Joachim Gnilka: Wer waren Jesus und Muhammad?
Ihr Leben im Vergleich.
Freiburg u.a.: Herder 2011, 330 S., mehrere Register
ISBN 978-3-451-34118-2
Der bekannte Münchner Neutestamentler Joachim Gnilka hat im Rahmen seiner bibelwissenschaftlichen Forschungen mehrfach schon den Blick über den eigenen Bereich hinaus getan. Das Buch „Bibel und Koran“ hat inzwischen die 7. Auflage seit 2004 erreicht (Rezension, s.u.). Sein neuestes Buch beschäftigt sich vergleichend mit den beiden monotheistischen „Religionsstiftern“. Jesus und Mohammed (Muhammad). Ähnlichkeiten und Differenzen werden sorgsam aufgelistet und kommentiert. Dabei berücksichtigt der Autor auch die jüngsten Entwicklungen in der Mohammed-Forschung mit all ihren Aufgeregtheiten. Die Idee dieser Art des Vergleichs kam dem Forscher aus dem antiken Vorbild der Parallelbiografie, für die Plutarch in besonderer Weise steht.
Exegetisch hält sich Gnilka im Blick auf die Jesus-Forschung an die Orientierungsmarken, die die neutestamentliche Forschung seit Albert Schweitzer und Rudolf Bultmann gesetzt hat. Ernst Käsemann hätte hier vielleicht noch mit einbezogen werden können. Es gilt nämlich, die historische Person Jesus aus den Evangelien „herauszuschälen“.
Auch ein literarkritischer Unterschied zu der historischen Glaubwürdigkeit der Evangelien sei in Hinsicht auf den Koran benannt: Er enthält faktisch kein historisch nutzbar zu machendes Material über Mohammed. Die späteren Traditionen über den Propheten sind natürlich legendarisch überwuchert. Dies führt Gnilka dazu, nicht im Nebel historischer Vermutungen herumzusuchen, sondern eine sorgsame Abwägung der verschiedenen Positionen für eine kompetente Hinführung zur Geschichte Jesu und Mohammeds aufzubauen.
In klarer Aufgliederung wird einleitend die nicht sehr üppige Quellenlage analysiert, die bei Jesus etwas besser, aber für Mohammed nicht viele präzise historische Anhalte liefert. Eine erste differenzierende Typik der beiden „Religionsstifter“ bildet den Abschluss der Einleitung.
In Kapitel 1 werden in Abschnitt I die Positionen in der Jesus-Forschung dargestellt und kurz auf das Wesentliche ihrer Forschungsergebnisse und bewertenden Aussagen zugeschnitten: Albert Schweitzer, Rudolf Bultmann, John Dominic Crossan und Rainer Riesner. Dann folgen Einschätzungen stärker wirkungsgeschichtlicher Art bei so unterschiedlichen Theologen wie Joseph Ratzinger, Romano Guardini, Gerd Theißen, Annette Merz, Hubert Frankemölle, James D.G. Dunn und Wolfgang Stegemann.
Vergleichbar verfährt Gnilka im Abschnitt II zur Mohammed-Forschung. Er stellt wesentliche Positionen exemplarisch dar: Die sorgsame Differenzierung bei Hartmut Bobzin zwischen Historie und Legende, der klassische Anschub zur Mohammed-Forschung von Tor Andrae, die Herausarbeitung des Konflikts mit den Juden bei Marco Schöller und Gregor Schoelers Versuch, historischen Boden zu gewinnen. Dagegen steht bei Hans Jansen wegen der legendarischen Biografie von Ibn Ishaq die Historizität Mohammeds in Frage. In diese historisch-biografischen Zurückweisungen mit späteren Verklammerungen stimmt Martin Lings mit Mohammed als Romanfigur verschärfend ein. Patricia Crone konstruiert den Islam als politisch motivierte Religion aufgrund der wirtschaftspolitischen Zusammenhänge in Mekka, Edouard-Marie Gallez baut eine judenchristliche Linie zu Mohammed als Propheten des Messias auf. Mit dem offensichtlich bei einigen (christlichen) Forschern recht beliebten Bezug auf syrisch-aramäische Sprachverwandtschaften versuchen Christoph Luxenberg und Karl-Heinz Ohlig durch eine Art „Verchristlichung“ die eigenständigen Religionsgründung Mohammeds faktisch abzuwerten. Tilmann Nagel bezieht sich mit seiner Kritik auf einen kämpferischen sich abgrenzenden Mohammed, dessen Historizität nicht zu bezweifeln ist.
