Sekten – aus der facettenreichen Vielfalt religiöser Bewegungen

Gerald Willms: Die wunderbare Welt der Sekten.
Von Paulus bis Scientology
.
Mit einem Vorwort von Marco Frenschkowski.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012, 320 S.
— ISBN 978-3-525-56013-6.

Ausführliche Beschreibung: hier

Der Soziologe Gerald Willms unterscheidet sich in dieser Darstellung von den bekannten kirchlichen Kompendien zur Sektenproblematik. Die großkirchlich eingeleitete Frage: “Ist eine bestimmte Gruppe mit den Richtlinien der Großkirche in Übereinstimmung zu bringen, oder eben nicht?“, entfällt bei Willms. Die Frage: „Darf man – oder darf man nicht?“, wurde bis dato kirchlich erörtert. Willms hingegen sortiert nicht „gut und böse“ aus. Er lässt das Spektrum religiöser Erscheinungen einfach nebeneinander existieren. Für Willms trifft die gängige Anti-Sekten-Polemik nicht zu. Das gewohnte „Schwarz-Weiß-Denken“, fordert deshalb bei der Lektüre der wunderbaren Welt einige konzentrierte Veränderungen.
Das Buch ist im eigentlichen Sinne die endgültige Aufgabe der ehemaligen alleingültigen kirchlichen Deutungshoheit, nämlich was als „richtig“ oder „falsch“, „wahr“ und „unwahr“ einzuschätzen ist. So ist das Entscheidende: Der Autor muss nicht gegen jemanden oder gegen eine religiöse Richtung opponieren. Sogar das eigene Urteil zu Scientology hält der Autor einer angstverzerrten weltanschaulichen Opposition entgegen. Ich verstehe das als einen möglichen demokratischen Akt, der in der Religions- und Weltanschauungsfreiheit garantiert ist.
Ohne „Aus“- oder „Nicht-Ausgrenzen“ zu müssen, entspannt sich die religiöse Lage von selbst. Von selbst kann es zum heiteren Dialog werden. So lässt sich der Leser vom Autor zum eigenen entspannten Überblick von den Anfängen des Christentums bis in die Gegenwart mit einem Schuss Humor einladen.
Und man vergesse es nicht: Zur zeitlos gültigen Unbestechlichkeit gehört Humor. Gerald Willms verbindet Sachlichkeit mit dieser heiter gestimmten Gelassenheit. Sie macht das Buch so sympathisch.

Gerhard Kracht
ehemaliger Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen
der Evangelischen Kirche von Westfalen

Rz-Willms-Sekten, 08.12.12

Buch des Monats November 2012: Interkulturelle Erweiterung der „Moderne“

Hans Schelkshorn / Jameleddine Ben Abdeljelil (Hg.): Die Moderne im interkulturellen Diskurs. Perspektiven aus dem arabischen, lateinamerikanischen und europäischen Denken.
Göttingen: Velbrück Wissenschaft 2012, 250 S. — ISBN 978-3-942393-33-1

Ausführliche Besprechung: hier

Schon unter den Bedingungen des Kolonialismus entwickelten sich im 19. Jahrhundert in Lateinamerika und Asien eigenständige Debatten, „in denen die Herausforderungen der westlichen Zivilisation mit den eigenen kulturellen Traditionen vermittelt“ wurden bzw. in Verbindung gebracht werden sollten. Es ging und geht dabei immer noch darum, ob und wie sich das Denken an veränderte Bedingungen anpassen kann und muss. Diese dortigen Diskurse wurden allerdings in Europa und in Nordamerika lange Zeit kaum wahrgenommen, und Afrika trat überhaupt erst in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts ins westliche Blickfeld. Erst die verstärkte Globalisierung änderte hier sowohl Blick- wie Denkrichtung. Der sog. Arabische Frühling ist das aktuellste Zeichen über das Problemfeld „Moderne“ im Kontext von Interkulturalität und zeigt zugleich, wie notwendig ein solches Buch wie das vorliegende ist.
Weil der eurozentristische Blick kulturell weiter die Runde macht, halten die Autoren einer solch einseitigen Wahrnehmung eine Konzentrierung auf den arabischen und lateinamerikanischen Raum entgegen – Gegendiskurse, die aus der Begegnung eigenständigen indigener Weisheit und entsprechender Denktraditionen entstehen. Die aufgezwungenen (post-)kolonialen Strukturen in diesen Ländern haben die durch den „Westen“ bedrohten Kulturen in einen Überlebenskampf gezwungen. Diese Auseinandersetzung eröffnet jedoch zugleich Sehweisen, auf die die europäische Moderne reagieren muss. Dies kann nur sinnvoll auf der Ebene der Gleichwertigkeit geschehen. Im Grunde müsste in der Fortsetzung dieser Diskussion noch Asien insgesamt und das Afrika südlich der Sahara mit einbezogen werden.

