittlung von Kultur sind Makler (cultural broker) eine wichtige Gruppe. Sie müssen in zwei Kulturen kompetent sein. Leonie Exarchos untersucht diese Gruppe am Kaiserhof in Konstantinopel in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts.

Ausführlich:

Das ist eine spannende Gruppe von Spezialisten, die Lateiner in Konstantinopel am (byzanti­nischen) Kaiserhof in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Denn einerseits zeigte die wechselseitige Exkommunikation und feierliche Verfluchung der Kirchen, der lateinischen Kirche mit dem Anspruch des Bischofs von Rom, über allen Kirchen zu stehen, und der griechisch sprechenden orthodoxen Kirche mit dem Patriarchen von Konstantinopel bzw. den Patriarchen in Konstantinopel, Alexandria, Antiochien und Jerusalem, wie weit sich schon länger die Religionskulturen auseinander entwickelt hatten, bevor es 1054 zum Eklat kam. Andrerseits hatten Lateiner und Griechen immer wieder miteinander zu tun, Konflikte auszutragen, benötigten Hilfe. Das Zeitalter der Kreuzzüge brachte – neben den schon lange in Konstantinopel wie in Venedig, Genau oder Pisa tätigen und wohnenden Kaufleute und Diplomaten – Krieger in die Stadt und in das Reich der Byzantiner. Neben den realen Konflik­ten und Auseinandersetzungen, Privilegien und Verboten, Streit und Nachgeben, war ein Bereich von hohem symbolischem Wert, der Streit um theologische Begriffe und Konzepte. Über die Christologie, das Menschsein des Gottessohns, war der Bruch offiziell begründet worden: Geht der Heilige Geist von Gott Vater aus oder von beiden, Gott Vater ‘und Gott Sohn’ (lateinisch filioque)?[1] In der Praxis waren eher die Rituale Anlass für Argwohn. So werde ich heute noch in Griechenland gefragt, ob wir das Kreuz mit zwei oder drei Fingern schlagen und rechts oder linksherum; die Griechen beenden das Zeichen mit der Hand auf dem Herzen. Hier war es von grundlegender Bedeutung, dass die streitenden Parteien die Argumente der anderen Seite möglichst schon vor dem Streitgespräch kannten. Aber Grie­chisch war den meisten Lateinern unbekannt, besonders die subtilen Begriffe der Theologie, die Griechen machten sich mehr Mühe, aber auch da waren wenige in der Lage, so gut Latein zu können. Hier kommen nun die Experten ins Spiel. Bislang war eine Person aus der Gruppe bekannt, Burgundio von Pisa. Peter Classen, aus einer Gelehrtenfamilie besonders Klassischer Philologen, beherrschte beide Sprachen, Latein und Griechisch, und erforschte als Mediävist die griechisch-lateinischen Beziehungen von Karl dem Großen bis ins Hoch­mittelalter. Seine Abhandlung bleibt ein Muster der Gelehrsamkeit und der beharrlichen Suche.[2] Zusammen mit Hugo Etherianus[3] und seinem Bruder Leo Tuscus, Moses von Bergamo, Paschalis Romanus, Anselm von Havelberg und Johannes Rogerios Dalassenus ist er einer der Hauptpersonen (46-64) in dem Buch von Leonie Exarchos.[4] In der Einleitung diskutiert LE den Gegenstand und die Leitfragen, darunter Kulturtransfer und Migrations­geschichte und – als Teil eines Graduiertenkollegs zu diesem Thema – Experten in der Fremde, Experten für die Fremde (9-31). Als zeitlichen Rahmen nimmt sie die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts, bis mit der Eroberung Konstantinopels durch die lateinischen Kreuz­fahrer 1204 die Rahmenbedingungen sich grundlegend änderten. Ein lateinischer Patriarch wird eingesetzt, der die Religion der Lateiner (des Papstes in Rom) durchsetzt. Hier findet das Motto Anwendung una religio in diversitate rituum (was sich bei Anselm von Havelberg findet). Das ist nicht ein Wort der Religionstoleranz, wie man das gerne Nikolaus von Kues zuschreibt, der dreihundert Jahre später angesichts der Unionsverhandlungen kurz vor der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen den Grundsatz wiederholte. Da geht es nicht darum, dass letztlich alles eine Religion sei, die jede Kultur auf ihre Weise feiert. Vielmehr bedeutet das, dass die eine und einzige Religion (die römische des Papstes) durchgesetzt werden muss und angesichts der lateinischen Herrschaft auch Geltung verschafft werden kann, wenn es auch Variationen geben darf, was Sprache und Rituale angeht.

