Der blinde Seher (Bileam)

Für einen Tag der Stille und Meditation zu 4. Mose 22 (-24) (Hartmut Friebolin)

Die Bileamsgeschichte beginnt in Kapitel 22 und geht bis Kapitel 24. Ich möchte empfehlen, sich auf das Kapitel 22 zu konzentrieren. Und da vor allem die Verse 21-31 morgen Vormittag – nachmittags dann auch mehr, etwa bis Vers 35.

I. Eine Vorbemerkung:

Bileam ist ein Seher, einer, der einen besonders guten Draht nach oben hat. – Und dieser Bileam kommt an eine Grenze. Er hat gehört, was Gott von ihm will, nämlich, dass er das Volk Israel nicht verfluchen (Vers 6) soll – obwohl es der Moabiterkönig Balak eigentlich von ihm fordert. Auch nicht für viel Gold und Silber. Dann heißt es: Vers 20 In der Nacht kam Gott zu Bileam und sprach zu ihm: Wenn die Männer ((von dem König Balak erneut)) gekommen sind, um dich zu holen (um zu verfluchen), dann mach dich auf den Weg, und geh mit! Aber du darfst nur das tun, was ich dir sage.“ Gott hat ihm das gesagt – und er geht los. Gleich darauf Vers 22 wird Gott aber zornig, weil Bileam mitgegangen ist. Ein seltsamer Widerspruch.

Und in der ganzen Geschichte (Kapitel 22-24) kann man dieses scheinbare Schwanken in den Anweisungen Gottes beobachten. Erst soll Bileam die Boten des Königs Balak wieder wegschicken, dann doch nicht, – jetzt soll er doch mitgehen – und dann wird Gott zornig darüber – warum nur dieses Schwanken?

Ich sage das gleich vorneweg – eben als Vorbemerkung – , weil einen das Grübeln darüber leicht aus dem Tritt bringen und aus dem Betrachten herausreißen kann. Mir ging das so. Und mir hat dann folgender Gedanke geholfen: Gott geht es bei allem um ein Glaubenswachstum des Bileam. Nicht eine „Befehl und Gehorsam- Haltung“, sondern wachsende Glaubenserkenntnis. Ähnlich wie bei Isaak (Gen 22), sein Vater Abraham soll auf Geheiß Gottes seinen Sohn opfern, und dann verhindert es Gott selbst. Ziel dabei ist, dass Abraham und hier Bileam im Glauben wachsen und reifen. Und in unserer Geschichte soll Bileam, der blinde Seher, der nicht Tairesias (vgl. Antigone) heißt, sondern Bileam, der soll sehend werden: „31 Nun öffnete der Herr dem Bileam die Augen, und er sah…“ Doch davor erlebt Bileam Hindernise, Grenzerfahrungen.

Wir lesen 4. Mose 22, die Verse 21-31:  Der Seher Bileam:

21 Am Morgen stand Bileam auf, sattelte seinen Esel und ging mit den Hofleuten aus Moab.

22 Aber Gott wurde zornig, weil Bileam mitging, und der Engel des Herrn trat Bileam in feindlicher Absicht in den Weg, als Bileam, begleitet von zwei jungen Männern, auf seinem Esel dahinritt.

23 Der Esel sah den Engel des Herrn auf dem Weg stehen, mit dem gezückten Schwert in der Hand, und er verließ den Weg und wich ins Feld aus. Da schlug ihn Bileam, um ihn auf den Weg zurückzubringen.

24 Darauf stellte sich der Engel des Herrn auf den engen Weg zwischen den Weinbergen, der zu beiden Seiten Mauern hatte.

25 Als der Esel den Engel des Herrn sah, drückte er sich an der Mauer entlang und drückte dabei das Bein Bileams gegen die Mauer. Da schlug ihn Bileam wieder.

26 Der Engel des Herrn ging weiter und stellte sich an eine besonders enge Stelle, wo es weder rechts noch links eine Möglichkeit gab auszuweichen.

27 Als der Esel den Engel des Herrn sah, ging er unter Bileam in die Knie. Bileam aber wurde wütend und schlug den Esel mit dem Stock.

28 Da öffnete der Herr dem Esel den Mund, und der Esel sagte zu Bileam: Was habe ich dir getan, daß du mich jetzt schon zum drittenmal schlägst?

