Buch des Monats Juli 2013: Reformer im Islam

Rz-Amirpur-Islam-neuKatajun Amirpur: Den Islam neu denken. 
Der Dschihad für Demokratie, Freiheit und Frauenrechte
Beck`sche Reihe: bsr 6075. München: C.H. Beck 2013. 256 S. Abb.
— ISBN 978-3-406-64445-0

Ausführliche Besprechung: hier

Die Autorin, inzwischen Professorin für Islamische Studien in der Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg, hat sich schon längst einen Namen gemacht, nicht nur als Journalistin zum Thema Islam, sondern auch als kompetente Islamwissenschaftlerin. So nimmt man mit Spannung ihre neue Publikation zur Hand, weil schon der Titel ahnen lässt, dass es hier um ein dem Islam gemäßes und zugleich modernes Verständnis dieser oft diskreditierten Religion geht. Das Vorurteil eines nicht der Moderne fähigen und unaufgeklärten Islams möchte Katajun Amirpur nicht nur allgemein begegnen, sondern dies auch konkret an ReformerInnen des Islams nachweisen.

Für ihre beeindruckende Vorstellung  islamischer Neudenker  hat die Autorin aus der großen und allgemein wenig beachteten Vielzahl von Reformern die folgenden ausgewählt: Nasr Hamid Abu Zaid, Fazlur Rahman, Amina Wadud, Asma Barlas, Abdolkarim Soroush und Mohammed Mojtahed Shabestari.

Bilanz
Die hier zusammen gestellte Auswahl progressiver islamischer Denkerinnen und Denker bestätigt, dass es „den Islam“ nicht gibt, sondern auch innerislamisch intensiv um ein angemessenes heutiges Verständnis des Korans und islamischer Lebensgestaltung gerungen wird. Gerade angesichts der vielen Vorurteile gegenüber der geistigen Unbeweglichkeit des Islam ist dieses Buch eine notwendige Klarstellung. Auch weil es gut recherchiert und übersichtlich zu lesen ist, wäre zu wünschen, dass diese hier vorgestellten Muslime einer breiten Öffentlichkeit bewusst werden.

Dieses Buch gibt damit wertvolle Impulse, die Reformgedanken muslimischer Theologen gesellschaftlich und praktisch umzusetzen.

Reinhard Kirste

 Rz-Amirpur-Islam-neu, 30.06.12   

Kompetenzentwicklung für interkulturelles und interreligiöses Lernen

Rz-BernlochnerMax Bernlocher: Interkulturell-interreligiöse Kompetenz. Positionen und Perspektiven interreligiösen Lernens im Blick auf den Islam.
Beiträge zur Komparativen Theologie Band 13.
Paderborn: Schöningh 2013, 390 S., Personenregister
— ISBN  978-3-506-77665-5 — (zugl. Diss. München 2012)

Ausführliche Beschreibung: hier

Der Autor Max Bernlochner ist Politikwissenschaftler und seit 2011 Leiter des Referats für interkulturelle Angelegenheiten im Ministerium für Integration des Landes Baden-Württemberg. Er ist in der katholischen Theologie beheimatet. Darüber hinaus hat er sich seit vielen Jahren engagiert um den christlich-islamischen Dialog gekümmert.

Dass der Autor angesichts der Problematik interkulturllen und interreligiösen Lernens unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen Deutschlands in einem recht unübersichtlichen Feld unterwegs ist, hängt bereits mit den schwierigen Grundbegriffen von Kultur und Religion zusammen, zumal interkulturelle und interreligiöse Begegnung immer ineinanderwirken. Gemeinsame ethische Orientierung als Basismöglichkeit in Christentum und Islam, Übereinstimmungen von christlicher und islamischer Theologie im Schöpfungsverständnis, Wirkebenen des barmherzigen Gottes, Verantwortlichkeit in der Gegenwart als Heilsvoraussetzung sind ihm darum wichtig.  So tauchen Grundrisse einer interreligiösen Ethik auf, die gegenseitige Stärken und Fehleinschätzungen moralischer Art offenlegen und zu gemeinsamen Engagement herausfordern, besonders im Blick auf Hilfsbedürftige und den Schutz der Umwelt.

