Buch des Monats Februar 2015: Madeleine Delbrêl – Liebe leben

Rz-Schleinzer-DelbrelAnnette Schleinzer: Die Liebe ist unsere einzige Aufgabe.
Das Lebenszeugnis von Madeleine Delbrêl.

Ostfildern: Patmos (Schwabenverlag) 2014, 312 S., Abb., Zeittafel  — ISBN 978-3-8436-0544-1 —

Die Theologin und Exerzitienbegleiterin Annette Schleinzer hat die 1994 erschienene Biografie über Madeleine Delbrêl (1904 – 1964) überarbeitet und aktualisiert. Was die Autorin an dieser Poetin und Sozialarbeiterin, dieser „Mystikerin der Straße“ fasziniert, ist eine „tragfähige Alltagsspiritualität“, die in jüngster Zeit eine „weitere aktuelle Spur eröffnet, nämlich die tiefe Verwandtschaft Madeleine Delbrêls mit Papst Franziskus.

Die Autorin erörtert das kontemplativ-aktive Leben von Madeleine Delbrêl unter den Gesichtspunkten ihrer konsequenten Jesus-Nachfolge, gerade im Blick auf intensive Sozialarbeit angesichts industriellen Herausforderungen.   Es gilt in einer a-religiösen Situation der europäischen Kirchen  Mission zu betreiben, und zwar in dem Sinne, dass die Kirche zu den Menschen gehen muss, d.h. das Evangelium vorlebend predigen. Die Motivation, dies zu praktizieren, liegt in einer Liebe, die gleichermaßen von Demut und Achtung geprägt ist (S. 257). Das konsequente Glaubensleben von Madeleine Delbrêl macht Mut, gesellschaftliches Engagement und persönliche Frömmigkeit im Alltag glaubwürdig umzusetzen und so ein authentisches Zeugnis göttlicher Liebe zu geben. Unsere Zeit braucht wahrhaftig viele Menschen, die diese liebende Achtsamkeit leben.

Ausführliche Beschreibung: hier 

Reinhard Kirste

 Rz-Schleinzer-Delbrel, 31.01.15  Creative Commons-Lizenz

Erbarmen – ein Wort der Lebensorientierung

Rz-Praetorius-ErbarmenIna Praetorius: Erbarmen.
Unterwegs mit einem biblischen Wort
Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2014, 128 S.
— ISBN: 978-3-579-08183-0

Dies ist ein meditatives Buch, das sich in großer interreligiöser Offenheit auf Erbarmen, Barmherzigkeit und Gnade einlässt. Es sind alte Worte, wie man sie in verschiedenen Variationen in der Hebräischen Bibel, im Neuen Testament und im Koran findet und die geradezu eine gemeinsame spirituelle Basis der drei monotheistischen Religionen bilden. Es ist diese Barmherzigkeit Gottes, die das eigene Handeln steuert.

Die Autorin, die Schweizer Theologin Ina Praetorius (geb. 1956) liebt diese altmodischen Wörter, weil sie einen achtungsvollen Bezug zu den Menschen vor uns herstellen. Zugleich bringen Worte etwas von dem Grund zum Klingen, auf dem menschliches Vertrauen und Hoffnung wächst.

Auf ihrer Homepage (http://www.inapraetorius.ch/d/ina-praetorius.php) beschreibt sie, dass ihr diese „alten“ Wörter zu einer Lebensbasis geworden sind:

Ich habe Wörter wie „Gott“, „Liebe“ oder „Jesus Christus“ geschenkt bekommen, um mich in der Welt orientieren und meinem Leben einen Sinn geben zu können.

Ina Praetorius hat bereits eine Reihe von Büchern eher essayistischen Charakters veröffentlicht – zum Gebären und Geborenwerden, zum Glaubensbekenntnis und zum Gottesverständnis. Mit anderen zusammen fragte sie nach dem ABC des guten Lebens. Die Frauenbewegung und die Genderproblematik liegen ihr besonders am Herzen, um daraus ethisch notwendige Veränderungen (auch politisch) einzufordern. Ihre Dissertation (2003) betraf: Anthropologie und Frauenbild in der deutschsprachigen protestantischen Ethik seit 1949.

