Hallo openreli,
also gut, ich versuch´s mal. Inzwischen hab ich genug Kommentare, Twitterbeiträge usw. gelesen, um so ungefähr ein Bild davon zu haben, was vielleicht nützlich sein könnte. Mir schwebt vor,
- Euch exemplarisch von unserem Unterrichts-Gedankengang in einer Klasse zu erzählen,
- meine Vorüberlegungen, konzeptionelle Kommentare und Reflexionen einzustreuen
- auch in Auseinandersetzung mit dem, was mir hier an Kriterien, Beispielen und Entwürfen begegnet
- und Beispiele für hilfreiche Materialien an passender Stelle einzufügen
- sowie ggf. auf Eure Kommentare, Rückfragen, Kritik zu reagieren. Ich hoffe, Ihr gebt mir Anlässe dazu 😉
Ich hab die Klasse heute gefragt, ob ich (in aller Vorsicht) über unseren Unterricht bloggen darf ;-). Ich darf. Unterdessen lerne ich vermutlich, wie das mit Dateien, Fotos etc. geht. Also los…
Zunächst das Nötigste zur Klasse: Ich erzähle aus einer Altenpflege-Mittelstufe, die ich im ersten Ausbildungsjahr nach drei Wochen abgeben musste und nun für 2 Jahre wieder übernommen habe. Der Unterricht ist geblockt, d. h. wenn die Klasse im Haus ist, haben wir 4 Wochenstunden (rechnerisch 1 Doppelstunde) , dann aber wochenlang wieder gar keinen Unterricht. Bitte nicht gleich aussteigen – was ich hier “erzählen” werde, ging letztes Jahr vergleichbar auch in rechnerisch nur einer Wochenstunde, mit der Hälfte an “Outcome”, aber nach den gleichen Prinzipien. Die Gruppe besteht aus 31 Personen im Alter zwischen 18 und 50+ Jahren, ist religiös und konfessionell bunt gemischt und bringt vielfältige Vorerfahrungen, frühere Ausbildungen, familiäre Kontexte etc. mit … aber das kennt Ihr ja vermutlich auch, sofern Ihr an einer BBS/am Berufskolleg eingesetzt seid.
Am Dienstag hatten wir die (neu-)konstituierende Stunde (eine Einzelstunde, donnerstags haben wir einen Dreistundenblock, was ich als ungewohnten Luxus empfinde). Vorsichtig formuliert war der Empfang wenig überschwänglich, die Klasse hatte im ersten Jahr Unterricht unter verschäften Bedingungen erlebt (eine Einzelstunde je Woche an ausfallfreundlichen Tagen – da kann man kaum sinnvoll arbeiten, aber wem sag ich´s…) und brachte mir entsprechende Skepsis entgegen. Das Gefühl von “4 Stunden Reli pro Woche- was für ein Luxus!” war also recht einseitig ;-).
Wir haben uns deshalb verhältnismäßig viel Zeit genommen, um vor allen Ausbildungsinhalten miteinander zu klären, was denn – Hilbert Meyer hin oder her – für die Schülerinnen und Schüler eigentlich “guter Unterricht” ist. Also ein Einstieg auf der Metaebene: Welche Bedingungen helfen uns beim Lernen, wie sollte Unterricht arrangiert sein, was erwarten, wünschen, fürchten wir, wie wünschen wir uns die Person der Lehrerin und unsere Beziehung zu ihr?
Methodisch sind wir zwei Schritte gegangen:
Nach einer ersten Kennenlernrunde haben wir für einen Rückblick auf das erste Jahr zunächst mit einem Material der Firma Metalog (kann man googeln) gearbeitet: “Moderationsbälle”. Das sind handliche bunte Schaumgummiteile mit Symbolcharakter, mit denen man alle möglichen Einstiegs- und Reflexionssituationen gestalten kann. Ich finde sie auch deshalb toll, weil man sie werfen kann, ohne dass jemand verletzt wird – so funktionieren sie wie “Sprechsteine für Erwachsene”. Praktisch ging das so: Eine Freiwillige zieht einen Moderationsball auch einem Beutel – ich verlese den passenden Impuls – die Freiwillige äußert sich zuerst dazu, dann darf jeder, der will – der Ball wird zugeworfen, und wer ihn hat, hat das Wort. Unsere Beispiele: Der Schlüssel für “Eine Schlüsselerkenntnis war…”, das Herz für “Das habe ich erlebt/gefühlt…”, die Glühbirne für “Welcher Geistesblitz war wichtig?” – und dann der Eisbrecher für diese Gruppe: Der Schraubenschlüssel für “Welches Handwerkszeug möchte ich mitnehmen?” es gibt noch etliche andere Bälle, aber der hier hat uns zum Kern gebracht, und danach waren wir heftig im Gespräch über “Was bringt Religion an der BBS/ in der Altenpflegeausbildung?”. Wunderbar… wenn auch immer noch verhaltener, als ich es gewöhnt bin.