Reinhard Kirste

Rz-Schelkshorn-Moderne, 31.10.12

Buch des Monats Oktober 2012: Religiöser Pluralismus als Herausforderung und Chance

Karl Gabriel / Christian Spieß / Katja Winkler (Hg.):
Modelle des religiösen Pluralismus.

Historische, religionssoziologische und religionspolitische Perspektiven, Bd. 5.
Katholizismus zwischen Religionsfreiheit und Gewalt..
Paderborn u.a.: Schöningh 2012, 364 S.
— ISBN 978-3-506-77407-1 —

Multikulturalität und Multireligiosität sind Signalwörter für die Gesellschaft der Moderne, die nicht nur von der Vielfalt der Kulturen, sondern auch von religiösem Pluralismus geprägt ist. Neben den klassischen Glaubensformulierungen der großen christlichen Kirchen, sind Bekenntnisse zu anderen Religionen teilweise in Konkurrenz getreten. 

Bei der Darstellung des hier vorliegenden Bandes werden die pluralistischen Entwicklungen und religionssoziologischen Erkenntnisse auf die Religionsgemeinschaften und ihre gesellschaftlichen Lernprozesse ausgeweitet. Dies geschieht unter historischen, soziologischen, politikwissenschaftlichen, rechtswissenschaftlichen und sozialethischen Gesichtspunkten: Es ist übrigens auch der endlich erfolgreiche Weg des Katholizismus zur Anerkennung der Religionsfreiheit auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil und daraus folgende Konsequenzen.

Herausgeber und Autoren haben angesichts fortschreitender Säkularisierung und eines wachsenden religiösen Pluralismus nicht nur die „Großwetterlage“ mit dem Handwerkszeug ihrer jeweiligen Fachdisziplin sorgsam beschrieben, sondern die Herausforderungen markiert, auf die politische Gemeinwesen aller Größenordnungen reagieren müssen. Sie haben damit Grundlegendes geleistet und zugleich eine Zukunftsorientierung für die bleibende Faktizität pluraler Gesellschaften angesprochen. 

Ausführliche Beschreibung: hier

Reinhard Kirste

Rz-Gabriel-rel-Plural, 30.09.12

 

 

Sterben und Tod – ein Handbuch mit umfassender Orientierung

Héctor Wittwer, Daniel Schäfer, Andreas Frewer (Hg.): Sterben und Tod
Geschichte – Theorie – Ethik. Ein interdisziplinäres Handbuch.
Unter Mitwirkung von Klaus Feldmann, Udo Tworuschka und Joachim Wittkowski.
Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler 2010, IX, 389 S., 3 Tabellen, Personen- und Sachregister –
ISBN 978-3-476-02230-1

Zum Kulturen und Zeiten übergreifenden Themenbereich „Sterben und Tod“ liegt hier zum ersten Mal im deutschen Sprachraum ein systematisch aufgebautes, geradezu enzyklopädisches Handbuch vor. Es ist ein wissenschaftlich umfassend aufbereitetes Werk, wie im Anhang die Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats und die in ihrem jeweiligen Fachgebiet kompetenten Autoren beweisen. Es ist jedoch noch mehr: Ein Orientierungskompendium für all jene, die sich mit den Lebensfragen und Verhaltensweisen an der Grenze zum Tod und für ein mögliches Danach intensiver befassen wollen. 

