Erinnerung der Tochter Hildegard Jacobsohn

Elternhaus, Herkunft, Schulzeit

Hildegard Jacobsohn (geb. Cohn) wurde am 26.07.1919 in eine jüdische Familie hineingeboren. Ihr Vater Hermann Cohn, ehemaliger Soldat des Ersten Weltkrieges, besaß ein Bekleidungsgeschäft. Dieses war schon lange im Besitzt seiner Familie, er übernahm es 1922.

Hildegard und Hermann Cohn

Bereits in ihrer Schulzeit musste Hildegard ihre jüdische Herkunft in Form von Hänseleien oder auch blöden Sprüchen zu spüren bekommen, oft wurde sie spaßeshalber mit dem Hitlergruß gegrüßt oder ihren Freunden wurde der Kontakt zu ihr verboten. Doch nicht nur das musste sie über sich ergehen lassen; zusätzlich wurde in der Schule neben den gewöhnlichen Schulfächern „Rassenkunde“ gelehrt. Hildegard kam zwar im Vergleich noch gut davon, da ihr Lehrer Mitleid hatte und die Cohns als gebürtige Rotenburger ansah, dennoch war sie froh, wenn sie die Stunden hinter sich hatte.

Sie konnte die Schule nur 9 Jahre lang besuchen – eine weitere Schullaufbahn war nicht möglich, dafür fehlte der Familie einfach das Geld, denn natürlich machte sich die Krise (ausgelöst durch den Antisemitismus) auch im Ladenumsatz bemerkbar, der starke Einbußen aufwies.


Die Jahre 1935-1938
Hildegard sehnte sich danach, einen Beruf auszuüben, jetzt, wo sie nicht mehr zur Schule gehen konnte. Sie bekam schließlich eine Lehrstelle als Hausangestellte bei einer jüdischen Familie, welche einen Textilwarenladen besaß.

Hildegard verdiente einige Zeit lang 5 Mark im Monat, bis sie eine neue Arbeitsstelle in Stolzenau fand, doch auch dort blieb sie nicht allzu lange. Der Antisemitismus war in Stolzenau schon deutlich weiter vorangeschritten.

Einen neuen Arbeitsplatz fand sie bei Familie Elsberg in Westfalen. Obwohl Herr Elsberg gut verdiente und Familie Elsberg wohlhabend lebte, bekam Hildegard für ihre Arbeit gerade einmal 30 Mark pro Monat ausgezahlt. Trotzdem schickte sie ihren Eltern monatlich 10 Mark zu.


Reichspogromnacht 1938
In der Nacht vom 09.10.1938 auf den 10.10.1938 (von den Nationalsozialisten „Kristallnacht“ genannt, weil überall Glasscherben zerstörter Synagogen, Wohnungen, Schaufenster usw. zerstreut lagen) brachen plötzlich bewaffnete SA-Leute ins Haus der Familie. Hildegard versteckte sich gut genug in einer alten Kiste auf dem Dachboden und das Glück war scheinbar in dieser Nacht auf ihrer Seite. Die SA-Leute, die das gesamte Haus auf den Kopf stellten, konnten sie dort nämlich nicht finden.

Am Morgen danach (10.10.1938) war die Straße vorm Haus voll mit zerstörtem Mobiliar des Hauses und der der Nachbarn. SA-Leute brachten Herr Elsberg mithilfe eines Revolvers dazu, sein gesamtes Land zu überschreiben. Anschließend wurde die Familie von der SA festgenommen.

Auch die Eltern von Hildegard waren von den Geschehnissen der Kristallnacht betroffen; sie wurden am Vorabend festgenommen und ins Gefängnis gebracht. Dies stritten sie allerdings bei einem Treffen mit Hildegard ab. Sie behaupteten, dass nichts passiert sei, sie hätten lediglich eine Kennkarte erhalten und seien dazu verpflichtet worden, die Vornamen Israel und Sara zu tragen. Trotzdem wusste Hildegard, dass ihre Eltern sie bloß schützen wollten und sie nicht wollten, dass sie sich Sorgen um sie machte.


Ausreise aus Deutschland
Es gab aufgrund des voranschreitenden Antisemitismus für Hildegard keine Chance in Deutschland zu bleiben – das würde sie nicht lange überleben. Sie musste also fliehen, und zwar allein, weil nur sie als Hausangestellte eine Einreiseerlaubnis nach England . Um weitere Informationen zu Hildegards Exil in England zu bekommen, klicken Sie hier ( https://blogs.rpi-virtuell.de/juedischeslebeninrotenburgfamiliecohn/2022/01/13/hallo-welt/ )


Rückkehr nach Deutschland
Am 27.05.1948 kam Hildegard gemeinsam mit ihrer Familie zurück nach Deutschland.

Als sie ankamen wurden sie in ein Heim für Opfer des Faschismus aufgenommen.

Nach 4 Monaten bekam Hildegards Mann die Möglichkeit zu arbeiten und sie konnten in eine Wohnung ziehen.

Kurze Zeit später fand in Berlin der „Marsch der Menschen“ statt, welcher eine Gedenkfeier für die Opfer des Faschismus‘ war. Die Teilnehmer*innen gedachten der Opfer und entschuldigten sich für das, was die Nazis u. a. den Juden angetan hatten. Hildegard konnte es gar nicht fassen – es fühlte sich an, als würde ihr ein großer Traum erfüllt werden. Sie fühlte sich zu diesem Zeitpunkt das erste Mal wirklich in Deutschland willkommen, wohl und geborgen. Hildegard beschrieb Deutschland trotz der schlimmen Geschehnisse als den Ort, den sie Zuhause nennen konnte.

Hildegard und Arno

Hildegards Schwester Erna Appel mit ihren Töchtern in Bogotá