29 Bileam erwiderte dem Esel: Weil du mich zum Narren hältst. Hätte ich ein Schwert dabei, dann hätte ich dich schon umgebracht.

30 Der Esel antwortete Bileam: Bin ich nicht dein Esel, auf dem du seit eh und je bis heute geritten bist? War es etwa je meine Gewohnheit, mich so gegen dich zu benehmen? Da mußte Bileam zugeben: Nein.

31 Nun öffnete der Herr dem Bileam die Augen, und er sah den Engel des Herrn auf dem Weg stehen, mit dem gezückten Schwert in der Hand. Da verneigte sich Bileam und warf sich auf sein Gesicht nieder.

Als Hinführung möchte ich euch vorschlagen, an eurem Tag der Stille morgen, für euch aufzuschreiben, was Ihr in den letzten drei Tagen gehört habt, was Ihr für euch als gut, wichtig, wahr angenommen habt – oder wirklich annehmen möchtet. Wo Euch Gottes Willen klarer wurde. Das als erstes, dass es nicht verloren geht.

Denn es werden auch bei uns Hindernisse kommen, das Gehörte in die Tat umzusetzen, dass es tatsächlich unseren Alltag prägen wird.

Hindernisse, Probleme, Anfechtungen, Grenzerfahrungen. Wir machen sie oft – die Frage ist, sehen wir sie im Zusammenhang mit dem als wahr Erkannten? Sehen wir die Hindernisse als Sachzwänge, Schicksal oder als Hinweise Gottes. Ein schöner Spruch von Gertrud von Lefort mag da Mut machen: „Die Grenzen der Menschen sind das Einfallstor Gottes.“

Frage: Wie gehen wir mit unseren Grenzen um? Nach den vier Persönlichkeitstypen von Fritz Riemann kann man etwa sagen: Dem Zwanghaften geben die Grenzen Halt, der Hysterische versucht sie zu überwinden, weil sie einengen, der Depressive nimmt sie als Schicksal hin, fügt sich, der Schizoide sieht sie als Herausforderung und sinnt über sie nach. Wie ist es mit meinen Grenzen, auch mit den Grenzen der Gemeinschaft? Sind sie hausgemacht oder von Gott, gibt mir diese Grenze mein gesundes Maß, provoziert sie mich zu „mehr“, zu dem berühmten ignatianischen MAGIS. Mehr sehen, ein Mehr an Sendungsbereitschaft, ein Mehr an Glaubensvertrauen? Meine Grenzen als Einfallstor Gottes – um mich zu verwandeln?

Also: Zuerst aufschreiben, was habe ich gehört, was ich festhalten will? Möglichst kurz, einfach und prägnant. Das Zweite: Welcher Gewohnheit folge ich im Umgang mit Grenzerfahrungen?

– Ich weiß, damit kann man schon einen Morgen füllen – aber wir wollen ja noch weiter!!

II. Die Betrachtung des Bildes  

Was wir hier haben, das ist das Bild einer Wanderung, einer Reise. Das ist ein schönes Bild, für die meisten reich an Erinnerungen, Gefühlen, beglückenden Situationen, vielleicht Erfahrungen von Bewahrung, wo Freundschaften entstanden sind, auch Erfahrungen der Verwandlung, denn „unterwegs wirst du ein anderer Mensch.“ (… Vers 34)

Bileam ist ein Seher, ein Prophet mit göttlichen Kräften, ein Medium würden die Esoteriker sagen. Er ist über die Grenzen des Landes hinaus bekannt: „Wen du segnest, der ist gesegnet; wen du verfluchst, der ist verflucht.“ (Vers 6)

Das Volk Gottes ist auf dem Durchzug – ist unterwegs – und lagert sich im Gebiet der Moabiter – der König von Moab bekommt nun Existenzängste, Besitzstandwahrung ist angesagt, „Die fressen mir alles weg!“ ist die Urangst dabei.  Und Bileam soll nun kommen und das Volk verfluchen – für viel Gold und Silber. Balak schickt mehrfach Boten zu Bileam, um ihn zu holen – auf dass er seinen Fluch spreche – damit Balak mit den Soldaten das Volk leichter ermorden kann.

