Buch des Monats Januar 2015: Eine Ärztin in Pakistan

Rz-Pfau-LepraRuth Pfau: Leben ist anders. Lohnt es sich? Und wofür?
Bilanz eines abenteuerlichen Lebens

Freiburg u.a.: Herder 2014, 256 S. — ISBN 978-3-451-33289-0 —

Pakistan wird immer wieder von Terrormeldungen und Selbstmordattentaten erschüttert. In diesem Buch zieht die Ordensschwester und  Ärztin Ruth Pfau Bilanz, indem sie nach dem Sinn des eigenen Lebens und nach dem Sinn eines (christlichen) Engagements für den Nächsten fragt. Die Begegnung mit Leprakranken in einem Elendsviertel in Karachi wurde für ihr Leben bestimmend. Die Gründung des Marie Adelaide Leprosy Centre (MALC) wurde schließlich in Pakistan zu einer anerkannt herausragenden Gesundheitsinstitution. Hinzu kamen ein Kontrollprogramm zur Eindämmung der Tuberkulose und Gesundheitsinititiven gegen die in Pakistan verbreitete Blindheit.

Ihre „Arbeit am Menschen“ hat zugleich eine interreligiöse Komponente. Sie merkte gerade in dem von vielen religiösen und ethnischen Spannungen geprägten Pakistan, wie schnell Hass und Gewalt aufkommen.  Ruth Pfau hat immer größten Wert darauf gelegt, unbewaffnet zu sein, weil Waffen Konflikte nur verschärfen (S. 160). Ihr Vorbild ist Jesus. Wie er mit den Kranken und Ausgegrenzten umging, ist ihr immer wieder Mut machendes Vorbild. So erfährt ihre Sicht des Glaubens eine konfessionelle Entgrenzung

Angesichts der brutalen Konflikte weltweit, aber auch im Zusammenhang mit den vielen furchtbaren Anschlägen in Pakistan selbst, wird ihr Buch zu einem ermutigenden Friedenszeugnis. Diese Lebensbilanz lädt zum helfenden Eingreifen ein, wo immer Menschen durch Krankheit, Armut oder Verfolgung bedroht sind.

Ausführliche Beschreibung des Buches: hier

Reinhard Kirste

Rz-Pfau-Lepra, 31.12.14   Creative Commons-Lizenz

Vertiefter Dialog – für (inter-)kulturelle Transformation

LeRz-Swidler-Dialogueonard Swidler: Dialogue for Interreligious Understanding.
Strategies for the Transformation of Culture-Shaping Institutions.
New York /London: Palgrave: Macmillan 2014, 212 S., Index — ISBN 978-1-137-47119-2 —

Mit diesem Band verdeutlicht Leonard Swidler (geb. 1929), welche Ziele er von Anfang an verfolgte, als er den interreligiösen Dialog zu seinem Forschungs- und Lebensschwerpunkt machte. Der katholische Theologe lehrt seit 1966 an der Temple University in Philadelphia (USA) „Catholic Thought and Interreligious Dialogue). Er hat nicht nur die renommierte Zeitschrift Journal of Ecumenical Studies (zusammen mit seiner Frau Arlene) gegründet, sondern auch das Dialogue Institute, dessen Präsident er seitdem ist, und das er derzeit in ein internationales Netzwerk von Dialog-Instituten einbindet. Len Swidler hat viele Bücher geschrieben bzw. mit anderen Theologen und Religionswissenschaftlern herausgegeben. Als Gastprofessor hat er an vielen Universitäten weltweit Vorlesungen gehalten und tut dies immer noch.

