Credo 4

Die Osterbotschaft Grünewalds: die Auferweckung Jesu als kosmisches Ereignis,
der Leib Jesu ist zum Geistleib verklärt.
Jesu Blick zeigt milde Autorität und versöhnende Güte.

Ich glaube an Jesus Christus,
hinabgestiegen in das Reich des Todes,
am dritten Tage auferstanden
von den Toten, aufgefahren in den Himmel;
er sitzt zur Rechten Gottes,
des allmächtigen Vaters;
von dort wird er kommen,
zu richten die Lebenden und die Toten.

Abstieg in die Unterwelt?

»Abstieg zu den Unterirdischen«: ein merkwürdiger Glaubensartikel, zu dem man kaum einen unzweideutigen neutestamentlichen Beleg findet, der erst nach 350 ins Glaubensbekenntnis eingefügt und in der Folge gegensätzlich wurde. Hier wird deutlich, daß nicht alle diese Glaubensartikel dieselbe Bedeutung und Würde haben.

Keineswegs haben die katholische und evangelische Kirche durch ihre offizielle ökumenische Übersetzung »hinabgestiegen in das Reich des Todes« (früher hieß es: »… zu der Hölle«) für ein besseres Verständnis gesorgt. Denn wohin geht dieser Abstieg?

In ein Totenreich – hebräisch »Scheol«, griechisch »Hades« –, einen Ort für alle Verstorbenen?

In eine Hölle – hebräisch »Gehenna«, lateinisch »infernum« –, einen Ort der endgültig Verdammten?

Der einzige Bibeltext, an den dieser Glaubensartikel anknüpfen mag, ist im Ersten Petrusbrief 3,18-20 zu finden. Hier ist die Rede vom getöteten Christus, der »im Geist« hingegangen sei, um jenen Geistern »im Gefängnis« zu predigen, die zur Zeit der Sintflut ungehorsam gewesen seien. Doch auch dieser Text wird zu verschiedenen Zeiten von verschiedenen Autoren völlig gegensätzlich interpretiert.

Die Fahrt ins Totenreich kann heute verstanden werden als Symbol für die Heilsmöglichkeit auch der vorchristlichen und nichtchristlichen Menschheit, der alttestamentlichen Frommen, ja aller Verstorbenen. In der ostkirchlichen Ikonographie und Liturgie wird der Abstieg Jesu in das Reich des Todes als erster Akt der »Auferstehung« verstanden.

Eine Himmelfahrt?

Zum Unterschied von Jesu Höllenfahrt ist im Neuen Testament von Jesu Himmelfahrt die Rede: nämlich beim Evangelisten Lukas – aber nur bei ihm. Nur im Lukasevangelium werden Auferweckung und Erhöhung zeitlich getrennt.

Wie ist diese Himmelfahrt zu verstehen? Heute wäre es absurd zu behaupten, Jesus habe eine Art Weltraumfahrt angetreten. Aber im Kontext des antiken dreistöckigen Weltbildes (Himmel, Erde, Unterwelt) war die »Fahrt« nach »oben« in den »Himmel« nicht ungewöhnlich. Nicht nur von Elija und Henoch in der Hebräischen Bibel wird eine Himmelfahrt berichtet, sondern auch von anderen Großen der Antike, von Herakles, Empedokles, Romulus, Alexander dem Großen und Apollonius von Tyana. Bei solchen Himmelfahrten geht es um eine »Entrückung« des großen Helden, ein Entschwinden von der Erde – meist bald verdeckt von einer Wolke, Zeichen zugleich der Nähe und der Unnahbarkeit Gottes.

Die Lukanische Geschichte von einer Himmelfahrt ist keine christliche Erfindung, sondern ein damals vertrautes Vorstellungsmuster. Es dürfte erstens um eine Veranschaulichung der unanschaulichen Erhöhungsaussagen gegangen sein: Der auferstandene Christus »geht« zu Gott, Himmelfahrt als ein herausgehobener Aspekt des einen Ostergeschehens. Erst die ebenfalls Lukas zugeschriebene Apostelgeschichte kennt zwischen Ostern und Himmelfahrt eine Zeit von 40 Tagen – offensichtlich eine Anspielung auf die 40 Wüstenjahre Israels, die 40 Fasttage Elijas oder Jesu. Lukas korrigiert zweitens energisch die damals weit verbreitete »Naherwartung«, d. h. den Glauben, daß Jesus noch zu Lebzeiten der ersten Generation wiederkommen werde. Ostern haben nur die verstanden, die nicht zum Himmel emporschauen, sondern in die Welt gehen und für Jesus Zeugnis ablegen!

