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Wie ist Jesus weiß geworden?

Eine Buchempfehlung von Manfred Spieß

Die Theologin Sarah Vecera beschreibt in diesem Buch sehr deutlich ihre Erfahrungen mit Rassismus in Deutschland. In großer Offenheit berichtet sie viel Persönliches und Biographisches:  z. B. vom Aufwachsen in der protestantisch geprägten Familie der Großeltern im Ruhrgebiet. Im Kindergarten, in der Schule und als Erwachsene musste sie unzählige Male die Frage nach der „Herkunft“ –  „Wo kommst du eigentlich her?“ – beantworten. „Ich hatte schnell heraus, dass die richtige Antwort die Herkunft meines Vaters war“ (21). Ohne dies als Kind so benennen zu können, waren diese Erfahrungen Teil des Alltagsrassismus, dem sie immer wieder begegnete.
In diesem Buch greifen persönliche Berichte und gesellschaftlich/kirchlich orientierte Analysen ineinander. Das berührt mich als Lesenden besonders, denn so werden mir Alltäglichkeiten und vermeintlich harmlose Wendungen bewusst, die bei Betroffenen sehr verletzlich und fortwährend schmerzend wirken. S. Vecera zählt sich zu den „PoC“ – People of Color; keine Zuschreibung von Hautfarben im biologischen Sinn, sondern ein „Sammelbegriff von und für Menschen mit Rassismuserfahrungen aufgrund ethnischer Zuschreibungen“(11).

Der Inhalt des Buches kurz zusammengefasst: die enge Verflochtenheit rassistischer Zuschreibungen und Zumutungen – auch in dem vermeintlich sicheren Hafen „Kirche” –  wird unter Begriff „Intersektionalität“ erläutert. Die Geschichte und Gegenwart der christlichen Kirchen sind viel enger mit Rassismus verknüpft, als wir bislang dachten. Stichworte dazu: religiöser Monopolanspruch, Kolonisierung und Mission als grausame Geschwister, fortwährender Eurozentrismus der weltweiten Christenheit und schließlich die Erfindung des Rassismus im christlichen Europa sind markante Themen, die von S. Vecera aufgegriffen werden: „Wir müssen in Deutschland Kirchengeschichte neu lernen. Es gab Zeiten, in denen die Kirche zur Erfüllungsgehilfen des Kolonialismus wurde“ (69).
Insbesondere zu diesen Themen kann dieses Buch in Bildungskontexten helfen, das Gesichtsfeld der Wahrnehmung zu verbreitern, denn traditionelle Schulmaterialien sind auf diesem Auge häufig blind oder zumindest unterbemittelt.

Das Thema „Rassismus“ wurde und wird in Deutschland seit Jahrzehnten verdrängt. Allzu lange hat sich bei uns die einschläfernde Auffassung gehalten, dieser sei ja mit Ende des 2. Weltkrieges sozusagen abgeschafft worden – allenfalls wurden früher noch die USA und Südafrika damit in Verbindung gebracht. S. Vecera geht auf diese Situation mit dem Kapitel „Rassismus in Deutschland“ besonders ein und hebt lang Verdrängtes an die Oberfläche. ( Anm 2) Die häufig verwendeten Begriffe wie „Fremdenhass“ oder „Ausländerfeindlichkeit“ werden der Brisanz dieses Problemes nicht gerecht, ja sie verschleiern eher. Denn Rassismus teilt Menschen in angeblich `höherwertig´ und `niedrigwertig´ ein. Darum ist das Gift des Rassismus letztendlich tödlich, wie mörderische Aktionen in Vergangenheit und Gegenwart belegen. Dass die angeblich ´wissenschaftlich´ Einteilung von Menschen in Rassen ein neuzeitliches europäisches Konstrukt ist, wird im Beitrag über „Die Erfindung der Menschenrassen“ S. 71 ff deutlich.

Die weiße Kirche hat in ihrer langen Geschichte vieles bewusst und unbewusst verinnerlicht, das vom grellen Scheinwerferlicht dieses Buches beleuchtet wird. „Was ich schreibe, wird nicht immer angenehm sein. Vielleicht verderbe ich Ihnen sogar das weiße Christkind im Stall von Bethlehem“ (18). Am Beispiel des Jesusbildes und des Gottesbildes in Publikationen wie Kinderbibeln und religionspädagogischen Werken wird offenkundig, dass die weiße Darstellung meist dominiert. Selbst vor christlichen Liedern macht Rassismus nicht halt, wie diverse Beispiele zeigen. „Er steckt in unseren Kirchen wie Asbest in den Wänden“ (115).

Sarah Vecera ist es ein großes Anliegen, für künftige pädagogische Arbeit sehr genau auf diese Spuren zu achten, damit falsche Bilder sich nicht in Kinderköpfen festsetzen können. Dass diese Aufgabe sicherlich der Mühe mehrerer Generationen bedarf, ist einsichtig. Mit diesem Buch ist ein bedeutsamer Anfang gemacht!



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Zum Gedenken an Prof. Dr. Jürgen Lott

10.11.1943 – 13.09.2023

Eine traurige Nachricht:
der Religionspädagoge Prof. Dr. Jürgen Lott, Bremen, ist gestorben. Er hat über mehrere Jahrzehnte u.a. die Ausbildung von Religionslehrkräften an der Universität Bremen geleitet. Die besondere Verflechtung mit Religionswissenschaft prägte seine Arbeit und war für seine Studierenden Attraktion und Innovation zugleich. Am allermeisten wirkte er durch seine freundliche, geduldige und zugewandte Art, auch in der kritischen Diskussion! Der Bremer Religionsunterricht, der bekenntnismäßig nicht gebunden erteilt wird, war ihm stets ein Anliegen, sowohl in der Grundlagenforschung als auch in der Fortentwicklung. Viele Lehrerinnen und Lehrer in Bremen werden sich an Jürgen Lott mit großem Dank erinnern. Mehr als dreißig Jahre durfte ich in Bremen mit ihm zusammenarbeiten. Beruflich und persönlich habe ich ihn sehr schätzen gelernt.
Er ruht jetzt in Frieden!

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Die Grundschulbibel

Spuren lesen. Grundschulbibel

Herausgegeben von Hans Burkhardt, Damaris Knapp, Beate Peters

Erarbeitet von Ulrike von Altrock, Hans Burkhardt, Sabine Keppner, Damaris Knapp, Beate Peters

In Zusammenarbeit mit dem Westermann Bildungsmedien Verlag

192 Seiten 1. Auflage 2022, gebunden
Calwer Verlag ISBN 978-3-7668-4534-4
Preis: 19,50 Euro
Prüfpreis 9,75 Euro
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Kinderbibeln gibt es fast ‚wie Sand am Meer‘ , Schulbibeln hingegen deutlich weniger. Die didaktischen Aufgaben bei der Erstellung sind mannigfach: sorgfältige Auswahl der Texte, sprachliche Achtsamkeit, altersgemäßes Anspruchsniveau und didaktisch-methodische Gestaltungsfragen, um nur einige Kriterien zu nennen.

