Das Vorurteil
Die Bezeichnung „Epilepsie“ wird vom algriechischen Wort ἐπίληψις (epílēpsis) abgeleitet, was zu deutsch „gepackt werden“, „ergriffen werden“, „angefallen werden“, also einen Anfall bedeutet.
Die alten Griechen nannten die Epilepsie auch „Heilige Krankheit“. Im deutschen Sprachraum hört man heute noch „Fallende Sucht“, „Hinfallende“, „böses Wesen“, „St. Valentinsweh“ und „Frais“.
Wer einmal Zeuge eines großen epileptischen Krampfanfalls war, versteht die Angst vor dieser Krankheit.
Ein soeben noch in jeder Beziehung unauffälliger und gesunder Mensch stürzt plötzlich – möglicherweise mit einem Aufschrei – zu Boden, verdreht die weit aufgerissenen Augen, beginnt am ganzen Körper zu zucken, würgt u.U. Schaum aus dem Mund und fällt in einen tiefen Schlaf. Danach steht er auf, als wäre nichts gewesen.
Im Mittelalter wurden Anfallkranke wie Lepra- und Pestkranke aus der menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen.
Die Angehörigen betrachteten es als Schande, wenn ein Familienmitglied an Epilepsie erkrankte und versuchten dies mit allen Mitteln vor der Umwelt zu verheimlichen. Leider hat sich in diesem Bereich so manches Vorurteil bis heute gehalten. Unwissenheit und Aberglaube sind die Wurzeln für die Diskriminierung der Kranken. „Epileptiker“ ist vielfach noch ein Schimpfwort, und nur durch Aufklärung kann das Ziel erreicht werden, diese Krankheit objektiv im Licht der Wissenschaft zu sehen und Behandlungsmethoden voll auszuschöpfen.
Verheimlichen und Wegsperren hilft einem epilepsiekranken Kind nicht, seine soziale Integration zu bewältigen. Die Vorurteile unserer Gesellschaft veranlassen nicht wenige Eltern, den Begriff „Epilepsie“ zu vermeiden. Sie sagen „Krämpfe“ oder „Anfallsleiden“. Nicht das Wort ändert die Sache, sondern frühzeitige Erkennung und konsequente Behandlung.
Epilepsien erkennen
Eine Epilepsie kann nur im Anfallsstadium beobachtet werden.
Eine Beschreibung verschiedener Formen von Anfällen finden Sie hier.
Das Wahrnehmen von Anfällen sollten Sie als LehrerInnen oder KindergärtnerInnen zum Anlass nehmen, mit den Eltern darüber zu sprechen. |
Was tun?
Bei einem großen Anfall ist vor allem Ruhe zu bewahren. Bitte Sie die Mitschüler des Betroffenen, auf die Uhr zu sehen, um die Anfallsdauer festzuhalten. Je mehr sie in das Geschehen einbezogen werden, um so leichter ist hinterher die Bewältigung des Erlebten. Bitten Sie die Kinder darauf zu achten, dass alle scharfen und kantigen Gegenstände aus dem Aktionsradius des Anfallkindes entfernt sind.
Achten Sie darauf, dass das krampfende Kind frei atmen kann. Schützen Sie den Kopf mit einem weichen Gegenstand (Jacke, Pulli, Schultasche oder einfach mit der Hand) vor dem Aufschlagen auf dem Boden.
Versuchen Sie nicht, den Anfall zu unterbrechen. Sie können es ohnehin nicht! |
Auf keinen Fall festhalten!
Nichts in den Mund stecken!
Abwarten, bis der Anfall vorbei ist!
Sollten keine blutende Wunde oder eine sonstige auffällige Verletzung zu sehen sein, warten Sie ungefähr 10 Minuten, bis Sie die Rettung rufen. Meistens dauert der Anfall nicht so lange.
Bei Absencen ist ein Eingreifen Ihrerseits nicht nötig. |
Halten Sie das Kind nicht fest und versuchen Sie nicht, seine Aktivitäten zu stoppen!
Lernen und Leisten
Ein Epilepsie-betroffenes Kind kann wie jedes andere die Lernziele erreichen. Die individuelle Begabung eines Kindes ist nicht abhängig von der Epilepsie. Viele Schulkinder mit Epilepsie durchlaufen die Schule ohne besondere Probleme. Epilepsie an und für sich rechtfertigt noch keine pädagogisch-therapeutischen Maßnahmen und begründet keine Sonderschulbedürftigkeit. Da das Kind starke Medikamente einnehmen muss, kann leichte Ermüdbarkeit auftreten, und es kann zu Konzentrationsschwierigkeiten kommen.
Häufiger tritt jedoch, durch das Fehlverhalten der Umwelt induziert, eine Verhaltensstörung auf. Diese kann durch gründliche Information und Aufklärung verhindert werden.
Die Rolle des Lehrers
Sehr oft werden Anfälle zuerst in der Schule bemerkt. Sollten Sie glauben, an Ihrem Schüler Symptome einer epileptischen Erkrankung zu erkennen, dann suchen Sie bitte das Gespräch mit den Eltern. Wenn Sie auf Widerstand treffen, scheuen Sie sich nicht, den Schularzt einzuschalten.
Vergessen Sie aber nie, dass Eltern eines auffälligen Kindes sehr sensibel reagieren. Lassen Sie ihnen Zeit, sich mit der neuen Situation abzufinden. Durch Vorurteile und Angst sind sie möglicherweise zunächst verunsichert.
Weiters klären Sie die Klasse über die Anfallsart des Mitschülers auf. Wenn möglich, soll das betroffene Kind einen Anfall schildern, um so das Verständnis zu fördern.
Kinder und Jugendliche sind in der Regel sehr verständnisvoll, wenn sie wissen, worum es sich handelt.
Anfallkinder werden in der Familie oft überbehütet und teils durch Unterforderung in der Schule, aber auch in der Freizeit, ins Abseits gedrängt. Grundsätzlich kann ein epileptisches Kind an allen Sportarten teilnehmen. Sport, der mit Absturzgefahr verbunden ist (Geräteturnen), soll allerdings vermieden werden.
Schwimmen unter Aufsicht ist grundsätzlich erlaubt. Es bestehen keinerlei Bedenken gegen eine Teilnahme an Exkursionen oder Schullandwochen. Man soll die Kinder auch vom Wintersport nicht ausschließen, muss aber das beim Sessellift gegebene Risiko berücksichtigen.
In der Schule werden die Weichen für den künftigen Lebensweg der anfallkranken Schülerin oder des anfallskranken Schülers gestellt. Als Lehrerin oder Lehrer können und sollen Sie dazu beitragen, dass diese Schülerin oder dieser Schüler die gleiche Chance erhält, wie jede/r andere auch! |