Buch des Monats März 2014: Leuchtpunkte jüdischer Philosophie

Rz-Starobinski-Jud-PhilEsther Starobinski-Safran: Essais de philosophie juive.
Paris: Albin Michel 2014, 256 S. — ISBN 978-2-226-25387-3 —

Ausführliche Besprechung: hier

Die jüdische Philosophie spielt seit der Antike eine wesentliche Vermittlungsrolle im Mittelmeerraum. Sie hat auch wichtige Impulse für die Geisteskultur Europas und Deutschlands gesetzt. Esther Strarobinski-Safran, Tochter des Hauptrabbiners Alexandre Safran von Genf (1910-1948),   steckt mit den vorliegenden Essays entwicklungsgeschichtlich entscheidende Markierungspunkte der jüdischen Philosophie in 20 Jahrhunderten ab. Diese haben auch die politische Geschichte zum Teil nachhaltig beeinflusst.
Das Erstaunliche eines solchen Ganges am „Geländer“ großer jüdisch-philosophische Protagonisten sind die die Konvergenzen der hier vertretenen DenkerInnen – und dies trotz großer Zeitunterschiede. Diese Beziehungsnähe bewegt sich im Spannungsfeld von Vernunft und Offenbarung unter den philosophisch-theologischen Voraussetzungen des Monotheismus und in Bezug auf Einheit und Einzig(artig)keit Gottes.

Sie stellt im Einzelnen vor:
Philo von Alexandrien (um 15 v. Chr. bis ca. um 40 n. Chr.), das Buch Keter Malkhut (= die Krone des Königtums) von Ibn Gabirol (1021/22–1057), Moses Maimonides (1135/1138 –  1204 in Kairo), Benedikt (Baruch) Spinoza  (1632–1677), Hermann Cohen (1842–1918), Hannah Ahrendt (1906–1975), Moses Mendelssohn (1729-1786),  Franz Rosenzweig (1886–1929), Eugen Rosenstock-Huessy (1888–1973), Martin Buber (1878–1965 , Emmanuel Levinas (1906–1995),   Alexandre Safran (1910–2006) und Abraham Joshua Heschel (1907–1972)

Dieses Buch ist keine systematische Philosophiegschichte; es sind bewusst Essays. Aber diese Auswahl wirkt wie eine historische Lichterkette, deren Leuchtpunkte jüdische Philosophinnen und Philosophen sind, die in der Spannung von Vernunft und Offenbarung ein Gottesbild zeichnen, in dem Grenzen überschreitende Barmherzigkeit und Liebe im Zentrum des Denkens steht. Hier eröffnen sich interreligiöse Horizonte, zu denen jüdische Denker seit der Antike Wesentliches beigetragen haben. Es wäre schön, wenn es dieses Buch auch als deutsche Übersetzung gäbe.

Reinhard Kirste


Rz-Starobinski-Jud-Phil, 28.02.14      Creative Commons-Lizenz

Buch des Monats April 2013: Faszination des Meisters

Rz-Renger-MeisterAlmut-Barbara Renger (Hg.): Meister und Schüler in Geschichte und Gegenwart.
Von Religionen der Antike bis zur modernen Esoterik.

Göttingen: V & R unipress 2012, 486 S., Namen- und Sachregister
— ISBN 978-3-89971-648-1 —

Hintergrund dieses Buches ist ein Forschungsprojekt an der Freien Universität Berlin zwischen 2009 und 2011 unter dem Thema „Meister und Schüler: Tradition – Transfer – Transformation“ unter der Leitung der Professorin für antike Religion und Kultur, Almut-Barbara Renger. Die mit den genannten Stichworten angesprochenen Beziehungen führen in ganz unterschiedliche kulturelle, religiöse, historische und soziale Kontexte. Dadurch dass faktisch ein großer geschichtlicher Bogen von der antiken griechischen Tradition bis in die esoterischen Strömungen des 21. Jahrhunderts geschlagen wird, ergibt sich ein weitreichendes, faszinierendes Bild von Kontinuitäten und diversen Brüchen im Meister–Jünger/Lehrer–Schüler-Verhältnis.  Diesen Traditionsveränderungen nachzugehen, stellen die international kompetenten Fachautoren an jeweils einem Zeitabschnitt dar. So treten vor die Lesenden im Umfeld verschiedener Religionen eine Fülle von religiösen Bewegungen, und zwar mit entsprechenden Gemeinschaftsformen, mit der Herausbildung von Führungspersönlichkeiten und Schülerkreisen zwischen Charisma, Intellektualität, (Lehr-)Autorität und Spiritualität. Auf mögliche abweichende Verständnisse generell bei Meisterinnen und Jüngerinnen geht der Band nicht ein.