Dieses Buch verbindet vieles von dem Bisherigen im Sinne einer „hilfreichen Kombination“ von theoretischen Ideen und praktischen Projekten (S. 3). Es ist ein Dialog über den Dialog. Das macht zugleich den Reiz der hier vorliegenden Texte aus. Einige hatte Swidler schon früher veröffentlicht. Sie sind nun teilweise überarbeitet und sollten als Einladung für einen vertieften Dialog verstanden werden. Diesen beschreibt Swidler zugleich als einen Weg, in dem kritisches Denken, emotionale Intelligenz und sich gegenseitig anspornende Kooperation zusammenkommen. Die Texte aus diesem Buch spiegeln darum die verschiedenen Aspekte von „deep dialogue“ und können als dialogisch-biografische Bilanz verstanden werden, die sich aus 60 Jahren Arbeit interreligiöser Begegnung ergeben haben. In seiner „Conclusion“ wünscht sich Swidler, dass die von ihm hier bilanzierten Gedanken nicht nur visionär wirken mögen, sondern dazu führen, dass viele Menschen diese miteinander im Sinne einer Global Business-Ethik teilen. Angesichts all der brutalen Konflikte und des unsäglichen Leids vieler Menschen wäre zu wünschen, dass sich viele Einzelne, aber auch Städte und Staaten bewusst auf diesen “Deep Dialogue” einließen. Von daher erscheint es geradezu dringend, dass dieses Buch auch in anderen Sprachen und bald in Deutsch erscheinen könnte.

Ausführliche Beschreibung: hier

Reinhard Kirste

Rz-Swidler-Dialogue, 30.12.14    Creative Commons-Lizenz

 

Engagement für Befreiung im Buddhismus und im Christentum

Rz-Lukoschek-Ethik-BuddhBarbara Lukoschek: Ethik der Befreiung.
Engagierter Buddhismus und Befreiungstheologie im Dialog.

Beiträge zur Komparativen Theologie, Band: 16.
Paderborn: Schöning 2013, 397 S.       
(zugleich Diss. der Kath. Fakultät der Universität Tübingen 2012)
— ISBN 978-3-506-77875-8 —

Die vorliegende Dissertation setzt den Fokus auf die ethische und soteriologische Systematik, wie sie sowohl in der (lateinamerikanischen) Befreiungstheologie und in den Positionen des Engagierten Buddhismus zum Ausdruck kommen. Nach einer ausführlichen Beschreibung dieser Ansätze zieht sie einen Vergleich der Positionen P.A. Payutto mit Aloysius Pieris sowie Karl-Heinz Brodbeck mit Franz Josef Hinkelammert.

Als Bilanz hält sie fest, dass sowohl Christen wie Buddhisten gegenseitig ethisch und spirituell von einander lernen können und sollten. Dies präzisiert sie mit den beiden Komplementaritätspaaren „Gnosis und Agape“ (Erkenntnis/Wissen und Liebe) sowie „Freiheit und Hingabe“, die eine interreligiöse Brücke zwischen (engagiert-) buddhistischem Selbstverständnis und christlich-befreiungstheologischen Ansätzen bilden. Solche Ethiken der Befreiung bieten offensichtlich eine realistische Hoffnungsperspektive in einer Welt, in der neoliberale kapitalistische Tendenzen sich global auf Kosten eines großen Teils der Mneschheit breit machen. Barbara Lukoschek hat für notwendige gesellschaftliche Veränderungen interreligiöse Beweggründe offen gelegt. Dies kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.

13.04.14

Buch des Monats März 2014: Leuchtpunkte jüdischer Philosophie

Rz-Starobinski-Jud-PhilEsther Starobinski-Safran: Essais de philosophie juive.
Paris: Albin Michel 2014, 256 S. — ISBN 978-2-226-25387-3 —

Ausführliche Besprechung: hier

Die jüdische Philosophie spielt seit der Antike eine wesentliche Vermittlungsrolle im Mittelmeerraum. Sie hat auch wichtige Impulse für die Geisteskultur Europas und Deutschlands gesetzt. Esther Strarobinski-Safran, Tochter des Hauptrabbiners Alexandre Safran von Genf (1910-1948),   steckt mit den vorliegenden Essays entwicklungsgeschichtlich entscheidende Markierungspunkte der jüdischen Philosophie in 20 Jahrhunderten ab. Diese haben auch die politische Geschichte zum Teil nachhaltig beeinflusst.
Das Erstaunliche eines solchen Ganges am „Geländer“ großer jüdisch-philosophische Protagonisten sind die die Konvergenzen der hier vertretenen DenkerInnen – und dies trotz großer Zeitunterschiede. Diese Beziehungsnähe bewegt sich im Spannungsfeld von Vernunft und Offenbarung unter den philosophisch-theologischen Voraussetzungen des Monotheismus und in Bezug auf Einheit und Einzig(artig)keit Gottes.