Mit der Grundschulbibel „Spuren lesen“ liegt jetzt ein neues Werk vor. Es kann im Zusammenhang mit dem gleichnamigen Grundschul-Religionsbuch „Spuren Lesen“ aus dem Calwer Verlag genutzt werden, ist jedoch auch völlig unabhängig davon zu verwenden. Jeweils zwei Begleiter führen die Schülerinnen und Schülern (SuS) durch die beiden Bibelteile.

Erster Teil der Bibel – Das Alte Testament

Der Priester Daniel – mit der Erfahrung von Krieg und Babylonischer Gefangenschaft – und seine Enkelin Hanna (10 Jahre) führen in die Geschichten ein; Hanna stellt öfter Rückfragen und Priester Daniel führt die Hauptlinien der Erzählungen in größere Zusammenhänge. Die beiden mischen sich jedoch nicht allzu oft ein, so dass ihr Anteil nicht den Informationsfluss der Erzählungen stört.

Bibeldidaktisch und theologisch ist dieses Vorgehen sinnvoll, denn die Entwicklung der religiösen Leitthemen und Erzählungen Israels hat ihren Ursprung in Babylon. So auch die hymnische Erzählung von der Schöpfung, die Gott gut gemacht hat (Gen 1) Damit beginnt dieser Teil. Die SuS erhalten einen ersten Einblick in Entstehungswege der Bibel; Großvater Daniel und Enkelin Hanna helfen dabei klug mit. Die beiden stehen gewissermaßen stellvertretend für kindertheologisch arbeitende LehrerInnen. Die Aufgabe erledigen sie gut: Fragen stellen; Instruktionen geben; dialogisch Themen entwickeln. So kommt diese Schulbibel ohne jene Elemente aus, die für ältere Schulbibeln typisch waren: Mehrere Aufgaben unter den Texten, Sachinfos als Kleingedrucktes, Lexikon u.a.m.

Kurz weiter zu den Inhalten des AT-Bereichs. Die Geschichten von Abraham, Isaak, Jakob, Josef und Mose nehmen breiten Raum ein. Das ist auch im Hinblick auf die starke Verortung dieser Texte in den meisten Bildungsplänen sehr sinnvoll. Eine Doppelseite enthält kurze Auszüge des Propheten Jesaja, eine weitere den bekannten Text aus Prediger (Kohelet): „Alles hat seine Zeit“. Mit den ausgewählten Psalmversen können im Unterricht Situationen des Dankes an den Schöpfer (z.B. Ps. 8) , des Lobens (z. B. Ps.150), aber auch des Klagens und Weinens einbezogen werden.

Mit diesen Angeboten liegen viele hilfreiche Texte des AT für die Grundschule in didaktisch guter Auswahl und elementarer, kindgemäßer Sprache vor.

Zweiter Teil der Bibel – Das Neue Testament

Zunächst werden die Begleitpersonen vorgestellt. Silas, ein junger Christ aus Griechenland, Theophilus ein christlicher Gelehrter mit Hang zum Sammeln alter Texte aus christlicher Tradition.[1] Er hat soeben das Markus-Evangelium entdeckt; „Das ist die Abschrift von Jesus-Geschichten, die jemand gesammelt hat. Er nennt sich Markus“ (115). Der Einstieg erfolgt dann mit der Passionserzählung des Markus. Das ist ungewöhnlich! Dahinter steht sicherlich die theologische Erkenntnis, dass das Leiden und der Tod Jesu Intitialpunkt für viele Deutungen und Erklärungen waren. [2] Bibeldidaktisch ist der Ansatz neu, die Jesus-Erzählung gewissermaßen „vom Ende her“ zu beginnen. Die erste Geschichte ist das Passahmahl, das Jesus mit seinen Jüngern feiert (116 ff). [3]  Die vermeintlichen Anfänge, also die bekannten Geburtsgeschichten von Lukas und Matthäus, folgen später. Theologisch ist damit u.a. der Tatsache Rechnung getragen, dass das strahlende Licht der Weihnachtserzählungen mit Engelscharen, Stern und Geschenkeglanz seine Kraft ja überhaupt erst von Jesu Auferstehung her gewinnt. Man darf gespannt sein, welche neuen Ideen und Fragen Kinder angesichts dieser besonderen Schwerpunktsetzung entwickeln.

Die kurze Erzählung (Markus-Version) „Jesus räumt im Tempel auf“ (142) dürfte auch auf Kinderinteresse stoßen; vielleicht mit dem Hintergedanken: ‚Das könnte er auch mal in meinem Zimmer machen…‘.

Aus der Apostelgeschichte kommen vor: die Himmelfahrt-Erzählung und die Pfingstgeschichte. Ein kurzer Blick auf Paulus, den Briefeschreiber, und die prophetische Schlussszene der Offenbarung „Vom neuen Himmel und von der neuen Erde beschließen das Geschichtenangebot aus dem NT.

Die vielen Bilder und farbigen Gestaltungen machen das Buch sehr lebendig und anschaulich. Sie geben viel Anlass, die Erzählungen aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten.

Mein Fazit

Mit dieser Grundschulbibel erhält der Religionsunterricht eine sehr gute Unterstützung. Kinder können den Grundbestand elementarer Bibelexte erlesen oder sich vorlesen lassen, und sie lernen die Vielfalt biblischer Überlieferungen in einfacher Sprache kennen. So erfahren sie, dass die Bibel kein vom Himmel gefallenes Buch ist, sondern von vielen Menschen aufgeschrieben wurde, um die gute Nachricht zu verbreiten. Die einfache, jedoch prägnante Sprache sowie das äußere Erscheinungsbild in Texten und Bildern machen das Buch zu einem besonderen Leseerlebnis, das auch weit über den Schulunterricht hinaus verwendet werden kann, z.B. als Kinderbibel.


[1] Die Figuren „Theophilus“ und „Silas“ helfen auch, das Verständnis der Bibel als Sammlung von vielen Einzelschriften („Bibliothek“) deutlich zu machen. Die Namen sind jedoch nicht gut gewählt. Denn diese beiden Personen kommen ja bereits im NT vor; siehe Lk 1,1, und Apg. 1,1  sowie Apg. 15,22 u.ö. Daher ist der Satz S. 113 falsch: „Sie kommen nicht in der Bibel vor“.