Insgesamt gelingt es Bernlochner mit diesem umfassenden Ansatz religionsdidaktischer sowie schul- und ausbildungsorganisatorischer Konkretionen, ein (Schul-)Modell interkulturell-interreligiöser Kompetenz zu entwickeln und dies religionspädagogisch als zwingend einzufordern und mit Hilfe einer kooperativen Fächergruppe für ein gemeinsames Lernen zu präzisieren. Studierende, Lehrende und Schüler behält er dabei gleichermaßen religionsdialogisch im Blick und belegt dies immer wieder durch praktische Beispiele. Mit seinen Analysen und präziserenden Zielvorgaben eröffnet er Wege, eine interreligiöse Religionspädagogik weiter zu entwickeln.

Reinhard Kirste

Rz-Bernlocher, 21.04.2013   Creative Commons-Lizenz

 

Buch des Monats März 2013: Jesus im Koran

Rz-Bauschke-JesusMartin Bauschke: Der Sohn Marias. Jesus im Koran.
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2013, 200 S., Koranstellenregister
— ISBN 978-3-650-25190-9 —

Der Religionswissenschaftler Martin Bauschke, Leiter des Berliner Büros der Stiftung „Weltethos“, hatte bereits 2001 (Böhlau-Verlag) das Buch „Jesus im Koran“ herausgebracht. Was im ersten Augenblick wie eine Neuauflage erscheint, zeigt sich sehr schnell als ein wirklich neues Buch. Bauschke hat nämlich nicht nur die theologischen Debatten seit der Erstausgabe seines Buches eingearbeitet, sondern die gesamte Struktur systematisiert und stärker religionswissenschaftlich ausgerichtet. Dem Autor kommt zugute, dass er seit vielen Jahren dieses Thema nicht nur erforscht, sondern auch einem interessierten Leser- und Hörerkreis vermittelt. Dies mag auch die Ursache sein, dass sich dieses Buch nicht nur für Fachleute, sondern für jede/n Interessierte/n gut liest. Im Anhang gibt es noch einen Fragebogen und Vergleichstabellen für Koran und Neues Testament.

Der Autor gliedert sein Buch in 14 Kapitel mit 8 (optisch besonders herausgehobenen) Exkursen, die zum einen spezielle islamische Vorstellungen und zum anderen verstärkt heterodoxe christliche Anschauungen von Jesu Wirken, Leben, Sterben und Auferstehen zur Sprache bringen. Er führt hier letztlich eine 1400jährige, keineswegs unproblematische Dialoggeschichte fort, die mit dem Koran begonnen hat. 

Das Fazit formuliert Bauschke so: „Der Koran widerspricht jeder gleichsam ‚göttlichen‘ Christologie. Jesus ist … ein sterbliches Geschöpf … Das Messiasbekenntnis des Korans stellt … eine theozentrische Re-Interpretation der Gestalt Jesu angesichts der vielfältigen, auch noch zur Zeit Muhammads miteinander konkurrierenden christlichen Christologien dar.“ (S. 160f.161). „Man kann das theozentrische Jesus-Zeugnis des Korans auch eine zeichenhafte Messianologie nennen“ (S. 164). 

Diese grundlegende Arbeit ist auch als Basis für den christlich-islamischen Dialog wichtig, denn: „Im heutigen multikulturellen Kontext ist kein Christsein mehr möglich – es sei denn um den Preis fundamentalistischer Abschottung und Ignoranz – an den mitten unter Christen lebenden Muslimen vorbei“ (S. 165). So hat er hier die Basis für ein sachgerechtes Gespräch über Jesus zwischen Christen und Muslimen erheblich vertieft und auf breite religionswissenschaftliche und hermeneutische Grundlagen gestellt. Dies macht das Buch für Christen und Muslime gleichermaßen wichtig und interreligiös grundlegend. 

                                                                                                                                                     Reinhard Kirste

Buch des Monats Februar 2013: Islam ist Barmherzigkeit

Rz-Khorchide-islamMouhanad Khorchide: Islam ist Barmherzigkeit.
Grundzüge einer modernen Religion.

Freiburg u.a.: Herder 2012, 220 S. — ISBN 978-3451305726 —

Ausführliche Rezension: hier

 

Der Autor, Professor für Islamische Religionspädagogik und Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Münster, versucht mit diesem Buch, einen positiven Akzent in die oft von Vorurteilen und Verdächtigungen geprägte Islam-Debatte zu bringen.
So  unterscheidet der Theologe sehr genau, was viele Muslime als Glaubenspraxis verinnerlicht haben und was der Koran wirklich intendiert.