Ans leere Grab glauben?

Wer käme auf den Gedanken, bei einem offenen Grab anzunehmen, hier sei jemand von den Toten auferstanden? Im Klartext: Mit dem leeren Grab als solchem läßt sich die Wahrheit der Auferweckung Jesu von den Toten nicht beweisen. Aus sich sagt das leere Grab ja nur: »Er ist nicht hier« (Markusevangelium 16,6). Im ganzen Neuen Testament behauptet niemand, bei der Auferstehung selber dabei gewesen zu sein.

Das Grab Jesu mag historisch leer gewesen sein oder nicht – der Glaube an das neue Leben des Auferweckten bei Gott hängt nicht vom leeren Grab ab. Bestenfalls mögen die legendär ausgestalteten Grabesgeschichten das Ostergeschehen illustrieren. Nicht zum leeren Grab ruft der christliche Glaube, sondern zur Begegnung mit dem lebendigen Christus: »Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten?« (Lukas 24,5). Als lebendig erfuhren ihn seine Jünger in »Erscheinungen«, visionären Glaubenserfahrungen.

Auferweckung von den Toten – unjüdisch?

Eine uralte israelische Überzeugung war der Glaube an ein Leben nach dem Tod, eine freudlose Existenz in einer »Unterwelt«. Erst relativ spät in der jüdischen Geschichte kommt der Glaube auf: Gott weckt die Toten auf zu neuem Leben! Und so lautet denn die christliche Auferweckungsbotschaft: Jesus, »den er (Gott) auferweckt hat von den Toten« (so im ersten Brief des Apostels Paulus an die Thessalonicher).

Und wo ist der vom Tod Erweckte jetzt? Die ersten Christen antworteten mit dem Psalmvers »Es sprach der Herr zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten!« (Psalm 110,1). Oder: Christus, der Herr, »sitzet zur Rechten des Vaters«. Dies war ein Maximum, was ein Jude als Monotheist sagen konnte: Der auferweckte Jesus hat mit Gott, seinem Vater, eine »Throngemeinschaft«. Also: Der Gekreuzigte lebt und herrscht für immer bei Gott – als Verpflichtung und Hoffnung für uns!

Was »Auferweckung« meint und nicht meint

Nach dem Neuen Testament ist die Auferweckung Jesu keine Wiederbelebung zum irdischen Leben: weder eine Rückkehr in dieses raumzeitliche Leben noch eine Fortsetzung dieses raumzeitlichen Lebens.

Auferweckung meint positiv: Jesus ist nicht ins Nichts hineingestorben, sondern ist im Tod und aus dem Tod in die wirklichste Wirklichkeit hineingestorben, die wir Gott nennen. Es geht also eindeutig um die Erhöhung dieses hingerichteten und begrabenen Nazareners durch Gott zu Gott.

Der Glaubende weiß seither: Tod ist Durchgang zu Gott, ist Einkehr in Gottes Verborgenheit. Nicht das Nichts erwartet uns im Tod, sondern jenes Alles, das Gott ist.

Nur beim Glauben der Jünger geht es – wie auch beim Tod Jesu – um ein historisches (mit den Mitteln des Historikers feststellbares) Geschehen; bei der Auferweckung geht es um kein historisches, kein anschauliches, gar biologisches, geht es aber trotzdem um ein wirkliches Geschehen in der Sphäre Gottes. Die unverwechselbare Identität der verstorbenen Person bleibt bewahrt, und dafür bedarf Gott nicht der körperlichen Überreste der irdischen Existenz.

Also: Kontinuität der Person über den Tod hinaus und Diskontinuität durch den körperlichen Zerfall und eine neue »geistige Leiblichkeit«.

Ein einziges oder mehrere Leben?

Seit Jahrtausenden glaubt ein großer Teil der Menschheit (vor allem die Religionen indischer Herkunft) an Reinkarnation oder Wiedergeburt. Alle Argumente für eine Reinkarnation kreisen zumeist um die religiös-philosophische Frage nach einer moralischen Weltordnung, also nach der Gerechtigkeit in einer Welt, in der die menschlichen Lebensschicksale so erschreckend ungleich und ungerecht zugeteilt erscheinen.