[2] Hier kann man auf die in der Bibelwissenschaft oft zitierte Aussage von Martin Kähler (1892) zurückgreifen, nach der die Evangelien „Passionsgeschichten mit ausführlicher Einleitung“ seien.

[3] An dieser Stelle muss ich deutlich Kritik anbringen. Die Autorinnen und Autoren der Grundschulbibel haben die problematische Luther-Übersetzung „Einer von euch wird mich verraten“ (Mk 14,18; so leider auch noch die Luther- Übers. 2016) übernommen. Dies ist der erste Satz, den die Grundschulbibel von Jesus wörtlich bietet, vgl. 116! Inzwischen sollte sich herumgesprochen haben, dass die Übersetzung des griech. Begriffs paradídōmi korrekt lautet: „ausgeliefert“ oder „dahingegeben“. Mit dem Beharren auf „verraten“ wird unterschwellig ein antijudaistisches Idiom weitergegeben, wie es seit Jahrhunderten schlechte christliche Tradition ist. Die Mehrzahl anerkannter Bibelausgaben übersetzt korrekt mit „ausgeliefert“.

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Mehr als 100 gute Gründe

Eine Buchempfehlung von Manfred Spieß

Frag uns doch!

Eine Jüdin und ein Jude erzählen aus ihrem Leben

Marina Weisband
Eliyah Havemann

Mit einem Vorwort von Michael Blume
S. Fischer, Frankfurt 2021
192 Seiten
ISBN: 978-3-10-397491-1
Euro 18.-

Vor etlichen Jahren, als ich noch in der Schule tätig war, sprach mich eine Kollegin an: „Kannst du mal in meine Klasse kommen und dort etwas über Juden erzählen? Sie haben mich danach gefragt, aber ich habe ja keine Ahnung. Du als Reli-Lehrer kannst das bestimmt beantworten!“. Daraus entstand eine interessante Doppelstunde in einer 8. Hauptschulklasse mit interessierten Schüler:innen[1]. In jener Zeit stand noch längst nicht so viel an Informationsmaterial zur Verfügung wie heute. Ein Buch, wie das vorliegende, wäre damals eine sehr große Hilfe gewesen!

Es gibt mehr als 100 gute Gründe, sich mit dem Buch „Frag uns doch!“ zu beschäftigen! Nein, die zähle ich jetzt nicht alle auf, denn sie sind ja bereits als gute Fragen (ca. 120) im Buch niedergelegt und mit fundierten Antworten versehen.

Es fing an damit, dass Marina Weisband über Twitter[2] eine Sammlung von Fragen zum Judentum erstellen wollte, die anschließend über Youtube öffentlich bentwortet werden sollten. Marina Weisband ist von Beruf Psychologin und ist gesellschaftlich/politisch in vielfältigen Bereichen aktiv. Die Resonanz war unerwartet groß; in kurzer Zeit stellten Interessierte ihr etwa 450 Fragen! „Es waren naive Fragen. Es waren fortgeschrittene Fragen. Es waren persönliche Fragen. Fragen zur Religion, zum Alltag, zu mir zur Geschichte“ (14).

Das Video-Projekt wurde in Angriff genommen; kompetente Unterstützung leistete Eliyah Havemann von Tel Aviv aus. Eliyah Havemann lebte bis vor etwa 10 Jahren in Deutschland, ist zum Judentum konvertiert und arbeitet beruflich im High-Tech-Bereich.
Marina bezeichnet sich als „gläubige, nicht religiöse Jüdin“. Eliyah sagt: „Ich bin ein so genannter modern orthodoxer Jude“. So stellen sie sich auch in den 5 Youtube-Videos vor, welche die Grundlage für die Buchveröffentlichung sind.

Daraus ergab sich auch die Kapiteleinteilung des Buches: Die Fragen wurden sortiert und so lauten die Kapitel:

  • Wer sind Juden?

Einige Fragen dazu: „Was ist das Judentum eigentlich?“ „Was ist für dich persönlich das Beste/Schönste am Judentum?“ „Habt ihr euch schon mal gewünscht, nicht jüdisch zu sein, fällt es euch manchmal schwer?“

  • Religion

Einige Fragen dazu:“ Wie ähnlich oder wie unterschiedlich sind die Tora und das, was im Christentum als Altes Testament bezeichnet wird?“ “Was tun die Juden während des Gottesdienstes? Singen, musizieren, tanzen sie?“ „Glauben Juden an ein Leben nach dem Tod?“ „Wie unterscheiden sich ultraorthodoxe, orthodoxe, Gläubige, praktizierende und kulturelle Juden?

  • Feiertage

Einige Fragen dazu: „Was sind die höchsten Feiertage, und was wird gefeiert?“ „Wenn man im Schabbat nicht arbeiten darf, gibt es da religiöse Sonderregelungen für Ärzt:innen, Pflegekräfte und alle anderen systemrelevanten Berufe?“ Erläuterungen zu den bekannteren Feiertagen: Rosch ha-Schana, Jom Kippur, Simchat Torah, Sukkot, Pessach, Schavuot, Schabbat, Chanukka, Purim. Und zu weiteren Feiertagen, die eher in Israel gefeiert werden.

  • Jüdische Kultur

Einige Fragen dazu: „Die jüdische Küche. Was sollte man unbedingt mal ausprobieren?“ „Wo findet man jüdisches Leben in Deutschland, und warum hört und liest man so wenig davon?“ „Darf man als Nichtjüdin auch mal einen Gottesdienst in der Synagoge besuchen?“ „Gibt es so etwas wie jüdischen Humor? Was zeichnet ihn aus?“

  • Antisemitismus

Einige Fragen dazu: „Kriegt ihr viel Antisemitismus ab?“ „Wieso hasst man Juden?“ „Wie äußert sich Antisemitismus (subtil/unbemerkt) im deutschen Sprachgebrauch?“ „Denkt ihr, dass sich Antisemitismus in Deutschland noch weiter verbreiten wird?“

Marina Weisband und Eliyah Havemann beantworten viele Fragen gemeinsam, dabei durchaus auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Eingangs stellen sie sich mit Berichten aus dem bisherigen Leben vor. Sie sprechen sehr viel aus eigener Erfahrung, gehen in großer Offenheit auf die Themen ein. Man erfährt einerseits, wie schwer es ist, zur jüdischen Religion überzutreten. Und Eliyah lässt die Leser:innen teilhaben an der neu gefundenen religiösen Orientierung: „Ich fühle mich jetzt zu Hause, angekommen.“ (51) Man spürt auf ganz vielen Seiten, dass die Erfahrung von Antisemitismus und Rassismus in Deutschland ein Problem ist, das beiden in sehr großem Maße zu schaffen macht. Nicht zuletzt hat die Auswanderung von Eliyah und seiner Familie nach Israel hier ihren Grund. Marina Weisband analysiert mit hoher Sensibilität und großer Weitsicht die gesellschaftliche Situation in Deutschland und stellt in ‚klarer Kante‘ Forderungen und Veränderungsvorschläge auf.

