Buch des Monats September 2009 – Islambilder zwischen Reformation und Aufklärung

Aus einem interdisziplinären Projekt an der Universität Augsburg 2007 ist ein insofern spannendes Buch hervorgegangen, als die Vielfalt der Einstellungen zum Islam von der Reformation bis zur frühen Neuzeit teilweise an ungewöhnlichen Einzelbeispielen aufgezeigt wird. So gibt es u.a. erstaunliche Annäherungen zwischen Unitarismus und Islam:

Dietrich Klein / Birte Platow (Hg.):
Wahrnehmung des Islam zwischen Reformation und Aufklärung
Mänchen: W. Fink 2008
— Rezension hier —

Die ForscherInnen haben nicht nur ein weniger bekanntes Feld gründlich bearbeitet, sie haben auch deutlich machen können, wie Auseiandersetzung und Begegnung mit dem Islam in dieser Geschichtsepoche auch heutige Dialoge zwischen Christen und Muslimen beeinflusst.

Nordrhein-Westfalen und das Ruhrgebiet – ein multireligiöser Kosmos

Zwei Bücher mit Bestands- und Veränderungsanalysen sind in relativ kurzen Zeitabständen auf den Markt gebracht worden. Beide behandeln die religiöse Vielfalt in Nordrhein-Westfalen bzw. eingeschränkter des in der Umstrukturierung begriffenen Ruhrgebiets.

Erich Geldbach / Peter Noss (Hg.): Vielfalt und religiöser Wandel. Lexikon der Religionsgemeinschaften im Ruhrgebiet. Essen: Klartext 2009,
608 S., Abb., Karten, Register (Rezension hier).

Markus Hero / Volkhard Krech / Helmut Zander (Hg.): Religiöse Vielfalt in Nordrhein-Westfalen. Empirische Befunde und Perspektiven der Globalisierung vor Ort. Paderborn: Schöningh 2008, 322 S., Statistiken, Lexikon der in NRW vertretenen Religionsgemeinschaften (Rezension hier).

Hinter beiden Bänden steckt eine jahrelange Arbeit fachlich
kompetenter AutorInnen, die eine Gruppe stärker an lexikalischer Zusammenstellung interessiert, die andere Gruppe mehr mit der Intention soziologischer Analyse und präziser Aufschlüsselung der erhobenen Daten, die beide im Umfeld der der Ruhr-Universität Bochum entstanden sind, aber erstaunlicherweise nicht in Kooperation miteiandner standen .

Beide Arbeitsgruppen haben versucht,
die Pluralität eines sowohl städtisch wie auch ländlich strukturierten Gebiets mit teilweise klassischen religiösen Schwerpunkten (katholisch oder evangelisch) in ihrer Veränderung wie ein farbiges Mosaik dazustellen dessen religiöse Vielfalt und Lebendigkeit  kaum zu überschauen ist.

Von der Aussagekraft her un der Aufarbeitung der  Datenfülle her dürfte vermutlich der Band über die “Religiöse Vielfalt in Nordrhein-Westfalen” die größere Langzeitwirkung haben.

Rushdie-Affäre, Terrorismus und multikulturelle Folgen

In dem Buch A Mirror of Our Times. >The Rushdie Affair and the Future of Multiculturalism< nimmt der Professor für interreligiöse Beziehungen an der Universität Derby in England, Paul Weller die Rushdie-Affäre vor 20 Jahren zum Anlass, die Schnittpunkte multikultureller Situationen in Europa und Amerika zu spiegeln (Vgl. dazu die ausführliche Rezension). Das tut er so, dass er Schlüsselereignisse von 1989-2008 untersucht und daraus "Lernpunkte", Arbeitsprinzipien und "Knackpunkte" für die Verantwortlcihen in den Religionen und inder Gesellschaft, einschließlich der Medien, ableitet.

Ein spannendes Buch mit konkreten Handlungsanleitungen für alle, die die Friedenskräfte der Religionen für eine angstfreie Zukunft nutzen wollen. 

Moscheen in Deutschland – Konflikte und Chancen

Wo eine Moschee neu gebaut wird, gibt es meistens Proteste, die teilweise überregionale Dimensionen annhemen, wenn diese Moschee repäsentativen Charakter bekommt und in einer Stadt deutlich sichtbar wird. Der Moscheebau in Köln-Ehrenfeld ist dafür typisch (beunruhigend).

Bärbel-Beinhauer Köhler, und Claus Leggewie, beide an kulturell sensiblen Orten angesiedelt, die eine an der Universität Frankfurt, der andere am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen, analysieren nicht nur die Geschichte und Gegenwart in der deutschen Moschee”entwicklung”. Sie bieten vielmehr –  zusammen mit einem Fotografen und dem Architekten der modernen Penzberger Moschee – Lehrstücke für eine sinnvolle Einbindung nicht nur der Moscheebauten ins Stadtbild, sondern auch für die Beheimatung der eingewanderten Muslime.

