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Wochenaufgabe: Kompetenzorientierter Unterricht

Hallo Openreli,

nun brüte ich schon seit Tagen über der Frage, wie ich meine Überlegungen zum kompetenzorientierten RU in knappe Worte fasse (knappe Worte sind nicht meine Stärke, fürchte ich)… und weil mich das inzwischen bei den anderen Dingen aufhält, die es hier auch noch zu entdecken gäbe, habe ich mich zu einer „schnellen“ Lösung entschieden. Mit dem  folgenden Text  zitiere ich mich quasi selbst, es handelt sich um einen leicht überarbeiteten Auszug aus einem Beitrag für das BRU-Magazin 55/2011 („Geht nicht“ gibt´s nicht – Religion und Handwerk, S. 28 f.).

Ist zwar schon eine Weile her, aber am Prinzip hat sich nichts geändert, ich unterschreibe das auch heute noch 😉 Wenn manche Stellen nicht haargenau passen, verzeiht Ihr mir das sicher, oder? Außerdem sieze ich meine LeserInnen – und ich hab gerade keine Lust, das alles zu ändern, okay?

Der Originalartikel enthält übrigens auch noch ein Unterrichtsbeispiel und allerlei Arbeitsblätter. Die lasse ich hier weg – demnächst beginnt ja die Produktionsphase, da gibt´s dann passgenaue Beispiele für die Openreli-Lernsituation.

Also, los geht´s:

„Wozu brauche ich an der Berufsschule Religionsunterricht? Was bringt mir das, was wir hier machen? Was hat das mit mir und meinem Leben zu tun?“ Haben Ihre Schülerinnen und Schüler Sie das auch schon gefragt?

Mir begegnen diese Fragen häufiger, vor allem zu Beginn in einer neuen Lerngruppe – ausgesprochen oder nur von den Stirnen abzulesen, mit eher neugierigem oder eher abwehrendem Beigeschmack, je nachdem. Und ich finde: mit welchem Unterton auch immer – die Fragen sind völlig legitim. Natürlich will ich als Schülerin zu Beginn wissen, wo die Reise hingeht, natürlich investiere ich nur Energie, wenn sich das für mich spürbar „lohnt“, natürlich muss es Antworten geben, die über „Ihr braucht das für die gute Note!“ hinausgehen, damit ich mich engagiere, statt nur die Zeit irgendwie herumzubringen.

Das ist kein neuer Gedanke, denn haben wir uns im Religionsunterricht nicht immer schon an den Fragen und Themen unserer Schülerinnen und Schüler orientiert? Haben wir nicht immer schon gemeinsam gefragt „Was können wir hier lernen?“? Was ist daran „kompetenzorientiert“?

Die Orientierung des Unterrichts  entscheidet sich meiner Ansicht nach bei der anschließenden, konkreteren Frage. Diese lautet nämlich nicht “Worüber möchten Sie gern sprechen? Was interessiert Sie?“, sondern entweder „Was möchten Sie am Ende des Unterrichts gern besser können als heute?“ oder „In welche Lebenssituationen werden Sie kommen, in denen Ihnen der Religionsunterricht weiterhelfen könnte?“.

Wenn wir gemeinsam so fragen,  zielt die Antwort nicht nur auf Themen ab, über die man gut 45 oder 90 Minuten lang miteinander sprechen kann, ohne sich allzu sehr zu langweilen. Sie zielt auch nicht auf einen „Schatz des Wissens“ ab, den wir fortan im Kopf mit uns herumtragen und zu dem wir bei Bedarf eine Meinung äußern können. Natürlich geht es im Unterricht auch um Inhalte, um Kenntnisse, um religiöse Sachfragen und um Meinungen – aber dieses Wissen steht in engem Zusammenhang mit Fähigkeiten, mit einer Erweiterung der eigenen Denk- und Handlungsmöglichkeiten in realen Situationen des beruflichen, persönlichen und gesellschaftlichen Lebens. „Was kann ich am Ende besser, und wozu kann ich das gebrauchen?“ ist die zentrale Frage des kompetenzorientierten Unterrichts.

Und wie lauten die Antworten? Was ist das, was unsere Schülerinnen und Schüler anschließend besser können? Was kann jemand, der „religiös kompetent“ ist?

