Credo 2

Die Bildsprache des Fra Angelico: Maria im demütigen Erschrecken angesichts der überraschenden göttlichen Botschaft des Engels Gabriel. Marias Jungfräulichkeit, Jesu Empfängnis ohne männliche Zeugung, wird durch die den Garten abgrenzende Bretterwand symbolisiert.
Dieses Bild an der Wand einer Mönchszelle konnte einst der Beschaulichkeit dienen, heute erscheint das zeitgenössische Bild den Sinn zu überlagern.

Ich glaube an Jesus Christus,
seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn,
empfangen durch den Heiligen Geist,
geboren von der Jungfrau Maria.

Glauben an eine Jungfrauengeburt?

Das Symbol des göttlichen Kindes, geboren aus der Jungfrau, ist der Hebräischen Bibel (Altes Testament) nicht bekannt. In der berühmten Immanuel-Wahrsagung des Propheten Jesaja (7,14) ist nur von einer »jungen Frau« (hebr. »alma«) die Rede, die einen Sohn gebären wird, dem sie den Namen »Immanuel« (»Gott mit uns«) gibt. In der griechischen Übersetzung allerdings wird »alma« (fälschlicherweise) mit »parthénos« (»Jungfrau«) wiedergegeben. So ist das Glaubenssymbol der Jungfrauengeburt schließlich in die beiden Kindheitsgeschichten Jesu in den Evangelien von Mattäus und Lukas eingewandert.

Christusglaube im Zeitalter der Psychotherapie

Der Begründer der »Komplexen Psychologie« Carl Gustav Jung (1875-1961) hat sich mit christlichen Glaubenssymbolen befaßt, um sie auf ihre psychischen Tiefenstrukturen hin zu befragen. Seit Urzeiten hätten sich im Unbewußten der Menschen Urbilder eingeprägt, hätten sich Urmuster der Seele, Archetypen, angesammelt, die mit erlebnisstarken Erfahrungen des Menschenlebens im Zusammenhang stehen, wie Geburt, Reife, Liebe, Gefährdung, Errettung und Tod. Die gefühlsbestimmte Bildersprache des Unbewußten drücke sich insbesondere in Mythen, Märchen und Träumen aus.

Nach C. G. Jung zeigt der Archetyp »göttliches Kind, geboren von einer Jungfrau«, auf das Nichterzeugte hin. Der »jungfräulichen« Gestalt steht die Gestalt des Mannes, das heißt die Vernunft, der Verstand, entgegen.

Aus tiefenpsychologischer Sicht deutet der Theologe und Psychotherapeut Eugen Drewermann die Kindheitsgeschichten Jesu als Beschreibung der archetypischen Stadien, die im Leben eines jeden Menschen vorkommen, der sich ganz auf Gott einläßt.

Im Menschen selber liege, wenn er nur auf sein eigenes Wesen hört, das Wunder der jungfräulichen Geburt begründet. Maria, Josef und das Kind, die Magier, Herodes und der Engel, der Stern, die Stadt Jerusalem, Ägypten, Bethlehem und Nazaret seien zu verstehen als Gestalten und Zonen der eigenen Seele, der eigenen Seelenlandschaft. Ein jeder Mensch trage vor Gott die Berufung, in sich selber ein »Eingepflanzter« (Messias) Gottes, ein »Mann aus Nazaret« zu werden.

Solch eine tiefenpsychologische Interpretation der Weihnachtsgeschichte hat ihre Berechtigung, provoziert aber Rückfragen: Habe ich das »göttliche Kind«, meinen Erlöser, wirklich schon in mir selbst, so daß ich mir seiner nur bewußt werden muß, um selber ein »Mann aus Nazaret« zu werden? So erscheint die einmalige und unverwechselbare historische Gestalt Jesu von Nazaret doch allzusehr in die persönliche seelische Befindlichkeit hinein absorbiert zu sein! Dort kann dieser Jesus dann auch immer nur wieder die gleichen, gewiß sehr wichtigen psychotherapeutischen Wahrheiten sagen, die allesamt kreisen um die Befreiung von Angst und Abhängigkeit, um Vertrauen und Liebe und so um die Selbstverwirklichung des Menschen in seinen verschiedenen Lebensstadien von innen her. Wie aber steht es um die historische Wahrheit dieser Geschichte?

Jungfrauengeburt – ein biologisches Faktum?

Bei den beiden Kindheitsgeschichten Jesu in den beiden genannten Evangelien (im Markus- und Johannesevangelium wird nichts über die Geburt Jesu berichtet) handelt es sich – so die heutige Bibelwissenschaft – um historisch ungesicherte, stark legendäre Erzählungen, um theologisch motivierte Bekenntnis- und Verkündigungsgeschichten. Sie besagen: Jesus ist der »Messias« Israels, der neue Mose.

