Buch des Monats November 2010 – Seelsorge interreligiös

Pastoralpsychologisch erfahrene AutorInnen verschiedener Religionen haben im Blick auf unsere faktisch multikulturellen und multireligiösen Gesellschaften in Europa ein Handbuch erarbeitet, das nicht nur bisherige Defizite spiritueller Begleitung von Menschen aufzeigt, sondern gangbare Orientierung eröffnet. Wo Menschen mit ganz unterschiedlichen biografischen und kulturellen Hintergründen zusammenkommen, sind die Vertreter der Religionen besonders gefragt, gemeinsam auf solche Herausforderungen zu reagieren. Dies geschieht beeindruckend in:

Helmut Weiß / Karl Federschmidt / Klaus Temme (Hg.):
Handbuch Interreligiöse Seelsorge

Neukirchener Verlagshaus 2010
— Rezension hier —

Das Buch zeichnet sich also nicht nur durch sorgfältige Analysen aus, die zur Einordnung von “spiritual care” in die jeweilige religiöse Tradition dienen, sondern die AutorInenn entwickeln aus diesen religiösen Bezugspunkten Perspektiven für Kindergarten, Diakonie, Krankenhaus, Gefängnis., Schule, Jugend- und Stadtteilarbeit sowie im Blick auf die Notfallseelsorge. Bereits vorliegende Erfahrungen können zur weiteren Projekten ermutigen.

Buch des Monats Oktober 2010 – Jacques Gaillot – Der Bischof mit dem virtuellen Bistum

“Es gibt wenige Bischöfe, die nicht nur die Not und den Reformstau ihrer Kirche sehen, sondern mit positiver Kritik zu mutigen Schritten mahnen, sie trotz des großen Risikos selber entschlossen gehen”. So heißt es im Klappentext des Buches, das dem ehemaligen vom Papst 1995 abgesetzten Bischof von Evreux, Jacques Gaillot, gewidmet ist, der am 11. September 2010 seinen 75. Geburtstag in Paris feierte.

Roland Breitenbach (Hg.)
Jacques Gaillot.
Die Freiheit wird euch wahr machen.
Würzburg: Reimund Maier Verlag 2010
— Rezension hier —

Der kirchlich und politisch engagierte Bischof wurde in ein nicht mehr vorhandenes Bistum in der algerischen Wüste versetzt: Partenia. Daraus wurde das einzige virtuelle Bistum der Welt, dem sich Menschen aller Nationen udn aller Schichten verbunden wissen. Sie hoffen und sie engagieren sich für eine freie Kirche der Wahrhaftigkeit, die sich mit den Ausgegrenzten, Armen udn Verlassenen verbunden weiß.

Mehr zu Jacques Gaillot auch im INTR°A-Blog

Die religionspluralistische Theologie in der Auseinandersetzung und das Problem des Synkretismus

In einer multikulturellen Welt ist auch die (christliche) Theologie besonders herausgefordert, den Dialog mit den verschiedenen religiösen Strömungen und Weltanschauungen “aufd Augenhöhe” zu pflegen. In den letzten jahrzehnten hat es beeindruckende Versuche gegeben, bisherige Grenzen zwischen den Religionen zu überbrücken. Besonders wichtig wurde in diesem Zusammehang die religionpluralistische Theologie, auf die sich der Autor, ein ev. Pfarrer und Dozent aus Südkorea, besonders bezieht. Er tut dies allerdings so, dass er den von Karl Barth aufgerissenen Graben zwischen Religion udn Offenbarung imgrunde weiter vertieft:

Sun Ryul Kim:
Gott in und über den Religionen.

Auseinandersetzung mit der “pluralistischen Religionstheologie”

und das Problem des Synkretismus

Beiträge zu einer Theologie der Religionen Bd. 9
Zürich: TVZ 2010

— Rezension hier —

Zwar werden neben John Hick eher Vertreter einer inklusivistischen Religionstheologie behandelt (S. Mark Heim und Jacques Dupuis) , dennoch ist auch hier die Beurteilung mit dem Verdikt der “Nicht-Dialogfähigkeit” dieser Ansätze belegt. Vielleicht ist dies eher ein kontraproduktiver Beitrag zu einer Theologie der Religionen.

Mehr zur Reihe: Beiträge zu einer Theologie der Religionen: hier

Bedeutung und Funktion von Religion in der Mediengesellschaft

Die älteren und neueren Medien wie Theater, Film, Fernsehen, Internet spielen in einer Gesellschaft, in der das Bild mehr und mehr die Schrift überlagert eine herausragende und machtvoll beeinflussende Rolle. Wie kommt Religion nun in einer Gesellschaft vor, die so stark durch die (Massen-)Medien geprägt ist? Im Rahmen einer Vorlesungsreihe an der Universität Graz sind TheologInnen, ReligionswissenschaftlerInnen, aber auch Medienschaffende und Mediziner dieser Frage nachgegangen. Herausgekommen ist ein facettenreiches Buch:

Christian Wessely / Alexander D. Ornella (Hg.):
Religion und Mediengesellschaft.