Bei den 11 Kapiteln ihres neuesten Büchleins handelt es sich um kleine Erlebnisse, Geschichten, kleine Schlüsselerfahrungen aus dem eigenen Leben. Sie werden unter dem Licht des göttlichen Erbarmens angesprochen und stehen jeweils unter einer biblische Leitlinie. Das sind kurze Texte, die dem Alten und Neuen Testament entnommen sind. So werden Erinnerungen aus dem unmittelbaren Lebensumfeld, aber auch nachdenklich machende (große) Reisen aufgearbeitet. Die Theologin stellt exegetische Einseitigkeiten in Frage und findet dadurch auch Durchbrüche, um biblische Verse für den Alltag persönlich und auch politisch relevant zu aktualisieren. So finden Abschiede von herkömmlichen, besonders patriarchalisch geprägten Gottesbildern statt, und gesellschaftliche Missstände werden deutlich angesprochen. Ina Praetorius bietet keine fertigen Antworten, es sind vielmehr Suchbewegungen. Sie sind keineswegs ziellos, denn sie geschehen im Vertrauen auf die unbedingte göttliche Zuwendung.

Die Reflexionen von Fremdheit und Nähe im Hier und im „Anderswo“ können zu Hoffnungsformulierungen auf eine(Geschlechter) gerechte und friedvolle Zukunft werden. Die Autorin ist der Wirkkraft des Erbarmens auf der Spur. Und offensichtlich gibt es immer wieder Zeichen, die diese verändernde Kraft des Erbarmens bestätigen und eine neue Sicht auf das eigene „Geführtwerden“ ermöglichen. Hier geht es aber nicht nur um die eigene seelische Stabilisierung, sondern auch um die Zuwendung zum Nächsten. Diese „Herzensangelegenheit“ der Autorin kann den Lesenden für die eigene Sinnorientierung als Hilfestellung dienen.

Reinhard Kirste

Rz-Praetorius-Erbarmen, 28.10.14    Creative Commons-Lizenz

Buch des Monats Juli 2014: Konstantin Wecker – Engagement und Vision

Rz-Wecker-MönchKonstantin Wecker: Mönch und Krieger.
Auf der Suche nach einer Welt, die es noch nicht gibt.

Gütersloher Verlagshaus 2014, 288 S. — ISBN 978-3-579-07066-7

Konstantin Wecker (geb. 1947) gehört zu den Menschen, die die Spannungen und Extreme ihres Lebens in poetischer und politisch engagierter Weise in Text und Lied umsetzen.
Nun ist Biografisches von Prominenten durchaus im Trend. Vermutlich würde man auch dieses Buch schnell wieder beiseitelegen, wenn nicht das innere Ringen, die ehrliche Auseinandersetzung und das eigene quälende Scheitern zum Ausdruck kämen. Sie sind untrennbar verbunden mit der Sehnsucht nach Freiheit. Diese Sehn-Sucht zielt immer dahin, das innerste Potenzial des eigenen Menschseins ans Licht zu heben, ohne dabei dem Egozentrismus zu verfallen.

Konstantin Wecker hat von sich ein mutiges Lebensbild sprachlich beeindruckend gezeichnet. Er konturiert den friedlichen Kämpfer, den die Vision einer versöhnten Welt innerlich vorantreibt. Er verleiht damit der Verteidigung solidarischer Menschlichkeit eine besonders glaubwürdige Stimme – der wahrhaften Demokratie zu Ehren. Die Lektüre sei darum allen jungen und alten Suchenden besonders empfohlen.

Ausführliche Besprechung: hier

Reinhard Kirste

 Rz-Wecker-Mönch, 30.06.14     Creative Commons-Lizenz

Interreligiöse Begegnungen: Gebete, Lieder, Besinnungen

Rz-Lähnemann-multirelJohannes Lähnemann / Religionen für den Frieden Nürnberg / Religions for Peace:
Spiritualität multireligiös. Begegnungen der Religionen in Gebeten, Besinnungen, Liedern.

Berlin: EB-Verlag 2014, 184 S. — ISBN 978-3-86893-129-7

Johannes Lähnemann gehört zu den Wegbereitern interreligiöser Begegnung, besonders im Bereich einer interkulturell offenen Religionspädagogik. Er hatte viele Jahre einen religionspädagogischen Lehrstuhl für Evangelischen Theologie der Universität Erlangen-Nürnberg inne. Mit den alle 2 Jahre stattfindenden Nürnberger Foren  und einer Fülle von Publikationen hat er sich auch inetrnational einen Namen gemacht.
Das vorliegende Buch zeigt nun, dass ihm neben der wissenschaftlichen Vertiefung im Blick auf das interreligiöse Lernen gerade auch die spirituell-praktische Begegnung am Herzen liegt.