Man spürt bei diesem Buch, dass es aus dem Dialog heraus entstanden ist. Die Antworten sind tiefgründig und lebendig zugleich, sie schließen die Inhalte auf und laden zu selbstständigen Urteilen ein. Die Sprache ist auch auf junge Menschen ausgerichtet. 

Um auf das eingangs von mir geschilderte Erlebnis zurückzukommen: Ich halte es für unerlässlich, dass alle in der Schule Tätigen inzwischen einige Grundkenntnisse auch über das Judentum haben. Dem seit Jahren vorhandenen Schulhofantisemitismus kann man nicht wirksam nur mit einigen Religionsfachstunden begegnen. Die Situation erfordert in weit größerem Maße Aufmerksamkeit und kluge schulpädagogische Aktivitäten. Und die kann man auf jeden Fall nach der Lektüre dieses Buches – motiviert und kompetent geworden – beginnen!


[1] Bei der Gender-Ausdrucksform schließe ich mich hier der Form an, wie sie von den Autor:innen dieses Buches gewählt wurde.

[2] Marina Weisband bei Twitter: @Afelia ;  Eliyah Havemann bei Twitter: @EliyahHavemann ; Manfred Spieß bei Twitter: @matjes49 ; Dr. Michael Blume bei Twitter: @BlumeEvolution


  • Michael Blume, der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg, weist in seinem Vorwort mit zahlreichen Belegen und starken Argumenten auf die aktuelle Gefahr des Rassismus und Antisemitismus in Deutschland hin.

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Hans Bernhard Kaufmann und der Religionsunterricht in Bremen

Als ich die Nachricht vom Tode von Hans Bernhard Kaufmann (geb. 12.6.1926 gest. 8.1.2022) las, war ich sehr berührt. Schon in der Studienzeit Anfang der 70er Jahre las ich viele seiner Artikel und konnte ihm auch gelegentlich persönlich zuhören. Einzelne weitere Begegnungen etwa in Loccum bei Klaus Petzold oder um das Comenius-Institut in Münster kamen hinzu. Als der Fachverband der Religionslehrkräfte in Bremen im Jahr 2003 sein 30jähriges Bestehen beging, war der Pensionär aus Münster sofort bereit, uns einen Festvortrag zu halten. Und das wurde von seiner Seite aus eine richtig gründliche Aktion. So ist schließlich der Artikel mit vielen Seiten entstanden: Der Religionsunterricht in Bremen – ein zukunftsfähiges Modell?

Der Religionsunterricht im kleinsten Bundesland hat eine ganz besondere Geschichte und Prägung. Doch ist er natürlich auch eingebunden in das pädagogische Geschehen und in die Entwicklungen der Bildungslandschaft. Seine Besonderheit – ein staatlich organisierter Unterricht in Kooperation mit den Religionsgemeinschaften – kann in den gegenwärtigen und zukünftigen Diskussionen durchaus Gehör bekommen. Und genau dafür plädiert schon 2003 auch der Referent. So könnte der alte Weg von “gestern” vielleicht ein Zeichen für ein anderes “morgen” setzen! In diesem Sinne ist der Artikel auch im Jahre 2022 von zu beachtender Aktualität.

Ich stelle diesen Artikel hier als pdf-Datei zur Verfügung.

Für weitere Informationen zum Religionsunterricht in Bremen verweise ich auf die Website des Fachverbandes: www.reli-bremen.de

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Die Mädchenbibel

Martina Steinkühler:
Die Mädchenbibel

Mit Illustrationen von Angela Gstalter

Hardcover, Pappband,
320 Seiten, 15,0 x 22,7 cm
mit Lesebändchen
durchgehend 4-farbig gestaltet
Gütersloher Verlagshaus 2021

ISBN: 978-3-579-06215-0

24 Euro

Eine Buchempfehlung
von Manfred Spieß

„Es wird Zeit, die Bibel aus ihrer Sicht zu erzählen“ – Dieses Leitmotiv prägt die „Mädchenbibel“ von Martina Steinkühler.[1] Von Frauen und Mädchen berichten die Geschichten der Bibel zwar gelegentlich, jedoch kommen sie nicht so oft als Handelnde oder Betroffene zu Gehör, wie es bei Männern der Fall ist. Es gibt in den biblischen Büchern immer wieder Lücken und Leerstellen, die zum Rück- und Hinterfragen und Weiterdenken anregen. Um diese kümmert sich die Autorin auf ganz besondere Weise. Nicht nur bekannte Frauengestalten wie Sara, Mirjam, Ruth und Maria kommen zu Wort, sondern auch nur knapp erwähnte und namenlose Frauen und Mädchen. Weitere werden hinzugedacht. So entsteht eine Erzählbibel ganz besonderer Art.

Die Magd als Erzählerin

Ganz bewusst verwendet Martina Steinkühler die Perspektive der so genannten „Magd“, nicht „Sklavin“ oder „Dienerin“. Zwar waren die Mägde zu biblischen Zeiten Eigentum von Herren oder Herrinnen, jedoch waren sie auch zum Hausstand gehörig und fungierten als wichtige Helferinnen bei unzähligen Gelegenheiten (vgl. die Sacherläuterung S. 8). Der erste große Erzählkreis ist Saras Mägden gewidmet. Sie erleben die Höhen und Tiefen der Ereignisse um Sara und Abraham mit, schalten sich auch mit gutem Rat und guten Taten ein. Manchmal sind sie auch wie „Schwestern“ angesehen, das kann sich aber auch brutal rasch ändern!