So werden zum Einen  wichtiger Schlüsselbegriffe und damit entscheidende Fragen aufgegriffen, z.B.: Wie sieht humanes Sterben aus? Wann ist ein Mensch wirklich tot? Welche Auswirkungen haben rechtliche Vorgaben gegen Ende und am Ende des Lebens? Warum gibt es Menschenopfer der unterschiedlichsten Art?

Zum Andern werden hier nicht nur die religiös-kulturellen, medizinischen, psychologischen, ethnischen Zusammenhänge sowie der rasante Fortschritt in der Medizintechnik angesprochen, sondern auch die Veränderung der Umgangsweisen mit Sterben und Tod zwischen Tabuisierung, Verdrängung aus der Öffentlichkeit und Wiederaufbrechen einer neuen Sterbe- und Friedhofskultur.

Ausführliche Rezension: hier

 

Religion und gesellschaftlicher Wandel in Großbritannien

Linda Woodhead, Rebecca Catto (eds): Religion and Change in Modern Britain.
London / New York: Routledge 2012, 424 S., Abb., zahlreiche Literaturangaben, Index —
ISBN 978-0-415-57581-2

Die Herausgeberinnen dieses umfassenden Bandes zu den religiösen Veränderungen in Großbritannien sind Expertinnen ihrer „Zunft“: Linda Woodhead arbeitet als Soziologieprofessorin an der Universität Lancaster und ist zugleich Direktorin eines Forschungsprogramm zu Religion und Gesellschaft, Rebecca Catto gehört zum Team dieses Forschungsprogramms und hat wie Linda Woodhead mehrere Veröffentlichungen zur Religionssoziologie sowohl theoretischer wie empirischer Art herausgebracht. 

Die Intentionen dieses Bandes sind, mit weiteren Fachleuten zu überprüfen, welche Auswirkungen Säkularisierung und De-Säkularisierung in der Gesellschaft des Vereinigten Königreiches nach dem 2. Weltkrieg haben.

Es zeigt sich nämlich eindeutig, dass es nicht mehr den einen traditionellen Glauben gibt, der sich auf das Christentum stützt. Vielmehr tritt eine „Wohlfahrts-Gesellschaft“ („welfare society“) in den Vordergrund, in der alles im Grunde „gleich“ zu sein scheint. Hat der Staat die Funktion der Kirchen übernommen mit einer Art Grundversorgung von der Geburt bis zum Tod? Aber genau dies scheint der „Knackpunkt“ zu sein: Indem der traditionelle (christliche) Glaube schwindet, füllen andere Religiositäten diese Lücke und bringen neue Spiritualitätsformen hervor, ohne dass der Einfluss der Kirchen völlig gegen Null geht. Gewissermaßen zwischen die Fronten geraten die „Säkularen“. Die Beurteilungen der insgesamt 38 Autor/innen fallen keineswegs eindeutig aus, zeigen z.T. aber scharf pointiert, welche unterschiedlichen Richtungen religiöse und a-religiöse Entwicklungen genommen haben.
Reinhard Kirste

Verlag der Weltreligionen – Basisprogramm für den interreligiösen Dialog

Der VERLAG DER WELTRELIGIONEN ist ein großes Projekt im Insel-Verlag (der zum Suhrkamp-Verlag gehört), um das Verständnis für andere Religionen zu verbessern und zu vertiefen. Neben Quellentexten aus anderen Religionen werden Einführungen, interreligiöse Debatten und Hintergrundstexte publiziert. Das Projekt ist folgendermaßen gegliedert:

Interreligiöser Kalender 2009 und Interreligiöser Kalender 2010
                       Rezensionen der einzelnen Titel

— ATHANASIUS von Cäsarea:
„Gegen die Heiden“/
      Über die Menschwerdung des Wortes Gottes u.a. (2008)

