Lektion 5 – Arbeiter im Weinberg / nutzloser Feigenbaum (Erzählung)

Ein Gleichnis zur Gerechtigkeit im Neuen Testament

In der Bibel gibt es viele Denkanstöße, wie es im alltäglichen Leben gerecht zugehen kann. Ein Beispiel dafür ist die Geschichte von den Arbeitern im Weinberg:

Ein Weinbergbesitzer stellt frühmorgens einige Arbeiter für die Traubenernte ein. Er vereinbart mit ihnen den Tageslohn von einem Silbergroschen.

Im Laufe des Tages bis zum Abend stellt der Weinbergbesitzer weitere Helfer an. Am
Ende des Arbeitstages bezahlt der Besitzer jedem Arbeiter einen Silbergroschen als Lohn.

Die Arbeiter, die den ganzen Tag geerntet haben, finden das ungerecht.

Aufgabe

Was ist unser Maßstab des Handelns im Alltag?

Was ist der Maßstab, nach dem der Weinbergsbesitzer handelt.

Streit im Gasthaus

Viele Erwachsene waren das nahe Gasthaus, gegangen. Der dicke Wirt Habakuk rieb sich die Hände vor Freude und lachte, dass sein Bauch auf und nieder hüpfte – solch ein gutes Geschäft hatte er schon seit Jahren nicht mehr gemacht. Alle redeten durcheinander! Das einzige Gesprächsthema war Jeschua. Da kam er auch schon zur Tür herein; gleich hinter ihm schlüpften Julius und Benjamin in die Wirtschaft. Sie wollten kein Wort von Jeschuas Reden verpassen. In dem Gedränge fielen sie gar nicht auf. Jeschua bestellte ein großes Fladenbrot und einen Krug des besten Weines. „Geht auf meine Rechnung“, grunzte der Wirt. Da erhob sich der Bürgermeister. In der rechten Hand hielt er einen großen Holzlöffel; damit schlug er gegen seinen Weinkrug. Langsam wurde es ruhig, und Manasse holte tief Luft für seine Rede: „Wir haben ja viel von dir erwartet, Jeschua! Manche sagten, dass du der Messias bist. Aber ich weiß jetzt gar nicht mehr, was ich davon halten soll! Erst gibst du dich mit Barjona, diesem Nichtsnutz, ab. Jeder weiß, dass der nichts taugt. Er kann nichts, er leistet nichts – er lebt nur auf unsere Kosten. – Dann noch dieser Levi! Und auch die Sache mit den Kindern war wohl noch nicht so ganz das Wahre. Immer dies Getue um nutzlose Elemente der Gesellschaft! Du solltest dich wirklich mehr an die wertvollen Leute halten, die etwas für Gott und seine Gebote leisten!“ Aufgebracht fuchtelte der Bürgermeister mit dem Holzlöffel herum. Der Tagelöhner Ruben murmelte vor sich hin: „Wertvolle Menschen! Dabei denkt der Herr Bürgermeister wohl zuerst an sich selbst!“ Jeschua ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Nach einer Weile sagte er: „Ich würde euch gerne noch eine Geschichte erzählen!“ „Nicht schon wieder“, stöhnte der Bauer Saul, „von der Landwirtschaft habe ich die Nase voll!“ „Warts nur ab“, erwiderte Jeschua und begann auch schon mit seiner Erzählung: „Mit dem Reich Gottes verhält es sich wie mit einem Landbesitzer, der früh am Morgen auf den Markt ging, um Arbeiter für seinen Weinberg anzuwerben. Er bot ihnen einen Denar als Tageslohn an; davon konnten sie ihre Familie einen Tag lang ernähren. Um die Mittagszeit ging er wieder auf den Markt und sah, dass noch Arbeiter warteten, weil niemand sie angeworben hatte. Auch sie schickte er in seinen Weinberg Ebenso machte er es am Nachmittag und sogar noch kurz vor Feierabend, weil immer noch Arbeitslose dasaßen, die bisher niemand gebrauchen konnte.“ „Schön dumm, dieser Weinbergbesitzer! Da sieht man doch wieder ganz deutlich, dass Jeschua keine Ahnung vom wirklichen Leben hat“, brummte Saul. Aber Jeschua fuhr unbeirrt fort: „Am Abend beauftragte der Weinbergbesitzer seinen Verwalter, die Arbeiter zu entlohnen. „Fange bei denen an, die zuletzt gekommen sind und gib ihnen einen Denar.“ Als die an der Reihe waren, die schon seit dem frühen Morgen gearbeitet hatten, dachten sie, sie würden mehr bekommen. Aber sie erhielten auch einen Denar. Das gab vielleicht einen Aufstand: „Das ist total ungerecht!“ rief einer. Aber der Besitzer sagte ruhig: Du hast doch bekommen, was ausgemacht war. Warum ärgerst du dich, weil ich den anderen auch gebe, was sie brauchen?“ So geht es im Reich Gottes zu“, schloss Jeschua seine Erzählung. Die Leute im Gasthaus hatten ganz ruhig und aufmerksam zugehört, selbst der Bauer Saul. Der Bürgermeister bekam sogar ein bisschen rote Ohren – er hatte anscheinend verstanden, was Jeschua mit seiner Geschichte sagen wollte. Trotzdem brummte er: „Ihr könnt sagen, was ihr wollt – für mich passt das alles nicht zu einem richtigen Messias. Wo kommen wir denn da hin, wenn jemand die ganze Ordnung auf den Kopf stellt?“ Ruben, der Tagelöhner, schlug Jeschua freundschaftlich auf den Rücken und grölte: „Du bist auf jeden Fall mein Messias. Mir gefallen alle deine Geschichten – denn es sind Geschichten für uns kleine Leute!“ Onkel Aaron, Aram, Ephraim und Jonathan murmelten: „Finde ich auch! – Ganz meine Meinung. – Gut gesprochen, Ruben!“ Aber niemand beachtete sie weiter. Julius boxte Benjamin kräftig in die Rippen: „Los, komm, das müssen wir Jakob erzählen. Er denkt doch immer, dass er nichts wert ist.“ Julius war Feuer und Flamme: „Ja, und jetzt hat Jeschua es doch ganz eindeutig gesagt: Bei Gott kommt es nicht darauf an, was ein Mensch leistet oder wie andere über ihn denken, sondern bei Gott ist es wichtig, was ein Mensch braucht.“ „Ja, klar!“ Benjamin strahlte. „Denk doch mal an Barjona. Da hat Jeschua auch nicht gefragt, warum er arm ist; sondern er hat ihm einfach geholfen, weil Barjona seine Hilfe dringend brauchte.“

