Buch des Monats Mai 2013: Macht und Ohnmacht der Religionen

Rz-Boberski-WeltmachtHeiner Boberski / Josef Bruckmoser: Weltmacht oder Auslaufmodell.
Religionen im 21.Jahrhundert
.
Innsbruck-Wien: Tyrolia 2013, 222 S.
— ISBN 978-7022-3239-9 — auch als E-Book erhältlich

Ausführliche Beschreibung: hier

 Die beiden Journalisten und zugleich theologisch kompetenten Sachbuchautoren Heiner Boberski (Wiener Zeitung) und Josef Bruckmoser (Salzburger Nachrichten) nehmen sich in leicht lesbarer, aber keineswegs populistischer Form den Schwankungsfeldern von Religion an. Sie konstatieren für die Gegenwart Ablehnung von (organisierter) Religion einerseits und neue religiöse, oft seltsame Phänomene andererseits. Ihre Einschätzungen sichern sie immer wieder mit statistischen Belegen ab. Hinzu kommen medienwirksame Auftritte religiöser Persönlichkeiten wie die des Dalai Lama und der Päpste. Darum lohnt sich ein genaueres Nachschauen, denn: „Die religiöse Weltkarte ist … im Lauf der Geschichte nie über längere Zeit stabil geblieben … “ (S. 20).

Letztlich wirken Religionen am intensivsten und überzeugendsten mit ihrer dialogischen Friedensmacht, immer wieder geprägt durch Vorbilder des engagiert gelebten Glaubens. So gesehen sind sie keineswegs ein Auslaufmodell. Wichtig aber bleibt, dass nicht immer wieder religiös motivierte Brutalität, diese Versöhnungskräfte diskreditiert. Das vorliegende Buch stellt angenehmerweise nicht nur Fragen oder referiert Gesellschaftsanalysen, sondern zeigt, wie Religionen als Brücken einer gerechten und solidarischen Zukunft der Menschheit dienen können – eine schöne Verbindung und ein wichtiger Aufruf zu respektvoller Verbindlichkeit gegenüber allen Andersglaubenden. Es ist ein Buch, dem man viele Leser wünschen möchte.

Reinhard Kirste 

Rz-Boberski-Weltmacht, 27.04.13

 

 

Buch des Monats April 2013: Faszination des Meisters

Rz-Renger-MeisterAlmut-Barbara Renger (Hg.): Meister und Schüler in Geschichte und Gegenwart.
Von Religionen der Antike bis zur modernen Esoterik.

Göttingen: V & R unipress 2012, 486 S., Namen- und Sachregister
— ISBN 978-3-89971-648-1 —

Hintergrund dieses Buches ist ein Forschungsprojekt an der Freien Universität Berlin zwischen 2009 und 2011 unter dem Thema “Meister und Schüler: Tradition – Transfer – Transformation” unter der Leitung der Professorin für antike Religion und Kultur, Almut-Barbara Renger. Die mit den genannten Stichworten angesprochenen Beziehungen führen in ganz unterschiedliche kulturelle, religiöse, historische und soziale Kontexte. Dadurch dass faktisch ein großer geschichtlicher Bogen von der antiken griechischen Tradition bis in die esoterischen Strömungen des 21. Jahrhunderts geschlagen wird, ergibt sich ein weitreichendes, faszinierendes Bild von Kontinuitäten und diversen Brüchen im Meister–Jünger/Lehrer–Schüler-Verhältnis.  Diesen Traditionsveränderungen nachzugehen, stellen die international kompetenten Fachautoren an jeweils einem Zeitabschnitt dar. So treten vor die Lesenden im Umfeld verschiedener Religionen eine Fülle von religiösen Bewegungen, und zwar mit entsprechenden Gemeinschaftsformen, mit der Herausbildung von Führungspersönlichkeiten und Schülerkreisen zwischen Charisma, Intellektualität, (Lehr-)Autorität und Spiritualität. Auf mögliche abweichende Verständnisse generell bei Meisterinnen und Jüngerinnen geht der Band nicht ein.