— Bettina BÄUMER:
    Zum Shivaismus Kaschmirs
    und eine Upanishaden-Ausgabe von 1997 (2008)
— MANUSMRTI: Manus Gesetzbuch (2010)
— Al-NAWAWI: 40 Hadithe (Traditionstexte neben dem Koran) – 2007
— Angelika NEUWIRTH: Der Koran als Text der Spätantike  (2011)
     (Rezension: Stefan Weidner in Qantara.de, 05.05.2011)
— Al-SUHRAWARDI: Philosophie der Erleuchtung (2011)

— Martin TAMCKE:

     – Im Geist des Ostens leben (2008)
     – (Hg.): Christliche Gotteslehre im Orient (2008) 

Ein-Sichten – die INTR°A-Rezensionsseite mit weiterer Adresse

Die Rezensionsseite der Interreligiösen Arbeitsstelle (INTR°A) hat eine weitere Adresse: Buchbesprechungen, Literaturhinweise, Filmkritiken usw. zu (inter-)religiösen Themen  können jetzt hier ausführlich abgerufen werden.

Rezensionsseite “Ein-Sichten” jetzt unter: http://buchvorstellungen.blogspot.de/

Alle bisherigen Eintragungen bis März 2012 sind weiter erreichbar und auch unter einer Adresse zusammengefasst,
und zwar als Archiv der Rezensionen:
http://buchvorstellungen.blogspot.de/2012/03/archiv-alterer-rezensionen.html

Das auf aktuelle religiöse Ereignisse eingehende INTR°A-Tagebuch hat ebenfalls eine
zweite Adresse: http://intra-tagebuch.blogspot.de/

Eine ausführliche Übersicht über alle veröffentlichten Materialien im Zusammenhang mit der Interreligiösen Arbeitsstelle (INTR°A) bietet die Seite: http://religiositaet.blogspot.de/

Gott im Film

Unter dem Stichwort „Der unterhaltsame Gott“ hat Michael Schramm, katholischer Systematiker und Wirtschaftsethiker von der Universität Stuttgart-Hohenheim , eine Reihe populärer Filme untersucht. Religiosität in ihren vielfältigen Abschattungen und Sinnfragen in teilweise beängstigender Aktualität taucht im Medium Film in unterschiedlicher Dichte auf. Hier werden religiöse Botschaften transportiert. Es lohnt sich, ihnen etwas genauer nachzugehen. Der Autor legt diese populären Filme gewissermaßen unter das theologische Vergrößerungsglas.

Michael Schramm:
Der unterhaltsame Gott. Theologie populärer Filme
Paderborn u.a.: Schöningh 2011
— Rezension hier —

Buch des Monats März 2012: Mission in interkultureller und prophetischer Perspektive

Hinter der renommierten Zeitschrift für Missions- und Religionswissenschaft (ZMR) steht ein internationales Missionswissenschaftliches Institut (IIMF) in Fribourg (Schweiz), das über die Jahre nicht nur die Debatte um die Mission reflexiv verfolgt hat, sondern immer wieder neue Impulse setzte. Das machen die Herausgeber nun auch mit dem Sonderband der ZMR deutlich: Vor 100 Jahren wurde das IIMF gegründet und die ZMR hat den 95. Jahrgang erreicht.

Dieser voluminöse Festschrift-Sonderband bietet eine beeindruckende Zwischenbilanz für missionarisches Handeln unter den Bedingungen der Globalisierung und Interkulturalität. Man kann die hier zum Ausdrcuk kommenden Perspektiven von Mission undDialog zu Recht eine prophetische Perspektive nennen:

Mariano Delgado / Michael Sievernich (Hg.):
Mission und Prophetie in Zeiten der Interkulturalität
Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Internationalen Instituts für missionswissenchaftliche Forschungen 1911-2011
ZMR Sonderband, 95. Jg.
St. Ottilien: EOS 2011
— Rezension hier —