Zum einen ist der Koran unter bestimmten zeitlichen Bedingungen entstanden, die man nicht einfach negieren kann. Zum Andern muss heute Auslegung den jeweiligen Kontext berücksichtigen. Zum Dritten muss nach dem hermeneutischen Leitmotiv für die Koran-Interpretation gefragt werden. Sorgsame Exegese belegt, dass dies offensichtlich die Barmherzigkeit ist. Positiv formuliert heißt das, dass der Islam eine Religion ist, die den Menschen nicht in ein enges Regel-Joch spannt, sondern ihn befreit, als vor und für Gott Verantwortlicher in dieser Welt zu leben.

Angesichts der immer noch gängigen dogmatisch engen Auslegung des Korans wagt Khorchide den Durchbruch zu einer menschenfreundlichen Koran-Hermeneutik. Dies ist ein ermutigendes Hoffnungszeichen im oft polemisch belasteten christlich-islamischen Dialog. Dieses Buch empfiehlt sich darum nicht nur für alle am Dialog Interessierten, sondern auch gerade den Islamkritikern als nicht zu negierende Diskussionsbasis.

Vgl. das vom Autor herauagegebene islamische Religionsbuch für die Grundschule: Miteinander 1/2

Reinhard Kirste
Rz-Khorchide-Islam, 31.01.13

Creative Commons-Lizenz

 

Islam-Orientierung für Jugendliche und Erwachsene – ohne Vorurteile

Lamya Kaddor / Rabeya Müller (Illustrationen: Alexandra Klobouk):
Der Islam. Für Kinder und Erwachsene.
München: C.H. Beck 2012. 175 S., Abb.,
Anhang mit Literaturhinweisen, Register und Verzeichnis der Koranstellen
— ISBN 978-3-406-64016-2 —

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Kurzrezension
Der Islam ist ein Dauerthema in Deutschland. Oft werden jedoch Halbwissen und Vorurteile zu einer polemischen Brisanz gemischt, der argumentativ schwer beizukommen ist. Die beiden Autorinnen bemühen sich seit Jahren kompetent, dem ein unverstelltes, ehrliches Bild vom Islam entgegenzusetzen.

Die Autorinnen repräsentieren nicht den Islam, sondern ihre Sicht auf ihre Religion. Diese ist von einem dialogoffenen Glaubeb geprägt. Sie belegen dies mit der aktualisierenden Interpretation vieler Koranzitate und scheuen auch nicht die bristanten Themen wieStellung der Frau im Islam, Ehrenmord, islamischer Fundamentalismus ehr Terrrorismus. So scheint ein Verständnis des Islam auf, der nicht die großen Schlagzeilen bringt, aber dafür dem interkulturellen Verständnis dient. Hinzu kommt, dass das Buch in einer leicht zugänglichen Sprache geschrieben ist. Allerdings dürfte es vom Duktus und Stil her weniger für Kinder als vielmehr für Jugendliche und natürlich Erwachsene geeignet sein. Als Sachbuch hält es zum einen wissenschaftlichen Kriterien stand und zum andern ist es eine Lektüre, die nicht langweilt. 

Reinhard Kirste

 Rz-Kaddor-Müller-Islam, 14.09.12

Innerislamische Kontroversen um Koexistenz und Gewalt

Zusammenfassende Rezension   
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Tilman Seidensticker (Hg.): Zeitgenössische islamische Positionen zu Koexistenz und Gewalt.
Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2011; VIII, 184 S., Index der modernen muslimischen Denker
ISBN 978-3-447-06534-4

Das Wort „Islam“ verbindet sich für viele mit „Gewalt“. Sich auf den Islam berufende Terroristen rechtfertigen ihr Tun damit, dass sie behaupten, diese Gewalttätigkeiten seien von der islamischen Tradition her gerechtfertigt. Allerdings richtet sich die Gewalt nicht nur gegen „Ungläubige“, sondern vielfach auch gegen Muslime selbst. Nun gibt es durchaus Gewalt befürwortende und Gewalt ablehnende Richtungen innerhalb der islamischen Welt. Der Jenaer Arabist und Islamwissenschaftler Tilman Seidensticker hat nun mit einer Reihe von Fachleuten (überwiegend der jüngeren Wissenschaftler-Generation) diese „Islamischen Kontroversen über Berechtigung von Gewalt“ genauer untersucht.