Sie stellt im Einzelnen vor:
Philo von Alexandrien (um 15 v. Chr. bis ca. um 40 n. Chr.), das Buch Keter Malkhut (= die Krone des Königtums) von Ibn Gabirol (1021/22–1057), Moses Maimonides (1135/1138 –  1204 in Kairo), Benedikt (Baruch) Spinoza  (1632–1677), Hermann Cohen (1842–1918), Hannah Ahrendt (1906–1975), Moses Mendelssohn (1729-1786),  Franz Rosenzweig (1886–1929), Eugen Rosenstock-Huessy (1888–1973), Martin Buber (1878–1965 , Emmanuel Levinas (1906–1995),   Alexandre Safran (1910–2006) und Abraham Joshua Heschel (1907–1972)

Dieses Buch ist keine systematische Philosophiegschichte; es sind bewusst Essays. Aber diese Auswahl wirkt wie eine historische Lichterkette, deren Leuchtpunkte jüdische Philosophinnen und Philosophen sind, die in der Spannung von Vernunft und Offenbarung ein Gottesbild zeichnen, in dem Grenzen überschreitende Barmherzigkeit und Liebe im Zentrum des Denkens steht. Hier eröffnen sich interreligiöse Horizonte, zu denen jüdische Denker seit der Antike Wesentliches beigetragen haben. Es wäre schön, wenn es dieses Buch auch als deutsche Übersetzung gäbe.

Reinhard Kirste


Rz-Starobinski-Jud-Phil, 28.02.14      Creative Commons-Lizenz

Der Moderator und der Tod

Jürgen Domian:  Interview mit dem Tod.
Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2012, 4. Aufl., 174 S. — ISBN 978-3-579-06574-8

Ausführliche Rezension: hier

Der Journalist Jürgen Domian (geb. 1957) ist durch seine „Telefon-Nächte“, die er im Studio mit Anrufern verbrachte, im Grunde zum Radio-Seelsorger geworden. Durch diese in die Tausende gehenden Gespräche seit 1995 ist er sehr bekannt geworden, besonders über den WDR-Hörfunk 1 LIVE. Aber nun erfolgt eine Zwischenbilanz zu den oft noch als Tabu behandelten Themen – Krankheit, Schmerzen, Sterben, Tod, Sterbehilfe.

Beim Lesen eröffnen sich auch die biografischen Schritte des Medienmannes. Sie führten ihn aus einer konservativ christlichen Phase zur Ablehnung alles Religiösen und in einen konsequenten Atheismus. Dieser trug allerdings wiederum Züge von Glaubensüberzeugungen, die er in ihrer Problematik zuerst nicht wahrnahm. Auch die Auseiandersetzung mit philosophische Antworten blieben für ihn weitgehend unbefriedigend
Erst die bewusste Wahrnehmung der eigenen Sterblichkeit und die  existentiell nicht mehr abzuweisenden Fragen von Sterben, Tod und möglichen Jenseits zwangen ihn umzudenken.  Die Gesprächsprotokolle seines fiktiven Interviews mit dem Tod
sind in nachdenklich machende Anmerkungen eingebunden.

 Bei allen auch herausfordernden Formulierungen Domians erscheint der Tod keineswegs unmenschlich, dies zeigen seine respektvollen Beschreibungen zu Sterbehospizen und zur Palliativmedizin. Das Buch ist eine Einladung, die eigenen Sinne „für die Mysterien der Welt [zu] schärfen“ (S. 152) – Ewigkeit in der Zeit und jenseits der Bedingungen von Zeit. Es wäre zu wünschen, dass gerade junge Leute sich auf diese Existenzfragen  einlassen, um dadurch ihre Zukunft glücklicher zu leben.