Diese hier vorgestellten Nürnberger Gebetsstunden sind sehr praktisch ausgerichtet und bieten viele Anregungen, die präsentierten Texte, Lieder und Meditationen als Anregungen auch für die eigene interreligiöse Arbeit zu übernehmen.  Auch die theologische Vorbesinnung des Autors ist hilfreich, auch wenn der Rezensent die Akzente noch „interreligiöser“ setzen würde. Dennoch: „Spiritualität. Multireligiös“ kann hervorragend als Vademecum für die eigene auch öffentlich zu machende interreligiöse Praxis dienen.

Ausführliche Besprechung: hier

Reinhard Kirste

Rz-Lähnemann-multirel, 16.04.14  Creative Commons-Lizenz

 

Ibn al-Farid: Reisewege der Seele

Rz-Ibn al-FaridIbn al-Farid: Der Diwan. Mystische Poesie aus dem 13. Jahrhundert.
Aus dem Arabischen übersetzt und herausgegeben von Renate Jacobi.

Berlin: Verlag der Weltreligionen im Insel-Verlag Berlin 2012, 407 S.,
mehrere Register — ISBN 978-3-458-70037-1

Ausführliche Bescheibung: hier

Kurzrezension
Der Diwan des Ibn al-Farid lenkt den Blick auf einen der herausragenden Vertreter des späteren Sufismus und der arabischen Poesie. Ibn al-Farid wurde 1181 in Kairo geboren und starb auch dort im Jahre 1235. Er wurde wegen seiner herausragenden Persönlichkeit und verinnerlichten Sprache geradezu als Heiliger verehrt. Er lässt sich in seiner gelebten Spiritualität und sprachlichen Ausdruckskraft durchaus mit Meister Eckhart, Johannes vom Kreuz und Angelus Silesius vergleichen.

Erfahrungen der Gottesliebe brechen poetisch  in den Sprachformen arbischer Poesie, den Kassiden durch, der Wein wird zum Symbol göttlichen genießens. In der Stufenreise der Seele bewegen den spirituellen Pilger Manifestationen der Schöpfung und des des Kosmos durch, in Bildern von Gefährdung und von Gnade, ver-dichtet im Erleben von Liebe und Leiden. Dies geschieht in einer sprachlichen Ästhetik, der es gelingt, sich dem Geheimnis der Überwindung von Dualität anzunähern.

Den Lesenden eröffnet sich mit dieser bildreichen Sprache eine Welt, die aus dem Alltäglichen heraus in die Tiefe wahren Seins führt. Die innere Nähe zu christlichen MystikerInnen macht Ibn al-Farid zugleich zu einem Brückenbauer zwischen Orient und Okzident, und zwar in glaubwürdiger Authentizität über Religionsgrenzen hinweg. Ich wünschte mir, dass Ibn al-Farid mit seiner interreligiösen Perspektive stärker im christlich-islamischen Gespräch wirksam wird.

Reinhard Kirste
Rz-Ibn al-Farid, 17.01.13

Creative Commons-Lizenz

Spirituelle Oase im Shopping-Center Sihlcity, Zürich

Jakob Vetsch: Neunundneunzig Rastworte aus Sihlcity. Edition Occidente.          
München: Books Ex Oriente 2012, 132 S., Abb. — ISBN 978-3-9815153-2-9

Der seit 1999 existierende kleine Verlag „Books Ex Oriente“ in München hat im Jahre 2009 damit begonnen, Schriften und Werke zu Kultur, Religion und Philosophie des Orients herauszubringen. Axel Monte, der Verlagsleiter und zugleich Herausgeber vergaß dabei nicht, den Westen mit der „Edition Occidente“ in den Blick zu nehmen.
Eine kleine Besonderheit in diesem Rahmen ist das jüngst erschienene Bändchen, das einen spirituellen Einblick nach Sihlcity ermöglicht. Kaum eine/r außerhalb Zürichs wird viel über diesen Ort wissen, der auf einem Gelände der ehemaligen Papierfabrik Sihl als Shopping- und Wellness-Zentrum entstand
— Internet:
http://sihlcity.ch/de/

Hier befindet sich neben dem alten Schornstein auch ein spiritueller Ort, ein Rastplatz für die hastende Seele, eine interreligiös offene Citykirche
(Internet:
http://www.sihlcity-kirche.ch/).