Mission und Dialog – interkulturelle Orientierungen

Mariano Delgado / Michael Sievernich (Hg.): Mission und Prophetie in Zeiten der Interkulturalität. Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Internationalen Instituts für missionswissenschaftliche Forschungen 1911-2011. ZMR Sonderband, 95. Jg. 2011. St. Ottilien: EOS 2011, 507 S.,
Bibelstellenregister, Personenregister —
ISBN 978-3-8306-7510-5


Das Internationale Institut für missionswissenschaftliche Forschungen (IIMF, gegründet 1911) und die Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft (ZMR) im 95. Jahrgang haben über die Jahre ein Renommee aufgebaut und Marksteine für die Etablierung der Missionswissenschaft als eigenständige (theologische) Disziplin gesetzt. Das IIMF und die jeweiligen Herausgeber der ZMR (vgl. Redaktion ZMR: www.unifr.ch/zmr/de/redaktion) haben dabei nicht nur auf ein hohes wissenschaftliches Niveau geachtet, sondern sich auch den veränderten Herausforderungen durch Globalisierung, Interkulturalität und Multireligiosität gestellt.
Mit dieser umfangreichen Festschrift belohnen sich die dieser Einrichtung verbundenen Fundamentaltheologen, Missions- und Religionswissenschafler/innen in beobachtend-kritischem Bedenken sozusagen selbst, verbunden zugleich mit dem Internationalen Katholischen Missionswerk missio Aachen und der Jesuitenmission.
Da auch die katholischen Diözesen Deutschlands, insbesondere das Bistum Münster, in die Herausgabe einbezogen waren, gibt es natürlich auch bischöfliche Grußworte (Joachim Kardinal Meisner, Köln und Erzbischof Ludwig Schick, Bamberg).

Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Missionswissenschaft (DGMW), der evangelische Missionswissenschaftler Dieter Becker (Neuendettelsau), bringt in seinem Vorwort das interkonfessionelle Anliegen heutigen Missionsverständnisses auf den Punkt:
„Der globale Kontext erfordert eine Repositionierung theologischen Denkens, weil die lokale Präsenz des Christentums mit regionalen Kulturen, Milieus und Religionen interagiert (z.B. pfingstlich-charismatische Bewegungen, Befreiungstheologien, Unabhängige Kirchen). Missionswissenschaft als Interkulturelle Theologie reflektiert die komplexen Probleme dieser Transkulturalität des Christentums. Auch die religiöse Pluralität in Europa verlangt neue Kompetenzen bei interkulturellen Fragestellungen und bei der Reflexion des Christentums mit nichtchristlichen Religionen, Weltanschauungen und Traditionen“ (S. 21).
Nach diesen Problemanzeigen ermutigt der Fundamentaltheologe und Ehrenvorsitzender der IIMF Hans Waldenfels die Kirche, ihre Mission stärker prophetisch als glaubwürdiges Lebenszeugnis neu zu vermitteln. Im Buch geschieht das nun durch die Orientierung an vier Schwerpunkten: Menschenwürde, Dialog, Interkulturalität, Perspektiven der Missiologie.
I.  Christentum und Menschenwürde: Gleich der erste Beitrag des brasilianischen Missionswissenschaftlers Paulo Suess stellt die lange gängige, imperiale Missionspraxis in Frage und fordert dazu heraus, im Sinne Jesu die prophetischen Rufe nach Gerechtigkeit als Wesensmarkmal der Mission praktisch umzusetzen. Ebenfalls ein neues humanistisches Verständnis sieht der Mitherausgeber Michael Sievernich (Mainz) durch das Vaticanum II gegeben. Im Zeitalter der Globalisierung muss dieser humanitäre Ansatz für eine „bessere“, also „gerechte Welt“ durch die Mission vor Ort realisiert werden. Günter Riße (Vallendar) betont, wie wichtig prophetisches Auftreten in der Gegenwart ist. Er verdeutlicht dies an heutigen ProphetInnen: Charles de Foucault, Alfred Delp, Madeleine Debrêl. In die Missionsgeschichte zurück geht der Mitherausgeber Mariano Delgado (Fribourg, CH): An der berühmt gewordenen Predigt Montesinos gegen die Unterdrückung der Indígenas und dem mutigen Handeln Bartolomé de las Casas vor Staat und Kirche wird die prophetische Notwendigkeit offenkundig, sich für Unterdrückte und Ausgebeutete einzusetzen. Solches Engagement – im Sinne der Option für die Armen – ist selbst heute für die Mächtigen oft ein Ärgernis. Auch Johannes Meier (Mainz) geht den kolonialismuskritischen und  indiofreundlichen Stimmen im Rahmen der ersten Bistumsgründungen in Amerika nach.        
Peter C. Phan (Georgetown University, Washington D.C.) wendet den Blick nach Asien, hin zum „Eightfold Movement of The Asian Churches“, der ein konsequentes Dienen an der Welt und für die Welt voraussetzt, und zwar durch den Dialog mit den Armen für Befreiung und integrale Entwicklung. Motiviert durch Johann Baptist Metz weist Margit Eckholt (Osnabrück) auf den engen Zusammenhang von interkulturellem Dialog und Befreiungstheologie hin, und zwar nicht nur unter der Perspektive von „Passion und Com-Passion“, sondern auch im Blick auf feministische Impulse aus Einrichtungen, die den Basisgemeinden nahestehen. Hier lassen sich Spuren einer neuen prophetischen Theologie erkennen.            
Christoph Nebgen (Mainz) konkretisiert die missionarisch geprägten Integrierungsversuche der Jesuiten an den Ureinwohnern und den afrikanischen Sklaven am Beispiel von Neugranada in der Andenregion. Virginia R. Aczuy (Argentinien) entdeckt in den urbanen Situationen in Lateinamerika eine wachsende Spiritualität an den Rändern oder jenseits der etablierten Kirche. Diese Neuaufbrüche können für die Kirche als Bedrohung wirken, sie sind jedoch eine Chance für die Erneuerung des Christentums. Das nächste Beispiel von Marco Moerschbacher, (missio Aachen) zeichnet die „Evangelisierungsgeschichte“ des Kongo von der belgischen Kolonialzeit bis zur Unabhängigkeit nach. Es erhellt besonders die „Afrikanisierung“ der Kirche und damit die Revision bisheriger christlicher Traditionen.