Bärbel Beinhauer-Köhler / Claus Leggewie:
Moscheen in Deutschland.
Religiöse Heimat und gesellschaftliche Herausforderung
München: C.H. Beck 2009
— Rezension hier —

Der Dialog muss weitergehen!

Unter diesem Titel hat der österreichische Religionswissenschaftler Ernst Fürlinger einen Dokumentenband herausgebracht, der die Dialogbemühungen der katholischen Kirche auf höchster Ebene seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil beschreibt. Eine ausführliche Rezension zeichnet hier nach, wie sich die Konzilsdokumente  dabei faktisch als Kriterium für die weiteren, besonders päpstlichen, Inititiativen erweisen. Sie ermöglichen dem Herausgeber aber gleichzeitig auch kommentierende Kritik an bestimmten Äußerungen und Akzentverschiebungen zu üben, die besonders seit dem Pontifikat Benedikts XVI. aufällig wurden.

Ein unverzichtbares Buch für die interreligiöse Arbeit – nicht nur im Blick auf die katholische Kirche! 

Vgl. bereits erschienene Dokumentationen aus dem englischsprachigen Bereich: 

— Francesco Gioia (ed.): Pontificial Council For Interreligious Dialogue. Interreligious Dialogue. The Official Teaching of the Catholic Church (1963-1995). Boston: Pauline Books 1997

— Byron L. Sherwin / Harold Kasimov (eds.): John Paul OO and Interreligious Dialogue. Maryknoll, NY: Orbis 1999 

Offizielle katholische Dokumente zum Dialog mit dem Islam:

— CIBEDO (Hg.) / Timo Güzelmansur (Zusammenstellung) / Christian W. Troll (Einleitung): Die offiziellen Dokumente der katholischen Kirche zum Dialog mit dem Islam. Regensburg: Pustet 2009 

Christsein inmitten der Weltreligionen

Dies ist der Untertitel eines Buches, dessen Haupttitel "Der Glaube der Anderen" heißt und hier ausführlich rezensiert ist. Es wurde von dem katholischen Theologen und Lehrbeauftragten an der Univereswität Luzern, Christoph Gellner, geschrieben. Darüberhinaus kamen ihm bei dieser leicht zu lesenden Darstellung seine Erfahrungen als Leiter einer kirchlichen Weiterbildungseinrichtung zugute.

Angesichts der Migrantenströme und der Globalisierung sind die Religionen so nahe zusammen gerückt wie nie zuvor (vgl.dazu GEO kompakt Nr. 16/2008). Gellner geht so vor, dass er sich von einem christlichen Ausgangspunkt her auf den Dialog mit anderen Religionen ohne Werturteile einzulassen versucht. Dies geschieht in großer Offenheit auf der Basis der Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils.

Insofern bleibt auch diese Begegnung einem eher inklusivistischen Verstehensmodell der "Anderen" verhaftet, mit dem aber die Begegnung mit den großen  monotheistischen Religionen und den religiösen Traditionen Asiens als Chance und Bereicherung des eigenen christlichen Glaubens empfunden wird.

Gewissermaßen eine Art weiterführendes Verstehensmodell stellt der 2008 erschienene Sammelband dar, herausgegeben von Reinhold Bernhardt / Perry Schmidt-Leukel: Multiple religiöse Identität. Aus verschiedenen religiösen Traditionen schöpfen (Rezension hier).

 

Buch des Monats Mai 2009 – Kampf der Kulturen

Der Journalist, Übersetzer und Islamwissenschaftler Stefan Weidner greift mit diesem "Manual für den Kampf der Kulturen" auf die ihm eigene Weise als Essayist in den Streit um die Unterschiedlichkeit von Kultruen und Religionen ein. Er stimmt damit Huntington mit seinem clash of civilisations keineswegs zu, sondern lädt zu einer differenzierenden Betrachtung der islamischen Phänomene und der sie repräsentierenden Kulturen ein.

Sein (Wett-)Streit  geschieht also nicht im Stile des nüchternen Sachbuches, sondern – durch viele Beispiele aus Geschichte und Gegenwart untermauert – in geschliffener Rhetorik, die das Verstehen des Islam, aber nicht die Harmonie um jeden Preis sucht. Dieses Manual richtet sich darum an alle, die mit den gängigen Klischees nicht weiter machen wollen, sondern Verstehen im Sinne von gemeinsamer Zukunftsorietierung in der Weltgesellschaft suchen. Die Rezension für das Buch des Monats Mai 2009 versucht diese Intentionen herauszustellen.