Dramatik pur

„Alle guten Geschichten beginnen am Brunnen“ –  dies trifft für viele Begebenheiten zu. Mit großer Dramatik hören wir von Hagar und Ismael, von Isaak und Rebekka, Jakob, Esau, Rahel und Lea – immer aus der Perspektive der Mägde. Ein besonders beeindruckendes Beispiel dafür ist die Geschichte von der drohenden Opferung Isaaks, Genesis 22. Eine Magd schildert ihre Beobachtungen, sie ist „dicht dabei“ und nimmt die Lesenden in das Geschehen mit hinein (23-25). Der Schrecken wird mitgefühlt, so auch in den weiteren Geschichten, etwa wie Mirjam, Moses Schwester, den Tanz um das Goldene Kalb erlebt (132-134) und die schlimmen Folgen wahrnehmen muss! Die Bibel erzählt auch schreckliche Geschichten, und Mädchen und Frauen sind besonders grausam davon betroffen. Martina Steinkühler führt uns zu biblischen Erlebnissen, die man sonst fast nie liest oder in Kirche bzw. Religionsunterricht erzählt bekommt, wie etwa die Vergewaltigung von Dina, der Tochter von Jakob, und die  mörderische Racheaktion der Brüder.

Neue Schwerpunkte

Das ungewohnt Andere dieses Buches zeigt sich auch in der Erzählung von Ruth. Vermutete Hintergründe aus dem Leben der wandernden Frauen Ruth und Noomi werden breit entfaltet, der spätere Ehemann Boas wird am Rande auch erwähnt (222). Die Rangfolgen sind anders gewichtet!

Bei David und Michal wird es – neben den kriegerischen Ereignissen – auch romantisch. Der Musiker David berührt mit Harfenklängen die Seele der (erzählenden) Michal und erquickt sie u.a. mit Psalmgesängen.

Perspektivenwechsel als Prinzip

Nach den Geschichten von Michal springt der Erzählstrang direkt ins Neue Testament. Mit der großen und der kleinen María – einer Schwester von Jesus – stehen Frauen aus den Familien von Jesus sowie Elisabeth, Zacharias und Johannes im Mittelpunkt. Um sie herum gruppieren sich die Geschichten von Johannes und Jesus, jedoch so, dass die Sichtweise der berichtenden Frauen die vorherrschende Perspektive ist.

Ein interessanter Anschluss an die hebräische Bibel, christlich auch das Alte Testament genannt, findet sich bei den Erzählungen von Elisabeth. Hier erfahren die Leserinnen und Leser, in welcher Annäherung – aber auch kritischen Abgrenzung – zu den bekannten Geschichten von Sarah, Simsons Mutter und Hanna die NT-Überlieferung gestaltet ist. Diese Elisabeth strahlt eine große Souveränität aus!

Jesus im Zeitraffer

Die Jesusgeschichten werden wie im Zeitraffer komprimiert dargeboten. Wieder aus dem Blick der Frauen. Was die biblischen Evangelienschreiber so ausführlich bieten, wird in einer ganz anderen Sichtweise dargeboten. Dadurch ist es nicht weniger gehaltvoll, jedoch erfrischend neu, eben in einer Sprache besonderer Betroffenheit.

Denn, so sagen es „Magda und Maria, Susanna, Helena. Maria, unsere Mutter, und meine Schwester Salome … Wir waren da.“ (311)

Perspektivenwechsel als bibel-didaktisches Prinzip

Eine große gestalterische Freiheit kennzeichnet die Erzählungen der „Mädchenbibel“. Jedoch wird diese so konstruktiv genutzt, dass man dies als passende, oft sogar notwendige Ergänzung zum tradierten Bibeltext empfindet. Das Bemühen um sachgemäße Information wird durch ensprechende Sacherklärungen in jugendgemäßer Sprache unterstützt. Und die theologische Seite kommt auch nicht zu kurz. Die Mägde verstehen es, ihre Gedanken über Gott, die Menschen und die Welt in klaren und tiefen Gedanken wiederzugeben; dabei sparen sie aber auch nicht mit Kritik und Widerspruch!

Martina Steinkühler versteht es, durch geschicktes Arrangement die alten Geschichten nah heranzuholen. Dabei schmückt sie auch kräftig aus.[2] So entsteht eine Erzählperspektive, die sowohl ‚dicht dabei‘ ist, aber auch die historische und weltanschauliche Distanz nicht einfach überspielt. Der Perspektivenwechsel der Erzählungen verschiebt traditionelle Schwerpunkte, lässt anderes zum Vorschein kommen.

Pfiffige Überschriften auf den Seiten

Die einzelnen Großkapitel sind auf eine pfiffige Art und Weise anschaulich untergliedert. Und zwar durch Überschriften, die direkt in den Text führen. Das ist ungewöhnlich, doch methodisch attraktiv, denn es schafft und erhält Aufmerksamkeit.

Martina Steinkühler hat mit viel Mut, Phantasie und Fachverstand eine Erzählbibel besonderer Qualität geschaffen. Diese lässt sich nicht einfach in eine didaktische Kategorie einordnen, sondern verschafft der Bibeldidaktik einen neuen Ansatz. Für die Verwendung in schulischen und kirchlichen Zusammenhängen tun sich hier viele Möglichkeiten auf. Jüngere und ältere Leserinnen und Leser benötigen keine Vorkenntnisse.[3] Dieses Buch ist einfach auch ein interessantes Geschenk für schmökernde Jugendliche – natürlich auch für Jungen! –  zum Eintauchen in die weitgehend unbekannte Welt der Mädchen und Frauen der Bibel.

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Dr. Manfred Spieß, Oldenburg

14.12.2021

[1] Dr. Martina Steinkühler ist Theologin und Religionspädagogin mit dem Schwerpunkt Bibel und Bibeldidaktik. Autorin und Fortbildnerin. Sie arbeitete als Lehrerin, Dozentin, Vertragslektorin und in der kirchlichen Öffentlichkeitsarbeit an verschiedenen Orten in ganz Deutschland. Mehr: https://www.martina-steinkuehler.de/aktuelles

[2] Die Geschichten der Mädchen und Frauen kommen so ans Licht; das verändert zwar die Erzählung, aber durchaus in bereicherndem Sinn. Und manchmal wird auch etwas hinzugedichtet, z.B. der Brief Davids an Michal, versehen mit dem Hinweis: „Steht nicht in der Bibel“ (252).

[3] Angegeben ist ein Lesealter ab 12 Jahren

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Religionsunterricht morgen – aber wie?

RundfunkhörerInnen sagen ihre Meinung

Am 8.7.21 stellte der Bayerische Rundfunk BR2 dieses Thema als TAGESGESPRÄCH unter der Moderation von Birgit Kappel vor:

“Es geht um nichts Geringeres als um die großen Fragen des Lebens. Aber gehört Religionsunterricht deshalb zwangsläufig zum Bildungsauftrag der Schulen? Und wenn ja, in welcher Form? Anlässlich der Einführung eines islamkundlichen Unterrichts in Bayern im Jahr 2021 stellt BR 2 den konfessionell getrennten Religionsunterricht in Deutschland überhaupt in die Diskussion. Interessante Beiträge von ZuhörerInnen und Fachkräften werden geboten!”