Reinhard Kirste

Ausführliche Rezension: hier

Rz-Domian-Tod, 26.10.12

 

Buch des Monats August: Abbé Pierre – wahres Leben angesichts des Todes

Abbé Pierre: Was ist das, der Tod? Ein Gespräch über den Sinn des Lebens.

Aus dem Französischen von Bruno Kern.

Innsbruck-Wien: Tyrolia 2012, 77 S.

— ISBN 978-3-7022-3200-9 —

Französisches Original: C’est quoi la mort? Livre didactique destiné aux enfants, utilisé aussi dans l’apprentissage de la langue française. Paris: Albin Michel 1999.

 Ausführliche Besprechung: Hier

 Der 2007 verstorbene Abbé Pierre hätte in diesem Jahr am 5. August seinen 100. Geburtstag gefeiert. Nicht nur in Frankreich, sondern weltweit ist er als „Vater der Armen“ zu einer Institution gelebter Nächstenliebe geworden. In diesem kleinen Büchlein äußert sich der 87Jährige im Gespräch mit jungen Leuten über den wahren Sinn des Lebens – und zwar im Spiegel von Sterben, Tod, Trauer und Hoffnung auf ein Leben jenseits. Dies alles ist mit vielen Beispielen aus seinem erfüllten Leben angereichert.

 Wofür ist es nun gut, an Gott zu glauben? „Man muss überzeugt sein, dass er [Gott] nichts als das Gute für die Menschen will, aber dass dieses Glück von uns abhängt“ (S. 75). Kein Wunder, dass aus solcher Glaubenskraft heraus immer wieder in diesen Antworten das praktische „Herzthema“ des Abbé Pierre durchschimmert: Die Bewegung Emmaus. So wird dieses Büchlein zur Anfrage an jeden Einzelnen, wofür es sich lohnt, aktiv zu leben – angesichts des unausweichlichen Todes. Abbé Pierre hat so gehandelt, wie es das kreative Genie Steve Jobs auch ausdrückte: „Der Tod ist ein Motor des Wandels“ (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Steve_Jobs).

Aus diesem Grunde ist dieses Büchlein so empfehlenswert!
                                                                                                                                                       Reinhard Kirste

31.07.2012

Sterben und Tod – ein Handbuch mit umfassender Orientierung

Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.): Sterben und Tod
Geschichte – Theorie – Ethik. Ein interdisziplinäres Handbuch.
Unter Mitwirkung von Klaus Feldmann, Udo Tworuschka und Joachim Wittkowski.
Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler 2010, IX, 389 S., 3 Tabellen, Personen- und Sachregister –
ISBN 978-3-476-02230-1

Zum Kulturen und Zeiten übergreifenden Themenbereich „Sterben und Tod“ liegt hier zum ersten Mal im deutschen Sprachraum ein systematisch aufgebautes, geradezu enzyklopädisches Handbuch vor. Es ist ein wissenschaftlich umfassend aufbereitetes Werk, wie im Anhang die Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats und die in ihrem jeweiligen Fachgebiet kompetenten Autoren beweisen. Es ist jedoch noch mehr: Ein Orientierungskompendium für all jene, die sich mit den Lebensfragen und Verhaltensweisen an der Grenze zum Tod und für ein mögliches Danach intensiver befassen wollen. 

So werden zum Einen  wichtiger Schlüsselbegriffe und damit entscheidende Fragen aufgegriffen, z.B.: Wie sieht humanes Sterben aus? Wann ist ein Mensch wirklich tot? Welche Auswirkungen haben rechtliche Vorgaben gegen Ende und am Ende des Lebens? Warum gibt es Menschenopfer der unterschiedlichsten Art?

Zum Andern werden hier nicht nur die religiös-kulturellen, medizinischen, psychologischen, ethnischen Zusammenhänge sowie der rasante Fortschritt in der Medizintechnik angesprochen, sondern auch die Veränderung der Umgangsweisen mit Sterben und Tod zwischen Tabuisierung, Verdrängung aus der Öffentlichkeit und Wiederaufbrechen einer neuen Sterbe- und Friedhofskultur.

