Ein Diskussionsbeitrag der Stiftung Digitale Chancen
Offene Bildungsressourcen sind nicht erst seit dem 21. Jahrhundert ein Gegenstand der Debatten. Aber durch die breite Verfügbarkeit digitaler Medien und die damit einhergehenden Möglichkeiten der Bearbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung von Inhalten haben diese Debatten eine neue und hohe Relevanz gewonnen. Gerade im Hinblick auf eine nach wie vor bestehende Spaltung der Gesellschaft in diejenigen, die Zugang zu Wissen und Informationen haben und sich diese zu Nutze machen, und diejenigen, die nicht oder nur in geringerem Maße auf Bildungs- und Informationsangebote zugreifen können oder wollen, erscheint es notwendig, einen freien und offenen Zugang zu Bildungsressourcen zu gewährleisten. Unter informationsethischen Gesichtspunkten besteht eine Verpflichtung, insbesondere Inhalte, die mittels öffentlicher Mittel entwickelt und erstellt wurden, frei zugänglich bereitzustellen. Zu welchen Bedingungen diese Bereitstellung erfolgt, kann durch die verschiedenen so genannten Creative Commons Lizenzen festgelegt werden. Bei der Entscheidung, welche Bedingungen für den jeweiligen Inhalteanbieter geeignet sind, spielen verschiedenen Gesichtspunkte eine Rolle. Im Folgenden werden diese aus der Perspektive einer gemeinnützigen Organisation, die ohne Absicht der Gewinnerzielung Inhalte entwickelt und erstellt, beleuchtet.
Frei zugängliche und offene Bereitstellung von Bildungsmaterialien heißt, dass die Bearbeitung der Inhalte erwünscht ist und ohne Einschränkung ermöglicht wird. Mit digitalen Medien kann die Bearbeitung technisch ohne Erkennbarkeit der Urheberschaft der Veränderungen erfolgen. Wer Bildungsinhalte erstellt, geht davon aus, dass diese den Qualitätsansprüchen der potenziellen Nutzerinnen und Nutzer genügen müssen, damit sie sich entsprechend verbreiten. Bei kommerzieller Vermarktung übernimmt in der Regel der Herausgeber die Verantwortung für die Qualitätssicherung und erhält ein zumeist uneingeschränktes Verwertungsrecht, das. Dieses uneingeschränkte Verwertungsrecht ist zudem aus Sicht des Herausgebers konstitutiv für den Vermarktungserfolg. Wer als Herausgeber Aufwände in die Qualität der Inhalte investiert, möchte sichergehen, dass er diese Aufwände aus den Verkaufserlösen decken kann.
Für die Bereitstellung offener Bildungsressourcen ist daher zunächst die Frage zu klären, wie unter der Voraussetzung einer nicht-kommerziellen Verwertung eine entsprechende Qualitätssicherung erfolgen kann. Die Rezipientin oder der Rezipient soll sich auch bei offenen Bildungsressourcen darauf verlassen können, dass die Inhalte sachlich und inhaltlich korrekt sind und bleiben sowie einem Mindeststandard entsprechen. Da bei allen CC-Lizenzen der eigentliche Urheber bei jeder Nutzung genannt werden muss, steht dieser mit seiner Reputation für die Qualität ein. Er kann durch die Lizenz verlangen, dass spätere Bearbeitungen bei der weiteren Verbreitung benannt werden. Eine vollständige Kenntlichmachung jeder Ergänzung und Neuformulierung ist zwar möglich, aber kaum praktikabel, die Inhalte sollen schließlich auch nach der Weiterbearbeitung noch attraktiv und benutzbar sein.