Der dort seit 2007 wirkende Pfarrer, der Autor dieses Bändchens, hat sich noch etwas Besonderes zum Lesen in der Kapelle einfallen lassen: Rastworte der Woche – ein Spruch und eine kurze aktualisierende Auslegung dazu.
Man kann sich diese Gedankensplitter mit nach Hause nehmen. Sie sind als PDF-Datei auch im Internet abrufbar:
http://www.sihlcity-kirche.ch/index.php?option=com_content&task=view&id=12&Itemid=26

Was das Team um den Pfarrer Jakob Vetsch bewegt, kommt in einem Gespräch zum Vorschein, das der Herausgeber Axel Monte mit dem Pfarrer in der Spannbreite von Konsum, religiöser Pluralität und Spiritualität führte. Die Kirche war – so erzählt die Bibel – „schon immer an den Wegen und Märkten“ (S. 125). Deswegen stellt sich das kirchliche Angebot als „kleines, reales Modell des Friedens unter den Religionen“ im Sinne von Hans Küng vor (S. 126).

Übrigens: das hier besprochene Buch wird in Sihlcity am 15.10.2012 vorgestellt.

Die aus der Fülle der Rastworte ausgewählten Texte zusammen mit einem Blick auf die Homepage der Sihlcity-Kirche signalisieren sehr deutlich: Hier ist ein besonderer spiritueller Ort im Getriebe von Kauf und Verkauf entstanden, ein kontemplativer Lernort der besonderen Art. Es lohnt sich, dort zu verweilen.

— Weitere Informationen zum Verlag „Books Ex Oriente“: http://www.books-ex-oriente.com/index.html          
— Besprechung der Heftreihen „Ex Oriente“ und „Ex Occidente“:          
     http://www.rpi-virtuell.net/workspace/24686AD5-936C-476D-9EA0-65E2968590C8/rezensionen/rz-monte.pdf

Ausführliche Rezension: hier

Reinhard Kirste

Rz-Vetsch-Sihlcity, 07.10.2012

 

 

Buch des Monats Februar 2012: Mystik – Sehnsucht nach dem Unbedingten

Elisabeth Pernkopf / Walter Schaupp (Hg.): Sehnsucht Mystik. Theologie im kulturellen Dialog 22.
Innsbruck-Wien: Tyrolia 2011, 276 S., Abb.

