Lektion 2 – Jüngerberufung

Die große Neuigkeit

Benjamin und Julius waren kaum in den Hof eingebogen, da fingen Sara und Hanna auch schon an, neugierig auf sie einzureden: „Wie sieht er aus? Wie ein Engel? – Trägt er eine Krone, wie ein Himmelskönig? – Ist er auf einem weißen Esel geritten? – Hat er viele Diener und Sklavinnen? – Und seine Soldaten? Wie viele hatte er bei sich? – Was hat er gesagt? …“ Benjamin hielt sich die Ohren zu und rannte ins Haus; Julius sauste hinter ihm her. Aber die Mädchen ließen nicht locker: „Jetzt erzählt doch endlich.“ Esther mischte sich ein: „Lasst uns doch nicht so zappeln! Was habt ihr gehört und gesehen?“ Nun sprach Aram ein Machtwort: „Also los – wenn ihr schon überall dabei sein müsst, statt euch um eure Arbeit zu kümmern, wollen wir auch von den Neuigkeiten hören. Setzt euch hierher und erzählt!“ „Also – eigentlich gibt es nicht viel zu erzählen! Dieser Jeschua ist ein ganz gewöhnlicher Mann. Kein Himmelskönig, kein weißer Esel, keine Engel…“. „Aber ein paar schöne Dienerinnen mit prächtigen Gewändern und glänzendem Schmuck und starke Soldaten hat er schon, oder?“ wollte Sara wissen, und Hanna rief dazwischen: „Habt ihr Posaunen vom Himmel gehört?“ „So ein Quatsch!“ Benjamin macht eine verächtliche Handbewegung. „Julius hat es doch schon gesagt: Jeschua ist ein ganz einfacher Mann. Seine Kleider sind so abgetragen wie unsere, und seine Freunde und Freundinnen sind auch nichts Besonderes.“ „Ja, aber viele sagen doch, dass dieser Jeschua der Messias ist- da muss doch irgendetwas Königliches an ihm sein!“ fragte Rebecca ungläubig. „Nein, ein König ist der ganz bestimmt nicht!“ sagte Benjamin entschlossen. „Aber er ist schon … nicht so wie die anderen, schon ein bisschen merkwürdig …“ meinte Julius. „Was willst du damit sagen? Ich verstehe kein Wort!“ Aram wurde langsam ungeduldig. Aber der Großvater nahm ihn in Schutz: „Jetzt lass den Jungen doch mal ausreden!“ „Er ist schon irgendwie ein König – aber eben nicht so ein richtiger – halt anders!“ versuchte Benjamin zu erklären. „Woran sieht man das denn?“ fragte Esther nach. „Ja, zum Beispiel daran: Er hat sich kein bisschen um die jubelnden Leute gekümmert und das Gewedel mit den Zweigen schien ihm eher lästig zu sein. Auch den Rabbi Maleachi und den Bürgermeister hat er kaum beachtet.“ „So ein Flegel!“ rief Sara. „Nein, nein, so einer ist er nicht!“ Julius war schon wieder ganz aufgeregt. „Aber ich glaube, er mag diese ‚hohen Tiere‘ einfach nicht so gern. Dafür hat er sich ganz lange mit Barjona unterhalten.“ „Was? Du meinst doch nicht den blinden Bettler, diesen alten Schmarotzer?“ Aram war richtig entsetzt. „Doch, natürlich – einen anderen Barjona gibt es hier ja nicht!“