Es ist erstaunlich, wie vielfältig sich die Meister–Schüler–Beziehungen in Europa entwickelt haben. Dieses Buch gibt dafür wesentliche Einblicke.

Weiteres in der ausführlichen Beschreibung

Reinhard Kirste, Rz-Renger-Meister
23.03.13

Kultur verstehen – das Handbuch Kulturphilosophie

Rz-Konersmann-KulturphilRalf Konersmann (Hg.): Handbuch Kulturphilosophie.
Stuttgart / Weimar: Metzler 2012, 468 S., mehrere ausführliche Register
— ISBN 978-3-476-022369-8 —

Ausführliche Beschreibung: hier

Konersmann gehört zu den Vorreitern einer Disziplin, die Zusammenhänge der „von Menschen gemachten Welt“ durchdenkt und damit Kultur und Philosophie ständig miteinander ins Spiel bringt.

Kulturphilosophie taucht darum in vielen Disziplinen auf. Und so fokussiert das Handbuch die Antwort vorläufig so: „Kultur ist die Welt des freigestellten Menschen“ (S. VII). Was dies bedeutet, müssen die thematischen Schwerpunkte (Kap. II), die Systematik der Übergänge (Kap. IV) und eine Begriffsauswahl (Kap. V) näher erläutern. Als Definitionsstützen dienen dabei auch die Metaphern für Kultur (Kap. VI). All dies sichern die AutorInnen an „Leitfiguren“ einigermaßen ab, indem sie der Vorgeschichte der Kulturphilosophie (bis 1900), diejenigen der entscheidenden Gründungsphase (1900-1945) und schließlich ihren Aktualisierungen bis in die Gegenwart nachgehen (Kap. III).

Nach den stärker an Personen orientierten Darstellungen werden nun Beziehungsfelder angesprochen, die sich – den eigenen Bereich übergreifend – als Übergänge (Kap. IV) manifestieren, und zwar in der Architektur, im Design, in der Geschichte, der Gesellschaft, der Kunst, der Moral, der Natur, der Politik, der Religion, der Rhetorik, der Sprache, der Technik, der Wirtschaft und Wissenschaft. 

Wie unterschiedlich die jeweiligen Zugänge und Definitionsvoraussetzungen von Kulturphilosophen auch sein mögen, dieses Buch schafft es, in der Auseinandersetzung mit einer Fülle von Kulturverständnissen Kultur als einen lebendigen Prozess zu sehen, der nie zu Ende ist. Man kann es als eine Art systematisierendes Lexikon bezeichnen, das neben einem ordnenden geschichtlichen Rückblick und einer thematischen Aufbereitung für eine Zukunftsoffenheit von Kultur plädiert. 

So ist hier ein Standardwerk nicht nur zur Kulturphilosophie, sondern zum Kulturverständnis überhaupt entstanden, auf das man nicht mehr verzichten sollte.

Reinhard Kirste

Creative Commons-Lizenz

                                                                                                Rz-Konersmann, kulturphil, 09.02.13      

Sekten – aus der facettenreichen Vielfalt religiöser Bewegungen

Gerald Willms: Die wunderbare Welt der Sekten.
Von Paulus bis Scientology
.
Mit einem Vorwort von Marco Frenschkowski.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012, 320 S.
— ISBN 978-3-525-56013-6.