Die Katholisch-Theologische Fakultät der Karl-Franzens Universität Graz nimmt in ihren Vorlesungsreihen aktuelle Themen auf, um aus verschiedenen systematischen Blickwinkeln (inter-)kulturelle Bewegungen zu beleuchten. Die Philosophin Elisabeth Pernkopf und der Moraltheologe Walter Schaupp zeichnen als Herausgeber für diesen Band 22 verantwortlich. In ihm sind Vorträge aus der Reihe „Religion am Donnerstag“ gesammelt, die im Wintersemester 2010/11 am Universitätszentrum Theologie gehalten wurden. Dabei ging es – wie die beiden Herausgeber in der Einleitung betonen – darum „Spuren von Mystik freizulegen, um so zur Deutung religiöser Erfahrung heute beizutragen“ (S. 12).
Der vielzitierte Satz von Karl Rahner über die Mystik ist auch hier geheimes Leitmotiv: „Der Fromme von morgen wird ein ‚Mystiker‘ seiner, einer, der etwas ‚erfahren‘ hat, oder er wird nicht mehr sein …“ (zitiert auf S. 8). Und dieses Sein hat damit zu tun, dass in der „Mystik“ Annäherungen an ein „absolutes Geheimnis“ erfolgen (S. 11).
Die Herausgeber verweisen auf die Vielfältigkeit und Universalität des Mystik-Verständnisses. Der Titel nimmt dazu spirituelle Bewegungen genauer in den Blick, die in dem Wunsch nach Versöhntsein und Eins-Werden ganz unterschiedlich zum Ausdruck kommen. Es sind Suchbewegungen hin zu einer umfassenderen Realität, zum Göttlichen. Auch die christliche Spiritualität ist voll von dieser Sehnsucht. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Blick in die Bibel, ins Mittelalter oder in ganz praktische Lebensbereiche von heute geht. Mystik hat also keineswegs etwas von ihrer Aktualität verloren.
Die Spezialistin für ostkirchliche Orthodoxie, Anneliese Felber, zeigt, wie Impulse der abseits zivilisatorischer Zentren lebenden Wüstenväter und -mütter im spätantiken Ägypten die wesentlichen Lebensthemen beeinflusst haben: Demut, Herzensruhe, Askese, stabilitas loci, Schweigen und Umgang mit den Leidenschaften. Sie sind in nachdenkenswerten Spruchsammlungen überliefert worden: „Die Sprüche der Wüstenmütter und –väter faszinieren durch eine echte geerdete Spiritualität, die mit einem liebenden Blick bei der Realität des Menschen ansetzt, bei seinen Schwächen und Leidenschaften, ohne zu überfordern“ (S. 36).
Ganz anders nähert sich der Neutestamentler Josef Pichler dem Thema. Er geht von der radikalen Jesusnachfolge aus, die durch das Ostereignis geprägt ist. Von daher befragt er das Johannesevangelium nach seinen Erlösungsintentionen: „Volle Aktualisierung der Erlösung ist für das Johannesevangelium … kein Ereignis, das auf die menschliche Innerlichkeit begrenzt wäre, sondern Erlösung wird in diesem Wort umfassend als Verwirklichung von Gerechtigkeit gedeutet“ (S. 61). Die eingestreuten Cartoons wirken dabei allerdings etwas deplaziert.
Eine alttestamentliche Sicht bringt die Bibelwissenschaftlerin Sigrid Eder durch Beispiele aus den Psalmen ein. Bildersprache und Themen spannen den Bogen von der Klage bis zum Lob. Die Sehnsucht nach dem Gott des Lebens stellt sich dabei als Zentrum dieser Aussagen dar – in poetischer Sprachgewalt. Trotz einer anderen, vielfach fremden Welt, von der die Psalmen erzählen, haben diese bis heute eine große existentielle Aktualität beibehalten.
1.    Zuerst schreibt der Franziskanermönch und Studierendenseelsorger, Paul Zahner über Franziskus von Assisu. Er hebt die Schöpfungsmystik des hl. Franz im Gotteslob für die Vögel und mit ihnen zusammen hervor. Im Wesenszusammenhang von Sonnengesang und Gottesbegegnung bei allem Leiden benennt er dies zugleich als ein Erspüren der verborgenen Gegenwart Jesu Christi.
2.    In einem zweiten Anlauf vergleicht die Religionswissenschaftlerin Theresia Heimerl die Annäherung an die Einheit mit dem Göttlichen bei Mechthild von Magdeburg und Meister Eckhart. Sie beschreibt, wie in der Liebesmystik von Mechthild die erotische Sprache über die Erotik hinaus in eine umfassendere Wirklichkeit führt. Meister Eckhart sieht dagegen in der Liebesmystik nur eine Verkleidung des Göttlichen. Er nimmt dabei erstaunliche biblische (Um-)Deutungen vor, wenn er sich dem Symbol der unio mystica annähert. Bei aller Unterschiedenheit entziehen sich jedoch beide Mystiker einer „simplen Wohlfühl-Spiritualität“ (S. 124).
3.    In der weiteren Vorstellung mittelalterlicher Mystiker kommt die extrem asketische, kontemplative und politische Katharina von Siena zur Sprache. Die Kirchenhistorikern Michaela Sohn-Kronthaler geht zuerst auf ihre Visionen ein, die Katharina von Kindheit an hatte. Aus dem Dienst an den Armen entwickelte sie dann eine geradezu prophetisch gesellschafts- und kirchenpolitische Kraft im Sinne von Kirchenreformen und der Versöhnung verfeindeter Gruppen.
