KI und Didaktik

KI ist nun auch massiv im Bildungssystem angekommen. Viele ahnen die Möglichkeiten, hoffen auf Entlastung. Erste KI-Automaten erstellen schon jetzt auf Knopfdruck Lehrplan bezogenen Unterricht, Materialien, inklusive digitaler Tests. Für die religionspädagogische Praxis habe ich da noch nichts empfehlenswertes entdeckt. Falls ihr gute Tools findet, empfehlt es gerne in einem Kommentar zu diesem Beitrag.

Menschliches Lernen ist komplexer als das Lernen einer KI. Menschen sind nicht nur von externen Belohnungen motiviert, sondern auch von internen Faktoren wie Neugier, Interesse und dem Streben nach Selbstverwirklichung. Die Frage ist also, wie KI gestütztes Lernen neben behavioristischen Lernansätzen auch konstruktivistische, kognitive und andere pädagogische Ansätze berücksichtigen kann.

Wie könnte ich mir einen KI-gestützten Lernprozess vorstellen, der nicht über ein extrinsisches Belohnungskonzept (awarding), Tests und Quizze läuft, sondern intrinsisch motiviertes Lernen fördert, den Lernfortschritt verfolgt, bei Bedarf korrigierend eingreift und die Anwendung von Kompetenzen in realen Situationen bewertet? Die folgenden Kriterien entspringen verschiedenen Diskussionen in unserem Team und natürlich auch unter Beteiligung von ChatGPT4 und Mistral Chat (large).

Aspekte eines KI gestützten Lernumgebung

Ich möchte die folgenden Aspekte als Anregung im Diskurs rund um KI und Lernen verstanden wissen. Die Konkretisierungen zur KI-Unterstützung, den damit verbundenen Prozessen und Zielen dienen lediglich als Beispiele, um den praktischen Einsatz besser vorstellen zu können.

1. Personalisierte Lernziele und adaptive Lernpläne

Der Lernprozess beginnt mit der Festlegung individueller Lernziele durch die Lernenden, basierend auf ihren Interessen, Stärken und Schwächen. Die KI erstellt daraufhin einen adaptiven Lernplan, der auf diese Ziele abgestimmt ist und kontinuierlich an den Fortschritt und die Bedürfnisse des Lernenden angepasst wird.
Eine KI könnte Lernpfade erstellen, die auf den persönlichen Interessen und Zielen der Lernenden basieren. Diese Pfade sollten dynamisch an den Lernfortschritt angepasst werden, sodass die Lernenden stets Herausforderungen und Aufgaben erhalten, die sie weder unter- noch überfordern.

  • KI-Unterstützung: Algorithmen für Empfehlungssysteme schlagen individuell zugeschnittene Ressourcen, Kurse oder Materialien vor, die auf dem bisherigen Lernverhalten, Präferenzen und den Leistungen der Lernenden basieren.
  • Prozess: Ein zyklische Prozess von Lernaktivitäten, Feedback, Reflektionsphasen und Adaption der nächsten Lernvorhaben ist entscheidend für ein wirksames Lernen. Dabei sollte die KI so konzipiert sein, dass sie die Autonomie und die intrinsische Motivation des Lernenden respektiert und fördert, indem sie Lernenden erlaubt, ihren eigenen Lernweg innerhalb eines strukturierten Rahmens zu gestalten.
  • Ziel: Bereitstellung geeigneter Lernressourcen basierend auf den Interessen und dem Fortschritt der Lernenden.

2. Selbstgesteuertes Lernen mit menschlicher Unterstützung

Die Lernenden arbeiten selbstständig an ihren Lernaktivitäten, wobei sie von der KI unterstützt werden, die Lernressourcen, Übungen und andere Materialien bereitstellt. Menschliche Lehrkräfte oder Mentoren fungieren als Coaches, die emotionale Unterstützung bieten, motivieren und bei Bedarf persönliche Rückmeldungen geben.

  • KI-Unterstützung: Neben Lehrkräften und Lernbegleitern kann auch die KI die Rolle eines virtuellen Tutors übernehmen, der Fragen beantwortet, Erklärungen gibt und Hinweise liefert, um die Lernenden durch schwierige Konzepte zu führen.
  • Prozess: Die KI unterstützt in einem dynamischen und selbstregulierten Lernprozess, den Fokus auf die Ziele und Lernaktivitäten zu halten, kann anleiten, Fragen beantworten und fördert die Selbstreflexion.
  • Ziel: Die Entwicklung von Vorgehensweisen, um sich effektiv und effizient Wissen anzueignen.