Am Donnerstag haben die Schülerinnen und Schüler in Gruppen Plakate unter der Überschrift “Guter Unterricht” vervollständigt. Diese Phase haben einzelne Gruppen bereits genutzt, um mir etwas konkreter ihre Einstellung zum Reliunterricht zu erläutern. Die Ergebnisse haben wir anschließend verglichen, erklärt, mündlich mit Beispielen angereichert usw. und so nach und nach einen Klassen-Konsens hergestellt. Für mich war das gleichzeitig eine Gelegenheit, eine Unzahl an Fragen zu meinem “Stil” zu beantworten (O-Ton am Dienstag: “Was haben Sie denn für Unterrichtslaster?” – gemeint waren die typischen Lieblings-Methoden…) und viele kleine Verabredungen auszuhandeln.
Falls jemand mal gucken will (und falls ich es technisch gebacken kriege) hier unsere Plakate … nö, klappt nicht, da hab ich jetzt keine Geduld für – schade!!!Ha, jetzt doch… am Ende dieses Beitrags solltet Ihr das anklicken können, und es öffnet sich ein Dokument. Hoffentlich. Die Bilder an sich wollten nicht eingefügt werden.
Also, für alle Fälle: Das stand drauf:
Guter Unterricht…
- ist informativ
- ist gut strukturiert
- ist verständlich
- macht Spaß
- ist abwechslungsreich – aber ohne Rollenspiele, ohne Plakate, ohne Einzelreferate, mit wenig Gruppenarbeit
- bedeutet faire Benotung
- ist von respektvollem, angemessenem Umgang miteinander sowie Meinungsfreiheit geprägt
- bezieht alle mit ein
- lebt von passendem Zeitmanagement (keine überlangen Präsentationsphasen, genug Zeit zum Verstehen und zur Reflexion, Klarheit bei Abgabeterminen)
Ausdrücklich gewünscht werden…
- Gelegenheit zu selbstständigem Arbeiten
- Möglichkeit der Mediennutzung im Unterricht
- vielfältige, auch kreative Arbeitsanregungen
- Aufgaben mit Ausbildungs- bzw. Praxisbezug, wenn möglich mit praktisch einsetzbaren Handlungsprodukten
- Wahl von Präsentationsmöglichkeiten
- gemeinsame Feiern
- Exkursionen
Die Gesprächsschwerpunkte und Verabredungen:
Zur Aufgabenkultur: Hier haben wir die Wünsche aus der Klasse eher noch erweitert. Es wird vielfältige Aufgabenstellungen und Angebote geben, aber immer auch den “Joker” (“Stellen Sie sich selbst eine Aufgabe”). Wir entscheiden gemeinsam, welche Aufgaben alle aus der Gruppe lösen sollten und wo Spezialisierungen möglich sind. Der Arbeitsplan wird gemeinsam entwickelt. Berufsbezug ist selbstverständlich, es darf aber auch um eigene Fragestellungen gehen. Hauptsache (O-Ton): “Echte Probleme, realistische Situationen” – keine künstlich konstruierten Beispiele, sondern entweder wirklich erlebte Situationen oder solche, in die wir vermutlich tatsächlich kommen werden. Die Klasse ist außerdem bereit, auch schrägere Ideen, Methoden und Vorgehensweisen zu erproben und mir dazu Rückmeldungen zu geben. Blog inklusive.
Zu den Sozialformen: Auch hier wird in aller Regel eine freie Wahl möglich sein – wenn die Aufgabe nicht aus sich heraus Kooperation erfordert, ist Einzelarbeit okay, Partner- und Gruppenarbeit ebenfalls. Plenumsphasen wird es geben, wenn sie passen, aber nicht als Regelfall. Wichtig sind uns Phasen wechselseitigen Lehrens und Lernens (sie ersetzen oft die üblichen “Präsentationen” und Referate).
Zu den Noten: Die Klasse lässt sich auf mein pädagogisches “Experiment des Jahres” ein und erprobt mit mir statt der klassischen Noten ein Punktesystem. Dies bietet viele Vorteile (wie mir die Schülerinnen übrigens von sich aus erläutert haben, ohne dass ich großartig werben musste) und erweitert die kreativen Möglichkeiten enorm. Dazu blogge ich sicher später mehr, aber besser erst, wenn ich die Anschauungsmaterialien für diese Gruppe fertig habe 😉
Zur Stimmung/Umgang/Beziehungen: Da war ich verblüfft – hinter dem häufig genannten “Respekt!!!” verbarg sich weniger der Wunsch, respektiert zu werden, als der dringende Wunsch, es mit einer “Respektsperson” zu tun zu haben. Aaaah ja… ??? Das Bedürfnis dahinter hat mir dann völlig eingeleuchtet: Man erwartet von mir, einen Rahmen für konzentrierte Arbeit schaffen und aufrechterhalten zu können – vor allem aber authentisches Auftreten: keine unechte Strenge, aber auch kein unechter Humor, keine künstlichen Versuche, mich beliebt zu machen (oder unbeliebt), kein Versuch, die Tagesform zu verbergen oder sonst irgendwie eine Rolle zu spielen. Überblick, Fairness, Klarheit. Viel Verständnis, aber nicht “weichgespült”. Dazu möglichst ein Gefühl dafür, wann strukturierendes Eingreifen passend ist und wann Freiraum für eigene Wege gelassen werden sollte (möglichst oft, aber nicht so, dass man sich verliert).