Einen besonderen Vergleich lohnt westliches und östliches Christentum im Blick auf die liturgische Spiritualität. Basilius J. Groen, Liturgiewissenschaftler, Hymnologe und Professor für christliche Kunst breitet die reichhaltige ostkirchlliche orthodoxe Tradition des byzantinischen Ritus aus und betont die Körperlichkeit und Bildlichkeit bis hin zur „Göttlichen Liturgie“, die für viele den Höhepunkt des Christ-Seins bedeutet. Anders dagegen die römisch-katholische Tradition, die durch das 2. Vatikanische Konzil bedeutende Änderungen erfahren hat. Auch wenn die Messe von immer weniger Menschen besucht wird, so konvergiert dies doch erstaunlicherweise mit einer wachsenden Zahl von Ehrenamtlichen. Sie haben die Kirche z.T. radikal verändert. Es gibt bei aller Verschiedenheit von Zeit und geografischem Raum dennoch einen Grundkonsens zwischen Ost und West, nämlich die Erfahrung, dass Gottes Liebe da ist und lebendig in der gottesdienstlichen Feier erlebt werden kann.
Man ist gespannt, wie demgegenüber die liturgische Spiritualität im oft als nüchtern angesehenen Protestantismus einzuschätzen ist. Der Superintendent der evangelischen Diözese Steiermark, Hermann Miklas, bezieht sich zuerst auf Luthers „Deutsche Messe“, die besonders auf die Verständlichkeit der liturgischen Handlung setzt. Hier bahnt sich ein neues Symbol- und Ritualverständnis an, das die persönliche Spiritualität stärker hervorhebt und konfessionelle Unterschiede eher an „Kleinigkeiten“ festmacht (z.B. im in der Hervorhebung von Krippe oder Christbaum). Neben der Kirche Augsburgischen Bekenntnisses (A.B.) hat die Reformierte Kirche Österreichs (H.B.) gewissermaßen eine Schweizer Prägung. Aufklärung und Pietismus verändern dann die protestantische Spiritualität noch einmal erheblich. Sie muss immer auch unter den staatlichen Bedingungen Österreichs zwischen verbotenem Protestantismus und dem josefinischen Toleranzpatent von 1781 gesehen werden – bis hin zu großer ökumenischer Offenheit seit dem 20. Jahrhundert. Die Kirche insgesamt ist angesichts von Säkularisierung und Re-Spiritualisierung besonders herausgefordert.
Der Liturgiewissenschaftler Peter Ebenbauer geht anders als sein Fachkollege Basilius J. Groen auf die sinnlich und körperlich erfahrbaren Aspekte liturgischer Spiritualität zwischen Sinnenfreude und Purismus ein und plädiert für eine „integral gelebte Religiosität und einen leibhaftig gefeierten Glauben“ (S. 210). „Eine Mystik des Alltags“ (S. 211) wird sich zugleich gegen eine „realitätsferne Romantisierung des Glaubens“ liturgischer Ausdrucksformen wehren, aber den Körper als „zentrales liturgisches Erfahrungsmedium stärker in den Gottesdienst …integrieren“ (S. 213).
Am Schluss geht die Herausgeberin Elisabeth Pernkopf auf die Mystik des Geistes („mystique de l’esprit“) philosophiegeschichtlich ein. Sie bezieht sich dabei auf den Cartesianer Nicolas Malebranche (1638-1715) und dessen Zusammendenken von Wahrheitssuche und „Vision de Dieu“. Die Achtsamkeit des Geistes führt zum Gebet. Das ist für die Autorin der Anknüpfungspunkt, um vom „Gebet der Aufmerksamkeit“ im 20. Jahrhundert zu sprechen, für das es immer wieder ganz vorsichtig mystische, philosophische und literarische Ortungsversuche gibt. Sie macht dies an dem Kontemplations-Verständnis von Walter Benjamin im Kontext von Franz Kafka, Simone Weil und Paul Celan deutlich.
Die Aktualität von Mystik in der Gegenwart hat die Autor/innen dazu bewogen, das Spannungsfeld von Sagbarem und Geheimnisvollem aus verschiedenen Blickwinkeln, aber doch mit einem gewissen liturgischen „Achtergewicht“ zu umschreiben. Auch wenn die Beiträger/innen bewusst im christlichen Horizont bleiben, wird in ihren Ausführungen doch eine Horizonterweiterung deutlich, die offensichtlich Meister Eckhart geschuldet ist: „Mystik verdankt sich der Sehnsucht der Menschen, über sich selbst und die Welt hinaus mit dem Unbedingten, dem Grund, Gott bzw. dem Göttlichen in einer Unio mystica zu sein“ (S. 7).
Die Leser/innen werden mit diesem Band sowohl historisch, gegenwartsbezogen als auch kirchlich-liturgisch anfragend auf die Vielfältigkeit spiritueller Ausdrucksformen im Christentum des Ostens wie des Westens verwiesen. Es lohnt durchaus, sich den eigenen christlichen Quellen anzunähern.

Reinhard Kirste, 31.01.2012
Buch des Monats Februar 2012 der INTR°A-Bibliothek