Die Ankündigung wurde gut umgesetzt. Es hat nach meiner Erfahrung schon Seltenheitswert, dass eine Rundfunksendung so gründlich in diese Thematik einsteigt!

Neben der engagiert fragenden Moderatorin war der katholische Religionspädagoge Prof. Matthias Gronover von der Universität Tübingen als kontinuierlicher Gesprächspartner zu Gast. Ebenfalls als Gast: Prof. Tarek Badawia vom Lehrstuhl für islamische Religionslehre an der Universität Erlangen/Nürnberg. Mit der Zuschaltung der Lehrerin Velida Hafizovic aus Hamburg wurde dann der Blick über den bayerischen Tellerrand geweitet und der “Religionsunterricht für Alle” ins Blickfeld gerückt.
Fast eine ganze Stunde lang erreichte die Sendung viele Menschen auch über Bayern hinaus, die sich über Telefonanrufe am der Diskussion beteiligten.

Dieser Rundfunkbeitrag ist beim BR als Podcast ( mp3, ca. 54 Min.)
abrufbar unter diesem Link .

Auf einige der Beiträge von Hörerinnen und Hörern möchte ich im Folgenden etwas eingehen und Sie mit den Minutenangaben ermuntern, sich diese auch selbst gründlich anzuhören.


Ab 04:31 min
Hörerin Frau F. nimmt gleich zu Beginn kritisch Stellung: Religionsunterricht in der hergebrachten Form des getrennten Unterrichts sei überhaupt nicht mehr zeitgemäß; ihre Meinung ist stark geprägt von früheren Erfahrungen in katholischer Klosterschule. Sie plädiert klar für einen Ethikunterricht für Alle.

Ab 12:11 min
Frau H. ist selbst Lehrerin an einer Grundschule. Sie beschreibt die großen Schwierigkeiten, welche die Schulen mit der Organisation von 3 oder 4 Religionsunterrichten/Ethik für die Klassen mit sich bringen. Sie erlebt in der Praxis, dass Grundschulkinder der Trennung innerhalb der Klassen oft befremdlich gegenüberstehen und dafür auch von zuhause kein Verständnis mitbringen.

Ab 15:50 min
Hörer Herr K. nimmt engagiert Stellung zum Thema. In waschechtem Schwäbisch (?) berichtet er von seinen guten Erfahrungen, wie er als Kind muslimischer Eltern früher auch katholische und evangelische Gottesdienste besucht hatte. Da hat er gemerkt: “Wir sind alle nur Menschen und stammen alle von einem Gott ab“! Herr K. schätzt die Chancen und das wachsende wechselseitige Verständnis dabei als sehr hoch ein! Ein deutliches Plädoyer für gemeinsames Lernen von Religion in der Schule. Den Lehrkräften traut er diese Aufgabe zu: „Das kann ein Lehrer sehr gut vermitteln, dafür ist er da, das hat er gelernt!“

Ab 25:00 min
Auch die Hörerin Frau G. wünscht sich für die Zukunft gemeinsames Lernen; ihr ist vor allem der Aspekt der Friedenserziehung und der Fähigkeit zu Toleranz ein wichtiges Anliegen.

Prof. Gronover wurde von der Moderatorin nach seiner Meinung zu den Hörerbeiträgen gefragt. Seine Antworten bezogen sich auf den Auftrag des konfessionellen Religionsunterrichts, an dem er grundsätzlich festhalten möchte (“Heimat bieten”). Dies leitet er auch aus dem grundgesetzlichen Recht auf Religionsunterricht ab (Art. 7 Abs. 3 GG). Heutiger RU habe sich den Anforderungen der Zeit zu stellen, vor allem mit der kulturellen und religiösen Vielfalt umzugehen. Schülerinnen und Schüler sollen Kompetenzen erwerben, Religion einzuschätzen und auch kritisch zu befragen. Vor allem der Berufsschulunterricht Religion werde fast überall in Deutschland schon gemeinsam für die Klasse erteilt.

Im Hinblick auf den islamkundlichen Unterricht, der nun in Bayern eingeführt wurde, sprach sich Prof. Badawia grundsätzlich für eine konfessionelle Bindung aus. (Die ungeklärten Fragen der Anbindung an muslimische Gemeinschaften wurden nicht thematisiert). Er verwies auf den starken interreligiösen Anteil, den der islamische Lehrplan aufweise. Der Blick auf die anderen Religionen und das gemeinsame Gespräch haben in diesem einen hohen Rang! Die Rahmenbedingungen des neuen Unterrichts seien in Bayern zwar nicht optimal. Vor allem fehle es an ausgebildeten Lehrkräften für Islamkunde. Dennoch hofft er auf konstruktive Weiterentwicklungen.

Ab 17:55 min
Lehrerin Velida Hafizovic aus Hamburg berichtete, wie sich ihre Arbeit beim Religionsunterricht im Klassenverband gestaltet.

( In Hamburg gibt es seit langem Religionsunterricht für Alle. Dieser war früher allein in der Trägerschaft der Evangelischen Kirche. Inzwischen sind durch Staatsvertrag auch andere Religionsgemeinschaften gleichwertig hinzugekommen. Auch die Lehrkräfte gehören unterschiedlichen Religionen an, arbeiten aber alle nach dem Konzept des Lehrplans und gemeinsamer schulischer Pläne.)

Frau Hafizovic ist ausgebildete Lehrerin für Islamunterricht. Die Aufgabe, Kinder aller Religionen zu unterrichten, war für sie eine große neue Herausforderung. Die Erfahrungen in den Klassen sind für sie durchweg positiv. Die Schülerinnen und Schüler schätzen es, miteinander die religiöse Vielfalt kennenzulernen. Das Konzept bringt eine intensive Zusammenarbeit der Lehrkräfte verschiedener Religionen an der Schule mit sich. Dies wird von Frau Hafizovic als sehr fruchtbringend eingeschätzt. Von der Moderatorin gefragt, ob sie denn diese Form des Religionsunterrichts für Alle auch für andere Bundesländer empfehlen würde, antwortete sie klar mit “Ja”.

Noch einige weitere unterschiedliche Beiträge sind in dieser Sendung zu hören. Die meisten sprechen sich für deutliche Änderungen beim Religionsunterricht aus, bis hin zur Forderung nach Abschaffung.

Gerne können Sie nach dem Anhören des Podcasts Ihre Meinung zum Thema im Kommentar unten aufschreiben.