„Ja, und dann hat er sich zu Barjona an den Straßenrand gesetzt und ihn umarmt …!“ Julius kam richtig in Fahrt. „Igitt, bäääh“, kreischte Hanna, „der stinkt!“ „Rabbi Jeschua hat das wohl nicht gestört?“ fragte Benjamins Mutter. Mirjam und Rebecca schüttelten ungläubig den Kopf. Und Aram wollte wissen: „Und was soll das Ganze? Was will dieser Jeschua damit bezwecken? Und – was hat Barjona davon?“ „Ich weiß auch nicht“, stotterte Benjamin, „aber es war schon was Besonderes – die Leute waren alle ganz still, und es war irgendwie ganz feierlich. Das kann man einfach nicht richtig erklären, das muss man miterlebt haben und …!“ Weiter kam Benjamin mit seinen Erklärungen nicht, denn in diesem Augenblick stürmte Onkel Aaron ins Haus. „Stellt euch vor“, keuchte er und ließ sich auf eine Matte fallen, „stellt euch vor, was passiert ist – alle reden nur noch darüber – so was hat es noch nie gegeben. Kafarnaum steht Kopf!“ „Um Himmels willen, was ist den los? Ist der Rabbi gestorben oder brennt die Synagoge?“ erkundigte sich Mirjam erschrocken. Sara und Hanna starrten Aaron entgeistert an – so hatten sie ihren Onkel noch nie erlebt! „Nein, das wäre ja alles halb so wild! Aber das mit Barjona, das …!“ „Hat er wieder geklaut?“ forschte Aram nach. „Nein, nein – es ist die Sensation! Barjona kann sehen! „Nein, das gibt es nicht! – Wie soll denn das gehen? – Unmöglich – Du hast wohl zu lange in der Sonne gesessen.“ Alle schrien durcheinander. „Wenn ich es euch doch sage! Ich habe selber mit Barjona gesprochen – es ist wirklich ein Wunder!“ „Aber wie ist denn das passiert?“ wollte die Großmutter wissen. „Es war Jeschua! Als er vorhin in die Stadt kam, hat er Barjona geheilt! Jeschua ist bestimmt der Messias!“ verkündete Onkel Aaron. „Das stimmt nicht, dass Jeschua Barjona geheilt hat!“ widersprach Julius, „wir waren ja dabei, als er in die Stadt kam. Er hat keine Zaubersprüche gesagt, und er hatte auch keine Heilkräuter dabei.“ „Das ist bei Barjona auch nicht nötig“, wetterte Aram, „denn der ist sowieso nie richtig blind gewesen. Das war doch schon immer ein fauler Trick.“ „Nein, so ist das nicht“, widersprach ihm Esther, „aber er hatte schon immer Probleme, vor allem mit seinem Vater, dem Gerber Jona. Er war ein schlechter Mensch und hat seinen Sohn immer geschlagen, selbst als der schon erwachsen war. Irgendwann hat Barjona dann angefangen zu trinken – und als er einmal sehr betrunken war, ist er mit dem Gesicht in einen dornigen Strauch gefallen. Seitdem ist er blind!“ „Jedenfalls ist er selber schuld an seinem Schicksal!“ polterte Aram weiter. „Und Rut hat doch erzählt, wie sie Barjona beobachtet hat: Er hat heimlich eine Münze aufgehoben, die am Wegrand lag. Also ist er doch nicht so blind!“ erzählte Sara. „Außerdem ist der so dreckig – wenn er sich mal richtig die Augen wäscht, wird er schon was sehen.“ „Aber warum sollte er betteln und auf der Straße leben, wenn er gar nicht blind ist?“ fragte Julius. „Er ist eben ein Schwindler!“ brummte Aram. Onkel Aaron schüttelte den Kopf: „Das glaube ich nicht. Ihr hättet sehen sollen, wie Barjona sich gefreut hat: Er tanzte auf der Straße und schrie immer wieder ‚Ich kann sehen, ich kann sehen – Jeschua hat mich geheilt!‘ Das war garantiert kein Schwindel!“ Mirjam nickte: „Vielleicht stimmt es ja. Es könnte doch sein, dass es für Barjona sehr wichtig war, dass Jeschua mit ihm gesprochen hat und ihn in den Arm genommen hat. Barjona hat doch sonst keinen Menschen, der mit ihm redet. Die Herzlichkeit, die er heute erlebt hat, könnte ihn gesund gemacht haben!“ Benjamin und Julius sahen sich an. Sie wussten wirklich nicht, was sie davon halten sollten.