Wie aktuell Weidners Buch ist, beweist eine Auseiandersetzung zwischen Necla Kelek und Tariq Ramadan, kommentiert in Qantara.de

Europa im Orient – der Orient in Europa

Bereits 2006 brachte die Interreligiöse Arbeitsstelle (INTR°A) den 9. Band der Reihe "Religionen im Gespräch" (RIG 9) heraus. Damit kamen allerdings die Reihe dieser "Zwei-Jahresbücher" (RIG 1-9) als Druckfassung an ihr Ende. Seitdem stellt INTR°A verstärkt Materialien und Besprechungen im Internet vor, und zwar unter der Rubrik "Themen und Texte" und bei "Rezensionen".

RIG 9 wurde nicht nur mehrfach besprochen, sondern bildete wegen der dort angeschnittenen grundsätzlichen Fragen und praktischen Berichte auch die Arbeitsbasis mehrerere Seminare. Auch eine große Zahl von Büchern zu Themen der interreligiösen Begegnung wurden dort besprochen –  vgl. Übersicht über alle Rezensionen von 1990-2006.

Zwei ausführliche Besprechungen werden hier vorgestellt, die eine aus der Zeitschrift "Freies Christentum", die der Bund für Freies Christentum, regelmäßig herausbringt, die andere entstand in einem Seminar an der Technischen Universität Dortmund.

Koran, Befreiungstheologie und wahrhaft Muslim sein

Der südafrikanische islamische Theologe Farid Esack gehört zu den progressivsten Denkern und Koranauslegern. Auf dem Hintergrund des Kampfes gegen die Apartheid ist in Südafrika nicht nur eine interreligiöse Solidarität entstanden, sondern es hat sich auch eine befreiungstheologische Lesart des Korans entwickelt.

Im Rahmen eines Seminars an der TU Dortmund zum Thema "BrückenbauerInnen zwischen den Religionen" wurden auch zwei seiner Bücher ausführlich vorgestellt:

Qur’an, Liberation & Pluralism (1997)

On Being a Muslim (1999)

Beide Bücher haben bis heute nichts von ihrer versöhnenden Aktualität und Dialogbereitschaft verloren.

In ähnliche Richtung geht übrigens der Literaturwissenschaftler Nasr Abu Zaid, der wegen seiner literarkrisch und historisch ansetzenden Koran-Hermeneutik Ägypten verlassen musste und in die Niederlande ins Exil ging, wo er an der Universität Utrecht als Religionswissenschaftler lehrt (vgl. dazu sein Buch "Mohammed und die Zeichen Gottes" (INTR°A-Rezension).

 

Gottes Menschlichkeit im Koran

Der von Ägypten ins niederländische Exil emigrierte und dort seit 2004 lehrende Literaturwissenschaftler und Theologe Abu Zaid zeigt in seinem neuen Buch

Gottes Menschenwort. Für ein humanistisches Verständnis des Koran. Herder-Verlag 2009

dass gerade im Zusammenspiel
von Vernunft und Offenbarung die Schönheit und Menschenfreundlichkeit Gottes im Koran zum Ausdruck kommt.  Dies ist die wahre göttliche Botschaft, die unter veränderten geschichtlichen Bedingungen immer wieder neu verstanden werden muss. Im anderen Fall gibt es keine lebendige Kommunikation zwischen Gott und Mensch, für die der Koran ja das Schrift egworden Beispiel bildet. So begegnet im Koran allerdings ein universaler Anspruch. Es ist der von Gottes
Friedensabsichten für alle Menschen. Fundamentalisten haben mit solch einer Auslegungsweise ihre argumentative Mühe und darum ist sehr schnell der Vorwurf der Häresie bei der Hand. Abu Zaid dagegen wird nicht müde, diese humanistische
Lesart des Koran zu verbreiten.

Das zeigen übrigens auch seine anderen Beiträge und Bücher, von denen einige in der INTR°A-Bibliothek vorhanden sind. Dazu bereits eine Reihe von Besprechungen vor: 

Critique du discours religieux. Essais traduits de l’arabe par Mohamed Chairet. Arles (F): Actes Sud / Sindbad 1999.
Deutsche Ausgabe: Islam und Politik. Kritik
des religiösen Diskurses. Aus dem Arabischen von Chérifa Magdi. Einleitung
Navid Kermani. Frankfurt/M.: dipa 1992

  Ein Leben mit dem Islam. Aus dem
Arabischen von Chérifa Magdi. Erzählt von Navid Kermani. Freiburg u.a.: Herder
1999, auch als Herder Spektrum 5209, 2. Aufl. 2002

  (mit Hilal Sezgin): Mohammed und die
Zeichen Gottes. Der Koran und die Zukunft des Islam. Freiburg u.a.: Herder 2008