Nach einer Weile digitalen Lernens drängen sich mir zwei zentrale Thesen zum Thema auf:
- Digitales Lernen benötigt ein hohes Maß ein Selbststruktur;
- Die Grundstruktur digitalen Lernens ist nicht “Protestantismus-affin”.
ad 1.: Durch das Fehlen der Lehrperson im Klassenraum und der Lerngruppe in meinem direkten Umfeld, benötige ich ein hohes Maß an intrinsischer Motivation und Selbststruktur, um digitale Lernprozesse nicht zu starten, sondern auch durchzuführen und zu beenden. Offensichtlich kompensieren Chaträume und sehr engagierte Modulverantwortliche dies nicht. Wenn ich an mein Schülerklientel denke (schwache Berufsschüler*innen), bin ich sehr skeptisch, was den erfolgreichen Einsatz von digitalen Lernangeboten angeht. (Denn es fällt ja schon uns akademisch gebildeten Menschen schwer dran zu bleiben!)
Das was im ersten Moment so verlockend klingt (individualisiertes Lernen und Fördern) entpuppt sich für mich als extrem hohe Anforderung, den Lernprozess überhaupt am Laufen zu halten.
ad 2: Ein Großteil der digitalen Arbeit fließt in die ansprechende Gestaltung der Seiten. Wie übersichtlich sind die Seiten? Wie interessant und reizvoll? Wie erhöhen sie meine Verweildauer? Ich habe meine Zweifel, dass diese Fragen sind, die in evangelischen Bildungsprozessen im Zentrum stehen. Denn wir sind keine ästhetische Religion.
Daneben bleibt mein Eindruck, dass digitale Lernprozesse stark auf Kognition (es bleibt bei einer starken Textlastigkeit) und auf “richtig-falsch-Formate” zielen (Quizze, multiple Choice, Memories etc.). Man könnte zugespitzt sagen, dass es sich um “eindimensionales” Lernen handelt. Dies ist aber genau nicht das Ziel religiöser Bildung. Bisher finde ich kaum digitale Lernangebote, die z.B. die Selbstpositionierung oder den Aspekt der Kontemplation ansteuern.
Alles in allem ist meine Skepsis in den letzten Wochen gewachsen, dass digitales Lernen ein “Allheilmittel” für unser Bildungssystem ist.