Unser neuer Lehrplan für den BRU in Rheinland-Pfalz orientiert sich an „Grundlegende Kompetenzen religiöser Bildung“ aus dem Comenius – Institut (Münster 2006), siehe auch BRU-Magazin 46, S. 17. Diese Kompetenzen beschreiben, was jemand können kann, der religiös kompetent ist: die eigene Überzeugung begründet vertreten, mit religiöser Sprache umgehen, sich mit anderen religiösen Überzeugungen auseinandersetzen und vieles mehr, insgesamt 12 grundlegend wichtige Fähigkeiten, die im Religionsunterricht entwickelt werden können.

Die vollständige Übersicht finden Sie unter http://ci-muenster.de/biblioinfothek/open_access/oa_bildung22.php

Eine solche Auflistung allein beantwortet allerdings die Ausgangsfrage nur unzulänglich. Die Frage „Was nutzt mir diese Kompetenz – wozu brauche ich sie?“ ist noch immer offen. Sie muss beantwortet werden, denn Kompetenz gibt es nicht „an sich“, und sie ist nicht „an sich“ nützlich – Kompetenz ist immer die Kompetenz zum Lösen eines Problems, zu kompetentem Verhalten in einer konkreten Situation. Deshalb überzeugt mich der Vorschlag, solche Situationen des beruflichen, persönlichen und/oder gesellschaftlichen Lebens zum Ausgangs-, Dreh- und Angelpunkt des Religionsunterrichts zu machen.  Dabei  geht es um (wahrscheinlich) tatsächlich auftretende Probleme, die von den Schülerinnen und Schülern möglichst kompetent gelöst werden müssen. Diese „Lernsituationen“ sind nicht nur der Aufhänger zu Beginn einer Unterrichtsreihe, sondern sie tragen den gesamten Gedankengang vom ersten bis zum letzten Schritt und vor allem im Kern.

Dabei ändert sich meine Rolle als Lehrkraft: Nicht ich stelle die Aufgaben, weil ich mein Wissen unter die Leute bringen möchte. Das Leben stellt die Aufgaben, die Schülerinnen und Schüler lösen sie bzw. bereiten sich darauf vor. Wir sind als Lehrerinnen und Lehrer dabei mit ihnen verbündet und tragen mit unserer Begleitung, bei Bedarf auch mit unserer Lebenserfahrung und unseren Kenntnissen zu ihrem Lernprozess bei.

Damit die Schülerinnen und Schüler im Unterricht tatsächlich die Möglichkeit haben, ihre religiösen Kompetenzen zu entwickeln, steht die Lösung des Problems im Zentrum des Unterrichts. Die Lernsituation ist also nicht nur der Appetithappen zu Beginn, sondern vor allem der Mittelpunkt. „Was kann ich tun, um in der vorgestellten Situation (in der ich mich befinde oder bald befinden könnte) möglichst gut zurechtzukommen?“ ist die Kernfrage. Andere Fragen sind dieser zentralen Frage zugeordnet: „Welche Informationen brauche ich zur Lösung des Problems, welche Vorgehensweisen sind möglich, welche davon wähle ich aus?“ – das sind die Fragen, die vor der Problemlösung geklärt werden müssen. Die ausgewählte Lösung wird so weit wie möglich umgesetzt, also mindestens präsentiert und diskutiert, besser noch tatsächlich praktisch erprobt. Anschließend folgen „Wie kann ich einschätzen, ob meine Problemlösung erfolgreich war?“ und „Was habe ich bei der Bearbeitung des Problems gelernt, und in welchen weiteren Lebenslagen kann ich die Fähigkeiten sonst noch gebrauchen?“

Die so entstandene Schrittfolge ist „natürlich“ – im Leben außerhalb der Schule handeln wir ständig so, bewusst oder nicht. Ich lese das Rezept, beschaffe die Zutaten, entscheide über die Reihenfolge der Arbeitsschritte – dann schnipsele ich,  werfe alles in Topf und Pfanne, rühre um, würze etc. – und anschließend probiere ich, ob das Ergebnis schmeckt und überlege, was ich beim nächsten Mal besser machen kann. Ich lese die Bedienungsanleitung, entwickle ein inneres Bild von dem, was zu tun ist, ich entscheide über die Vorgehensweise – dann schließe ich das Gerät an oder baue das Möbelstück auf oder was auch immer – und anschließend teste ich, ob alles funktioniert wie gewünscht. Dann bin ich zufrieden oder um eine Erfahrung reicher, aus der ich beim nächsten Kauf meine Schlüsse ziehen werde. Und fertig! Die Handlung ist „vollständig“, wenn alle Schritte durchlaufen sind.

