Credo 1

Botschaften der Bildsprache: Michelangelos Gottvater bei der Erschaffung Adams in dynamisch schwebender Aktivität nahe der Erde, aber ohne Erdberührung – im Gegensatz zu seinem älter und massiv wirkenden, ruhigen Gottvater bei Evas Erschaffung, auf beiden Beinen auf der Erde stehend.

Ich glaube an Gott,
den Vater, den Allmächtigen,
den Schöpfer des Himmels und der Erde.

Was heißt »glauben«?

»Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht«, sagte der evangelische Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer (1906-1945). In der Tat, die Wirklichkeit Gottes ist weder experimentell noch mathematisch-logisch ableitbar. Gott – im Tiefsten und Letzten verstanden – kann nie einfach Objekt, ein Gegenstand, sein. Mit Gott meinen wir das Un-definierbare, das Unbegrenzbare, die unsichtbare, unermeßliche, unendliche Wirklichkeit.

Philosophisch gesehen hat Immanuel Kant recht: Unsere reine, theoretische Vernunft, die an Raum und Zeit gebunden ist, kann nicht beweisen, was außerhalb des Horizonts unserer raumzeitlichen Erfahrung ist. Es bleibt demnach unbeweisbar, sowohl daß Gott existiert,als auch daß Gott nicht existiert.

Ein Mensch, der nach manchen Zweifeln auf einen anderen Menschen sich in Liebe einläßt, hat genau besehen keine strengen Beweise für sein Vertrauen, wohl aber gute Gründe. Ähnlich ist der Glaube an Gott ein Akt vernünftigen Vertrauens. Glauben ist weder ein rationales Beweisen noch ein irrationales Fühlen. Glauben ist nicht ein bloßes Fürwahrhalten von Sätzen, sondern ein Sicheinlassen des ganzen Menschen auf die Wirklichkeit Gottes selbst.

Credo heißt: Ich glaube nicht etwas, ich glaube nicht jemandem, sondern ich glaube an jemanden.

Credo heißt: Ich glaube nicht an die Bibel, nicht an die Tradition, nicht an die Kirche, sondern ich glaube an Gott!

Gilt die moderne Religionskritik noch?

Die großen Religionskritiker haben und hatten in allzu vielem recht.

Ludwig Feuerbach (1804-1872) kritisierte zu Recht, daß der Glaube an Gott den Menschen von sich selber entfremden und verkümmern lassen kann. Zu wenig menschlich seien die Gottesgläubigen, als daß Gottlose sich von ihrem Gottesglauben anstecken lassen könnten. Gott sei nur das ins Jenseits hinausprojizierte Spiegelbild des Menschen. Feuerbach wollte deshalb, daß die Menschen von Kandidaten des Jenseits endlich zu Studenten des Diesseits würden.

Allerdings haben wir seit Feuerbach ein Doppeltes hinzugelernt:

  • Heute gibt es ungezählte Menschen, die freie, selbstbewußte Bürger sind, gerade weil sie an Gott glauben als den Grund und die Garantie ihrer Freiheit und Mündigkeit.

  • Auch der gottlose Humanismus hatte allzuoft inhumane Folgen, und in den Schreckenserfahrungen unseres Jahrhunderts – zwei Weltkriege, Gulag, Holocaust, Atombombe – erwies sich der Weg von der Humanität ohne Divinität zur Bestialität oft als kurz.

Karl Marx (1818-1883) wollte die Kritik des Jenseits, des Himmels in die Kritik des Diesseits, der Erde verwandeln, die Kritik der Theologie in die Kritik der Politik. Man kann kaum bestreiten, daß der herrschende Gott der Christen vielfach der Gott der Herrschenden war: eine Jenseitsvertröstung, Opium des Volks, ein Schmücken der Ketten mit Blumen, anstatt sie zu zerbrechen. Die Marxschen Lösungen (Abschaffung des Privateigentums und Sozialisierung von Industrie, Landwirtschaft, Erziehung und Kultur) führten nicht zu einem automatischen Absterben der Religion, wohl aber zu einer beispiellosen Ausbeutung der Völker und einer Zerstörung von Moral und Natur.

