1. Große Prediger vor dem Herrn! Sicherlich gehören Martin Luther und Karl Barth dazu
Je ein Beispiel: Martin Luther eröffnet seine berühmte erste Invokavitpredigt am 9. März 1522 in Wittenberg mit den Worten: „Wir sind allesamt zu dem Tod gefordert, und keiner wird für den andern sterben, sondern jeder in eigner Person für sich mit dem Tod kämpfen. In die Ohren können wir wohl schreien, aber ein jeder muß für sich selbst geschickt sein in der Zeit des Todes: Ich werde dann nicht bei dir sein noch du bei mir. Hierin muß jedermann die Hauptstücke, die einen Christen angehen, genau wissen und gerüstet sein.“
Eines der berühmtesten Stücke der Predigtgeschichte. Luther behauptet nicht weniger, als dass jeder Christenmensch vor Gott unvertretbar ist, und dass er selbst sprachfähig sein muss gegenüber dem Herrn seines Lebens. Niemand darf sich zwischen ihn und Gott stellen – kein Priester, kein Kult, keine Institution… auch kein Prediger und „Rattefänger von Hamel“.
2. Der andere große Prediger – wir können ihn noch Original hören (Youtube) – eine Gefängnispredigt in Basel aus dem Jahr – K. Barth hat über einen Vers gepredigt: „Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus.“ Joh 4, 18. Hören Sie mal ein wenig hinein. K. Barth hat da eine nette Idee, dieses „in der Liebe“ klingt für ihn wie ein „in einem Haus“ – hörne sie mal rein. Sie haben den Wortlaut auch vor sich…. Aber die Stimme dieses legendären Theologen und Predigers ist jetzt vielleicht mal wichtiger…
K. Barth 6. August 1961 Predigt im Gefängnis in Basel – zu 1. Joh 4, 18: „…Und eines ist ganz sicher: diese Liebe, also die Liebe, die wir meinen, wenn wir dieses Wort aussprechen und die wir vielleicht kennen oder also vielleicht nicht zu kennen behaupten – diese menschliche Liebe treibt die Furcht nicht aus. In Hause dieser Liebe gibt es auch im besten Fall viel Fracht, Furcht vor Enttäuschung, furcht davor, dass man einander verlieren könnte, Furcht vor der eigenen Vergangenheit, die wie ein großer Schatten von hinten her in unser Leben hineinfällt und Furcht vor der Zukunft, ein anderer Schatten, der von vorne da hereinkommt zu uns, Furcht vor den Leuten und Furcht vor sich selbst. Furcht vor dem Schicksal, Furcht vor dem Tode und dann wohl auch Furcht vor dem Teufel. Im Hause der menschlichen Liebe, da hausen auch im besten Fall die Gespenster der Furcht, Es kann deswegen immer noch ein recht schönes Haus sein oder doch so ein Schrebergartenhäuschen, wo sichs ganz gut leben lässt, aber nicht das Haus mit dem Paragraphen l, der lautet: Furcht ist nicht in der Liebe«
Und jetzt will ich euch etwas sagen von einem ganz anderen Haus und von einer ganz ändern Liebe, die heißt in unserm Wort die „vollkommene Liebe“, Also die Liebe in Fülle, nicht bloß so in kleinen Teilchen -und die Liebe, die bleibt,…“
3. Vollmächtige Prediger – Luther und Barth. Aber es geht auch anders. Ich habe von folgender Begebenheit gelesen: (D. Sölle erzählt in ihrem Buch „Mystik und Widerstand“):
Eine Studentin berichtete von ihrem ersten Besuch eines Gottesdienstes in einem Quäkerhaus – die Quäker, das sind Christen, ernste Jesusnachfolger, seit 17 Jahrhundert (George Fox) sehr friedliebend, die Bergpredigt ist ihnen sehr wichtig – sie leben radikalen Gewaltverzicht und Gleichberechtigung von Mann und Frau,– und dies Fremde, die Studentin kommt nun also in ein Quäkerhaus zu einem Gottesdienst- zu dem eine Freundin sie mitgenommen hatte.
Auf Holzbänken saßen die Menschen reihenweise einander gegenüber, schweigend. Nach zehn Minuten fragte sie, unruhig geworden: »Wann fängt es denn an?« Die ihr zugeflüsterte Antwort war: »Es hat schon begonnen.« Die Besucherin hat auf den eintreffenden Pfarrer gewartet, aber alle anderen saßen so gelassen und friedvoll da, daß sie nicht mehr wagte zu fragen. Das dauerte etwa vierzig Minuten. Dann stand einer der Teilnehmer auf und redete ein wenig. Die Studentin wunderte sich, dass der Pfarrer die ganze Zeit schon da gewesen ist. Als er sich hinsetzte, erhob sich eine Frau und sprach. Die Besucherin war ganz verwirrt, es gab noch einige Minuten Schweigen, und dann fingen alle an, sich zu begrüßen. Das Meeting war zu Ende. »Wo war der Pfarrer?« fragte die Besucherin ihre Freundin, die hell auflachte.
Sie verstand allmählich, dass alle teilnehmenden Frauen und Männer das waren, was man sonst »Geistliche« nennt, daß das gesammelte Schweigen der Gottesdienst war und daß es sich hier weniger um eine neue Lehre handelte als eine neue Art zu leben, die ihren Ursprung hat in dem, was Quäker seit dreihundert Jahren » auf den Herrn harren « nennen und im Schweigen praktizieren. Dieses schweigende Warten ist ihr Gottesdienst, eine in die Stille hineinhörendes Sich-Bereiten.