Das Kapitel 2 ist aufgrund dieser Vorarbeiten einem ausführlichen Vergleich gewidmet, in dem die biografischen, politischen und literarischen Besonderheiten vorgestellt werden. Es sei darum hier aus dem Inhaltsverzeichnis eine Gegenüberstellung Jesus mit 11 Schwerpunkten und bei Mohammed mit 10 Gesichtspunkten vorgenommen:
Jesus Mohammed
1. Die Wurzeln in Nazareth (S. 180ff) 3. Die Berufung Mohammeds (S. 256ff)
2. Johannes der Täufer und Jesus (S. 186ff)
3. Die Armen und die Jüngerschaft (S. 194ff)
4. Die Reich-Gottes-Verkündigung (S. 203ff) 4. Ankündigung des nahen Endes (S. 259ff)
5. Die Gerichtspredigt (S. 262ff)
5. Wunder —
6. Ethik (S. 214ff) 8. Der Blick auf Muhammad, bes. S. 282–288
7. Der Konflikt (S. 219ff) 6. Konflikt mit den ungläubigen Polytheisten
8. Der Abschied (S. 225ff) 9. Bei „Der Krieger“ (S. 288ff)
nur kurzer Hinweis auf seinen Tod (S. 293)
9. Das Ende am Kreuz (S. 230ff) —
10. Ostern (S. 235ff) —
11. Wer war Jesus? (S. 241ff) 10. Die Vita Muhammads (S. 292ff)
Schon diese grobe Nebeneinanderstellung markiert, dass ein Vergleich der beiden „Religionsstifter“ erhebliche Lücken aufweisen muss. Auch haben beide eine unterschiedliche Zielrichtung gehabt. Mohammed ist der einzige Gründer einer universalen Religion, der zugleich Staatsmann war und auch Kriege führte. Dennoch fasziniert das Nebeneinanderstellen zweier unterschiedlicher „Persönlichkeitstypen“. Gnilka versucht bei der Abgrenzung der beiden nicht, den Gottessohn Jesus ins Spiel zu bringen. Das Besondere des Nazareners ist seine Identifizierung als Person mit seiner Botschaft. Jesus „ist letztlich die Mitte seiner Botschaft“ (S. 297f).
So merkt man dem Autor bei der zusammenfassenden Parallelisierung am Schluss an, dass er gerade durch diese Unterschiedenheit der Jesus- und Mohammed-Bilder eine Bereicherung im christlich-islamischen Dialog sieht. Nach der Lektüre dieses Buches dürften aufmerksame Leser/innen die Sackgassen und Chancen gegenseitigen Verstehens klarer vor Augen haben.
In durchaus ähnlicher Weise hatte Joachim Gnilka schon Jahre zuvor einen ersten wesentlichen Schritt bei der Parallelisierung von Bibel und Koran getan:
Joachim Gnilka: Bibel und Koran. Was sie verbindet, was sie trennt.
Freiburg u.a.: Herder 2004, 216 S. Register — ISBN 3-451-28316-6
Neuauflage (= 7. Aufl.) als Herder spektrum 6218, 2010, 224 S. — ISBN 978-3-451-06218-6
Der christlich-islamische Dialog ist eine wichtige Voraussetzung, um Vorurteile abzubauen und Verständigung nicht nur zu ermöglichen, sondern auch zu verstärken. Inzwischen befindet sich eine Fülle von Einführungsliteratur zum Islam auf dem Buchmarkt. Das ist zwar insgesamt zu begrüßen, aber viele dieser „Einstiegsbücher“ können wichtige Themen wie die der Koran-Interpretation nur anreißen. Deshalb ist das Buch des emeritierten Professors, Joachim Gnilka (geb. 1928) für Neues Testament an der Universität München umso mehr zu begrüßen, weil hier ein renommierter Bibelwissenschaftler die Grenzen seiner eigenen Disziplin überschreitet und mit seinem methodischen Handwerkszeug einen sachlichen Umgang mit den Glaubensurkunden von Islam und Christentum aufbaut.