Von Osteuropa und der DDR über Südafrika bis nach Südamerika und den Philippinen hat sich jedoch gezeigt, daß Religion nicht nur Mittel der sozialen Beschwichtigung und Vertröstung sein kann, sondern auch – so schon in der nordamerikanischen Bürgerrechtsbewegung (Martin Luther King) – Katalysator der sozialen Befreiung: und dies ohne jene revolutionäre Gewaltanwendung, die einen Teufelskreis von immer neuer Gewalt zur Folge hat.

Sigmund Freud (1856-1939) kritisierte mit vollem Recht Machtarroganz und Machtmißbrauch der Kirchen. Er kritisierte die Fehlformen der Religion, das autoritäre Gottesbild, Realitätsblindheit, Selbsttäuschungen und die Verdrängung der Sexualität. Selbst heute noch wird manchmal der strafende Vater-Gott von Eltern als Erziehungsinstrument zur Disziplinierung der Kinder mißbraucht, mit langfristigen negativen Folgen für die Religiosität der Heranwachsenden.

Doch in der Zwischenzeit hat sich erwiesen, daß nicht nur die Sexualität, sondern auch die Religiosität verdrängt werden kann; daß die ältesten, stärksten, dringendsten Wünsche der Menschheit besser nicht als reine Illusion abqualifiziert werden sollten und daß in einer Zeit allgemeiner Orientierungs- und Sinnlosigkeit gerade der Gottesglaube zur Sinnerfüllung im Leben und auch im Sterben verhelfen kann.

War der Gottesglaube oft autoritär, tyrannisch und reaktionär, so konnte er sich gerade in den letzten Jahrzehnten zunehmend als befreiend, zukunftsorientiert und menschenfreundlich erweisen. Er kann soziales Engagement, gesellschaftliche Reformen und den Weltfrieden fördern.

Schöpfungsglaube im Zeitalter der modernen Naturwissenschaften?

Zu Recht werfen Naturwissenschaftler den Theologen vor, sie hätten Gott allzuoft als Lückenbüßer mißbraucht, um bislang Unerklärliches zu erklären. Umgekehrt aber kann kein Naturwissenschaftler oder Philosoph mit physikalischen oder biologischen Ergebnissen seinen atheistischen Standpunkt beweisen. Naturwissenschaften und Religionen beantworten nämlich unterschiedliche Fragen: Die Frage, wie der Evolutionsprozeß von Welt, Leben und Mensch sich abspielt, versuchen die Naturwissenschaftler zu beantworten. Letzte Fragen aber – woher der Urknall (»Big Bang«), woher Energie und Materie, Raum und Zeit stammen, warum überhaupt etwas ist und nicht vielmehr nichts – kann hingegen der Gottesglaube beantworten.

Deshalb sollte man es vermeiden, naturwissenschaftliche Erkenntnisse und religiöse Bekenntnisse zu vermischen. Die Sprache der Bibel ist keine naturwissenschaftliche Faktensprache, sondern eine metaphorische Bildersprache, die Tatsachen deuten will. So beschreiben die beiden biblischen Schöpfungsberichte nicht naturwissenschaftlich die Entstehung des Universums, geben aber ein sinnvolles Glaubenszeugnis über seinen Ursprung, das die Naturwissenschaft weder bestätigen noch widerlegen kann.

Woher und wozu das Ganze?

An den biblischen Schöpfergott glauben bedeutet: Der gute Gott ist der Ursprung von allem und jedem. Er steht mit keinem bösen Gegenprinzip in Konkurrenz. Die Welt im ganzen und im einzelnen ist grundsätzlich gut. Der Mensch ist für die Pflege seiner Um-Welt, der Natur, verantwortlich.

Wenn für den Biologen ein übernatürliches Eingreifen Gottes bei der Entstehung des Lebens mehr denn je als unnötig erscheint, so stellt sich aber (auch dem Biologen) die existentielle Frage nach dem Ur-Grund und Sinn-Ziel des ganzen Lebensprozesses. Woher und wozu das Ganze?