Ausführliche Rezension: hier

 

Hiob – Leiden und Gerechtigkeit

Markus Witte (Hg.): Hiobs Gestalten. Interdisziplinäre Studien zum Bild Hiobs in Judentum und Christentum. Studien zu Kirche und Israel (Hg.: Institut Kirche und Judentum), Neue Folge 2.
Leipzig. EVA 2012, 157 S., zahlreiche Abbildungen., Register
ISBN 978-3-374-03013-2
Der Leiter des Instituts für Kirche und Judentum und Alttestamentler an der Humboldt-Universität Berlin, Markus Witte,hat zusammen mit Fachleuten der biblischen Exegese, der Religionswissenschaft, der Religionspädagogik und Kunstdidaktik sowie einer Bildhauerin die facettenreiche Gestalt des Hiob interdisziplinär herausgehoben. Er hat dies authentisch-dialogisch durch die Einbeziehung von Chaim Z. Rozwaski, dem Präsidenten der Berlin Yeshiva Academy und Rabbiner der orthodoxen Lev Tov-Synagoge verstärken können. Die Beiträge „bilden“ einen Zwischenstand ab, nämlich im Kontext eines Hiob-Symposiums anlässlich des 50jährigen Bestehens des renommierten Instituts für Kirche und Judentum – Zentrum für christlich-jüdische Studien an der Humboldt-Universität Berlin. Der Band ist zugleich der mit 36 Jahren verstorbenen jüdischen Religionswissenschaftlerin Francesca Yardenit Arbertini gewidmet. 
Hiob spielt sowohl im Judentum wie im Christentum eine bedeutende Rolle, übrigens auch im Islam, worauf im Buch allerdings nur Francesca Y. Albertini eingeht (vgl. z.B. Navid Kermani: Der Schrecken Gottes. Attar, Hiob und die metaphysische Revolte. München: C.H. Beck 2005). Insgesamt gelingt es, eine gemeinsame Deutungs-Basis zu legen: Die Gestalt des Hiob stellt menschlich erfahrene Grundmuster des Lebens zwischen Erfolg und Unglück dar. Das Buch Hiob führt „in einen seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. im alten Vorderen Orient literarisch artikulierten Diskurs über göttliche und menschliche Gerechtigkeit, über die Leistungsfähigkeit von Weisheit, über die Wege der Gotteserkenntnis und über die Bewältigung existentieller Krisen“ (S 5).
Die wesentlichen literarischen und theologischen Fragen des biblischen Hiobbuches werden nun in ganz unterschiedlicher Weise angegangen: Der Göttinger Alttestamentler Hermann Spieckermannspannt seinen Beitrag in das thematische Dreieck von Wunden – Wunder – Weisheit. Von den entscheidenden Wundern Gottes bleiben selbst die Weisesten ausgeschlossen, und Gott ist in seiner Erkenntnislosigkeit zu fürchten (S. 28). Das machen besonders die Elihu-Reden des Hiobbuches deutlich. Auch Tanja Pilger von der Humboldt-Universität Berlin untersucht das hinter den Elihu-Reden (Hiob 32-37) stehende Bild eines sich offenbarenden Gottes, der durch Visionen, Träume und Leiden; aber auch durch gnädige Zuwendung erzieht. Der Herausgeber Markus Witte selbst bezieht sich auf die jüdische Auslegung im Hiob-Targum, um von daher Hiob in die Erzväter-Tradition Israels einzuordnen und dann neutestamentlich den Bogen Hiob – Adam – Christus zu spannen. Dadurch wird auch die Verbindung zur altkirchlichen Hiob-Auslegung erhellt, die es einzelnen Kirchenvätern erlaubt, Hiob als Vater der gesamten Menschheit zu sehen.