Man kann nicht bestreiten, daß die Jungfrauengeburt ein in der Antike von Ägypten bis nach Indien verbreiteter Mythos ist. Dennoch sind folgende Unterschiede signifikant:

l Der Heilige Geist wird nicht als zeugender Partner oder Vater, sondern als wirkende Kraft der Empfängnis Jesu verstanden.

l Die Ankündigung und Annahme des Empfängnisgeschehens bei Maria vollzieht sich in einem völlig unerotischen, vergeistigten Kontext, im Wort, ohne eine Vermischung von Gott und Mensch. Maria erscheint als begnadetes Menschenwesen.

Diese Erzählung ist kein Bericht von einem biologischen Faktum, sondern ist die Deutung von Wirklichkeit mit Hilfe eines Ursymbols. Ein sehr sinnträchtiges Symbol für die Aussage: Mit Jesus ist von Gott her ein wahrhaft neuer Anfang gemacht worden. Ursprung und Bedeutung von Jesu Person und Geschick erklären sich nicht alleine aus dem innerweltlichen Geschichtsablauf, sondern sind für den glaubenden Menschen letztlich aus dem Handeln Gottes zu verstehen.

Die politische Dimension von Weihnachten

In der Weihnachtsgeschichte liegt der Kern einer Befreiungstheologie:

  • Krippe, Windeln sind konkrete Signale aus einer Welt der Niedrigkeit und Armut.
  • In den Hirten wird eine Parteinahme für die Namen- und Machtlosen offenbar.
  • Das Magnifikat Marias kündet kämpferisch eine Erhöhung der Niedrigen, eine Umwertung der bestehenden Rangordnung an.
  • Das Krippenkind trägt bereits das Zeichen des Kreuzes auf der Stirn.
  • In den Verkündigungsszenen wird nicht dem römischen Kaiser, sondern (dem Kind) Jesus der Titel Herr und so die Herrschaft zugesprochen.
  • Gegen die trügerische, durch Unterdrückung der Minderheiten zustande gekommene Pax Romana wird die Pax Christi angekündigt: eine Neuordnung der zwischenmenschlichen Beziehungen im Zeichen der Menschenfreundlichkeit Gottes und des Friedens unter den Menschen.

Die Mitte des Evangeliums bilden nicht die Vorgänge um die Geburt Jesu. Die Mitte ist er selber, Jesus Christus in seinem ganz persönlichen Reden, Tun und Leiden. Unbestritten eine Figur der Geschichte: Jesus von Nazaret. Dieser Jesus unterscheidet sich nicht nur von allen Gestalten der Mythen, Sagen, Märchen und Legenden, sondern auch von anderen Figuren der Religionsgeschichte, ob Mose, Muhammad, Konfuzius oder Krishna.

Doch als Alternative zu Jesus von Nazaret erscheint besonders jene andere große Gestalt der indischen Geschichte, die dort im 5./4. Jahrhundert v. Chr. »das Rad der Lehre« in Bewegung gesetzt hat: der Buddha Gautama, der immer wieder Herausforderung an unser Denken ist.

Wie »der Christus«, »der Gesalbte«, so ist auch »der Buddha«, »der Erleuchtete, der Erwachte« ein Würdename, ein Hoheitstitel. Als »Gott« dagegen hat Buddha Gautama sich ebensowenig bezeichnet wie Jesus, der Christus.

Was Jesus und Gautama verbindet

Beide sind anspruchslose Wanderprediger, die ihre Verkündigung in der Umgangssprache und in Kurzgeschichten und Gleichnissen ausdrücken. Sie appellieren an die Vernunft und die Erkenntnisfähigkeit des Menschen. Als die großen Versuchungen erscheinen ihnen Raffgier, Macht, Verblendung. Durch kein Amt legitimiert und in Opposition zur religiösen Tradition und deren Hütern, hatten beide einen Jüngerkreis um sich versammelt.

Ihre Autorität gründet in der außerordentlichen Erfahrung einer letzten Wirklichkeit. Sie verkünden eine frohe Botschaft (das »Dharma«, das »Evangelium«), die von den Menschen ein Umdenken und Vertrauen fordert. Nicht an einer philosophischen Welterklärung interessiert, gehen sie aber von der Vorläufigkeit und Vergänglichkeit der Welt aus, und sie leben einen Weg der Erlösung vor, zu dem keine besonderen Voraussetzungen gehören.