Das gemeinsame Schweigen. Die Freunde vereinigen sich in der Stille, mit der Stille und miteinander. Es geht nicht um eine individuelle Meditation, die zufällig in einem Gruppenrahmen stattfindet. Indem alle sich nach innen wenden, stimmen sie sich aufeinander ein. Die Stille der Quäkerandacht ersetzt die im Protestantismus traditionelle Predigt, deren wohlgesetzte Worte die Stille, in der ich hören lerne, nur stören würden.
4. Noch einen Schritt weiter: (Prof. Dr. Albrecht Grözinger in den Pastoralblätter vom Juni 2007: Von der Bedeutung der Pausen in einer Predigt)
Eine Wanderlegende, die unter anderem Martin Luther anhaftet. Es wird Folgendes erzählt: Luther ist bei seinen Predigthörerinnen und Predigthörern nicht immer auf Zustimmung und Wohlwollen gestoßen. Das ist vielleicht zu wenig bekannt. Der große Reformator, der uns von vielen Predigtkennern und Wissenschaftlern als DIE Größe und DAS Vorbild vor Augen gestellt wird, war in seiner Predigtpraxis nicht immer erfolgreich. Wir wissen auch von seinen eigenen Klagen über seine störrischen Wittenberger. Einmal hat er deshalb sogar einen Predigtstreik in Erwägung gezogen. Dies ist wohl der historische Hintergrund dafür, dass die besagte Wanderlegende unter anderem Martin Luther anhaftet. Also: Luther wurde von seinen störrischen Wittenbergern wieder einmal geraten, sich bei seinen Predigten weniger auf sein theologisches Wissen zu verlassen, sondern mehr auf den Heiligen Geist zu hören. Seine Predigten würden dadurch sicher lebensnaher und leichter zu hören. Luther hörte sich diesen Ratschlag ruhig an. Am nächsten Sonntag betrat er die Kanzel, schloss die Augen und sagte lange lange nichts. Endlich begann er zu sprechen: „Einige unter euch haben mir geraten, weniger auf meine theologische Kunst zu vertrauen, als vielmehr auf den Heiligen Geist zu hörten. Das habe ich getan. Ich habe heute keine Predigt vorbereitet, sondern habe die Kanzel betreten und hier und jetzt den Heiligen Geist gebeten, mir zu sagen, was ich predigen soll. Und er hat zu mir gesprochen. Wisst ihr, was er gesagt hat: ‚Bruder Martin, du bist faul gewesen!“
5. Bitte schlagen sie mal eine Lutherbibeln auf. Im Römerbrief Kapitel 10, den Vers 17. Da steht: Der Glaube kommt aus der Predigt. Also: Am Ort der Predigt entsteht der Glauben – Aber, das steht da nicht so: Im Griechischen steht da: Der „Gaube kommt aus dem Hören“ gr: [hä pistis ex akoäs] – . Das griech. Wort [akoä] bedeutet: Hören, Gehör, Gehörtes… Das ist doch spannend, oder? IM Hören geschieht etwas – und selbst das ist Unverfügbar. Das Entscheidende ist unverfügbar ist nicht in der Predigt sicher sondern im Hören unverfügbar– es bleibt ein Geschenk Gottes – ausdrücklich dem freien Willen Gottes (ubi et quando visum est deo, CA ) unterstellt wird. Der Glaube kommt nicht aus der Predigt – wie so eine welle über sie geschwappt… sondern im Hören auf ein unverfügbares Wort, im aufmerksamen Hören ereignet sich Glaube. Bei Ihnen passiert das Entscheidende!
6. Ich frage mich nun: Wie kann die Predigt selbst zeichenhaft auf diese Spannung verweisen? Unverfügbar und doch da? Kann eine Predigt ihre eigene Unverfügbarkeit zur Darstellung bringen?
Dieses Vermögen oder Unvermögen teilt die Predigt mit den Werken der Kunst.
7. Der Künstler Paul Cézanne hat das Bergmassiv bei Aix-en-Provence, die Montaigne Sainte-Victoire gemalt – aber nicht nur einmal, sondern immer und immer wieder. Die Betrachter seiner Bilder sollen das merken: Damit wird man nicht fertig, das kann man nicht machen. Und doch wird diese Botschaft des Nicht-machen-Könnens in kunstvoll gemachten Bildern ansichtig.
Der späte Cézanne verstärkt dieses Moment noch und lässt in seinen Bildern weiße Flächen stehen. Dies ist nicht Ausdruck nachlassender Schaffenskraft – im Gegenteil. Cézanne setzt mit diesen weißen Flächen ein Signal für den Betrachter. Gib dich nicht zufrieden mit dem, was du siehst. Gib dich aber auch nicht zufrieden mit dem, was ich meine gemalt zu haben.
Weiße Felder im Bild… Weiße Flecken in der Predigt? Wie das?
In der Predigt reden wir über Wahrheit, die immer zugleich Geheimnis ist. Wir hören Worte, und das entscheidende Wort ist doch nicht machbar, sondern Widerfahrnis. Verborgen und doch da!
8. ALSO: „Der Glaube kommt aus der Predigt“ – oder doch nicht? Aus dem Hören? Wir haben Luther und Karl Barth zu Wort kommen lassen. Da war die gemeinsame Stille der Quäker. Der heilige Geist, der zu Bruder Martin sagt: „Du bist faul gewesen!“ Und zuletzt Paul Cezanne, der weiße Flecken auf seinen Bildern gelassen hat, wegen der „unmöglichen Möglichkeit“.
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Hier geht's zu einer biblischen Betrachtung für jeden Sonntag:
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https://www.koinonia-online.de/betrachtungen-zu-predigttexten/