Beiträge zu einem Paradoxon.
Theologie im kulturellen Dialog Bd. 20
Innsbruck / Wien: Tyrolia 2010
— Rezension hier —

Ein Resümee der von Widersprüchlichkeiten geprägten gesellschaftlichen Wirklichkeit und der in ihr wirkenden und benutzen Varianten von Religiosität konnten Herausgeber und Autoren sicher nicht leisten. Anstöße und Anregungen finden sich jedoch reichlich in diesem Buch.

Respekt als interkulturelle Tugend

Der Psychologe und Verhaltensforscher Josef Schönberger hat ein Praxisbuch geschrieben, dass angesichts unserer multikulturellen und religiösen Gesellschaften eine Art Leitfaden bildet, um Menschen unterschiedlicher Herkünfte so einander näher zu bringen, dass sie einander respektvoll wahrnehmen und sich in ihren Unterschieden besser verstehen lernen:

Josef Schönberger:
Die Wiederentdeckung des Respekts.
Wie interkulturelle Begegnungen
gelingen.
Ein Lesebuch.
Nachwort des Dalai Lama
München: Kösel 2010 
— Rezension hier —

Menschliche Vielfalt als Reichtum in unserer Welt, nicht die eigenen Rechtsstandpunkte absolut setzen und im Respekt und Selbstachtung Menschlichkeit pflegen und Menschenwürde hochhalten, das sind die Kernthesen des Buches, exemplifiziert durch eine große Anzahl von heiter und nachdenklich machenden Erfahrungserichten.

Evangelium und Inkulturation – Brücken und Brüche

Zum 65. Geburtstag des bekannten jesuitischen Pastoraltheologen Michael Sievernich ist eine umfangreiche Festschrift erschienen, die die unterschiedlichen Facetten des spannenden Themenfeldes von Inkulturation, Mission, Evangelisierung und interreligiöser Begegnung umschreibt. Die Herausgeber, Mariano Delgado von der Universität Fribourg (Schweiz) und der emeritierte Bonner Fundamentaltheologie und Religionsphilosoph Hans Waldenfels haben eine beachtliche Zahl von kompetenten und international anerkannten Beiträgern zusammengebracht.

Mariano Delgado / Hans Waldenfels (Hg.):
Evangelium und Kultur. Begegnungen und Brüche
Festschrift für Michael Sievernich.

Studien zur christlichen Religions- und Kulturgeschichte 12
Fribourg (CH): Academic Press / Stuttgart: Kohlhammer 2010
— Rezension hier —

Dieses Buch stellt sich wie eine Reise dar, und zwar "chronografisch" und geografisch: ein spannender interkultureller Weg vom Mittelalter in die Neuzeit und fast durch alle Kontinente dieser Erde.

 

Verwundete Glaubensgewissheit und Gewaltreaktionen in der Begegnung von Christentum und Islam

Verunsicherung des eigenen Glaubens stellt religiöse Gewissheiten in Frage und kann leicht in Aggression umschlagen. Das haben Christentum und Islam in Geschichte und Gegenwart oft genug erlebt und erleben es immer wieder. Gleichzeitig wird die Begegnung zwischen diesen beiden monotheistischen Religionen durch die oft gewaltsam erhobenen Ansprüche belastet und macht immer wieder die gegenseitig erlittenen Verwundungen offenbar. Das hat ein  Herausgeberteam von den Universitäten Münster und Paderborn ermutigt, diesen Verwundungen genauer nachzugehen:

Jürgen Werbick / Muhammad Sven Kalisch / Klaus von Stosch (Hg.):
Verwundete Gewissheit.
Strategien zum Umgang mit Verunsicherung im Christentum und im Islam.

Beiträge zur komparativen Theologie Bd. 1
Paderborn u.a.: Schöningh 2010
— Rezension hier —

Die in einem solchen Rahmen angestellten Vergleiche sind darum nicht nur ein innertheologisches Beschäftigungsspiel, sondern diese können friedenspädagogische Orientierungen geben.

Buch des Monats August 2010 – Jacques Dupuis und der religiöse Pluralismus

Der belgische Jesuit Jacques Dupuis (1923-2004) ist durch sein theologisches Engagement bei der Begegnung der Religionen bekannt geworden. Der Vatikan versuchte mit einer Notifikation (2001) diese interreligiöse Offenheit auszubremsen. Das bereits 1997 in Englisch und Französisch erschienene Buch (Rezension hier), inzwischen Standardwerk einer christlichen Theologie der Religionen in Fortführung des 2. Vatikanischen Konzils, ist nun endlich in Deutsch verfügbar:

Jacques Dupuis
Unterwegs zu einer christlichen Theologie des religiösen Pluralismus.
Hg.: Ulrich Winkler, Vorwort Hans Waldenfels
mit dem Text der Notifikation und weiteren Stellungnahmen
Innsbruck / Wien: Tyrolia 2010
— Ausführliche Rezension hier —

Jacques Dupuis gelingt es mit diesem Werk, Geschichte und Systematik interreligiöser Begegnung so aufzuarbeiten, dass die  Unterschiede und Konvergenzen aus einer trinitarisch-christologischen Sicht heraus deutlich werden. Religiöser Pluralismus wird damit zur Chance vertiefter Begegnung religiöser Traditionen und ihrer Heilsangebote.