Zehn Jahre nach den Anschlägen vom 11. September in den USA und am Beginn des „arabischen Frühlings“ stellt sich die Frage nach der möglichen Zwangsmentalität einer Religion besonders intensiv. Es lässt sich ja kaum vorhersagen, welche Entwicklungen in der islamischen Welt insgesamt dominieren werden. Die dogmatisch auftretenden Fundamentalisten fordern eine Rückkehr zu den Regeln und Statuten der Urgemeinde, wohlgemerkt, wie sie diese verstehen. Die Konsequenz ist oft genug, dass sie ihr Verständnis auf konfliktreiche Art und gegen alles „Westliche“ in die Gegenwart zu übertragen versuchen. Andersdenkende werden als Häretiker oder Ungläubige diffamiert. Aber das ist nur die eine Seite, wenn man einmal genauer die innerislamischen Kontroversen betrachtet.
Es geht grundsätzlich um die Spannung zwischen Toleranz und Gewalt, zwischen Verteidigung von islamischen Errungenschaften und Kampfansage an die Ungläubigen, die in den unterschiedlichen Auslegungen von djihadzum Ausdruck kommen, nämlich (Mariella Ourghi, Freiburg). Das Absolutheitsdenken scheint in diesem Zusammenhang eine wesentliche Positionsverschärfung mitzubringen: Monopolanspruch auf das Paradies (so Johanna Pink, Berlin). Dagegen stehen flexiblere und Dialog offene Haltungen wie die von Said Nursi (1876 [?]–1960, kurdischer Herkunft, Türkei) und Mahmud Taha (1909 /1911–1985, Sudan), bis hin zur sog. Mardin-Intiative muslimischer Intellektueller von 2010. Die Djihad-Doktrin zwischen gewaltsamem Vorgehen gegen Ungläubige und Verteidigung des (wahren) Glaubens braucht also eine dringende Neubesinnung, um den Terrorismus gegen sog. falsche Muslime und „westliche Ungläubige“ auszubremsen. Hermeneutischen Monopolansprüchen bei der aktualisierenden Auslegung der Prophetentradition, der Hadithe, muss darum ein Riegel vorgeschoben werden. Selbst innerhalb des islamistischen Spektrums gibt es inzwischen eine wachsende Ablehnungsfront gegen extreme, sich auf den Koran und die Prophetentradition berufende Gewaltbereitschaft (Rotraud Wielandt, Bamberg). Die Frage bleibt allerdings, ob es eine neue Hermeneutik gegen islamistische Gewalt aus der derzeitigen religiösen Gemengelage heraus geben wird. Die extreme Spannbreite der Djihad-Verständnisse zwischen rückwärts gewandter Veränderung und liberaler Reform hat bekannte Namen an den jeweiligen „Eckpunkten“. Sie reichen von al-Maududi über Sayyid Qutb bis zu Fazlur Rahman und Mahmoud Taha.
Dieser Sammelband gibt differenzierende Einführungen in zeitgenössische Kontroversen zum Thema „Gewalt“. Er ist für alle empfehlenswert, die als aufmerksame Zeitgenossen die innerislamisch-theologischen, islamistischen und gesellschaftspolitischen Bewegungen besser verstehen wollen. Da das Spektrum dieser Debatte noch wesentlich größer ist, als in dieser Zusammenstellung angezeigt werden konnte, wäre sicher ein Fortsetzungsband sinnvoll.
Reinhard Kirste

Jesus und Mohammed – Bibel und Koran – Vergleiche


Joachim Gnilka: Wer waren Jesus und Muhammad?
Ihr Leben im Vergleich.
Freiburg u.a.: Herder 2011, 330 S., mehrere Register
ISBN 978-3-451-34118-2