Nach den Fragestellungen, Begriffen und Methoden diskutiert LE in drei Anläufen deren Wirken: Die Sprache (65-156), die Religion (157-248), die Politik (249-272). Dann folgen noch die Verstetigung des Expertenstatus (273-288) und die Frage der Loyalität, Identifikationen und Konflikte (289-350). Eine deutsche und eine englische Zusammenfassung beschließen die Abhandlung. Der Anhang umfasst das Quellen- und Literaturverzeichnis 22 Seiten, mit ca. 550 Einträgen. Und ein Register der Orte, Namen und Sachen. Die drei Anläufe zeigen in den drei Bereichen, wodurch sich die Experten auszeichneten oder vorgaben, sie hätten die Expertise. Eigentlich waren sie nur Vermittler, konnte aber die Gespräche durchaus lenken. Als ein Verhandlungsführer verlangte, der Experte sollte die Begriffe Wort für Wort wieder­geben, sah der sich außer Stande. Und richtig, für das Übertragen bedarf es nicht nur ein Wort für ein Wort (was bei einem Kauf und Verkauf möglich und nötig ist), sondern Zusammenhänge und kulturelle Differenzen. Dieses Können, in zwei Kulturen denken und der anderen Seite erklären zu können, nennt man auch den Makler/Vermittler zwischen den Kulturen (cultural broker). Sie öffnet aber auch die Möglichkeit, dass der Vermittler die Gespräche manipuliert, für das LE einige Beispiele berichtet. Die drei Anläufe haben aber auch zur Folge, dass die Abhandlung nicht so recht vorankommt, weil immer wieder die gleichen Beispiele behandelt werden. Die Fragen, die man auf den Religionsgesprächen und Unionsverhandlungen diskutierte, sind allerdings auch nicht spezifisch für das Ost-West-Problem. Gerade gleichzeitig stritt man in den Diözesen Passau, Freising und Wien um die richtige Christologie. Das eskalierte ab Herbst 1153 im Kampf zwischen den Modernisten, Schülern von Abaelard und Gilbert von Poitiers, mit der Speerspitze des Magister Petrus in Wien, und den etwas konservativeren, deren Polemik des aufbrausenden Gerhoch von Reichersberg wüste Züge annahm.[5] Es ging um das sehr spekulative Problem des Verhält­nisses der Menschlichkeit zur Göttlichkeit Christi nach seiner Auferstehung. Und Arno von Havelberg war darin involviert. Das hat die gerade erschienene Edition des Scutum Canoni­corum des Arno von Reichersberg deutlich gemacht, war aber auch schon vorher bekannt.[6]

Es ist erstaunlich, wie fast gleichzeitig die Beziehungen zwischen Byzantinern und den Lateinern in verschiedenen Büchern diskutiert werden. Fast gleichzeitig erschien Samuel Pablo Müller: Latins in Roman (Byzantine) Histories: Ambivalent Representations in the Long Twelfth Century (The Medieval Mediterranean 127) 2021. Leiden: Brill 2021 (eine Diss. Zürich bei Claudia Zey und Michael Grünbart). Müller beschreibt aus der Sicht byzantinischer Historiographie. Dort sind die literati (Gebildeten) eine Gruppe, daneben die ambivalente Haltung gegenüber den italienischen Stadtstaaten Venedig, Genua und Pisa, zu Prinzen und Westlern in der Armee. Das Buch endet mit der Bewertung der Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer 1204 und möglichen Allianzen bis hin zum Lob für Friedrich Barba­rossa. Die Experten, von denen LE handelt, sind nicht behandelt (laut Index). Evangelos Stavropoulos: Imperium et sacerdotium. Droit sous l’Empereur Manuel Ier Comnène (1143-1180). Turnhout: Brepols 2022. Die Habilitationsschrift Heidelberg von Dr. Stefan Burkhardt: Mediterranes Kaisertum und imperiale Ordnungen. Das lateinische Kaiserreich von Konstantinopel. Berlin: De Gruyter 2014 behandelt die Zeit nach der Eroberung von 1204 unter der Frage­stellung der Vorstellung von Reich und Ordnung, Unterordnung Konnubium im Spiegel der Rituale unter anderem auch die Frage: Über oder zwischen den Religionen?

Man wünscht sich als Leser einen etwas breiteren Kontext, nicht so eng auf Konstantinopel und die Unionsbemühungen bezogen. Müllers Buch öffnet den größeren Rahmen, umfassen­der auf die Westler im Kaiserreich bezogen. Wie interessant wäre die Figur des lateinischen Patriarchen von Antiochien, der Interesse an Zusammenarbeit zeigt und als Kulturvermittler auftritt, Aimery von Limoges! Die Skizze 198-202 hängt ganz von dem Dankesbrief ab, den Aimery an Hugo Aetherianus schreibt. So konzentriert sich Leonie Exarchos auf die Funktion der Experten, ihre mehr oder weniger kundige Vermittlerrolle, den Versuch, sich unentbehrlich zu machen. Eine wichtige Facette in der von der Mediävistik vorangetriebe­nen Globalisierung der Mediävistik als Mediterranistik.[7]

 

