Samudra Manthan – Wie die Götter ihre Unsterblichkeit verloren und wiedergewannen.
Durvasa, der große Weise, besuchte eines Tages Indra, den König der Devas, und reichte ihm eine Blumengirlande als Geschenk. Indra nahm die Girlande und hängte sie an den Stoßzahn seines Elefanten Airavat.
Doch der Elefant mochte den Duft der Blumen nicht, warf die Girlande zu Boden und trampelte sogar mit seinen Füßen auf ihr herum. Diese Respektlosigkeit verärgerte den Weisen Durvasa, da die Blumengirlande als eine glückbringende Opfergabe gedacht war. Er verfluchte Indra und sagte, er und die anderen lichtvollen Devas würden das Glück verlieren. Daraufhin gingen den Gottheiten viele wertvolle Dinge verloren, so verschwanden unter anderem Indras Elefant Airavat, Vishnus Gattin Lakshmi und die magischen Kräfte aller Gottheiten.
Im Laufe der Zeit verloren Indra und die anderen lichtvollen Devas alle Schlachten gegen die dunklen Asuras. Und die von Maha Bali angeführten Dämonen übernahmen nach und nach die Kontrolle über das Universum. Als Maha Bali den himmlischen Palast der Devas einnahm, entdeckte er den Trank, der die Gottheiten unsterblich macht und nahm ihn an sich.
Indra eilte Maha Bali nach und griff nach dem Krug, den der Dämonenkönig in seinen Händen hielt. Als sie gemeinsam um den Krug rangen verschütteten sie vier Tropfen des magischen Nektars. Sie fielen auf die Erde hernieder. Der erste Tropfen landete in Haridwar, der zweite in Allahabad, der dritte in Ujjain und der vierte in Nashik. Die Tropfen sollen das Land gereinigt haben und noch heute kommen Gläubige zu diesen Orten, um ihre Sünden während des Wallfahrtsfest namens Kumbh Mela (Krugfest) in den heiligen Flüssen Ganges und Yamuna abzuwaschen. Am Ende entglitt der Krug mit dem Trank der Unsterblichkeit aus den Händen bei-der Streithähne. Er fiel aus dem Himmel und versank im Milchozean. Nun hatten die Gottheiten nicht nur ihre Kräfte, sondern auch ihre Unsterblichkeit verloren. Da der hilflose Indra keinen anderen Ausweg mehr sah, eilten er und die anderen Devas zu Vishnu, um von ihm Hilfe zu erflehen.
Vishnu hatte einen Plan. Er sagte, dass die Devas den Milchozean lange und intensiv aufwir-beln müssten, um alle ihre Kostbarkeiten, ihre Kräfte und den heiligen Trank der Unsterblichkeit zurückzugewinnen. Da die Gottheiten jetzt schwach und ohnmächtig waren, benötigten sie die Hilfe der Dämonen, um diese riesige Aufgabe zu erfüllen. Die Devas und die Asuras müssten für diese Aufgabe gemeinsam arbeiten. Vishnu versprach, dass am Ende nur die Devas den Nektar bekommen würden. Nun ging Indra zu den Dämonen und machte ihnen ein Friedensangebot.
In Zukunft würden die Götter mit den Dämonen alles gerecht teilen. Er versprach ihnen sogar den Trank der Unsterblichkeit, wenn sie beim Quirlen des Milchozeans helfen würden. Die Dämonen waren sehr interessiert und stimmten dem Vorschlag und dem Angebot Indras zu.
Das Aufwirbeln des Milchozeanes war ein komplizierter Vorgang. Der riesige Weltenberg Meru (Mandara), von Vishnu herbeigebracht, wurde als Stange benutzt, um das Wasser zu quirlen. Aber als der Berg in das Wasser eingetaucht wurde, drohte er in die Tiefen des Ozeans abzurutschen.
Um dies zu verhindern, verwandelte sich Vishnu schnell in eine Schildkröte namens Kurma, tauchte ins Meer hinab, schwamm unter den Berg und stellte sich den Berg auf den Rücken. Brahma hingegen setzte sich auf die Spitze der Berges, um ihn im Gleichgewicht zu halten. Als der Berg ausbalanciert war erschien Vasuki, der König der Schlangen. Die gigantische Schlange wickelte sich als Antriebsseil um den Berg.
Die Dämonen stellten sich an das Kopfende der Schlange und die Götter an das Schwanzende. So hatte es Vishu den Göttern geraten. Dann begannen sie abwechselnd an ihrem Ende der Schlange zu ziehen, um den Berg in Drehung zu versetzen. Das Quirlen des Milchozeanes begann und gewaltigen Wellen entstanden.
Als der Milchozean aufschäumte, kam aus dem Wasser das giftigste Gift des Universums hervor. Es hieß Halahala. Die Götter bekamen Angst, weil dieses Gift die Schöpfung zu zerstören begann. Die Götter beteten zum mächtigen Shiva, um ihnen zu helfen. Shiva kam und trank das gesamte Gift. Seine besorgte Ehefrau Parvati stürzte aber herbei und drückte Shiva den Hals zusammen, damit er das Gift Halahala nicht schlucken konnte. So behielt er das Gift im Hals. Seither ist Shivas Hals blau und er wurde als Nilkantha oder Blaukehl bekannt.