Jeschua findet Freunde

In den nächsten Tagen waren Benjamin und Julius von morgens bis abends auf den Beinen, denn Jeschua hielt sich immer noch in der Stadt auf. Sie wichen nicht von seiner Seite und wollten unbedingt herausbekommen, was es mit diesem Mann auf sich hatte, den einige den Messias nannten. Immer wieder wurde Jeschua von Leuten aus Kafarnaum angesprochen; einige wollten einen Rat von ihm, andere suchten Hilfe, manche wollten einfach mit ihm sprechen. Und immer wieder fragten sich die Leute: ‚Ist er nun der Messias?‘

Gerade stand Jeschua mit einigen jungen Männern zusammen. Unter ihnen waren die Fischer Andreas, Simon und Johannes. Simon sagte eben: „Warum gibst du dich eigentlich mit so einem wie dem Barjona ab? Wenn du wirklich der Messias sein willst, solltest du den Bürgermeister besuchen und den Rabbi. Das macht Eindruck auf die Leute … – und das willst du doch, oder?“ Jeschua sagte: „Was meinst du, wer braucht eher Hilfe, der Bürgermeister oder der blinde Bettler?“ „Natürlich der Bettler“, meinte Andreas, „aber ein Messias kann sich doch nicht um jede Kleinigkeit kümmern. Da gibt es doch Wichtigeres als irgendeinen heruntergekommenen Menschen, der gerade mal wieder Hilfe braucht.“ „Meinst du?“ fragte Jeschua und lächelte Andreas freundlich zu. „Ich finde, es gibt überhaupt nichts Wichtigeres als einen Menschen, der Hilfe braucht.“ Benjamin und Julius hörten gespannt zu: „Dem hat er aber ganz schön die Meinung gesagt“, flüsterte Julius. Johannes wandte sich wieder an Jeschua: „Ich finde gut, was du sagst. Ich glaube, ich muss etwas Neues lernen. Deshalb möchte ich gern noch mehr von dir hören. Kann ich ein Stück mit dir gehen?“ „Das trifft sich gut“, Jeschua nickte ihm zu, „ich brauche nämlich dringend ein paar Freunde, die bei mir sind. Wisst ihr, es gibt so viele Menschen, die Hilfe und Liebe brauchen – das schaffe ich nicht allein.“ Benjamin und Julius hatten ganz aufmerksam zugehört. „Meinst du denn, dass Jeschua der Messias ist?“ flüsterte Julius. „Ich weiß es auch nicht, aber er ist nicht so, wie die anderen.“

Ist Jeschua der Messias?

Benjamin und Julius konnten es kaum erwarten, bis Vater und Großvater mittags vom Feld kamen, und sie ihnen erzählen konnten, was sie erlebt hatten. Kaum waren die beiden Männer im Hof, platzte Benjamin heraus: „Was ist das nur mit Jeschua? Warum kommen so viele Leute zu ihm? Und jetzt vergisst Johannes sogar seine Arbeit am See und will bei Jeschua bleiben. – Sag du uns doch, ob Jeschua der Messias ist, Vater!“ „Ich weiß es auch nicht genau. Aber feststeht: Er ist einer, der nicht an sich selbst denkt …! Er hilft allen, die ihn brauchen.“ „Klar“, sprudelte Julius heraus, und er schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn, „warum habe ich nicht schon eher daran gedacht? Jetzt weiß ich Bescheid!“ Benjamin schaute verwundert: „Wieso denn das auf einmal?“ „Mensch, Benjamin, denk doch mal an den Namen!“ „Ich weiß, dass er Jeschua heißt – und ich heiße Benjamin. Was soll daran so interessant sein? Gefällt dir der Name nicht?“ „Nein, nein!“ Julius wurde immer aufgeregter. „Du verstehst mich nicht! Dein Vater hat es uns doch neulich schon einmal erklärt: ‚Jeschua‘ heißt in eurer Sprache ‚Gott hilft‘! Alles klar?“ Benjamin schaute noch immer ziemlich ratlos. Samuel klopfte Julius anerkennend auf die Schulter: „Du bist ein schlaues Kerlchen. Das ist ein guter Gedanke. Wenn Jeschua Menschen hilft, dann hilft ihnen eigentlich Gott.“ „Ist Jeschua dann so eine Art Stellvertreter, der im Auftrag Gottes arbeitet? So wie mein Vater Cassius hier der Stellvertreter des römischen Kaisers ist und in seinem Namen handelt?“ „Ja“, nickte Aram, „so ähnlich kann man sich das wohl vorstellen.“ „Hm“, meinte Benjamin, „dann könnte Jeschua ja vielleicht wirklich der Messias sein!“