Aus der Rückschau (Retrospektive): Können die Chancenungleichheiten unter den Menschen nicht dadurch erklärt werden, daß der Mensch durch seine eigenen früheren guten und bösen Taten sein jetziges Schicksal selbst verursacht hat? Setzt eine moralische Weltordnung nicht ein Leben vor dem jetzigen Leben voraus?

Doch: Was hilft es mir zu wissen, daß ich schon mal gelebt habe, wenn ich dieses Leben vergessen habe? Übersieht man hier nicht, was uns durch die biologische Erbmasse, die frühkindliche Formung, die primären Bezugspersonen und die gesellschaftliche Situation vermittelt wird?

In der Vorschau (Prospektive): Kann der von vielen Menschen mit Recht erwartete sühnende Ausgleich der Taten (man denke an die Mörder und ihre Opfer!) nicht allein durch eine angemessene Vergeltung aller Werke in einem Leben nach diesem Leben gegeben werden?

Doch: Gibt es nicht Störungen der Weltordnung, die durch keine menschliche Tat je wieder rückgängig gemacht werden können? Schuld, die nicht vergolten, sondern nur vergeben werden kann?

Demnach scheint die Reinkarnation das Theodizeeproblem auch nicht wirklich zu lösen. Wenn es doch einen richtigen Kern der Reinkarnationslehre gibt, dann diesen: daß das ewige Leben wirkliches Leben ist und ungeahnte weitere Entwicklung im Bereich der Unendlichkeit einschließt.

Die jüdisch-christlich-islamische Tradition bietet gegenüber der Reinkarnationslehre eine alternative Lösung an, die von der fernöstlichen, sich auch in Korea, Japan und Vietnam auswirkenden chinesischen Tradition bestätigt wird: Zur Reinigung, Läuterung, Befreiung, Vervollkommnung muß der Mensch nicht durch mehrere Erdenleben wandern. Des Menschen Schicksal entscheidet sich in diesem Erdenleben und nach diesem Leben durch einen unwiderruflichen Akt eines gnädigen Gottes.

Die Radikalisierung des Glaubens an den Gott Israels

Jeder Mensch, ob gläubig oder nichtgläubig, steht vor der letzten großen Alternative seines Lebens: Stirbt der Mensch in eine letzte Sinnlosigkeit hinein oder in Gottes wirklichste Wirklichkeit?

Das In-Gott-hinein-Sterben ist aber alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Tod und Auferweckung müssen in ihrem nicht notwendig zeitlichen, aber sachlichen Unterschied gesehen werden. Der Tod ist des Menschen Sache, das neue Leben kann aber nur Gottes Sache, Gottes Geschenk, Gottes Gnade sein.

Ob also jüdisch oder christlich verstanden: Der Auferweckungsglaube ist nicht ein Zusatz zum Gottesglauben, sondern eine Radikalisierung des Gottesglaubens. Ein Glaube, in welchem sich der Mensch ohne strikt rationalen Beweis, wohl aber in durchaus vernünftigem Vertrauen darauf verläßt, daß der Gott des Anfangs auch der Gott des Endes ist, daß der Gott, der Schöpfer auch Vollender ist.

Der Auferweckungsglaube kann und soll unser Leben hier und heute verändern: Der unbedingte Einsatz in diesem einen Leben hier und heute soll und kann von einem letzten Lebens- und Sterbenssinn her motiviert und gestärkt werden.

Christen glauben, daß Gott selbst den gekreuzigten, unschuldig Hingerichteten durch die Auferweckung gerechtfertigt hat! Wiewohl bei den Menschen offensichtlich gescheitert, hatte er vor Gott doch Recht bekommen. Gott ergriff Partei für den Gottverlassenen, der sein Leben ganz der Sache Gottes und der Menschen widmete.

Eine Entscheidung des Glaubens

Juden und Christen stimmen überein: Die Auferweckung des Einen ist noch nicht die Vollendung des Ganzen. Hier sollten die Christen den Juden nicht widersprechen, die von jeher die Auffassung vertraten: Auch nach Jesus, dem Christus, ist die Welt noch nicht verwandelt; zu groß ist ihr Elend! Die endzeitliche Erlösung und Vollendung steht auch für Christen noch aus. »Dein Reich komme.« In Jesus selber, seinen befreienden Worten und heilenden Taten und vor allem durch seine Auferweckung aus dem Tod, ist der Anfang der Erlösung bereits geschehen. Der Auferweckte ist Einladung zu einer großen und alltäglichen Entscheidung gegen den Tod für das Leben, die jeder Mensch auf seine Weise zu treffen hat.