Erzählung
Die Jahre vergehen. Elisabeth wird eine junge Frau. Sie gehört nun ganz zur Familie. Bald soll die Hochzeit von Herrmann und Elisabeth gefeiert werden. Doch da geschieht etwas Schlimmes: Herrmann wird sehr krank und stirbt nach wenigen Tagen. Elisabeth ist sehr traurig. Was soll nun werden? Sie ist doch als kleines Mädchen hierhergeholt worden, damit sie Herrmanns Frau wird. Eines Abends hört Elisabeth zufällig ein Gespräch.
„Ich glaube, es ist das Beste, wenn wir Elisabeth wieder zurück nach Ungarn schicken“, sagt die Landgräfin. Der Landgraf stimmt ihr zu: „Sie hat ja noch nie so richtig zu uns gepasst. Sie wird es wohl doch nie lernen, sich wie eine Dame zu benehmen.“ Die Landgräfin pflichtete ihm bei:
„Immer noch hält sie sich lieber bei den Köchinnen und bei der Dienerschaft auf, oder sie schwatzt mit den Bettlern am Tor. Und wenn ich an ihr unmögliches Benehmen damals in der Kirche denke, ist mir das heute noch peinlich. Sie will einfach nicht tun, was sich für eine Burgherrin gehört.“
Elisabeth zuckt zusammen. Wieder nach Ungarn zurück? Das kann ich nicht. Ich bin doch nun hier zuhause, – hier in Deutschland! Die Gedanken drehen sich ihr im Kopf. Verzweifelt irrt sie durch die Gänge der Burg. „He, Elisabeth!“ Ritter Walter steht vor ihr. Sie hat ihn gar nicht bemerkt. Elisabeth schaut ihrem treuen Freund ins Gesicht. „Du weinst ja, Elisabeth, was hast du?“ „Ach, stell dir vor, sie wollen mich wieder zurück nach Ungarn schicken. – Aber ich bin doch hier zuhause. Hier habe ich meine Freunde. Hier ist meine Heimat. Ach, Ritter Walter, was soll ich nur tun?“ – „Ich helfe dir“, tröstete Ritter Walter Elisabeth, „ich lasse dich nicht im Stich. Du weißt doch, dieses Versprechen habe ich vor vielen Jahren deinen Eltern gegeben.“ Ritter Walters Worte beruhigen Elisabeth.
Am nächsten Morgen klopft Walter bei Ludwig an die Tür. Ludwig ist jetzt der älteste Sohn des Landgrafen und soll später, wenn sein Vater gestorben ist, Landgraf werden. „Kommt mit mir auf einen Ausritt, es ist ein wunderschöner Tag!“ Ludwig ist schnell bereit dazu. Als sie eine Weile geritten sind, fängt Ritter Walter geschickt ein Gespräch an: „Weißt du schon, dass deine Eltern Elisabeth nach Ungarn zurückschicken wollen?“ „Was sagst du da?“ ruft Ludwig entsetzt und hält die Zügel an. „Elisabeth soll fort von hier? – Das lasse ich nicht zu!“ – „Aber wie willst du das deinen Eltern beibringen?“ fragt ihn Ritter Walter. „Ganz einfach, ruft Ludwig, ich werde Elisabeth heiraten.“ – „Du?“, fragt der Ritter erstaunt. „Ja, ich!“ – Ludwig schaut schweigend in die Ferne. – „Siehst du den Berg da vorne?“ fragt er nach einer Weile. – „Nicht für solch einen Berg Gold würde ich Elisabeth gehen lassen. Sie ist mir, seitdem ich sie kenne, der liebste Mensch auf der Welt.“ Ludwig greift in die Tasche seiner Lederjacke. „Hier, nimm den Spiegel. Er ist in reines Gold gefasst. Bringe ihn Elisabeth und frage sie, ob sie meine Frau werden will.“
Freudestrahlend nimmt Ritter Walter den Spiegel, reitet in Windeseile zur Burg zurück und rennt die Treppe hinauf. Noch ganz außer Atem stürzt er in Elisabeths Zimmer. „Diesen Spiegel bringe ich dir als Verlobungsgeschenk von Ludwig. Ich soll dich fragen, ob du seine Frau werden willst…“ Elisabeth ist völlig überrascht. Sie kennt Ludwig nun schon all die Jahre, aber nie hat sie gedacht, dass sie ihn heiraten könnte. Aber nun ist das ja ganz anders, wo Herrmann gestorben ist. Ja, sie mag Ludwig eigentlich sehr gern. Er ist gut zu ihr. Sie haben sich auch immer verstanden. „Ich kann es mir vorstellen, dass ich Ludwig heirate“, sagt sie leise und schaut Ritter Walter ins Gesicht. Der lächelt sie an und sagt: „Ja, Elisabeth, heirate Ludwig; das wird für dich und für ihn und für uns alle richtig sein!“ Ritter Walter nimmt Elisabeth in die Arme und drückt sie. Sein Plan ist aufgegangen. „Siehst du, Elisabeth, jetzt kannst du bei uns auf der Wartburg bleiben. Nun ist alles gut!“ Voller Aufregung rennt Elisabeth zu ihrer Freundin Guda. „Ich werde Ludwig heiraten!“, ruft sie schon in der Tür. „Ist das nicht ein großes Glück?“ „O, wie gut hat sich alles gewendet!“, stimmt Guda ihr zu. „Dann kann es ja bald eine Hochzeit geben.“
Und so kommt es auch. Wenige Wochen später sind die Vorbereitungen für das Hochzeitsfest voll im Gang. Gäste von nah und fern sind eingeladen. Musikanten und Narren, Tänzerinnen und Tänzer üben für das Fest. Fuhrwerke mit Lebensmitteln werden im Burghof entladen. Die Vorratskammern quellen über von frischem Gemüse, Obst, Fischen, Geflügel, geschlachteten Schweinen und Rindern. Im Keller lagern Fässer voll Wein; auch solcher aus Ungarn ist dabei. Jäger bringen frisches Wildbret: Fasane, Rebhühner, Hasen, Rehe und sogar ein Wildschwein. Der Koch und die Köchin lassen sich neue Rezepte einfallen und der Burgkonditor bäckt eine fünfstöckige Hochzeitstorte. Mit Zuckerguss schreibt er die Namen des Hochzeitspaares auf die Torte: Elisabeth und Ludwig. Elisabeths Freundin Guda schmückt mit den Mägden die Zimmer, in denen gefeiert werden soll, und aus den Fenstern der Burg werden Fahnen gehängt. Die Fanfarenbläser begrüßen die ankommenden Hochzeitsgäste.
Nicht nur auf der Burg, auch unten in Eisenach herrscht Feststimmung. Die Häuser sind mit Tannengrün geschmückt und für alles ist gesorgt. Überall soll mitgefeiert werden – in jedem Haus, in der ärmsten Hütte, ja selbst bei den Bettlern am Stadttor. Es ist ja nicht irgendeine Hochzeit, sondern die Hochzeit des künftigen Landgrafen mit einer Prinzessin. Es ist Elisabeths Wunsch, dass jede Familie mit Brot, Wein, Käse und Fleisch beschenkt wird, damit alle sich ein Festessen bereiten können. Als das Brautpaar zur Kirche fährt, schallen die Glückwünsche und Dankesrufe zur Burg hinauf: „Ein dreifaches Hoch auf das Brautpaar! – Viel Glück und Gottes Segen für Elisabeth!“