Es ist erstaunlich, wie vielfältig sich die Meister–Schüler–Beziehungen in Europa entwickelt haben. Dieses Buch gibt dafür wesentliche Einblicke.

Weiteres in der ausführlichen Beschreibung

Reinhard Kirste, Rz-Renger-Meister
23.03.13

Erleuchtetes Mittelalter – der Philosoph al-Suhrawardi

Die Bedeutung islamischer Philosophen und Mystiker für die geistesgeschichtliche Entwicklung des „christlichen“ Europa und der Philosophie des „Abendlandes“ wird zunehmend wahrgenommen. Allerdings sind die Erkenntnisschritte dorthin bisher noch recht langsam. Darum ist es umso bedeutender, wenn einer der wenig bekannten, aber dennoch herausragenden Philosophen des „islamisch-arabischen“ Mittelalters in einer gut lesbaren deutschen Übersetzung zu Worte kommt und damit nicht nur OrientalistInnen und IslamwissenschaftlerInnen die Möglichkeit vertiefter Wissenerweiterung gibt:

Shihab al-Din al-Suhrawardi:
Philosophie der Erleuchtung. Hikmat al-ishraq
Aus dem Arabischen übersetzt und herausgegeben von Nicolai Sinai
Berlin: Verlag der Weltreligionen 2011
— Rezension hier —

 

Meister Eckhart – Philosophische Perspektiven und mystische Erkenntnis

Rz-Meister-Eckhart-Jahrbuch-11Meister-Eckhart-Jahrbuch 5 / 2011. (Rolf Schönberger und Stephan Grotz, Hg.):
Wie denkt der Meister? Philosophische Zugänge zu Meister Eckhart.

Stuttgart: Kohlhammer 2012, 198 S., mehrere ausführliche Register
— ISBN 978-3-17-022016-4 —

Mit dem Meister-Eckhart-Jahrbuch präsentiert die Meister-Eckhart-Gesellschaft die Ergebnisse ihrer Tagungen und wissenschaftlichen Forschungen nicht nur ihren Mitgliedern, sondern insgesamt einer an mittelalterlicher Mystik interessierten Öffentlichkeit. In diesem Jahrbuch werden besonders die philosophisch-interdisziplinären Grenzgängen Meister Eckharts Jahrbuch 5/2011 vorgestellt: Wie denkt der Meister?

Im Vorwort gehen die Herausgeber auf Desiderate der Eckhart-Forschung ein: „Noch unzulänglich sind … diejenigen Fragen gestellt und bewältigt, die seine [Meister Eckharts] Denkweise betreffen und die für sie kennzeichnende Form ins Auge fassen … Wie verlaufen die Denkoperationen, die für ihn typisch sind, die ihn einerseits zu einer bedeutenden Gestalt des Neuplatonismus machen und ihm doch ein ganz eigenes Gepräge geben?“ (S. X). as vorliegende Jahrbuch versucht, diese Lücke zu füllen.

Eine Reihe kompetenter Fachleute Meister Eckhart als eigenständigen Denker des christlichen Selbstbewusstseins vor. Das gilt besonders für seine ungewöhnlichen Auslegungswege gerade biblischer Texte hin auf die Erkenntnis der wahren Quelle: Christus.  In der „Sohnwerdung“ des Menschen wird dieser mit Christus „eins“.

Es ist nicht ganz leicht, das „wahre Selbst“ und sein nicht-dualistisches, d.h. sein All-Einheits-Denken bei Meister Eckhart zu erfassen. Wirkungsgeschichtlich und interreligiös grenzüberschreitend steht „der Meister“ in der arabisch-philosophischen Aristoteles-Rezeption, die übrigens der jüdische Philosoph Maimonides herausragend repräsentiert.

Wer sich intensiver mit dem philosophischen und theologischen Denkens Meister Eckharts, seiner geistig-verwandten Vorläufer, Zeitgenossen und Nachfolger befassen will, wird mit diesem Jahrbuch bestens weitergeführt.

Reinhard Kirste

Creative Commons-Lizenz

Rz-Meister-Eckhart-Jahrbuch-11, 09.01.13