Das Quirlen des Milchozeans wurde fortgesetzt und nun strömte eine Reihe von Geschenken und Schätzen hervor. Dazu gehörte die himmlische Kuh Kamadhenu, die alle Bedürfnisse stillt, die Mutter aller Kühe. Sie wurde den sieben Weisen übergeben. Als zweites erschien das geflügelte weiße Pferd Uchaihshravas, dass sich der Dämonenkönig Bali nahm, es später aber an Indra zurückgeben musste. Als drittes kam nach einer Weile der große Elefant Airavat hervor. Indra, der König der Götter, nahm ihn für sich. Als nächstes erhob sich das himmlische Juwel Kaustubha aus dem schäumenden Meer. Vishnu hängte es sich an seine Brust. Als fünftes erschien der Wünsche erfüllende Baum Kalpavriksha. Den Baum erhielt Indra, der ihn in den paradiesischen Garten am Götterberg pflanzte. Als sechstes erschien Sura Devi, die Göttin des Weines. Sie wurde den Dämonen versprochen. Doch weil sie sie nur widerwillig annehmen wollten, nahm Vishnu sie. Den siebenten Gegenstand, das Muschelhorn Shanka, das den kosmischen Klang Om und damit die Energie des Universums symbolisiert, nahm Vishnu. Ebenso den Zauberbogen, der als ach-tes erschien. Nach einer Weile des Quirlens tauchte der milde und glänzende Mond aus dem Ozean auf. Den steckte sich Shiva ins Haar. Danach erhob sich aus den Wellen Lakshmi, die Göttin der Liebe und des Wohlstandes. Ihr Erscheinen löste Begeisterung unter allen Anwesenden aus, und die vier Himmelselefanten gossen segnend aus goldenen Krügen Wasser über sie. Lakshmi selbst wählte Vishnu zu ihrem Gatten.
Und endlich erschien der göttliche Arzt Dhanvantari mit dem Heilbuch Ayurveda in seiner rechten Hand. In seiner linken Hand hielt er, wonach sich alle sehnten: einen Krug mit Amrita, dem Getränk der Unsterblichkeit. Die Dämonen erhoben ein lautes Geschrei beim Anblick dieser Erscheinung und riefen: „Ihr Götter habt schon fast alles genommen, dieser muss nun unser sein!“ Einige Dämonen griffen nach dem Gefäß, in dem sich der Trank befand, entrissen es dem göttlichen Arzt und rannten damit fort.
Doch bevor die Dämonen vom Amrita trinken konnten, um Unsterblichkeit zu erlangen, griff Gott Vishnu ein und eilte den Flüchtenden nach.
Er verwandelte sich in Mohini, eine bezaubernd schöne Frau.
Die hinreißende Mohini verführte die Asuras, sie tanzte ihnen vor, flirtete mit ihnen und machte sie in sich verliebt. Und schließlich waren die Asuras so trunken vor Liebe zu Mohini, dass sie ihr den Nektar der Unsterblichkeit gaben, damit sie ihn gerecht zwischen den Devas und Asuras verteile. So kehrten sie gemeinsam zu den Gottheiten und den Dämonen zurück.
Dort angekommen ließ Mohini die Götter zuerst vom Amrita trinken, damit sie Unsterblichkeit er-langen konnten. Von der Schönheit und der Anmut Mohinis gebannt, warteten die Dämonen geduldig. Nur der Dämon Rahu hatte keine Geduld. Er verkleidete sich als Gott und mischte sich unerkannt unter die Devas und erhielt aus der Hand Mohinis einen Schluck Amrita. Doch in diesem Moment erkannten ihn Surya, die Sonne und Chandra, der Mond, und verrieten ihn an Mohini. Augenblicklich nahm Vishnu wieder seine eigene Gestalt an und schleuderte seine Wurfscheibe nach Rahu. Die Wurfscheibe trennte Rahu den Kopf ab. Da aber das Amrita schon seine Kehle durchfloss, erlangte sein Kopf Unsterblichkeit. Er stieg zum Himmel auf, während sein kopfloser Körper tot zur Erde fiel.
Seit dieser Zeit herrscht Feindschaft zwischen dem unsterblichen Dämonenkopf Rahu und den beiden Göttern Sonne und Mond. Immer wieder verschluckt Rahu die Sonne und den Mond, um sich zu rächen. Bald danach muss er sie aber wieder ausspucken, denn auch sie sind unsterblich. Als die Dämonen endlich begriffen, dass sie betrogen worden waren bewaffneten sie sich mit den unterschiedlichsten Waffen und griffen die Götter an. Es folgte ein großer Krieg zwischen den Devas und Asuras, in dem die göttlichen Devas letztlich die Oberhand behielten. Schließlich flohen die Dämonen vor den Göt-tern, versteckten sich im Inneren der Erde oder tauchten in die Tiefen des salzigen Meeres ein. Nach ihrem Sieg ehrten die Götter den Berg Meru (Mandara) und stellten ihn auf seinen Platz zurück. Indra und die anderen Götter übergaben Vishnu das Gefäß mit Amrita, damit er es sorgfältig aufbewahre. Dann ließen die Götter im Himmel ihr Freudengeschrei erklingen und kehrten in ihre Bereiche zurück.