II.  Religionen im Dialog: Der zweite große Abschnitt geht interkulturellen Chancen, Problemen und Veränderungen nach. Der renommierte Dialogiker Francis X. D’Sa, (Pune, Indien) setzt seine hermeneutischen Überlegungen im Sinne der faktischen Interaktion von Kulturen an, die er mit dem Wirken des Heiligen Geistes verbunden sieht. Aber nicht die Nivellierung der Kulturen und Religionen kann das Ziel sein, sondern das Herausarbeiten der jeweiligen Einzigartigkeiten z.B. im Geschichtsverständnis Europas und Indiens. Es muss gelten, dass die Verschiedenen auch verschiedene Glaubenszentren haben, der Hl. Geist also unterschiedlich wirkt.
Einen anderen wesentlichen Gesichtspunkt bringt Klaus Krämer (missio Aachen) sehr konzentriert ein: Das Engagement für Religionsfreiheit als prophetisches Zeugnis mit einem kritischen Durchgang vom Alten Testament bis zum 2. Vatikanischen Konzil. Ulrich Dehn (Hamburg) setzt sich mit interreligiösen Begegnungen – im Sinne von Friedens-„Inszenierungen“ – auseinander, und zwar bei Abaelard, Ramon Llull und Nikolaus von Kues. Aber auch die Religionsgespräche des Großmoguls Akbar und schließlich das Weltethos-Programm von Hans Küng zeugen von der Suche nach Gemeinsamkeiten. Claudia von Collani (Münster) geht den verschiedenen Formen von Religionsgesprächen nach – ähnlich wie Ulrich Dehn, um dann allerdings auf die tolerantere Situation im Fernen Osten einzugehen, die durch die religiöse Sensibilität der Ostasienmissionare mit geprägt wurde.
Ebenfalls um Asien geht es bei James H. Kroeger, (Manila). Er zeigt für die FABC (Federation of Asian Bishop’s Conferences), dass die ganzheitliche „integrale Evangelisierung“ der Kirche als entgrenzenden Schlüssel den interreligiösen Dialog braucht. Für diesen Dialog hat die FABC in Konsequenz aus dem Zweiten Vaticanum einen „Dekalog des Dialogs“ entwickelt.
Der Lateinamerika-Spezialist Stefan Silber (Diözese Würzburg) argumentiert dagegen abgrenzend in Hinsicht auf den religiösen Pluralismus im Kontext der Befreiungstheologie. Das erlaubt zwar eine Anerkennung des Pluralismus der Religionen, aber die z.B. von Paul Knitter und John Hick vertretene pluralistische Religionstheologie bietet ihm nicht genügend Anhalt für die Einbeziehung der Lebenswelt der Armen in eine Theologie der Religionen. Der Jesuit Felix Körner (Rom) sucht nach Kriterien für eine Prophetologie, um von daher das Prophetische des Islams einschätzen zu können. Religionsphänomenologisch ist der Islam zwar prophetisch, Körner aber grenzt das Prophetische auf die Ankündigung des Christusereignisses ein. Der Islam hat hier allerdings eine „Prädispositions“-Kraft.
III.  Interkulturation und Interkulturalität: Das vorletzte Kapitel lässt sich im Grunde nicht deutlich vom vorangegangenen Kapitel abgrenzen, denn Interkulturalität und Kontextualisierung haben auch immer eine interreligiöse Perspektive. Das wird an dem auf Zentralafrika fokussierten Aufsatz von Claude Ozankom, (Bonn), recht deutlich. Die christlichen Basisgemeinden haben die Impulse des Vaticanum II kreativ umgesetzt. Klaus Vellguth (Vallendar), bezieht sich auf die Südafrika- und Asien-Missionare Oswald Hirmer („Vater des Bibel-Teilens“), und Fritz Lobinger, um die aus solchen Impulsen erwachsenen kleinen christlichen Gemeinschaften in Asien mit ihrem „Gospel Sharing“ näher zu beschreiben. Der schon erwähnte Missionswissenschaftler Dieter Beckersetzt einen hermeneutischen Schwerpunkt, indem er ausführlich auf den Zusammenhang von Sprachverstehen und sachgemäßer Übertragung der Bibel in die Lebens- und Denkformen anderer Völker eingeht und den jeweils eigenständigen kulturellen Bezugsrahmen sichern möchte. Der polnische Missiologe Wojciech Kluj setzt im Grunde Beckers Überlegungen fort, und zwar bezogen auf die prophetisch-sprachintensive Dimension der biblischen Übersetzbarkeit und des liturgischen Transfers in die indigenen Sprachen.
