Diese Wochenaufgabe werde ich vermutlich nicht in einem Rutsch lösen… aber es wird Zeit, einfach mal anzufangen.
Erster Kommentar zum Online-Modul: Herzlichen Dank! Schon die Aufmachung bietet mir Anreize, hier „dranzubleiben“ – toll, wie die Visualisierung und technische Aufbereitung einen Beitrag aufwertet. Beneidenswert, das zu können…
Zu den Aufgaben
1. Meine letzte „Sternstunde“
Eine Stunde in einer ErzieherInnenklasse zur religiösen Entwicklung im Kindesalter, kurz vor den Herbstferien (letzte Stunde vor dem Praktikum). Mein „Arbeitsplan“ sah eigentlich vor, gemeinsam zwei sehr unterschiedliche Kinderzeichnungen mit „Gottesbildern“ zu betrachten und dann theoriegeleitet die Kompetenzen
Religiöse Entwicklung begleiten – „Kinder, Jugendliche und zu betreuende Erwachsene als entscheidungs- und handlungsfähige Subjekte wahrnehmen und in ihrer Entwicklung fördern“ und „Kinder und Jugendliche dabei unterstützen, Ich-Stärke und Vertrauen zu entwickeln.“ (FSS – Lehrplan Rheinland-Pfalz, Modul 9 a)
weiterzuentwickeln.
Allerdings hatten einige Schülerinnen am Vorabend eine Dokumentation über eine religiöse Gemeinschaft (die „12 Stämme“) im Fernsehen gesehen, die die Gemüter sehr erregt hat, weil dort Kinder unter religiösen Vorwänden so misshandelt wurden, dass sie vom Jugendamt „gerettet“ werden mussten. Dies erwies sich als ausgesprochen lohnender Anschluss an die angestrebten Kompetenzen, denn im Gespräch kristallisierte sich mehrere komplexe mögliche Praxissituationen heraus:
„Es kann jedem von uns auch passieren, dass wir beruflich mit Kindern zu tun bekommen, die eine lebensfeindliche, angstmachende religiöse Sozialisation erfahren haben – wie begleiten wir solche Kinder angemessen?“
… abgelöst von „Ich möchte eigentlich selber erst mal vermeiden lernen, Kindern von mir aus versehentlich Angst zu machen, ein negatives Gottesbild zu verbreiten, durch Unkenntnis oder Ungeschick religionspädagogischen Schaden anzurichten – wie rede ich angemessen von Gott, wenn ein Kind mich fragt?“
Wir haben dann gemeinsam versucht herauszufinden, welche Fragen da denn gestellt werden könnten, an welchen Stellen es also schwierig wird – und im Lauf des Zusammentragens haben die Schülerinnen ihre eigenen Fragen auf den Tisch gebracht. Zum Teil solche, die sie „immer schon“ mit sich herumgetragen haben, zum Teil solche, die sich aus dem Gespräch ergaben – und zwar (für mich absolut spannend zu beobachten) vor allem an Stellen, wo zwei Annahmen „richtig“ zu sein schienen, die aber nicht zusammenpassten: Wenn Gott die Menschen liebt – wie kann es die Hölle geben? Wenn es die Hölle nicht gibt – wie kann es „Gerechtigkeit“ geben? Liebt Gott jeden? – was wird dann aus den Opfern, z. B. den Kindern aus der Dokumentation, hat er dazu keine Meinung? Warum greift er nicht ein – oder greift er ein, und alles ist vorherbetimmt? Wie kann er aber dann jemanden bestrafen, denn der hatte doch gar keine Wahl? Komme ich in die Hölle, weil ich nciht religiös sozialisiert bin, und wenn, was soll daran „gerecht sein“?! usw.
Theorien wurden mit höchstem Engagement aufgestellt, diskutiert, verworfen, neu kombiniert – unglaublich lebendig. Die Vielfalt in der Klasse (diverse Religionen und Untergruppen + etliche dezidiert religiös distanzierte Schülerinnen) wurde wunderbar fruchtbar gemacht. Dafür liebe ich die Gruppe sowieso – wie sie damit zurechtkommen, neugierig aufeinander sind und einander schätzen ist eine ganz große Stärke … Kurzum: Jede (mit 3 Ausnahmen) hat ihre Konstruktionen zur Debatte gestellt – die 3 hatten gute Gründe, das war völlig okay für uns alle. Und dann haben meine an „Selbststeuerung“ gewöhnten Schülerinnen von sich aus gemeinsam überlegt, wie wir denn mit diesem Wust an Fragestellungen weiterarbeiten können, zumal sich die Stunde dem Ende neigte. Zunächst haben sie dafür gesorgt, dass alle Fragen pointiert schriftlich festgehalten wurden und auch wirklich jede ihr Anliegen in der Sammlung wiederfinden konnte. Dann haben sich mich beauftragt, den Fragenkatalog auf jeden Fall noch am nächsten Tag schriftlich in die Klasse zu geben, damit nichts verloren geht. Und anschließend hat sich jede selber einen Auftrag erteilt (Wen könnte ich fragen, wo könnte ich nachlesen, wie kann ich meine Gedanken in Worte fassen, wie kann ich während des Praktikums Beobachtungen sammeln…?).