Ganz im Sinne seiner exegetischen Voraussetzungen beleuchtet der Autor zuerst den historischen Hintergrund von Juden und Christen in Arabien vor dem Auftreten Mohammeds, stellt dann Mohammed und Jesus gegenüber und zeigt sehr schön, durch welche „Brillen“ die jeweiligen Anhänger des einen Glaubens die „Andersgläubigen“ sehen. Das gilt übrigens bis heute, wo nicht nur Christen manches im Koran als fremd ansehen und Muslime mit bestimmten Aussagen des Neuen Testaments schwer etwas anfangen können (z.B. die Kreuzigung Jesu). Von daher ist es wichtig, dass der Autor jeweils auf die Grundverständnisse der jeweiligen Texte in ihrem (historischen) Zusammenhang eingeht, dabei die unterschiedliche Entstehung und Wertschätzung von Bibel und Koran heraushebt, um dann einige (keineswegs alle) gemeinsame theologischen Themen so zu betrachten, dass Unterschiede und Gemeinsamkeiten gerade den Reiz ausmachen, wenn die Texte der jeweiligen Glaubensbücher interpretiert werden. Schade nur, dass er auf die wichtigen Arbeiten von Karl-Josef Kuschel gerade unter trialogischen Gesichtspunkten keinerlei Bezug nimmt.
Schwerpunkte bilden in diesen religionsvergleichenden Kontexten: Schöpfer und Schöpfung, Offenbarungsverständnisse, Jesulogie und Christologie im Neuen Testament sowie im Koran, die unterschiedliche Berufung von Juden, Christen und Muslimen auf Abraham, das Menschenbild auch im Kontext der ethischen Weisungen, die Eschatologie und schließlich die heiklen Relationen von Geboten und sog. Heiligem Krieg. Bei allem jedoch bleibt Gnilka Exeget, so dass man ihm durchaus zustimmen kann, wenn er den Gewaltaspekt, der in einer Reihe von koranischen Aussagen durchzuschimmert, hermeneutisch unter die Sure 5,32 stellt, um damit klar zu machen, dass auch die islamischen Koran-Exegeten noch einen weiten Weg vor sich haben, damit Krieg im Sinne von Engagement und Kampf gegen Ungerechtigkeit und Unterentwicklung eindeutig in nicht-militärischer Richtung verstanden werden kann.
In der Verlagswerbung der Erstauflage von 2004 hatte es geheißen: „Vorurteile, Unkenntnis und Angst prägen die aktuelle politische Debatte um den Islam. Ein sachlicher Umgang der Kulturen miteinander ist drängender denn je. Joachim Gnilka leistet dazu einen unverzichtbaren Beitrag. Er analysiert Verbindendes und Trennendes in Koran und Bibel: im Menschen- und Gottesbild, bei Mohammed und Jesus, und bezieht dabei auch den historischen Hintergrund gegenseitiger Wahrnehmung mit ein.“ Diese Kurzcharakteristik bleibt auch 11 Jahre nach dem Erscheinen der 1. Auflage noch aktuell.
Die Rezension zu „Bibel und Koran“ erschien zuerst in. Reinhard Kirste / Paul Schwarzenau / Udo Tworuschka (Hg.):
Wegmarken zur Transzendenz. Interreligiöse Aspekte des Pilgerns.
Religionen im Gespräch, Bd. 8 (RIG 8). Balve: Zimmermann 2004, S. 495–496 (bearbeitet)
Reinhard Kirste
Es gibt auch eine Rezension von Felix Körner zu „Bibel und Koran“:
„Gnilka, Joachim, Bibel und Koran. Was sie verbindet, was sie trennt, Freiburg 2004“, in: Stimmen der Zeit 223 (2005), S. 137–139. (pdf)