Der bekannte Münchner Neutestamentler Joachim Gnilka hat im Rahmen seiner bibelwissenschaftlichen Forschungen mehrfach schon den Blick über den eigenen Bereich hinaus getan. Das Buch „Bibel und Koran“ hat inzwischen die 7. Auflage seit 2004 erreicht (Rezension, s.u.). Sein neuestes Buch beschäftigt sich vergleichend mit den beiden monotheistischen „Religionsstiftern“. Jesus und Mohammed (Muhammad). Ähnlichkeiten und Differenzen werden sorgsam aufgelistet und kommentiert. Dabei berücksichtigt der Autor auch die jüngsten Entwicklungen in der Mohammed-Forschung mit all ihren Aufgeregtheiten. Die Idee dieser Art des Vergleichs kam dem Forscher aus dem antiken Vorbild der Parallelbiografie, für die Plutarch in besonderer Weise steht.
Exegetisch hält sich Gnilka im Blick auf die Jesus-Forschung an die Orientierungsmarken, die die neutestamentliche Forschung seit Albert Schweitzer und Rudolf Bultmann gesetzt hat. Ernst Käsemann hätte hier vielleicht noch mit einbezogen werden können. Es gilt nämlich, die historische Person Jesus aus den Evangelien „herauszuschälen“.
Auch ein literarkritischer Unterschied zu der historischen Glaubwürdigkeit der Evangelien sei in Hinsicht auf den Koran benannt: Er enthält faktisch kein historisch nutzbar zu machendes Material über Mohammed. Die späteren Traditionen über den Propheten sind natürlich legendarisch überwuchert. Dies führt Gnilka dazu, nicht im Nebel historischer Vermutungen herumzusuchen, sondern eine sorgsame Abwägung der verschiedenen Positionen für eine kompetente Hinführung zur Geschichte Jesu und Mohammeds aufzubauen.
In klarer Aufgliederung wird einleitend die nicht sehr üppige Quellenlage analysiert, die bei Jesus etwas besser, aber für Mohammed nicht viele präzise historische Anhalte liefert. Eine erste differenzierende Typik der beiden „Religionsstifter“ bildet den Abschluss der Einleitung.
In Kapitel 1 werden in Abschnitt I die Positionen in der Jesus-Forschung dargestellt und kurz auf das Wesentliche ihrer Forschungsergebnisse und bewertenden Aussagen zugeschnitten: Albert Schweitzer, Rudolf Bultmann, John Dominic Crossan und Rainer Riesner. Dann folgen Einschätzungen stärker wirkungsgeschichtlicher Art bei so unterschiedlichen Theologen wie Joseph Ratzinger, Romano Guardini, Gerd Theißen, Annette Merz, Hubert Frankemölle, James D.G. Dunn und Wolfgang Stegemann.
Vergleichbar verfährt Gnilka im Abschnitt II zur Mohammed-Forschung. Er stellt wesentliche Positionen exemplarisch dar: Die sorgsame Differenzierung bei Hartmut Bobzin zwischen Historie und Legende, der klassische Anschub zur Mohammed-Forschung von Tor Andrae, die Herausarbeitung des Konflikts mit den Juden bei Marco Schöller und Gregor Schoelers Versuch, historischen Boden zu gewinnen. Dagegen steht bei Hans Jansen wegen der legendarischen Biografie von Ibn Ishaq die Historizität Mohammeds in Frage. In diese historisch-biografischen Zurückweisungen mit späteren Verklammerungen stimmt Martin Lings mit Mohammed als Romanfigur verschärfend ein. Patricia Crone konstruiert den Islam als politisch motivierte Religion aufgrund der wirtschaftspolitischen Zusammenhänge in Mekka, Edouard-Marie Gallez baut eine judenchristliche Linie zu Mohammed als Propheten des Messias auf. Mit dem offensichtlich bei einigen (christlichen) Forschern recht beliebten Bezug auf syrisch-aramäische Sprachverwandtschaften versuchen Christoph Luxenberg und Karl-Heinz Ohlig durch eine Art „Verchristlichung“ die eigenständigen Religionsgründung Mohammeds faktisch abzuwerten. Tilmann Nagel bezieht sich mit seiner Kritik auf einen kämpferischen sich abgrenzenden Mohammed, dessen Historizität nicht zu bezweifeln ist.
Das Kapitel 2 ist aufgrund dieser Vorarbeiten einem ausführlichen Vergleich gewidmet, in dem die biografischen, politischen und literarischen Besonderheiten vorgestellt werden. Es sei darum hier aus dem Inhaltsverzeichnis eine Gegenüberstellung Jesus mit 11 Schwerpunkten und bei Mohammed mit 10 Gesichtspunkten vorgenommen:

        Jesus                                                                    Mohammed

1.    Die Wurzeln in Nazareth (S. 180ff)                  3.  Die Berufung Mohammeds (S. 256ff)
2.    Johannes der Täufer und Jesus (S. 186ff)
3.    Die Armen und die Jüngerschaft (S. 194ff)
4.    Die Reich-Gottes-Verkündigung (S. 203ff)       4.  Ankündigung des nahen Endes (S. 259ff)
                                                                           5.  Die Gerichtspredigt (S. 262ff)
5.    Wunder                                                                   —
6.    Ethik (S. 214ff)                                             8.  Der Blick auf Muhammad, bes. S. 282–288
7.    Der Konflikt (S. 219ff)                                   6.  Konflikt mit den ungläubigen Polytheisten
8.    Der Abschied (S. 225ff)                                 9.  Bei „Der Krieger“ (S. 288ff)
                                                                               nur kurzer Hinweis auf seinen Tod (S. 293)
9.    Das Ende am Kreuz (S. 230ff)                                         —
10.    Ostern (S. 235ff)                                                          —
11.    Wer war Jesus? (S. 241ff)                          10.  Die Vita Muhammads (S. 292ff)

Schon diese grobe Nebeneinanderstellung markiert, dass ein Vergleich der beiden „Religionsstifter“ erhebliche Lücken aufweisen muss. Auch haben beide eine unterschiedliche Zielrichtung gehabt. Mohammed ist der einzige Gründer einer universalen Religion, der zugleich Staatsmann war und auch Kriege führte. Dennoch fasziniert das Nebeneinanderstellen zweier unterschiedlicher „Persönlichkeitstypen“. Gnilka versucht bei der Abgrenzung der beiden nicht, den Gottessohn Jesus ins Spiel zu bringen. Das Besondere des Nazareners ist seine Identifizierung als Person mit seiner Botschaft. Jesus „ist letztlich die Mitte seiner Botschaft“ (S. 297f).
So merkt man dem Autor bei der zusammenfassenden Parallelisierung am Schluss an, dass er gerade durch diese Unterschiedenheit der Jesus- und Mohammed-Bilder eine Bereicherung im christlich-islamischen Dialog sieht. Nach der Lektüre dieses Buches dürften aufmerksame Leser/innen die Sackgassen und Chancen gegenseitigen Verstehens klarer vor Augen haben. 
In durchaus ähnlicher Weise hatte Joachim Gnilka schon Jahre zuvor einen ersten wesentlichen Schritt bei der Parallelisierung von Bibel und Koran getan:

Joachim Gnilka: Bibel und Koran. Was sie verbindet, was sie trennt.
Freiburg u.a.: Herder 2004, 216 S. Register — ISBN 3-451-28316-6
Neuauflage (= 7. Aufl.) als Herder spektrum 6218, 2010, 224 S. — ISBN 978-3-451-06218-6