Ein nutzloser Feigenbaum

Immer mehr Menschen in Kafarnaum kamen in den nächsten Tagen zu Jeschua. Sie suchten Rat und Hilfe bei ihm. Benjamin und Julius hielten sich meistens auch in der Nähe auf. Heute sahen sie schon von weitem, wie der Nachtwächter und Trompeter Hosea schleppend die Gasse hinaufstieg. Er zerrte einen dreckigen Jungen hinter sich her. „Das ist Tobias, sein Sohn“, erklärte Benjamin. „Der ist in ganz Kafarnaum berüchtigt – er ist frech und streitlustig, er hilft nie bei der Arbeit, und ich glaube, er klaut manchmal auch.“ Hosea nahm sich nicht einmal Zeit, um nach der Anstrengung zu verschnaufen. Mit hochrotem Kopf stand er mit Tobias vor Jeschua und keuchte: „Rabbi, schau dir diesen Nichtsnutz, meinen Sohn, an. Er bringt nur Schande über meine Familie: Den ganzen Tag faulenzt er oder treibt sich mit verrufenen Gesellen herum. Dabei war er einmal mein ganzer Stolz! Aber er hat mich schwer enttäuscht! Er ist ein Taugenichts, ein Nichtsnutz, ein hoffnungsloser Fall. Aus ihm wird nie etwas Rechtes werden! Rabbi – sag du mir, was ich noch tun kann. Wie lange soll ich mich noch um ihn bemühen? Es hat ja doch alles keinen Sinn. Er hört nicht auf mich, sondern lacht mich aus.“ Tobias stand mit hängendem Kopf da, während Jeschua sich Hoseas Klagen geduldig anhörte. Nun wandte Jeschua sich an Tobias: „Was passt dir denn nicht an deinem Vater?“ Bevor Tobias auch nur ein Wort sagen konnte, tobte Hosea los: „Was soll denn das? Mich sollst du beraten, Rabbi, und nicht diesem Lausebengel noch mehr Dummheiten beibringen. Am Schluss soll ich wohl noch schuld sein, dass aus ihm nichts Anständiges geworden ist? „Aber Jeschua ließ sich nicht beirren und wiederholte seine Frage. Benjamin und Julius hielten den Atem an. Was würde Tobias wohl sagen? „Früher haben mein Vater und ich uns eigentlich gut verstanden“, stotterte Tobias, „aber seit ein paar Jahren lässt er mir keine Ruhe mehr. Ständig nörgelt er an mir herum und lässt kein gutes Haar an mir.“ „Unglaublich“, brüllte Hosea, „dabei will ich ja nur dein Bestes!“ „Wie meinst du das, Hosea?“ wollte Jeschua wissen. „Du hörst ja, wie undankbar der Bengel ist. Da sorgt man sich Tag und Nacht um ihn und versucht alles, damit etwas Gescheites aus ihm wird – und was ist der Dank?“ „Kommt, setzt euch einen Moment zu mir“, sagte Jeschua und machte eine einladende Handbewegung. „Ich möchte euch eine Geschichte erzählen.“ Benjamin und Julius spitzten die Ohren. Jeschua fing an zu erzählen: „Es war einmal ein Mann, der einen Feigenbaum besaß. Immer wieder sah er nach, ob der Baum Früchte trug, aber ohne Erfolg. Eines Tages sagte er zu seinem Gärtner: Jetzt komme ich schon drei Jahre und sehe nach, ob der Feigenbaum Früchte trägt. Aber ich finde nichts. Hau ihn ab, damit er dem Boden nicht länger die Kraft nimmt. Da sagte der Gärtner: Bitte, lasse ihn dieses Jahr noch stehen, ich will den Boden lockern und düngen. Vielleicht trägt er dann doch noch Früchte. Wenn das auch nichts nützt, will ich ihn umhauen.“ „Jetzt habt ihr es alle gehört – umhauen sollte man ihn, denn er ist so unnütz wie der Feigenbaum“, polterte Hosea und zeigte auf Tobias. „Ich glaube, du hast nicht richtig zugehört, mein Freund“, lächelte Jeschua. „Der Gärtner in der Geschichte hat viel Geduld. Er bemüht sich auch dann noch um den Feigenbaum, als eigentlich schon alles vergebens erscheint. Und er weiß auch: Wachsen braucht seine Zeit.“ Aber was soll ich tun? stöhnt Hosea. Soll der Bengel denn machen, was er will?“ „Nein, das sicher nicht.“ Jeschua schaute Tobias an, „da gehören schon immer zwei dazu, wenn es gelingen soll. Der Gärtner kann zwar viel für den Baum tun – aber wachsen und Früchte tragen muss der Feigenbaum dann aus eigener Kraft. Und das gilt auch für dich, Tobias.“ Nachdenklich machten Hosea und Tobias sich auf den Heimweg.