Ihr Weg ist ein Weg der Mitte zwischen den Extremen der Sinnenlust und der Selbstquälerei, der eine neue Zuwendung zum Mitmenschen ermöglicht (Mitleid, Liebe).

Was Jesus und Gautama unterscheidet

Trieb es Gautama zur Flucht aus seiner adligen Großgrundbesitzerfamilie, so stammte Jesus aus bescheidenen Verhältnissen. Jesus wandte sich nicht primär an die von der Zivilisation übersättigten Zeitgenossen, sondern an die Mühseligen und Armen, weil diese für eine andere Wirklichkeit noch eine Offenheit bewahrt haben. Jesus war auch kein Mönch, er war der Meister in einer alternativen Lebensgemeinschaft von Jüngern und Jüngerinnen ohne Ordenskleid und Ordensregeln. Die Welt war für Jesus die gute, wenngleich vom Menschen immer wieder verdorbene Schöpfung. Nie beruft Jesus sich auf ein eigentliches Erleuchtungserlebnis zum Aussteigen aus einem Kreislauf der Geburten.

Der Buddha Gautama ist ein harmonisch in sich ruhender Erleuchteter und Wegweiser aus mystischem Geist und verkörpert ein universales Mitleid und friedvolles Wohlwollen.

Der Christus Jesus aber ist ein leidenschaftlich ergriffener Gesandter und Wegweiser aus prophetischem Geist, eine universale Liebe und aktive Wohltätigkeit verkörpernd. Der entscheidende Unterschied aber ist:

l Die Figur des lächelnden Buddha auf einer Lotusblüte zeugt von Gautama, der, weil er die Welt in ihrer Nichtigkeit durchschaute, gelassen, harmonisch und erfolgreich, angesehen bei den Mächtigen, friedlich im Alter von 80 Jahren schied.

Der ans Kreuz genagelte, leidende Jesus zeugt von einem Verachteten und Verfluchten, einem nach kurzer öffentlicher Tätigkeit im Alter von 30 Jahren in Einsamkeit unter größter Qual Hingerichteten: das Bild des Leidenden schlechthin! Dieses Leiden wurde allerdings schon von den ersten christlichen Gemeinden nicht als schiere Verzweiflung eines Gescheiterten verstanden, sondern als ein Akt höchster Hingabe, letzter Liebe zu Gott und den Menschen.

Hat Gott einen Sohn?

Von diesem Gekreuzigten und keinem anderen heißt es: »Ich glaube an Jesus Christus, Gottes ›eingeborenen‹ Sohn.« Denn es ist von Anfang an die Überzeugung der ersten Christusgemeinde: Dieser Christus ist nicht ins Nichts gefallen, sondern ist aus der vergänglichen Wirklichkeit in das wahre, ewige Leben Gottes eingegangen.

Soweit wir heute wissen, hat Jesus sich nie Gott genannt. Erst nach seinem Tod und nach bestimmten Erfahrungen hat die glaubende Gemeinde angefangen, den Titel »Sohn« oder »Sohn Gottes« für Jesus zu gebrauchen.

Diese Glaubensaussage ist wohl begründet:

  • Jesus lebte aus einer innigen Gottesverbundenheit. Er lehrte Gott als den Vater aller anzusehen (»Vater unser«) und hat Gott selbst Vater genannt (»Abba, lieber Vater«).
  • Aus der jüdischen Messiaserwartung heraus und aufgrund der Thronbesteigungspsalmen, nach welchen der König im Moment der Thronbesteigung zum »Sohn Gottes« eingesetzt wurde, war es damals leicht, den vom Tod erweckten Gekreuzigten als »Sohn Gottes« zu verstehen. Der Auferstandene ist nun bei Gott: »Er sitzt zur Rechten des Vaters.«

Das Glaubenssymbol »Sohn Gottes« meint demnach nicht eine physische Gottessohnschaft, wie in den hellenistischen Mythen und wie von Juden und Muslimen bis heute oft angenommen und zu Recht verworfen. Gemeint ist eine Erwählung und Bevollmächtigung Jesu durch Gott. Dies im Sinn der Hebräischen Bibel, wo bisweilen auch das Volk Israel kollektiv »Sohn Gottes« genannt wird.

Der Sinn von Inkarnation

In diesem historischen Menschen Jesus von Nazaret haben Gottes Wort, Wille, Liebe menschliche Gestalt angenommen. In all seinem Reden, Verkündigen und Verhalten, in seiner ganzen Person hat der Mensch Jesus des einen Gottes Wort und Willen verkündet, manifestiert, geoffenbart. So ist er in menschlicher Gestalt Gottes Wort, Bild, Sohn.