In Gruppen- und sozialen Lernprozessen

  • KI-Unterstützung: Anleitung zur Selbstreflexion und Evaluation des Lernprozesses sowie der Gruppendynamik.
  • Prozess: Nach Abschluss eines Projekts oder einer Lerneinheit fordert die KI die Lernenden auf, ihre Erfahrungen zu reflektieren, sowohl in Bezug auf den Lerninhalt als auch auf die Zusammenarbeit im Team. Diese Reflexionen können durch gezielte Fragen oder Reflexionsaufgaben angeregt werden.
  • Ziel: Entwicklung einer kritischen Perspektive auf den eigenen Lernprozess und die Teaminteraktionen, Förderung von metakognitiven Fähigkeiten

3. Kontinuierliches Feedback

Die KI bietet den Lernenden prozessbezogene Feedback-Optionen an. Dies hilft den Lernenden, ihre Stärken und Schwächen zu erkennen, ihre Lernstrategien anzupassen und ihre Selbstreflexion und -bewertung zu verbessern.

Persönliches Feedback:

  • KI-Unterstützung: KI-Algorithmen bieten automatisiertes Feedback zu den Leistungen der Lernenden, indem sie Aufgaben, Tests oder Projekte bewerten und unmittelbar Auskunft geben. Diese Systeme können Stärken, Schwächen und Fortschritte aufzeigen und konkrete Verbesserungsvorschläge unterbreiten.
  • Ziel: Selbstreflexion und Verbesserung

Peer-Gruppen Feedback

  • KI-Unterstützung: Organisation von Peer-Feedback-Runden, in denen Lernende die Arbeiten ihrer Mitlernenden bewerten und konstruktives Feedback geben.
  • Prozess: Die KI verteilt die eingereichten Projekte oder Aufgaben anonymisiert unter den Gruppenmitgliedern und bietet Leitfäden oder Kriterien für konstruktives Feedback. Nach der Peer-Bewertung sammelt die KI das Feedback und stellt es den jeweiligen Autoren zur Verfügung.
  • Ziel: Förderung von Reflexion und Selbstkritik sowie Verbesserung der Fähigkeit, konstruktives Feedback zu geben und zu empfangen.

4. Soziale Interaktion und kollaboratives Lernen

Der Lernprozess beinhaltet Gruppenprojekte, Diskussionsforen und andere soziale Lernformen, um den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen den Lernenden zu fördern. Die KI unterstützt diese Interaktionen, indem sie geeignete Plattformen und Werkzeuge bereitstellt.

  • KI-Unterstützung: Einsatz von KI-Tools zur Moderation von Online-Diskussionsforen, die relevante Fragen stellen, Diskussionen anregen und bei Bedarf Informationsressourcen bereitstellen.
  • Prozess: Die KI überwacht die Diskussionen, erkennt, wenn die Konversation ins Stocken gerät, und wirft gezielte Fragen oder Impulse ein, um die Diskussion wiederzubeleben. Zudem kann sie relevante Texte, Studien oder multimediale Inhalte vorschlagen, um die Diskussion zu vertiefen.
  • Ziel: Aktive Teilnahme aller Gruppenmitglieder und Vertiefung des Verständnisses durch interaktiven Austausch.

5. Praxis- und projektorientiertes Lernen

Die Lernenden wenden ihre erworbenen Kompetenzen in realen oder simulierten Situationen an, um ihre Transferleistung zu verbessern und sich auf reale Anwendungsfälle vorzubereiten. Die KI hilft bei der Gestaltung dieser praxisorientierten Lernaktivitäten und bewertet die Leistungen der Lernenden.

KI-gesteuerte Simulationen, Planspiele und VR-Umgebungen

  • KI-Unterstützung: KI-gesteuerte Simulationen und VR-Umgebungen ermöglichen es Lernenden, in sicheren, kontrollierten Umgebungen praktische Erfahrungen zu sammeln, indem sie komplexe Szenarien nachbilden, in denen Lernende Entscheidungen treffen und deren Auswirkungen sehen können.
  • Lernziel: Anwendung erlernter Kenntnisse in praktischen, realitätsnahen Situationen.

KI-gestützte Projektphasen

  • KI-Unterstützung: Unterstützung bei der Planung, Durchführung und Bewertung kollaborativer Projekte und Präsentationen.
  • Prozess: Die KI stellt Werkzeuge und Plattformen zur Verfügung, die eine effiziente Zusammenarbeit ermöglichen, z.B. gemeinsame Arbeitsdokumente, Zeitplanungstools und virtuelle Präsentationsräume. Sie kann auch als virtueller Assistent fungieren, der bei der Organisation hilft, Erinnerungen sendet und Ressourcen bereitstellt.
  • Ziel: Erwerb von Kompetenzen im Bereich Teamarbeit, Projektmanagement und Präsentationstechniken.