Zur Metakognition: Das alles werden wir erproben und regelmäßig miteinander abgleichen, was wirkt, was nicht wirkt und was unerwünschte Wirkungen hat – ob das mit den Punkten funktioniert – welches Maß an Struktur für uns passt – wer wem mit welchem Verhalten auf den Keks geht etc. pp. Und wir werden darüber sprechen (Wunsch aus der Gruppe, ich schwöre!), wer welche Bedingungen zum Lernen braucht, wer sich selber was vornimmt, welche Lernwege und Aufgaben zu wem passen, wer welches Expertenwissen oder welche Kontakte zu Experten einbringen kann und wer welche gezielte Unterstützung benötigt.
Insgesamt hat es drei Unterrichtsstunden gekostet, diesen Punkt zu erreichen. Die Stimmung hat sich im Lauf des Gespräches nach meiner Wahrnehmung völlig gedreht, die Beteiligung ist sprunghaft angestiegen, der Grad der Konkretheit hat zugenommen. Und aufwändig war das nicht: Es hat vier Impulse auf der Symbolebene gekostet (die Moderationsbälle, die man auch durch Bilder oder sonstwas ersetzen könnte) und fünf vorstrukturierte Plakate (die ich nachher bestimmt noch als Foto eingebaut kriege…) – die zu malen war eigentlich die einzige echte “Vorbereitung”. In der Stunde hab ich nur moderiert und Fragen beantwortet – das war überhaupt nicht anstrengend, sondern sehr anregend.
“Kompetenzorientiert” – ja, klar: Sich selber überlegen, was am Ende herauskommen soll, was wir können wollen und wie wir da am besten hinkommen ist ja quasi Kompetenzorientierung in Reinkultur… Solche Phasen auf der Metaebene sind mir sehr wichtig, in vieler Hinsicht.
Ich erzähle das alles so ausführlich, weil ich gedanklich immer noch an der Aufgabe hänge, das Drübecker Modell “einzuschätzen” und Hilbert Meyers Kriterien zu bedenken. Manches deckt sich mit dem, was meine Schülerinnen sich für “guten Unterricht” wünschen, zumindest als Ausschlusskriterien: Wenn der Lehrer wirres Zeug redet, die Hälfte der Stunde für Organisatorisches draufgeht oder gleich ganz im Chaos versinkt, kann das kein “guter Unterricht” sein. An einigen Stellen sind die Schülerinnen meiner Ansicht nach aber einen Schritt weiter (und damit zu meiner großen Freude näher an meinem eigenen Konzept als an den Kriterien, die mir zur Einschätzung aufgetragen sind…). Ich persönlich glaube, dass der Unterschied, dieser eine Schritt weiter, den Knackpunkt ausmacht, an dem sich entscheidet: Ist Kompetenzorientierung ein weiterer Anspruch, den ich zu den 10 Kriterien hier und 12 Kriterien dort nun auch noch zusätzlich erfüllen soll – oder kann die neue Orientierung mich und die Lerngruppen entlasten und die Dinge in einen natürlichen Fluss bringen.
Aber dazu später mehr, ich will jetzt noch was anderes arbeiten…
Für alle, die auch solche Plakate wollen: Hier die Vorlage zum Abzeichnen. Schrift und Rahmen leben davon, dass man gar nicht erst versucht, das gerade und ordentlich hinzukriegen – locker aus dem Handgelenk reicht völlig. Die Farbe (mit 2 Grundfarben + Akzentfarbe für jeden Buchstaben) hält dann alles zusammen… Viel Spaß!
… ach ja: Hier noch ein erstes Muster einer Aufgabe, die die Klasse als “ganz nett” in Erinnerung hatte – wenn nicht die 31 Präsentationen gewesen wären (das kann man alles auch in 45 Minuten “Ausstellung” zur Kenntnis nehmen, und sogar noch andere Klassen dazu einladen, damit es Sinn macht!). So sahen meine Arbeitsblätter vor ca. 2 Jahren aus. Später mehr…
Lernsituation B 1 Herrn Schulzes Schatzkiste