Lukas 5.

Eines Tages stand Jesus am Ufer des Sees Genezareth. Eine große Menschenmenge folgte ihm. Kinder liefen umher, manche Leute riefen ihm Fragen zu, andere winkten und versuchten so, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Alle wollten hören, was er zu sagen hatte. So viele drängten sich um ihn, dass Jesus kaum aufrecht stehen konnte. Am Ufer des Sees lagen zwei Fischerboote. Sie gehörten Andreas und seinem Bruder Simon Petrus, die gerade ihre Netze säuberten. Jesus rief ihnen zu, sie sollten ein Boot wieder losmachen. „Lasst uns ein wenig hinausfahren. Dann kann ich besser zu den Leuten sprechen“, sagte er. Von einem Boot aus predigen? So etwas hatte Simon Petrus noch nie gehört. Und dann noch von seinem Boot? Er schüttelte den Kopf, voller Staunen über diesen ungewöhnlichen Einfall dieses Jesus.
Sie stießen das Boot ein Stückchen vom Ufer ab: Simon, Andreas und Jesus. Und Jesus predigte viele Stunden lang zu den Menschen. Als er seine Predigt beendet hatte, wollte Simon das Boot wieder ans Ufer bringen. Doch Jesus bat ihn: „Fahr noch weiter auf den See hinaus!“ Simon wunderte sich: „Wozu denn, Herr?“ „Wirf mit deinem Bruder die Netze zum Fang aus!“ „Mitten am Tag?“ Simon und Andreas gingen immer nur nachts fischen. „Wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen“, sagte Simon. Doch Jesus schaute ihn an, als wolle er sagen: „Hör auf mich!“ Da packte Simon seine Ruder und steuerte das Boot mitten auf den See Genezareth.
Die Fischer Jakobus und Johannes wunderten sich darüber, dass Andreas und Simon in der heißen Mittagssonne einen Fischzug wagen wollten. Plötzlich sahen sie, wie Andreas aufgeregt winkte und sie rief. Simon stand aufrecht im Boot und hielt die Netze gepackt, die zum Zerreißen mit Fischen gefüllt waren. Überall schimmerten silberne Schuppen im Sonnenlicht. „Jakobus, Johannes!“ Andreas machte seinen Freunden Zeichen. „Helft uns, sonst gehen wir mit den schweren Netzen noch unter!“ So schnell sie konnten, kamen die Freunde mit ihrem Boot herbei und nahmen die Hälfte der Fische an Bord. Dann ruderten sie gemeinsam zum Ufer zurück.
Die Fischer waren erschrocken darüber, dass sie am hellen Tag einen so großen Fang gemacht hatten. Simon fiel vor Jesus auf die Knie und schlug die Hände vor das Gesicht. Da legte Jesus ihm die Hand auf die Schulter und sah ihn freundlich an. „Hab keine Angst, Simon“, tröstete ihn Jesus. Dann sprach er zu den vier Fischern: „Kommt mit mir mit. Von jetzt an werdet ihr Menschenfischer sein!“

aus: Die große Kinderbibel, Pattloch, Englisch von Murray Watts