Der von der verstorbenen Francesca Y. Albertiniaufgenommene Beitrag konzentriert sich auf wenige Verse in Hiob 2 – die berühmte „Wette“ zwischen Gott und Satan. Sie zeigt dies im Kontext der jüdischen Philosophie im Mittelalter und in der Neuzeit. Darum geht sie den religionsgeschichtlichen Ursprüngen des Hiob-Prologs nach. und hebt zugleich die Verbindung zur islamischen Hiob-Auslegung (besonders der Mu’taziliten) hervor. Drei Autoren stehen im Mittelpunkt. Für das Mittelalter Sa’adya Gaon, der in Satan den aristotelischen Philosophen sieht, während Martin Buber und Franz Rosenzweig als Vertreter der Neuzeit im Satan die negative Kraft „personifiziert“ erkennen, die Vernunft und ethisches Handeln vernichten. Und es bleibt besonders nach der Shoah die Frage: „Wenn Gott nach Gerechtigkeit handelt, was ist der Sinn des Prologs?“(S. 74).
Der Präsident der konservativen Yeshiva-Akademie Chaim Z. Rozwaski geht unter den Gesichtspunkten von Trauer und Leiden auf die Zeitlosigkeit der Hioberfahrungen ein. Gerechte und Unschuldige sind vom Leiden nicht ausgenommen, was die Freunde (Hiobs) oft genug missverstehen. Hilfsbedürftigen muss bedingungslos Hilfe erwiesen werden – das ist Gottes Wille. Der Frankfurter Kunsthistoriker Martin Büchsel untersucht das Hiob-Salomo-Portal in Chartres auf seine Programmatik: „Hiob und der Weltenrichter werden im >Schmerzensmann< eins“ (S. 87). Die Intentionen der Auftraggeber scheinen darin zu gipfeln: „Hiobs Klage wird zur Klage Christi über die Qual seiner Passion … Die Klage verwandelt sich in die Aufforderung zur compassio, in das Bewusstsein, dass jedes Dulden nur ein Spiegel des Duldens Christi sein kann“ (S. 104). Die beigefügten Bilder von Dürers Schmerzensmann, über Ausschnitte des kommentierten Portals in Chartres und andere Kathedralfiguren bis hin zu entsprechenden Szenen in biblischen Buchmalereien signalisieren damit heilsgeschichtliche Wirkung.
Mit einer imaginären Gottesverfluchung, die die Hiobgestalt dramatisch zuspitzt (so im Roman von Joseph Roth (1894-1939) eröffnet Georg Langenhorst ein teilweise beklemmendes Panorama der Hiob-Literatur im 20. Jahrhundert. Der katholische Religionspädagoge von der Universität Augsburg lässt bekannte und weniger bekannte (deutsche) Schriftsteller mit jüdischen Wurzeln und oft expressionistischer Ausprägung Revue passieren. Einige werden besonders hervorgehoben. Das Hiobprojekt von Margarete Susman (1872-1966) verknüpft sich durch die Ereignisse zwischen 1933-1945 unmittelbar mit dem Schicksal des jüdischen Volks. Exil und Vernichtung werden zu Schicksalszeichen, die sich in die jüdische Literatur eingraben. Mascha Kaléko (1912–1975) kommt mit dem Gedicht „Enkel Hiobs“ zu Worte, Karl Wolfskehl (1869–1948) beschreibt sich selbst in der Typik Hiobs. Auch für Yvan Goll (1891–1950) wird Hiob zur autobiografischen Deutefigur. Offensichtlich angeregt durch ein Gespräch mit Nelly Sachs in Zürich (Mai 1960) sieht der Lyriker Paul Celan (1920–1970) die Shoa im Zeichen Hiobs und die Fast-Un-Möglichkeit des Glaubens an Gott nach Auschwitz. Mit dem Widerspruch eines sich nicht unterwerfenden und für menschliche Gerechtigkeit einstehenden Hiob bei Elie Wiesel (1925–2009) werden Fragen verschärft, die von jüdischen Theologen, Psychologen und Schriftstellern, immer wieder an die Hiob-Deutung im Kontext der Shoa gestellt werden.
Dies ist ein notwendiges und nachdenklich machendes Buch, dessen Stärke in besonderer Weise darin liegt, wie die verschiedenen Denker/innen das Bild Hiobs exegetisch aktualisierend oder mit künstlerischen Stilmitteln aufleuchten lassen. Die Autor/innen leisten damit einen wichtigen Beitrag zum christlich-jüdischen Dialog.
Reinhard Kirste
Rz-Witte-Hiob, 14.03.12