6. Diversität und Inklusion

Die KI berücksichtigt unterschiedliche Lernstile, -behinderungen und kulturelle Hintergründe, um eine inklusive Lernumgebung zu schaffen, die auf die individuellen Bedürfnisse der Lernenden eingeht.

Beispiel Textverständnis:

  • KI-Unterstützung: Natural Language Processing Tools unterstützen das Leseverständnis, indem sie Textinhalte analysieren, Zusammenfassungen erstellen, Schlüsselkonzepte hervorheben, vorlesen und auf Fragen zu Texten in natürlicher und einfacher Sprache antworten.
  • Ziel: Verbesserung der Sprachkenntnisse und des Textverständnisses.

7. Förderung kritischen Denkens

Der Lernprozess integriert Module, die kritisches Denken, Problemstellung und kreative Lösungsfindung in den Vordergrund stellen, um über reines Faktenlernen hinauszugehen.

  • KI-Unterstützung: KI-Systeme analysieren Inhalte, um Diskussionspunkte, Dilemmata oder Fallstudien zu generieren, die kritisches Denken und Problemlösungsfähigkeiten fordern. Sie können Fragen stellen, die Lernende dazu anregen, über den Lehrstoff hinaus zu denken und eigene Schlussfolgerungen zu ziehen.
  • Ziel: Entwicklung von kritischem Denken und analytischen Fähigkeiten.

8. Transparenter Datenschutz

Der Lernprozess respektiert die Privatsphäre der Lernenden, indem transparente Datenschutzrichtlinien implementiert werden und die Lernenden Kontrolle darüber haben, wie ihre Daten genutzt und geschützt werden. Ein wichtiger Faktor sind dabei stets. dass personenbesogene Daten die Bildungseinrichtung erst gar nicht verlassen und die genutzen Programme open-source sind. Aber auch die Verwendung von KI kann Datenschutz verbessern.

  • KI-Unterstützung: KI kann kontinuierlich Verarbeitungsaktivitäten von anonymisierten und pseudonomisierten Daten analysieren, um ungewöhnliche Muster oder potenzielle Datenschutzverletzungen zu erkennen.
  • Prozess: Im Falle einer erkannten Verletzung können diese Systeme automatisch Warnmeldungen an Lehrkräfte, die zuständigen Datenschutzbeauftragten oder sogar direkt an die betroffenen Nutzer senden. KI kann komplexe Datenvorschriften für leicht verständlich machen und Lernenden riskantes Verhalten signalisieren um so Datenschutzverletzunge vorzubeugen.
  • Ziel: Im Kontext von KI und transparentem Datenschutz zielt der Einsatz solcher Technologien darauf ab, ein reflektiertes und verantwortliches Handeln in Hochrisikobereichen zu fördern.

KI in der Bildung ist eine zentrale Aufgabe der Zivilgesellschaft

Unter Berücksichtigung aller Aspekte könnte sich trotz aller Skepsis ein Lernumfeld entwickeln, das die technologischen Vorteile des KI-gestützten Lernens mit den unersetzlichen menschlichen Interaktionen und Unterstützung verbindet. Ein solches Lernumfeld respektiert die Autonomie, die Privatsphäre und die intrinsische Motivation der Lernenden. Es fördert soziales Lernen, eine wertschätzende Feedbackkultur und kritisches Denken. Gleichzeitig schafft es Freiräume für Lehrkräfte, um Lernende auf der Beziehungsebene zu begegnen und emotional zu stärken.

Ein derart konzipiertes KI-gestütztes Lernumfeld kann sich dynamisch an die Bedürfnisse jedes einzelnen Lernenden anpassen, was in traditionellen Lernumgebungen mit dem aktuellen Personalschlüssel kaum zu erreichen ist.

Sicher gibt es bereits Lernumgebungen, die einige dieser Aspekte integriert haben, und Medienproduzenten sowie andere Marktakteure haben diesen neuen Markt möglicherweise schon für sich entdeckt. Ich wünsche mir jedoch, dass wir dieses Feld nicht allein ihnen überlassen. Die Entwicklung von KI-gestützten Lernumgebungen ist eine Aufgabe, die von allen Akteuren im Bildungsbereich gemeinsam getragen und verantwortet werden muss. Dazu zählen Open-Source-Ansätze, Open Educational Resources und eine transparente, eigenverantwortliche Umsetzung. Dies ist möglich und wird auch von der neuen EU-Verordnung zur KI (AI Act) gefordert.

Ich wünsche mir eine gemeinsame Anstrengung aller im Bildungsbereich Verantwortlichen, um all jene zu unterstützen, die sich an der Entwicklung solcher Lernumgebungen beteiligen möchten.

Joachim Happel
Joachim Happel
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