Station 2

Sterberituale im Hinduismus

Im Zentrum des Hinduismus steht der ewige Kreislauf von Leben, Tod und Wiedergeburt. Durch gute Taten kann man sich im nächsten Leben aus diesem Kreislauf von Wiedergeburten befreien und ins Nirwana eintreten, um seine Seele mit Brahman, der Weltseele, zu verbinden. Daher hat der gläubige Hindu weniger Angst vor dem Tod als vor der Wiedergeburt und dem nächsten Leben.

Häufig wird der Sterbende durch einen Brahmanen, einen Hindu-Priester, mit Gebeten unterstützt. Der Priester hilft ihm, sich in das Unvermeidbare zu fügen und den Tod hinzunehmen. Dazu gehört es auch, dass der Hindu-Priester als Zeichen seines Segens dem Sterbenden Schnüre um die Hand oder den Hals legt. Hindus sind es gewohnt sich täglich von Kopf bis Fuß zu waschen und auch rituelle Waschungen in einem Fluss oder unter fließendem Wasser gehören zum Leben eines Hindus dazu. So ist es verständlich, dass auch der Sterbende sich noch einmal einer Ganzkörperwaschung unterziehen möchte. Dabei helfen ihm die Angehörigen.

Ist schließlich der Tod eingetreten, so gießt der Hindu-Priester etwas geweihtes Wasser in den Mund des Toten. Danach wird der Leichnam auf den Boden gelegt, von den Angehörigen nochmals gewaschen, auf ein weißes Laken gebettet und rings um ihn herum werden brennende Öllämpchen aufgestellt und etwas Weihrauch verbrannt.

Mit dem Weihrauch will man die guten, reinen Geister anlocken. Das Gesicht des Verstorbenen wird mit einer Paste aus Sandelholz und rotem Pulver bestrichen. Dann wird der Leichnam in das weiße Laken gehüllt, welches mit Blumen bestreut wird. Verwandte, Freunde und Nachbarn können dem Toten nun kondolieren, Blumengebinde bringen und ihre Anteilnahme zum Ausdruck bringen.

In der Hinduistischen Welt gibt es in der Regel keine Särge oder Gräber. Traditionelle Hindus verbrennen die Toten – nur Kinder unter 2 Monaten und heilige Männer (Sanjasins) werden beerdigt, da bei ihnen eine spirituelle Reinigung durch das Feuer nicht notwendig ist.

Richtig ausgeführte Todesrituale sind wichtig, um die Seele (Atman) zu befreien, so dass sie ihre Reise hin zur Befreiung (Moksha) fortsetzen kann.

Bestattung in Varanasi

Höchstes Ziel eines gläubigen Hindus ist es, nach seinem Tod an den Ghats der heiligen Stadt Varanasi in Benares eingeäschert und dann dem heiligen Fluss Ganges übergeben zu werden. Denn hier kann die Seele direkt aus dem ewigen Kreislauf von Tod und Wiedergeburt erlöst werden.

Dies ist der Grund, warum die Hinterbliebenen nicht von Trauer überwältigt werden. Im Gegenteil, es scheint Freude zu herrschen.

Das Manikarnika Ghat in Varanasi ist bekannt als das „brennende Ghat“. Hier werden seit Dreitausend Jahren die Leichen der Hindus eingeäschert.

In einigen Gebäuden in der Nähe des brennenden Ghat warten alte und kranke Menschen auf ihren Tod. Ein hinduistischer Tempel steht direkt neben dem Einäscherungsplatz.

Ungefähr 300 kg Holz werden für die Einäscherung eines Leichnams benötigt.

Hindus glauben, dass das Feuer reinigende Wirkung hat und die Seele aus dem Körper befreit. Wenn die Rituale der Einäscherung nicht korrekt vollzogen werden, kann die Seele allerdings nicht den Weg ins Jenseits finden.