Natürlich muss in einem solch weit ausgreifenden Werk auch China mit Matteo Ricci aktualisierend zur Sprache kommen, der sich einmal stärker buddhistisch, das andere Mal stärker konfuzianisch sowohl literarisch wie modemäßig „akkomodierte“. Das tut Gianni Criveller (Hongkong), indem er Ricci in die Nähe des Völkerapostels Paulus rückt. David Neuhold, (Fribourg, CH) stellt den Hugenotten Pierre Bayle (1647-1706) als einen an Dialog und Bildung orientierten Botschafter einer friedfertigen Mission vor. Dies zeigt Bayles literarisch fiktiv-originelle Szenerie am Kaiserhof in China. Sein Commentaire philosophique ist zugleich eine scharfe Kritik an der katholischen Missionsarbeit und der katholischen Kirche in Frankreich.
„Realgeschichtlich“ geht es wieder bei dem evangelischen Kirchenhistoriker Klaus Koschorke (München) zu, der überwiegend an afrikanischen Beispielen die Frage indigener Bischöfe thematisiert, besonders an Samuel Ajayi Crowther (1806-1891).
Für Afrika zeigt Andreas Heuser (Tansania / Basel) christliche Transformationsprozesse im Sinne einer Afrikanizität des Christentums mit interreligiösen „Kontaktzonen“ bis weit hinein in die traditionalen Religionen. Der Kapuziner Othmar Noggler (München) nimmt das Lebensrecht der chilenisch-argentinischen Mapuche-Indianer in den Fokus, besonders den „Indianeradvokaten“ Siegfried von Frauenhäusl (1868-1954). Er spricht damit auch aktuell die vorrangige „Option für die Armen“ an.
Schließlich kommt noch das frühe (östliche) Christentum im Iran bis hin zur problematischen (westlichen) Mission unter Muslimen zur Sprache. Norbert Hintersteiner(Dublin) lässt keinen Zweifel daran, dass vor dem mittelöstlichen Hintergrund ein interreligiösesMissionsverständnis unabdingbar ist.
IV.  Perspektiven der Missiologie: Beim Durchforsten der oft ausgesprochen spannenden, keineswegs nur geschichtlich einzuordnenden Beiträge, stellt sich unausweichlich die Frage: Wohin geht die Missionswissenschaft (Missiologie)? Hier finden sich folgende Orientierungsmarken: 
Notwendiges ekklesiologisches „Eintauchen“ in die anderen religiösen Welten (Franz Gmainer-Pranzl, Salzburg) / Abschied von der Kolonialmission, Mission als missio Dei im Sinne ganzheitlicher Befreiung und theologischer Neuzuordnung (Giancarlo Collet und LudgerWeckel, beide Münster) / Plädoyer für einen überzeugenden Glauben im Sinne einer missionarischen Kirche (Hildegard Wustmans, Linz) / Von der Mission zur „Neu-Evangelisierung“ von den lateinamerikanischen Wurzeln her und in der Linie des Missionsdekrets Ad Gentes von 1965 (John F. Gorski, Cochabamba, Bolivien) / Notwendige ethnologischeGrundlagenforschung für Missionare und Missiologen (Joachim G. Piepke SVD, St. Augustin) / Vom Gegeneinander der Konfessionen in den „Missionsgebieten“ zur einer Ökumene der versöhnten Verschiedenheit im Blick auf Religionsfreiheit, Weltfrieden und Menschenrechte (Eric Englert, missio, München) / Die konstruktiven Veränderungswirkungen der Kirchen Asiens im Missionsverständnis durch das Vaticanum II und die Neuerungen in der Theologie der Religionen als Aufgabe (Georg Evers, missio Aachen). Als Besonderheiten stehen am Schluss die kontroverse Debatte um das Verständnis von „Akkomodation“ aufgrund der Ausweisung von Steyler Missionaren aus der Volksrepublik China nach 1949 (Karl Josef Rivinius SVD, St. Augustin) sowie eine Würdigung des missionswissenschaftlichen Vordenkers Theodor Grentrup (1878–1967) durch Paul B. Steffen SVD (Rom).
Resümee: In diesen Beiträgen treffen wichtige und kompetente Vertreter in „Sachen Mission“ zusammen sowie sehr fortschrittliche, teilweise angefeindete Denker von der lateinamerikanischen Befreiungstheologie und engagierte Dialogiker Asiens. Dadurch entsteht ein Mosaik der Aufbrüche im Missionsverständnis mit praktischen Auswirkungen, die seit dem Vaticanum II besonders den indigenen Lebenswelten des christlichen Glaubens und interreligiöser Begegnung in Respekt und Verantwortung zueinander zugutekommen. Der Band macht zugleich deutlich, dass allerdings die Neustrukturierung des christlichen Missionsverständnisses angesichts auch religiöser Globalisierung keineswegs abgeschlossen ist.
Reinhard Kirste
Buch des Monats März 2012 der INTR°A-Bibliothek
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