Offene Kirche … Allgemein Gedanken zum Sonntag Rogate: Das Vaterunser, die Mitte des Glaubens

Gedanken zum Sonntag Rogate: Das Vaterunser, die Mitte des Glaubens

Das Vaterunser ist wie die Mitte unseres Glaubens. In die Mitte der Bergpredigt hat Matthäus es gesetzt und sagt damit: Das ist das Zentrum von dem, was Jesus uns von Gott und seiner Liebe lehren will. Da ist eigentlich alles drin. Wenn jemand dich fragt: Was macht eigentlich deinen Glauben aus, dann kannst Du ihm das Vaterunser sagen.

Worte, die bis heute – Gott sei Dank – wirklich fast jeder, der irgendwann einmal mit dem Glauben in Berührung gekommen ist, noch auswendig sprechen kann. Da ist alles drin. Und es ist ein Reden nicht über Gott. Sondern ein Einüben in das Reden mit Gott, dem Vater. Ein Einüben in das Beten.

Dabei ist es ist mit dem Vaterunser wie mit allem wirklich Großen. Es ist klar und einfach. Und es ist zugleich so tief und vielschichtig, dass ein Leben kaum ausreicht, es wirklich zu verstehen und auszuloten. Aber immer wird es uns, wenn wir es nachsprechen, einen Schritt weiterführen auf unserem Weg.

Heute bleiben meine Gedanken schon gleich am Anfang hängen, bei der Anrede: Vater UNSER. Und ich merke: schon das zweite Wörtchen macht mir klar: Gottes Liebe verbindet mich mit anderen. Es verbindet uns bei diesem Gottesdienst. Mehr noch: Es verbindet alle Menschen, die dieses Gebet beten, zu der einen großen, weltweiten Familie Gottes.

Es zeigt mir. Wir sind aufeinander angewiesen. Wir beten um das Gleiche. Wir brauchen das Gleiche. Und: Wir beten nicht nur für uns. Sondern wir beten füreinander. Und daraus folgt doch, dass wir dann auch füreinander einstehen.

Wie aktuell ist das doch in diesen Tagen der Corona-Krise. Und das auf allen Ebenen. In meiner Familie. In der Nachbarschaft und Gemeinde. Zwischen Landkreisen und Bundesländern. Zwischen den vielen Ländern auf der Welt. Wir können nur gemeinsam bestmöglich Leben schützen und bewahren und durch die Krise kommen. Nur, wenn wir füreinander einstehen.

Wenn ich Menschen sagen höre: ich brauche für meinen Glauben die Kirche nicht; ich brauche keine anderen für meinen Glauben … dann wünsche ich mir und ihnen, dass sie vielleicht schon beim nächsten Vaterunser, das sie beten, hellhörig und nachdenklich werden, bei diesem UNSER, diesem unscheinbaren zweiten Wörtchen des Gebets. Und beginnen tiefer zu verstehen, was es meint und umschließt, nämlich: Gottes Liebe, der ich vertrauen will, gilt uns allen und nicht mir allein. Sie stellt mich hinein in diese Familie aller Glaubenden. Das gilt auch und gerade dann, wenn diese Familie anstrengend ist für mich. Das sind Familien eben mitunter.

Dieser Gedanke hat für mich noch eine Rückseite. Wenn ich selbst etwas erfahren darf von dem, was ich im Vaterunser erbitte – wenn ich das tägliche Brot bekomme, wenn ich Zeichen der kommenden Gottesherrschaft erfahre, wenn ich verschont werde vor Versuchung und von einem Bösen erlöst, dann danke ich Gott, dem Vater.  Und ich danke seinen Kindern, die seinen Namen heiligen, für das Kommen seiner Herrschaft leben und seinen Willen erfüllen.

Das heißt: ich danke dem lebendigen Gott,  und ich danke auch den Menschen, durch die ich das alles erfahre: Familie, Freunden, Nachbarn, Ärzten, Verkäuferinnen, Pflegern, Busfahrern, Politikern und wem auch sonst. Auch dafür werden wir in dieser Krise empfindsamer.

Ihr Pfarrer Gerhard Saß