Weitere Hinweise

Informationen zum Religionsunterricht in Hamburg:
Website der Hamburger Religionslehrerinnen und -lehrer


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Sykimosch

Eine religionspädagogische Szene aus der Praxis: die Lehrerin spricht mit den 10-jährigen Kindern über verschiedene Gotteshäuser. Die christlich sozialisierten Kinder bringen auch nichtchristliche Symbole und Gebäude ins Gespräch: eine Menora, die Synagoge, die Kirche und die Moschee.

In der nächsten Relistunde zeigt sich, dass und wie das Thema bei einem Schüler ‚Feuer gefangen‘ hat. Felix hat in der Zwischenzeit gedanklich weitergearbeitet. Er bringt eine Vision von künftiger Gemeinsamkeit der Religionen mit in den Unterricht. Und, damit es anschaulicher wird, auch noch als Zeichnung (a.a.O. S. 51)!

Felix zeichnet die Sykimosch

In der Stunde erläutert Felix seine Ideen:
Da ist ein großer, runder Bau, ähnlich „wie der Pantheon in Rom“, da sind gemeinschaftlich Plätze für Juden, Christen und Muslime. An den Wänden hängen Bilder von Bibel, Tora und Koran. Und die kann man auch real dort lesen und dabei beten. Vom zentralen Ort aus gehen ‚in alle Himmelsrichtungen‘  Gänge zu besonderen kleineren Orten der Religionen, eben Synagogen, Kirchen und Moscheen.
Diese besonderen Orte seinen deshalb wichtig, damit die verschiedenen Prediger die anderen nicht stören!

„Was ich damit will, ist eigentlich, dass man, dass sich die Religionen so ein bisschen vereinen …“. Aber man sollte auch zeitweise ‚für sich‘ sein, denn mit den anderen Religionen ist man doch nicht hundertprozentig vertraut.

Felix geht es erkennbar darum, dass Religionen den Abstand zueinander verringern. Gegen mögliche Missverständnisse – etwa: feindliche Übernahme durch Mission – hat Felix sich auch gewappnet: er möchte keinesfalls, dass Christen die Muslime zu überwinden trachten, oder dass Kirchen in Moscheen umgewandelt werden müssen. Seine Vision ist von dem Bemühen um Verständigung und Anerkennung geprägt!

Sein Plädoyer: „Ich mein’ jetzt auch nicht, dass alle Kirchen jetzt und alle Synagogen und alle Moscheen so in ein Gemeinkunstwerk verwandelt werden, sondern dass es vielleicht in so größeren Städten so eine »Sykimosch« gibt“.

Lieber Felix,

20 Jahre nach deiner großartigen Vision von einer „Sykimosch“ steht eine Verwirklichung an. In Berlin findet am 27. Mai 2021 die Grundsteinlegung beim „House of One“ an. Eigentlich müsstest Du dabei sein! Danke für Deinen Anstoß!

Literaturangabe:

Christina Hoegen-Rohls. „Sykimosch“. Fünftklässler diskutieren über einen Frömmigkeitsraum aus Synagoge, Kirche und Moschee. Aus: „Kirchen sind ziemlich christlich. Erlebnisse und Deutungen von Kindern. Hrsg. V. Anton A. Bucher u.a. ( Jahrbuch für Kindertheologie 4), Stuttgart 2005, S. 39-52.
Abdruck der Zeichnung mit frdl. Genehmigung des Calwer Verlags.
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RU im globalisierten Klassenzimmer

Petra Sorg

Religionsunterricht im globalisierten Klassenzimmer.
Positionierungen von Lernenden im multireligiösen Kontext beruflicher Schulen.
Religious Diversity and Education in Europe, Vol. 43.
Münster/New York: Waxmann Verlag 2020. 344 S.,
ISBN 978-3-8309-4133-0
€ 39,90

Im Februar 2020 promovierte Petra Sorg, Schulpfarrerin in Frankfurt, im Fachbereich Ev. Theologie mit einer Studie zur Frage, wie Lernprozesse im Religionsunterricht mit Schülerinnen und Schülern aus unterschiedlichen Kulturen und Religionen funktionieren. Sie selbst arbeitet an der Julius-Leber-Schule in Frankfurt, der mit über 3000 Lernenden größten Beruflichen Schule der Stadt. Ihre Arbeit erlaubt einen Einblick in die Prozesse des Lernens in multireligiösen Lerngruppen. Bisher lagen kaum Studien darüber vor, was Jugendliche selbst dazu sagen, nun kommen sie als Experten des Lernens selbst zu Wort.

Seit Jahren findet aus ganz pragmatischen Gründen in Berufsschulen kein strikt-konfessioneller Religionsunterricht mehr statt. Je mehr Deutschland zur “Migrationsgesellschaft” wird, umso lauter wird der Ruf nach einem „interreligiösen” Religionsunterricht, in der Erwartung, dass damit Verständigung und Toleranz wächst. Wie aber kann der gelingen? Was sind die Bedingungen für “Positionierungen”? Um diese Prozesse empirisch zu erforschen, führte Petra Sorg zunächst eine quantitative Befragung unter Lernenden dreier Frankfurter Berufsschulen (n = 301) durch. Dabei standen die Werthaltungen der Lernenden und die Art, wie sie sich selbst sehen, im Zentrum. Anschließend vertiefte sie die Befunde durch Analysen von “problemzentrierten Interviews” mit sieben Lernenden, die für bestimmte Gruppen typische Haltungen vertraten.

Ohne auf die Theorien hinter dem Forschungsdesign einzugehen (u.a. von Henri Tajfel zu Identität), gibt es einige wichtige Schlussfolgerungen aus dem quantitativen Teil: Einerseits ergaben sich große Unterschiede zwischen den Religionsgruppen aber – und das ist für das interreligiöse Lernen ziemlich interessant- es ergaben sich auch Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Muslimische Lernende zeigten, dass sie ihre Identität stärker aus der Zugehörigkeit zu einer Gruppe bezogen (soziale Identität). Damit waren sie weniger bereit, Neues zu lernen als Lernende, die ihre Identität aus den eigenen Konzepten bildeten (personale Identität). Andererseits zeigten aber über die Religionszuge­hörigkeit hinweg alle jungen Frauen, dass sie an anderen und anderem deutlich interessierter sind, sozialere Einstellungen vertreten als junge Männer. Diese Geschlechterdifferenz, so die Studie, gilt es in der Religionspädagogik wie im Unterricht stärker zu berücksichtigen. Methoden hingegen spielen eine eher untergeordnete Rolle. Kognitive, problemorientierte Aufgaben über „critical incidents“ bieten geringe Anlässe, Neues zu lernen.