Diese Frage ist naturwissenschaftlich unbeantwortbar. Sie verlangt eine existentielle Entscheidung. Nur das glaubende Ja zu einem Urgrund, Ursinn und Urhalt kann die Frage nach Ursprung, Ziel und Halt des Evolutionsprozesses beantworten und so dem Menschen Hoffnung auf eine letzte Gewißheit und Geborgenheit geben.

Gott, der allmächtige Vater?

Nach Auschwitz, dem Gulag und zwei Weltkriegen kann man nicht mehr vollmundig von »Gott, dem Allmächtigen« reden. Im Neuen Testament bieten sich andere »christlichere« Attribute an, die dem Prädikat »allmächtig« vorzuziehen sind: »all-gütiger«, »all-erbarmender« oder schlicht »lieber Gott«. Gott ist die Liebe (1. Joh. 4,8;16). Auf die Frage nach Gott und dem Menschenleid kommen wir später zurück.

Wir gehen heute nicht mehr mittelalterlich von einem Gott »über« oder »außerhalb« der Welt aus. Denken wir heute Gott, so kann nur Gott in der Welt und die Welt in Gott gedacht werden. Gott wirkt dann nicht als Baumeister, sondern von innen als die dynamische wirklichste Wirklichkeit im Entwicklungsprozeß der Welt. Unter voller Respektierung der Naturgesetze wirkt Gott dann als der schöpferische Urhalt und Sinn-Grund des Weltprozesses, der freilich nur im Glauben angenommen werden kann. Demnach kann ich an einen allumgreifenden Gott glauben, der unendliche Wirklichkeit ist, die von meiner Endlichkeit zwar nicht getrennt, aber von mir unterschieden gedacht werden muß. In diesem Glauben kann ich erkennen, daß ich in Ehrfurcht »Du« sagen kann und in jüdisch-christlich-islamischer Tradition beten darf: lobend, klagend, dankend, bittend und auch empört aufbegehrend.

Wir wissen heute, daß Gott kein Mann ist, daß alle Begriffe für Gott, auch das Wort »Vater«, nur Analogien und Metaphern, Symbole und Chiffren sind und daß keines der Symbole Gott »festlegt«. Da wir Menschen nun einmal keine höheren Namen haben als Menschennamen und uns »Vater« oder »Mutter« mehr sagt als »das Absolute« oder »das Sein selbst«, dürfen wir ganz einfach – zugleich nachpatriarchalisch, also Gottes Muttersein einschließend – beten: »Vater unser«, der uns Vater und Mutter in einem ist.

Gemeinsamer Gottesglaube

Das hier entwickelte Gottes- und Schöpfungsverständnis ist nicht nur für das Christentum gültig, sondern betrifft alle drei abrahamischen Religionen, Judentum, Christentum und Islam. Gemeinsam ist ihnen der Glaube an den einen Gott Abrahams, die zielgerichtete Geschichtsschau, die prophetische Verkündigung und das Grundethos, Kern eines gemeinsamen Weltethos der Weltreligionen. Ein gemeinsames Engagement dieser drei Religionen für Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit, für Menschenwürde und Menschenrechte ohne allen ständig drohenden religiösen Fanatismus ist dringend erforderlich. Aber auch die Religionen chinesischen und indischen Ursprungs erkennen und anerkennen ein Letztes, Höchstes oder Tiefstes, das alle Wirklichkeit bestimmt, ob »Schang-Ti« (Herr in der Höhe), »T‘ien« (Himmel), »Tao« (der Weg) oder »Brahman« (das Absolute) genannt.

Im vernünftigen Vertrauen auf Gott besitze ich als Mensch einen festen Standpunkt, von dem aus ich zumindest »meine« Welt bestimmen, bewegen und verändern kann. Die freie Bindung an dieses eine Absolute schenkt mir die große Freiheit gegenüber allem Relativen in dieser Welt.