Bremen/Wellerscheid, November 2022                                                    Christoph Auffarth

Religionswissenschaft,
Universität Bremen

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[1] Die lange Vorgeschichte Peter Gemeinhardt: Die Filioque-Kontroverse zwischen Ost- und Westkirche im Frühmittelalter. Berlin: de Gruyter 2002. Ein wichtiger Text ist 2021 ediert: Niketas von Thessaloniki: De processione Spiritus sancti. Ed. Alessandra Bucossi et Luigi D’Amelia. (CCG Corpus Christianorum, series Graeca 92) Turnhout: Brepols. Exarchos nennt ihn 180; 189f. Alessandra Bucossi und Anna Calia: Contra Latinos et adversus Graecos : the separation between Rome and Constantinople from the ninth to the fifteenth century. Leuven: Peeters 2020.

[2] Peter Classen: Burgundio von Pisa. Richter – Gesandter – Übersetzer. (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, PH 1974,4) Heidelberg: Winter 1974 und weitere Aufsätze, die abge­druckt sind in Peter Classen: Ausgewählte Aufsätze. Hrsg. von Josel Fleckenstein. Sigmaringen: Thor­becke 1983, bes. Das Konzil von Konstantinopel 1166 und die Lateiner, S. 117-146.

[3] Zu dessen Buch über die Patarener (möglichen Vermittlern einer Ketzerei) Janet Hamilton (ed.): Hugh Eteriano, Contra Patarenos. (The Medieval Mediterranean 55) Leiden; Boston: Brill 2004. Besprochen von CA Theologische Literaturzeitung 132(2007), 1211-1212.

[4] Leonie Exarchos studierte Geschichte und Politikwissenschaft in Heidelberg und Paris. Als Wissen­schaftliche Mitarbeiterin war sie an der Uni Mainz (Byzantinistik) und im Graduiertenkolleg Göttin­gen. Seit 2021 ist sie Grundsatzreferentin im Referat VII 9 (OZG) des Hessischen Ministeriums des Inneren und Sport. Das Buch ist eine Göttinger Dissertation, betreut vom Mediävisten Frank Rexroth, dem Byzantinisten Johannes Pahlitzsch und Hedwig Röckelein, ebenfalls Göttinger Mediävistin. Den Namen der Autorin kürze ich mit den Initialen ab.

[5] Joachim Ehlers: Otto von Fresing. Ein Intellektueller im Mittealter. München: Beck 2013. Zur Ausein­andersetzung mit Gerhoch 110-115

[6] Mit meiner Rezension (aus der dieser Satz entnommen ist): Leben wie die Jünger, aber nicht als Mönche. Eine Streitschrift aus der Mitte des 12. Jahrhunderts. Arno von Reichersberg: Scutum canonicorum. Edition, Übersetzung, Kommentar. Herausgegeben von Julia Becker. Regensburg: Schnell+Steiner 2022. https://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2022/09/15/reichersberg-scutum-canonicorum/ (15. September 2022).

[7] Eine kleine Bemerkung zum Buch als Buch. In der Tat schätze ich Bücher auf Papier mehr als ‘elek­tronische’ Ausgaben von Büchern der Wissenschaft. Während man Romane mittlerweile ganz gut und mit viel weniger Ballast im Koffer auf einem Lesegerät digital lesen kann, ist das bei wissenschaft­lichen Büchern anders. Im Papier-Buch kann ich zurückblättern auf das Inhaltsverzeichnis, für die Fußnote im Literaturverzeichnis oder Abkürzungsverzeichnis nachschlagen, zurückblättern, finde eine Stelle wieder “rechte Seite oben”. Das digitale Buch verführt dazu, nur noch die Stelle sich suchen zu lassen, die mein Stichwort enthält. In dem Fall dieses Buches erhielt ich es, obwohl vorbestellt, als Book on Demand, das heißt, es wurde gar keine Druckauflage mehr hergestellt, sondern das Papier­buch wird für jeden Besteller oder Bestellerin ausgedruckt und gebunden; etwa vier Wochen dauert das. Kein Lager im Verlag, kein Regal in der Bibliothek; die Covid-Pandemie hat die Entwicklung zum digitalen Buch enorm beschleunigt. Auf den ersten Blick ist dieses Buch ein Qualitätsbuch mit festem Einband, Büttenpapier für das Vorsatz, Staubbändchen, Lesezeichen. Sogar die farbigen Abbildungen im Anhang sind farbig gedruckt. Aber es lässt sich nicht mehr flach aufschlagen, weil es nicht fadengeheftet ist; an einer Stelle ist der Buchblock leicht aufgebrochen. Bei allem Erstaunen, was jetzt möglich ist: Das ist doch eine Qualitätsstufe unter den wissenschaftlichen Büchern etwa vom Verlag Mohr Siebeck, die noch fadengeheftet sind. Aber trotzdem mindestens so teuer.

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