Da ist kein antiquiertes Geschehen sondern sehr modern. Wer die Priester gehört hat vor Kriegen des 20. Und 21. Jahrhunderts weiß das. Etwa der Priester vor dem Abflug der Maschienen nach Hieroshima. Oder im Juni 2005 als das Video aufgetaucht ist, auf dem man einen orthodoxen Priester erkennt, der ein Segensgebet für die Militzsoldaten spricht, bevor sie dann das Massaker von Srebrenica begangen haben: „Oh, Herr gibt der Armee deiner Gläubigen die Übermacht über das feindliche Volk . Im Namne des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.“ Das ist gruselig – wie Gottes Macht hier mißbraucht wird.

Und das ist ja kein Pfarrerproblem, oder ein Amtsproblem, sondern wir alle als Berufschristen segnen und werden zum Segnen genötigt – manchmal durch unsere bloße Anwesenheit – an einem Ort oder in einem Gremium.

Bileam nun weigert sich, weil Gott es ihm verbietet, zu verfluchen. Und dann geht er doch – zieht er los – und unterwegs wird er ein anderer Mensch.

Ich möchte euch nun für die Betrachtung empfehlen die sechs Stationen der Bileamreise allegorisch zu betrachten. D.h. die einzelnen Stationen der Reise je für sich zu betrachten und zu vergegenwärtigen und zu übertragen. Ich sehe hier den Esel, Bileam und den Engel als eine Einheit. Auch wir wissen was gut ist – und wollen es doch nicht wahrhaben und wahrmachen.

Also die erste Station: Vers 21: Es ist Morgen, Bileam sattelt den Esel und geht los.

D.h. Aufbruch – wie? In welcher Verfasung ist Bileam? Welche Hoffnung treibt ihn?

[- Dann Gottes Zorn – die Kehrseite seiner Liebe, die anderer Seite der Medaille – der Liebe die uns verwandeln will-]

Die 2. Station: Gott schickt ein Hindernis in den Weg – der Esel nur sieht – und er weicht aus auf ein Feld nebenan. Ausweichen! Umwege gehen um Hindernissen aus dem Weg zu gehen.

3. Station: Erneutes Hindernis, in einem Hohlweg, es wird dichter, enger. Um die Konfrontation zu vermeinden, wird einen Verletzung in Kauf genommen. Was fällt mir dazu ein?

4. Station: Unvermeindliche Konfrontation- „es kann so nicht weitergehen wie bisher!“ – aber Bileam dreht durch, Gefühle kochen hoch, Agression und Projektionen auf Schwächere geschehen, weil man dem Eigentlichen nicht in die Augen sehen will.

5. Station: Dann: Der Esel redet, ein Freund, das Gewissen, die Erinnerung, ein biblisches Wort… wer auch immer! Es beginnt ein Prozess der Selbsterkenntis bis zu dem Punkt des Eingeständnisses fehlenden Vertrauens. Vers 30: „Da musste Bileam zugeben…“

6. Station: Bileam sieht und schweigt in ehrfuchtsvoller Anbetung. Vers 31 – wie auch schon der Esel in Vers 27, der auf die Knie geht.

III. Drei Erwägungen

Die Bildstufe ist also eine Bilderfolge – sie gipfelt in der Anbetung und im Schweigen Vers 31.

1. Erwägung: Dasselbe – aber anders.

In dem Ductus /der Abfolge der ganzen Bileamgeschichte könnten wir die Verse 21-35 ohne Probleme heraus nehmen – die Geschichte würde weiterhin Sinn machen. Aber was würde der Geschichte dann fehlen? Überlegt mal!

Sie würde an Tiefe verlieren, aber sie wäre weiterhin schlüssig. Wir können diese Verse einmal nicht als äußere Handlungen betrachten, sondern als einen inneren Prozess des Kampfes, des Ringens mit sich und mit dem als wahr Erkannten und Gehörten (vgl. die Vorübung für den heutigen Tag!!). Das ist ein gefährlicher Kampf, bei dem man umkommen kann.

Das Ziel dieses Kampfes ist nicht – den Weg irgendwann abzubrechen – sondern denselben Weg anders zu gehen. Aber wie? Bileam soll selbst erkennen, was auf dem Spiel steht? Vielleicht ist es das – ich mache ein paar Vorschläge: Bileam soll nicht mehr bloß nach dem Handlungsschema „Befehl und Gehorsam“ leben. Das ist ja das typisch fundamentalistische Denkschema. Und dabei fehlt eben die Freiwilligkeit, denn „Der Mensch wird des Wegs geführt, den er wählt.“ So sagt es der jüdische Talmud. 