Ein Leichnam wird auf einer Bahre an den Ganges gebracht. Er ist in ein orangefarbenes Leichentuch eingewickelt. Ein Toter soll traditionell innerhalb von 24 Stunden nach dem Tod verbrannt werden. Die Beerdigungsriten werden von den nächsten Verwandten des Toten vollzogen. Hindu-Frauen sind bei der Beerdigung nicht zugegen.

Für einige wenige Sekunden wird der Leichnam in das Wasser des Ganges getaucht.

Anschließend wird der Tote zu den Stufen am Ufer zurückgebracht, wo er etwa für zwei Stunden zum Trocknen stehen gelassen wird.

Ist der Körper wieder ausreichend trocken wird er von den Familienmitgliedern zum Einäscherungsplatz gebracht. Für jede Kaste der Hindus gibt es einen eigenen Feuerplatz.

Den direkten Kontakt mit dem Leichnam dürfen nur Menschen haben, die die Unberührbaren genannt werden. Nur die Unberührbaren dürfen die Einäscherung durchführen. Die Unberührbaren erhalten nicht nur eine Gebühr für die Einäscherung, sie verkaufen auch das Holz, das für die Einäscherung benötigt wird.

Der Leichnam wird auf den Holzhaufen gelegt und mit weiteren Holzstücken beschwert. Dann wird der Holzstoß entzündet.

Es dauert drei bis vier Stunden um einen Leichnam zu verbrennen. Die entstehende Hitze ist unbeschreiblich. Niemand kann sich in seiner Nähe aufhalten.

Sobald die Einäscherung beendet ist, wird das Feuer mit Wasser aus dem Ganges gelöscht. Die Asche wird eingesammelt und dem Fluss übergeben. Täglich werden in Varanasi auf diese Weise bis zu dreihundert Leichen verbrannt.

Trauer-Rituale im Hinduismus

Auch wenn Hindus nach Möglichkeit noch am Todestag eingeäschert werden sollten, die eigentliche Trauerzeit beginnt für Angehörigen erst danach und dauert 13 Tage lang.

In dieser Zeit gelten die Angehörigen des Verstorbenen als unrein, dürfen den Tempel nicht betreten und auch nicht an religiösen Zeremonien und Festen teilnehmen. Auch bestimmte Lebensmittel sind in dieser Zeit tabu.

Innerhalb dieser Zeit an einem ungeraden Tag trifft sich die Trauergemeinde noch einmal zu einem gemeinsamen Essen. Dabei wird das Leibgericht des Verstorbenen serviert und ein Teil dieser Speisen an einem abgeschiedenen Platz zurückgelassen.

Am zehnten Tag der Trauer rasieren sich die männlichen Verwandten des Verstorbenen die Köpfe kahl. Außerdem sind die Angehörigen angehalten eine Kuh zu spenden, oft aber nur in einer symbolischen Form.

Einen Monat nach der Einäscherung wird die Shraddha-Zeremonie abgehalten. Das Sanskrit-Wort Shraddha steht für Glaube und Vertrauen. Dabei werden der Gottheit, dem Verstorbenen und seinen Ahnen Opfer in Form einer rituellen Speise gebracht.

Der Sohn oder ein anderer männlicher Nachkomme des Verstorbenen opfert Reisklöße.

Gibt es keinen männlichen Nachkommen, dann ist dies ein großes Unglück. Denn das bedeutet, dass der Verstorbene nicht wiedergeboren werden kann und in einem Zwischenreich verharren muss.

Dies Shraddha-Ritual wird jährlich am Todestag des Verstorbenen wiederholt.

Durch die Einhaltung dieser Trauerrituale soll dafür gesorgt werden, dass die Seele des Verstorbenen zu ihrem neuen Dasein aufsteigen kann.

Während im Judentum, im Islam und im Christentum ein Grab mit einem Grabstein an den Verstorbenen erinnert, ehren Hindus ihre Toten und Ahnen mit einem Hausaltar.

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