Ausführliche Beschreibung: hier

Der Soziologe Gerald Willms unterscheidet sich in dieser Darstellung von den bekannten kirchlichen Kompendien zur Sektenproblematik. Die großkirchlich eingeleitete Frage: “Ist eine bestimmte Gruppe mit den Richtlinien der Großkirche in Übereinstimmung zu bringen, oder eben nicht?“, entfällt bei Willms. Die Frage: „Darf man – oder darf man nicht?“, wurde bis dato kirchlich erörtert. Willms hingegen sortiert nicht „gut und böse“ aus. Er lässt das Spektrum religiöser Erscheinungen einfach nebeneinander existieren. Für Willms trifft die gängige Anti-Sekten-Polemik nicht zu. Das gewohnte „Schwarz-Weiß-Denken“, fordert deshalb bei der Lektüre der wunderbaren Welt einige konzentrierte Veränderungen.
Das Buch ist im eigentlichen Sinne die endgültige Aufgabe der ehemaligen alleingültigen kirchlichen Deutungshoheit, nämlich was als „richtig“ oder „falsch“, „wahr“ und „unwahr“ einzuschätzen ist. So ist das Entscheidende: Der Autor muss nicht gegen jemanden oder gegen eine religiöse Richtung opponieren. Sogar das eigene Urteil zu Scientology hält der Autor einer angstverzerrten weltanschaulichen Opposition entgegen. Ich verstehe das als einen möglichen demokratischen Akt, der in der Religions- und Weltanschauungsfreiheit garantiert ist.
Ohne „Aus“- oder „Nicht-Ausgrenzen“ zu müssen, entspannt sich die religiöse Lage von selbst. Von selbst kann es zum heiteren Dialog werden. So lässt sich der Leser vom Autor zum eigenen entspannten Überblick von den Anfängen des Christentums bis in die Gegenwart mit einem Schuss Humor einladen.
Und man vergesse es nicht: Zur zeitlos gültigen Unbestechlichkeit gehört Humor. Gerald Willms verbindet Sachlichkeit mit dieser heiter gestimmten Gelassenheit. Sie macht das Buch so sympathisch.

Gerhard Kracht
ehemaliger Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen
der Evangelischen Kirche von Westfalen

Rz-Willms-Sekten, 08.12.12

Vernünftiger Glaube und religiöse Erfahrung – der Religionsphilosoph William James

Thörner, Katja: William James’ Konzept eines vernünftigen Glaubens auf der Basis religiöser Erfahrung.
Münchener philosophische Studien, NF Bd. 29.
Stuttgart: Kohlhammer 2011, 240 S., Register
zugleich Diss. 2009/2010
an der Hochschule für Philosophie, Philosophische Fakultät SJ, München
— ISBN 978-3-17-021718-8 — 

 Die hier vorliegende Dissertation bezieht sich schwerpunktmäßig auf einen philosophischen Bestseller aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts: „The Varieties of Religious Experience“ sowie „The Principles of Psychology“ von William James (1842-1910), der mit seinen philosophischen Vorlesungen insbesondere ein junges Publikum begeisterte. Hintergrund dieser Begeisterung dürfte die Tendenz in James‘ Denken gewesen sein, den Dogmatismus in die Grenzen zu verweisen. Das gilt sowohl für den Theismus wie für einen überbordenden Rationalismus. Denn dieser amerikanische Psychologe und Philosoph hat sich dadurch einen Namen gemacht, dass er seine rationalistisch angelegte Welterklärung weder monistisch noch dualistisch aufbaute, sondern einen metaphysischen Pluralismus favorisierte und mit religiöser Erfahrung verband. Das wäre dann ein erweiterter Vernunftbegriff, der mit Überlegungen einhergeht, dass die Welt kein Uni-versum, sondern ein Multi-versum ist, in dem das Individuum einen entsprechenden Platz findet.

Was dieses Buch für die Theologie und auch für den interreligiösen Dialog so anregend macht, ist neben religionspsychologischen und religionsphilosophischen Querverbindungen das von Thörner herausgehobene pluralistische Weltverständnis von James und seine Kritik am Absoluten/„Absoluten Geist“. Dies erfordert eine Auseinandersetzung mit den Fragen:Inwiefern ist die Kraft des Universums wirklich personaler Natur (vgl. S. 218)?
Und: Könnte sich Personalität gerade angesichts der Komplexität des Universums doch nur als eine relative Hilfskonstruktion herausstellen?