Durch die sieben Interviews konnten diese Ergebnisse weiter differenziert werden. Petra Sorg prä­sentiert diese Personen und ihre Positionierungswege sehr überzeugend. Nur vier Beispiele, die zeigen wie komplex die Prozesse sind: “Marvin”, ein evangelischer Azubi, der zum Islam konvertiert war, konnte seine Überzeugungen als neues Mitglied der muslimischen Männergruppe zwar zeigen, blieb aber innerlich verunsichert, so dass er zu dauerndem Nachdenken genötigt war, was seine Offenheit für Neues förderte. “Abdul”, bei dem der Satz “Wir Muslime sind alle wie ein Leib” fällt, nahm hingegen Pluralität im Unterricht als Bedrohung wahr. “Fatma”, seine kopftuchtragende Klassenkameradin, hingegen hat dort Neues gelernt: “andere ausreden zu lassen” und sie „zu verstehen“. Sie hat Respekt erlebt und Vorurteile abgebaut. “Andrej”, in Moskau geboren und seit seinem 8. Lebensjahr in Deutschland, kann mit Religion nichts anfangen, verhält sich im Klassenraum als Zuschauer und wundert sich, dass andere über Religion streiten können.

Im letzten Teil der Studie beschreibt Petra Sorg didaktische Perspektiven. Welche Lernarrangements sind förderlich, um Neues zu lernen? Wichtig ist demnach, dass der Klassenraum als sicherer Ort erfahren wird. Denn drei der vier interviewten jungen Frauen hatten ihn in der früheren Schule als Herrschaftsraum geschildert, in dem sie unter Grenzziehungen und Zuschreibungen zu leiden hatten. Bedeutsam ist weiterhin, dass jede und jede als konkrete Person (“concrete other”) und nicht als Mitglied einer Gruppe gesehen wird. Wenn jeder und jede sich als einzigartige Person zeigen kann, dann, so die die Studie, können auch die Begegnungen mit anderen Einzigartigen produktiv werden. Petra Sorg warnt vor einem rein religionskundlichen Unterricht, der die subjektive Seite von Religion (Religion ist im Unterricht immer „meine Religion“) negiert und von Unterschieden ausgeht. Auch sollten keine überzogenen Erwartungen an einem Zuwachs an Kompetenzen gehegt werden, weil das Lernen in hohem Maße von Einstellungen abhängt, die nicht durch den Unterricht erwirkt werden.

Mit dieser umfangreichen wissenschaftlichen Arbeit hat Petra Sorg einen wichtigen Aspekt ihrer eigenen Praxis reflektiert. Gerade in dieser engen Verbindung von Theorie und Praxis liegen m. E. die größten Chancen für die Qualitätsverbesserung des Religionsunterrichts. Sie gibt empirisch untermauerte Kriterien für das Gelingen von interreligiösem Lernen, und ihre Arbeit ermutigt zu neuen kreativen didaktischen Settings.

Harmjan Dam

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Sport und Religion

Matthias Gronover / Christoph Knoblauch (Hg.)

Sport und Religion –
Bausteine für den Religionsunterricht an beruflichen Schulen

RU-Praktisch – berufliche Schulen,Vandenhoeck & Ruprecht, 1. Auflage 2021
125 Seiten, mit ca. 40 Abb; ab 19,99
ISBN: 978-3-525-71758-5

Das umfangreiche Material (125 Seiten) erschließt die Zusammenhänge von Sport und Religion in sieben thematisch konzipierten Bausteinen, die jeweils als Unterrichtseinheiten mit entsprechenden Materialien ausgeführt sind. Die Bandbreite reicht von praktischen Übungen aus Fitness- und Erlebnispädagogik bis hin zu einer Auseinandersetzung mit theologischen und kirchlichen Sichtweisen des Sportes, die überwiegend anhand von Texten umgesetzt wird. Ebenso breit ist die Zielgruppe. Vieles ist nicht spezifisch für berufliche Schulen, sondern für alle Schulformen mit der Sekundarstufe II geeignet. Einzelne Materialien nehmen Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf oder in der Berufsvorbereitung besonders in den Blick.

Innovativ ist der Ansatz, das Unterrichtsmaterial gemeinsam mit Sportpädagog*innen und Religionspädagog*innen zu verfassen. Dies kommt besonders in der mit „Aufwärmübung“ überschriebenen ausführlichen Einleitung zum Ausdruck. Die einzelnen Unterrichtseinheiten sind allerdings nicht in gemischten Teams, sondern jeweils nur aus einer der beiden Perspektiven verfasst. Deshalb ergibt sich eine schlüssige Umsetzung im Religionsunterricht erst, wenn unterschiedlich akzentuierte Bausteine nacheinander unterrichtet werden oder die Lehrkraft Elemente aus mehreren Bausteinen kombiniert.

Ausführliche einleitende Texte zu den einzelnen Unterrichtseinheiten vermitteln soziologische, psychologische, didaktische und theologische Orientierung. Der in der Einleitung zum Gesamtkonzept beschriebene didaktische Ansatz bei einem kompetenzorientierten Unterricht, der sich in Anforderungssituationen konkretisiert, wird nur zum Teil umgesetzt. Auch dort wo dies geschieht, bleibt oft unklar, in wie fern die Anforderungssituation zum Kompetenzerwerb motiviert und diesen überprüfbar macht.

Die Unterrichtsmaterialien beinhalten Bilder, Texte und Anleitungen. Sie sind jeweils für sehr unterschiedliche Leistungsniveaus konzipiert. In einigen Fällen ist eine Differenzierung für unterschiedlich leistungsfähige Lerngruppen innerhalb eines Unterrichtsmaterials vorgesehen. Bei den Aufgabenstellungen, die ein einfaches sprachliches Niveau berücksichtigen, hätte man sich mehr Orientierung an Leichter Sprache gewünscht.

Grundsätzlich sind die meisten thematischen Einheiten für einen Unterricht in heterogenen Lerngruppen geeignet. Vor allem die erlebnispädagogischen und wahrnehmungsfördernden Elemente ermöglichen inklusiven Unterricht. Die stärker religionsbezogenen Materialien beziehen säkulare und islamische neben christlichen Zugängen aus Katholizismus und Protestantismus ein. In den einleitenden Texten überwiegt jedoch die Perspektive eines konfessionellen oder konfessionell-kooperativen Unterrichts, wenn z. B. zu einem islambezogenen Material festgestellt wird, dass es eine „Begegnung mit dem Islam als Beispiel einer nichtchristlichen Religion“ (S. 73) ermöglicht.

Johan La Gro