                        Der christlich-islamische Dialog ist eine wichtige Voraussetzung, um Vorurteile abzubauen und Verständigung nicht nur zu ermöglichen, sondern auch zu verstärken. Inzwischen befindet sich eine Fülle von Einführungsliteratur zum Islam auf dem Buchmarkt. Das ist zwar insgesamt zu begrüßen, aber viele dieser „Einstiegsbücher“ können wichtige Themen wie die der Koran-Interpretation nur anreißen. Deshalb ist das Buch des emeritierten Professors, Joachim Gnilka (geb. 1928) für Neues Testament an der Universität München umso mehr zu begrüßen, weil hier ein renommierter Bibelwissenschaftler die Grenzen seiner eigenen Disziplin überschreitet und mit seinem methodischen Handwerkszeug einen sachlichen Umgang mit den Glaubensurkunden von Islam und Christentum aufbaut.
Ganz im Sinne seiner exegetischen Voraussetzungen beleuchtet der Autor zuerst den historischen Hintergrund von Juden und Christen in Arabien vor dem Auftreten Mohammeds, stellt dann Mohammed und Jesus gegenüber und zeigt sehr schön, durch welche „Brillen“ die jeweiligen Anhänger des einen Glaubens die „Andersgläubigen“ sehen. Das gilt übrigens bis heute, wo nicht nur Christen manches im Koran als fremd ansehen und Muslime mit bestimmten Aussagen des Neuen Testaments schwer etwas anfangen können (z.B. die Kreuzigung Jesu). Von daher ist es wichtig, dass der Autor jeweils auf die Grundverständnisse der jeweiligen Texte in ihrem (historischen) Zusammenhang eingeht, dabei die unterschiedliche Entstehung und Wertschätzung von Bibel und Koran heraushebt, um dann einige (keineswegs alle) gemeinsame theologischen Themen so zu betrachten, dass Unterschiede und Gemeinsamkeiten gerade den Reiz ausmachen, wenn die Texte der jeweiligen Glaubensbücher interpretiert werden. Schade nur, dass er auf die wichtigen Arbeiten von Karl-Josef Kuschel gerade unter trialogischen Gesichtspunkten keinerlei Bezug nimmt.
Schwerpunkte bilden in diesen religionsvergleichenden Kontexten: Schöpfer und Schöpfung, Offenbarungsverständnisse, Jesulogie und Christologie im Neuen Testament sowie im Koran, die unterschiedliche Berufung von Juden, Christen und Muslimen auf Abraham, das Menschenbild auch im Kontext der ethischen Weisungen, die Eschatologie und schließlich die heiklen Relationen von Geboten und sog. Heiligem Krieg. Bei allem jedoch bleibt Gnilka Exeget, so dass man ihm durchaus zustimmen kann, wenn er den Gewaltaspekt, der in einer Reihe von koranischen Aussagen durchzuschimmert, hermeneutisch unter die Sure 5,32 stellt, um damit klar zu machen, dass auch die islamischen Koran-Exegeten noch einen weiten Weg vor sich haben, damit Krieg im Sinne von Engagement und Kampf gegen Ungerechtigkeit und Unterentwicklung eindeutig in nicht-militärischer Richtung verstanden werden kann.
In der Verlagswerbung der Erstauflage von 2004 hatte es geheißen: „Vorurteile, Unkenntnis und Angst prägen die aktuelle politische Debatte um den Islam. Ein sachlicher Umgang der Kulturen miteinander ist drängender denn je. Joachim Gnilka leistet dazu einen unverzichtbaren Beitrag. Er analysiert Verbindendes und Trennendes in Koran und Bibel: im Menschen- und Gottesbild, bei Mohammed und Jesus, und bezieht dabei auch den historischen Hintergrund gegenseitiger Wahrnehmung mit ein.“ Diese Kurzcharakteristik bleibt auch 11 Jahre nach dem Erscheinen der 1. Auflage noch aktuell.

Die Rezension zu „Bibel und Koran“ erschien zuerst in. Reinhard Kirste / Paul Schwarzenau / Udo Tworuschka (Hg.):
Wegmarken zur Transzendenz. Interreligiöse Aspekte des Pilgerns.
Religionen im Gespräch, Bd. 8 (RIG 8). Balve: Zimmermann 2004, S. 495–496 (bearbeitet)

                                                                                                                     Reinhard Kirste

Mohammed Arkoun – für ein erneuertes Verständnis des Islam


Der im September 2010 verstorbene Islamwissenschaftler Mohamed Arkoun gehört zu den großen modernern Kritikern für eine erneuerte Islamwissenschaft auf der Basis der Vernunft. 
Die Islamwissenschaftlerin Ursula Günther hat mit ihrer Dissertation auf die Notwendigkeit der Auseinandersetzung der deutschen orienatlistik mit Arkouns Thesen aufmerksam gemacht:
Mohamed Arkoun – Ein moderner Kritiker der islamischen Vernunft.
Im Internet-Portal Babelmed (02.01.2012) beschreibt Yassin Temlali die „doppelte Kritik“ von M. Arkoun im Dienste einer erneuerten Islamologie, besonders die Tatsache, dass Arkoun eine Rehabilitation der Heterodoxien im Islam vorgenommen hat:
In Deutsch erschien:
Der Islam. Annäherung an eine Religion.
Heidelberg: Palmyra 1999
Französisches Original: Ouvertures sur l’Islam. Paris: Grancher 1989