 Ausführliche Besprechung: hier

Reinhard Kirste

 Rz-Thörner-James, 28.07.12

Christlich-buddhistischer Dialog – japanische Herausforderungen

MUTO Kazuo (Martin REPP, ed.): Christianity and the Notion of Nothingness. Contributions to Buddhist-Christian Dialogue from the Kyoto School. Translated by Jan van Bragt.

Philosophy of Religion – World Religions Vol. 2. Leiden/Boston: Brill 2012, XIV, 227 S., Indices 
— ISBN 978-90-04-22840-5 (auch als E-Buch erhältlich) —

Ausführliche Rezension: hier

Der Theologe Martin Repp arbeitete von 1991-2002 in Japan als beigeordneter Direktor des NCC Centers für die Studien der japanischen Religionen und von 2004 bis 2009 als Professor für religiöse Studien an der Ryukoku-Universität. Seine Forschungsfelder sind neben dem Buddhismus, neue religiöse Bewegungen und interreligiöser Dialog. Mit dieser Publikation stellt er Leben und Werk von MUTO Kazuo (1913-1995) vor, einen wichtigen Vertreter der Kyoto-Schule für Philosophie.
Muto selbst spielt eine wichtige Rolle in der christlichen Theologie Japans. Indem er das Christentum gewissermaßen in den asiatisch-religiösen Kontext hereinholt und entsprechend gestaltet, wandelt sich für ihn das christliche Evangelium in eine universale Religion.  So erleben die LeserInnen eine erstaunlich intensive Auseinandersetzung mit westlicher Theologie zwischen existentialer Interpretation und Erfahrungstheologie. Es gelingt ihm unter Aufnahme westlich-theologischer Begrifflichkeit, die er in der Dialektik von “all-umfassend” und “nichts”  transzendiert, der Begegnung zwischen Christentum und Buddhismus erstaunliche Impulse zu geben.

Reinhard Kirste

15.07.2012

Religion und gesellschaftlicher Wandel in Großbritannien

Linda Woodhead, Rebecca Catto (eds): Religion and Change in Modern Britain.
London / New York: Routledge 2012, 424 S., Abb., zahlreiche Literaturangaben, Index —
ISBN 978-0-415-57581-2

Die Herausgeberinnen dieses umfassenden Bandes zu den religiösen Veränderungen in Großbritannien sind Expertinnen ihrer „Zunft“: Linda Woodhead arbeitet als Soziologieprofessorin an der Universität Lancaster und ist zugleich Direktorin eines Forschungsprogramm zu Religion und Gesellschaft, Rebecca Catto gehört zum Team dieses Forschungsprogramms und hat wie Linda Woodhead mehrere Veröffentlichungen zur Religionssoziologie sowohl theoretischer wie empirischer Art herausgebracht. 

Die Intentionen dieses Bandes sind, mit weiteren Fachleuten zu überprüfen, welche Auswirkungen Säkularisierung und De-Säkularisierung in der Gesellschaft des Vereinigten Königreiches nach dem 2. Weltkrieg haben.

Es zeigt sich nämlich eindeutig, dass es nicht mehr den einen traditionellen Glauben gibt, der sich auf das Christentum stützt. Vielmehr tritt eine „Wohlfahrts-Gesellschaft“ („welfare society“) in den Vordergrund, in der alles im Grunde „gleich“ zu sein scheint. Hat der Staat die Funktion der Kirchen übernommen mit einer Art Grundversorgung von der Geburt bis zum Tod? Aber genau dies scheint der „Knackpunkt“ zu sein: Indem der traditionelle (christliche) Glaube schwindet, füllen andere Religiositäten diese Lücke und bringen neue Spiritualitätsformen hervor, ohne dass der Einfluss der Kirchen völlig gegen Null geht. Gewissermaßen zwischen die Fronten geraten die „Säkularen“. Die Beurteilungen der insgesamt 38 Autor/innen fallen keineswegs eindeutig aus, zeigen z.T. aber scharf pointiert, welche unterschiedlichen Richtungen religiöse und a-religiöse Entwicklungen genommen haben.
Reinhard Kirste