Gerade für gemeinnützige Institutionen, die Inhalte oft unter Zuhilfenahme öffentlicher Mittel erarbeiten, ergibt sich daraus aber ein gewisses Dilemma. So steht eine Organisation wie zum Beispiel die Stiftung Digitale Chancen mit ihrem Ruf als eine anerkannte Einrichtung für die Entwicklung und Bereitstellung qualitativ hochwertiger Bildungsinhalte ein. Wenn sie diese nun als offene Bildungsressourcen für die Bearbeitung durch andere zugänglich macht, ist das auch mit dem Risiko verbunden, dass unter ihrem Namen Inhalte verbreitet werden, bei denen die Nutzerin oder der Nutzer nicht mehr erkennen kann, wer welche Weiterbearbeitung – und mögliche Qualitätsbeeinträchtigung zu verantworten hat. Mit so genannten „No endorsement“Klauseln kann die Stiftung als Urheberin festlegen, dass mögliche Lizenznehmer nicht den Eindruck erwecken dürfen, sie unterstütze deren Anliegen. Damit kann sich ein Urheber vor der unerwünschten Vereinnahmung für die Interessen Anderer schützen. Für die Wahrung seines guten Rufs, als Anbieter von qualitativ hochwertigen Inhalten, sind diese Klauseln aber nicht geeignet. Qualitätsstandards des Urhebers können sich über inhaltliche Anforderungen hinaus an weiteren Aspekten festmachen. Hier ist zum Beispiel der Anspruch an eine barrierefreie Bereitstellung von Inhalten zu nennen. Wenn durch die Weiterbearbeitung eines potenziellen Lizenznehmers die Inhalte anschließend nicht mehr den Bedarfen von Menschen mit Behinderungen entsprechen, kann auch dies dazu führen, dass die durch CC-Lizenz geforderte Nennung als Urheber diesem eher schadet als nützt. Denn möglicherweise steht er mit seinem Namen für Materialien, deren Form seinem Anspruch an Barrierefreiheit nicht genügt.
Creative Commons Lizenzen erlauben dem Lizenzgeber, die Spielregeln der Weiterbearbeitung und Weiterverbreitung selbst zu definieren. Gleichzeitig ist aber die Diversifizierung der Lizenzen in eine Vielzahl von Auslegungen kontraproduktiv. Unterschiedlich lizensierte Materialien können nämlich nicht mehr zusammengefügt werden, wodurch wiederum die gewünschte Offenheit der Bildungsressourcen eingeschränkt wird.
Offene Bildungsressourcen bereit zu stellen, bedeutet nicht selbstverständlich, dass diese Materialien kostenfrei angeboten werden. Und es sind – bisher vorwiegend im angelsächsischen Raum – auch Refinanzierungsmodelle erprobt worden. Wenn allerdings seitens der Inhalteanbieter im Falle von gemeinnützigen Organisationen gar keine Gewinnerzielungsabsicht vorliegt, sondern es vielmehr darum geht, den ideellen Wert der Urheberschaft für einen qualitativ hochwertigen Inhalt für die Organisation zu sichern, sind Refinanzierungsmodelle keine Lösung. Hier müssen andere Wege gefunden werden, die den Inhalteanbietern Möglichkeiten der Qualitätssicherung bei gleichzeitiger offener Bereitstellung an die Hand geben. Eine Umkehr der „No Endorsement“-Klausel zu einem „endorsed by“ im Sinne einer Empfehlung für die weiterentwickelten Materialien durch den Lizenzgeber kann ein solcher Weg sein.
Vielen Dank für den Beitrag. In der Tat ergeben sich mit der Möglichkeit der unkontrollierbaren Weitergabe und Veränderung von Inhalten Herausforderungen, die dem Internet allerdings auch nicht wirklich fremd sind.
Man kann Qualitätssicherung nicht ohne eine neue Rollenverteilung denken.
Die Produktion von guten OER ist kommerziellen, gemeinnützigen Einrichtungen und professionellen (beispielsweise Lehrerinnen) und privaten Produzenten gleichermaßen möglich. Die Herkunft des Produktes als Qualitätsmerkmal verliert möglicherweise an Bedeutung.
Daher kommt insbesondere dem jeweiligen Herausgeber / Webseitenbetreiber eine besondere Verantwortung bei der Qualitätssicherung zu. Aber auch dies garantiert keine umfassende kritische Sachkenntnis auf allen Gebieten. Bereits jetzt kommt in der Qualitätssicherung sogenannten Fach-Communities (zum Beispiel Religionslehrer_innen) eine zentrale Rolle zu, die in der Lage sind, OER durch Kommentare, Adaptionen und Bewertungen weiter zu qualifizieren. Sie übernehmen damit Aufgaben, die bisher Verlage durch ein gutes Lektoriat und Reszensionsmangement leisten mussten.
Auch die Nutzenden spielen eine wichtige Rolle bei der Selektion von Inhalten. Diese werden sie zunehmend besser ausfüllen, wenn sie an Fach-Communities partizipieren oder zumindest in der Sache vertrauenswürdige Herausgeber und Netzknoten nutzen, über die sie ihre OER beziehen oder mit Hilfe derer sie entdeckte OER beurteilen können.
Allein durch die Kennzeichnung von Urheberschaften und einer CC-Lizenzierung kann die Qualität nicht gesichert werden, aber es ist ein wichtiger Schritt, um eine dem Medium gemäße Entwicklung zu mehr Qualität in der Bildung zu ermöglichen.