Dass diese Abfolge für Handwerker wichtig ist, für Pflegekräfte, für alle praktischen Alltagstätigkeiten, bei denen ein Ziel verfolgt und ein Ergebnis hergestellt wird, das leuchtet vermutlich auf Anhieb ein. Ein Handwerk lerne ich selbstverständlich nicht, indem ich einem Vortrag darüber lausche, wie man´s macht. Theoretisch die Arbeitsschritte aufzählen zu können ist das eine, aber das reicht bei weitem nicht. Schwimmen lerne ich nicht durch Beschreibung von Bewegungsabläufen. Die muss ich kennen, schon klar, aber sie sind nicht der Kern, denn eigentlich geht es darum, mich praktisch über Wasser halten zu können. Kochen lerne ich nicht, indem ich ein Kochbuch lese. Die Rezepte gehören dazu, und es ist gut, sie zu kennen. Aber sie im Kopf zu haben macht mich nicht zur Köchin – ich lerne kochen, indem ich etwas tue, indem ich ausprobiere, abschmecke, auch mal ein Gericht versalze… und so auf der Basis von  selbst gemachten Erfahrungen immer kompetenter werde.

Die Orientierung unserer Unterrichtsplanung an diesen Schritten der „Vollständigen Handlung“ ist für uns ReligionslehrerInnen möglicherweise zunächst befremdlich.        Dass es beim Erlernen eines Handwerks um Kenntnisse, Planung, Ausführung und Ergebniskontrolle geht, ist leicht vorstellbar. Dass auch religiöse Kompetenz auf diese Weise entwickelt wird, ist weniger offensichtlich.  Dass auch Religion auf Tätigkeit abzielt, dass auch die Konstruktion einer Vorstellung von Welt, Mensch, Gott, gutem Leben etwas „herstellt“ (ein Weltbild, ein Menschenbild, eine Idee von Gott, Entscheidungen, praktische Konsequenzen) und auf Lebenspraxis hinausläuft, liegt nicht ganz so klar auf der Hand. Die Gegenstände, mit denen wir uns befassen, sind weniger handgreiflich als andere, und doch muss es auch in unserem Unterricht um den Umgang mit brauchbarem „Handwerkszeug“ gehen, wenn er  nachhaltig sein soll.

Dabei handelt es sich nicht um eine Reduktion, als sei die Theologie auf das zusammenzukürzen, was sich „verwerten“ lässt. Meiner Erfahrung nach geht es eher um eine notwendige Erweiterung, die einer Reduktion der Theologie auf das rein Informative, womöglich „Richtige“, jedenfalls auf „Reden über…“ entgegenwirkt.

Von mir kann ich das jedenfalls so sagen: mein eigener (auch vorher sicher nicht schlechter) Unterricht hat sich durch die Orientierung an dieser Schrittfolge noch einmal spürbar verbessert. Ich habe, seit ich mit diesem Modell arbeite, selber viel gelernt. Mir erschließt sich mehr und mehr, wie organisch der Gedankengang ist, wie viele Spielräume er eröffnet und wie die Schülerinnen und Schüler davon profitieren. Außerdem wird meine Planung entlastet, weil sich aus der Kombination  der Lernsituation mit den Schritten der vollständigen Handlung vieles von selbst ergibt, über das ich früher lange gegrübelt habe. Inzwischen verbringe ich nicht mehr viel Zeit damit, beinahe perfekte Arbeitsblätter zu erstellen (obwohl das eigentlich ein Hobby ist…), sondern entwickle vieles im gemeinsamen Tun mit der Lerngruppe, folge ihrer Dynamik und ihren Ideen, unterstütze und berate. Schließlich geht es ja darum, dass die Schülerinnen und Schüler nach ihrer Ausbildung die auftretenden „Situationen“ auch ohne meine Anleitung kompetent bewältigen können – also arbeiten wir gemeinsam darauf hin, ihnen dies zu ermöglichen. Das ist übrigens auch mein Kriterium für die Methodenauswahl – noch so ein Hobby, über das ich drei Tage am Stück bloggen könnte… aber nun reicht´s erst mal!

Es hilft sowieso nichts, davon nur zu berichten. Auch was unsere eigene religionspädagogische Kompetenz betrifft, gilt ja: wir lernen nur dazu, indem wir selber etwas tun. Also: Ich freue mich auf die „Produktionsphase“…

Schöne Grüße in die „Welt“

Marion