Bileam soll selber als Person dabei sein, mit drin, mit Hingabe (vgl. Vers 31). Mit Selbsterkenntnis, bis ins eigene Sünder-sein. Ohne Projektionen und Übertragungen auf den Schwächeren. Mit Selbsterkenntnis in das eigene Aggressionspotential – es geht ja auch um die Vernichtung des Exodusvolkes.

2. Erwägung: Gott will Verwandlung – nicht Veränderung

Vers 31 „Nun öffnete der Herr dem Bileam die Augen, und er sah den Engel des Herrn auf dem Weg stehen, mit dem gezückten Schwert in der Hand. Da verneigte sich Bileam und warf sich auf sein Gesicht nieder.“

Gott verwandelt!

Von Reinhard Deichgräber – aus seinem Büchlein „Unterwegs wirst du ein anderer Mensch! Vom Wunder der Wandlung.“ (Seite 10ff.) – habe ich folgende schöne Unterscheidung: die Unterscheidung zwischen Verwandlung und Veränderung. Gott zielt auf Verwandlung und nutzt dabei unsere Grenzen. Was ist der Unterschied?

Im Verändern sind wir groß. Im Ändern sind alle modernen Gesellschaften groß. Wir bezeichnen solche Veränderungen gerne als Reform und haben damit auch ein schönes, anspruchsvolles Wort, das freilich etwas hochstaplerisch klingt. Etwas ändern scheint darum auch im Allgemeinen nicht sonderlich schwierig. Zu einer Änderung bedarf es eines vernünftigen Konzepts, rationaler Planung und vor allem eines starken Willens zur Durchsetzung. Änderungen sind in einem hohen Grade machbar. Verwandlungen sind es nicht. Sie sind anderen Gesetzen unterworfen als unsere Reformen. Wer sich nach Verwandlung sehnt, findet keine Methode und keine Gebrauchsanweisung, die bei sorgfältiger Beachtung den Erfolg garantiert. Ver-Wandlungen vollziehen sich leise und unmerklich. Sie werden nicht produziert und kontrolliert, sondern mit Demut wahrgenommen und empfangen. Die Kräfte, die Verwandlung bewirken, sind geheimnisvoll; sie lassen sich nicht verfügbar machen. Ein eigenartiger Zauber scheint hier wirksam. Jede Verwandlung ist ein Wunder. Wie die Begegnung mit einem Engel.

Ich frage nun: Kann der Mensch wirklich nichts zum Verwandlungsgeschehen beitragen? Kommt es über uns wie ein Naturereignis, dem wir willenlos ausgeliefert sind? Wir sind doch nicht ein Stein oder ein Stück Holz, das der Fluss mit sich fortspült! Was ist unsere Verantwortung?

Es bleibt dabei: Wir können Verwandlung nicht produzieren. Wir können sie weder planen noch organisieren. Wir können sie auch nicht berechnen oder kontrollieren. Wir können sie nicht behördlich anordnen oder verbieten. Sie lässt sich weder beschleunigen noch drosseln.

Aber eins könn(t)en wir: Negatives: den Kräften der Verwandlung Widerstand leisten, ausweichen u.a.. Bileam ist das Beispiel dafür. Wenn wir den Wandel fürchten, wenn wir ihn nicht wollen, wird er sich schlecht oder gar nicht gegen uns durchsetzen. Nicht in irgendeinem Tun, aber im Geschehen-Lassen liegt unser Teil. In unserer Geschichte ist der Esel dafür ein Sinnbild: Mein Transportmittel führt mich in eine andere Richtung.

Und noch etwas können wir „machen“: Positiv: Bedingungen aufsuchen, die einem Wandlungsprozess günstig sind. Auf einer Einkehr/Tag der Stille heißt das, mit Ignatius v.L.: Sich disponieren. Ablenkungen vermeiden. Raus aus dem Alltagstrott u.s.w. Was heißt es aber für den Alltag? Welchen Weg wollen wir da gehen, damit unterwegs der Wandel – die Verwandlung über uns kommt, und am Ziel sind wir nicht mehr so wie damals.

3. kurze Erwägung: Gemeinschaft

Zu diesen günstigen Bedingungen gehört, dass wir in der Nähe von Menschen sind, die uns ergänzen und korrigieren. Dass wir in der Nähe von Eseln sind. Vielleicht auch von Engeln.

Über Reli2go

siehe Blog "Über mich"
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