Islamfeindlichkeit als Konfliktstoff der Gesellschaft

Es wirkt sich wie ein Verhängnis aus: Der Islam hat unter allen großen Religionen das negativste Image. Gewalt- und Terroraktionen “im Namen des Islam” scheinen dies tagtäglich zu bestätigen (vgl.  INTR°A-Tagebuch zum Schweizer Minarettverbot und Tariq Ramadan und der Umgang mit dem Islam in Europa). Aber bei genauerer Betrachtung wird ein entscheidender Faktor übersehen, nämlich, dass die Angst vor dem Islam nüchterne Analysen verhindert und die Vielfältigkeit des Islam völlg aus dem Blick gerät
— Vgl. dazu auch die Debatte um Islamfeindlicheit in der ZEIT sowie den gesamten Streit in den Feuilletons um “Hassprediger” der einen und anderen Seite.

Im Buch von
Thorsten Gerald Schneiders: “Islamfeindlichkeit. Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen” (VS 2009) (Rezension hier)
werden darum Diagnosen und Handlungsanleitungen vorgelegt, die man nicht einfach als islamophil abtun kann, sondern zu ernsthafter Debatte herausfordern.

Inzwischen ist eine Art Folgeband erschienen, der deutlich macht, dass es weder Sinn macht, den Islam schön zu färben, noch mit pauschaler Polemik Vorurteile zu bestärken:
Thorsten Gerald Schneiders (Hg.):
Islamverherrlichung. Wenn Kritik zum Tabu wird.

Wiesbaden: VS-Verlag 2010
— Rezension in Vorbereitung —

Das schon etwas länger auf dem Markt befindliche Buch von
Sabine Schiffer und Constantin Wagner:
Antisemitismus und Islamophobie – ein Vergleich.
Wassertrüdingen: HWK 2009

untersucht ein weiteres Stereotyp, das schon als Frage oft zurückgewiesen wird: Setzt sich der Antisemitismus als Islamfeindlicheit fort?  (Rezension im Rahmen eines Seminars an der TU Dortmund hier).
So beeindruckend der Ansatz dieses Buches ist und auch positive Rezensionen vorliegen (vgl. auch das Interview bei Telepolis) so sind Begründungen und Belege oft nicht hinreichend abgesichert, so dass dadurch ebenfalls wieder Vorurteile und (nur) scheinbar begründete Abwehrmechanismen entstehen. Gerade weil die Autoren einen oft tabuisierten Themenbereich einer härter werdenden gesellschaftlichen Auseinandersetzung auf den Punkt gebracht haben, kann man nur auf eine überarbeitete Neuauflage hoffen.
Denn es gilt: Mit dem Vorurteil des Kampfes der Kulturen lässt sich keine Harmonie in einer multikulturellen Gesellschaft erzielen. Darauf hat schon
Stefan Weidner in seinem “Manual für den Kampf der Kulturen” hingewiesen (vgl. Rezension). Und der Schriftsteller und Wissenschaftler Abdelwahab Meddeb zeigt durch eine Re-Lektüre des Koran auf, welchen Reichtum islamische Spiritualität für eine post-okzidentale Kosmo-Politik bedeuten kann
(in: Pari de civilisation, Seuil 2009 – hier Kommentar, französisch).
Vgl. dazu auch:
— Erklärung von Interkulturellem Rat Deutschland, Pro Asyl u.a.:
Rassisten sind eine Gefahr, nicht Muslime!
— Interview von Qantara.de mit dem Ernst Benz, Leiter des Zentrums für
Antisemitismusforschung an der TU Berlin:

Tod und Jenseitsvorstellungen im Glauben der Völker

Es ist schon über 20 Jahre her, dass der Bonner Religionswissenschaftler Hans-Joachim Klimkeit zusammen mit seinen Fachkollegen eine Ringvorlesung hielt, in der es um Sterben und sowie das "Jenseits" in den verschiedenen religiösen Traditionen ging. Das 1983 in 2. Auflage herausgekommene Buch ist immer noch ein beeindruckendes Zeugnis für eine religiös geprägte Lebensgestaltung, die mit dem Tod nicht alles an ihr Ende gekommen sieht. So werden Jenseitsvorstellungen von der Vorgeschichte über das Zweistromland, den Alten Orient bis zu heutigen großen Religionen – auch mit ihren Kunstwerken – vorgestellt:

Hans-Joachim Klimkeit (Hg.):
Tod und Jenseits im Glauben der Völker.

Wiesbaden: Harrassowitz 1083, 2. Aufl.
Mit Beispielen belegte
Besprechung (hier)
im Rahmen eines Seminars an der TU Dortmund, Sommersemster 2010