Ich hab eigentlich nur moderiert, dann und wann zusammengefasst und zugespitzt, positiv verstärkt, später mitgeschrieben und mich ansonsten sehr zurückgehalten.
Leider ist die Stimmung schwer zu beschreiben. Meine hospitierende Praktikantin fasste sie zusammen mit dem Stichwort „Zauberei!“. Die Schülerinnen haben den Gong bedauert und hätten gern so weitermachen können. Den vorbereiteten Aufsatz mit den differenzierenden Aufgabenstellungen hab ich übrigens in der Tasche behalten, dafür wird später noch Gelegenheit sein… und die Kurve zu den beruflichen Anforderungen kriegen wir auch locker wieder.
Auf den ersten Blick scheint die Stunde vielleicht eher wenig zur Förderung der angestrebten Kompetenzen beigetragen zu haben. Aber nach meinem Verständnis beginnt die Kompetenzorientierung mit der realitätsnahen, problemhaltigen, aktivierenden Lernsituation – wenn diese von den Schülerinnen selbst formuliert wird, um so besser. Und der nächste Schritt ist die „Anschlussbildung“, also die Klärung der eigenen Haltung zum Problem – und mehr „Anschluss“ als in dieser Stunde kann ich mir kaum vorstellen. Zum „Informieren“ kommen wir schon noch, denn die Frage („Wie unterstütze ich Kinder?“) geht uns auf keinen Fall verloren – wir sind gerade bei „Wie vermeide ich, ihnen „falsch“ zu antworten, wenn sich mich etwas Religiöses fragen?“. Das passt, finde ich.
Hilbert Meyers Grundstrukturen:
Demokratischer geht es eigentlich kaum, denke ich, das Gesprächsklima war völlig angemessen, meine Rolle auf Augenhöhe (oder darunter).
Die Schülerinnen haben eigene Fragen und ihr eigenes Interesse an Professionalisierung eingebracht und schon damit Verantwortung für ihren Lernprozess übernommen. Durch die individuelle Planung der nächsten Schritte wird dies ebenfalls verwirklicht.
Zusammenarbeit? In der Bereitschaft, jede Frage eines Mitschülerin intensiv mit zu bedenken – in der Bereitschaft, jede Antwort ernst zu nehmen und zu prüfen – in der Bereitschaft, eigene Positionen ins Spiel zu bringen – in zahlreichen kleinen Gesten und Ermutigungen untereinander. In meiner Haltung. Eindeutig: Ja.
Sinnstiftende Orientierung? Aber ja! In der Stunde davor hatten die Schülerinnen einander ausführlich von der je eigenen religiösen Biografie erzählt – das war der Nährboden für zahlreiche Überlegungen: „Wie war das eigentlich bei mir? wie komme ich zu meiner heutigen Überzeugung, wer/was hat mich geprägt, und was bewegt sich gerade noch einmal ganz neu?“ … und die inhaltlichen Aspekte: wie viel in meinem Leben ist vorherbestimmt? Welche Konsequenzen haben meine Entscheidungen? Wie vel Angst habe ich eigentlich, und was macht mich zuversichtlich? Wie sehe ich meine Rolle in der Weitergabe religiöser Tradition, wie sinnstiftend ist das etc. pp.
Struktur hat das Ganze eher langfristig, im großen Bogen der „vollständigen Handlung“ und in der Struktur der Ausbildung an sich, die wir mithilfe eines Referenzrahmens, eines Advance Organizers und der Portfolios bei Bedarf jederzeit vor Augen haben (können). In der Stunde selbst ging es zeitweise hoch her – aber das halten wir gut aus, und wir waren immer beim Problem. Die Kunst wird sein, in den nächsten Stunden eine Struktur in die Fülle der Fragen zu bringen – das ist primär meine Aufgabe, denke ich, zumindest will das gut moderiert und methodisch unterstützt sein.
Der Unterricht tut uns gut – ja, unbedingt! Das Feedback ist eindeutig, und mein Gefühl dabei ebenfalls.
… und jetzt soll ich noch die 10 Merkmale kommentieren, um Aufgabe 1 abschließen zu können? Liebe Leute… Könnt Ihr das irgenwie kürzer als ich, und trotzdem für Menschen verständlich, die nicht dabei waren? Respekt!
Den Drübecker Ansatz würde ich auch noch gern kommentieren, da sehe ich spannende Knackpunkte – aber das alles heute nicht mehr! Schluss für heute.
Marion, ich bin beeindruckt von deiner Schilderung. Das Gelingen der Stunde liegt sicherlich im Konzeptionellen, aber eben auch im Gespür für das was „dran“ war, in einem glücklichen Zusammentreffen von Angebot und Interesse auf Seiten der Schülerinnen, in einem guten persönlichen Zusammenspiel von Lehrkraft und SuS. Die eigene Person, Ausstrahlung, das Vertrauensverhältnis sind auch wichtig. Ich beneide dich auch um die Zielgruppe: Erzieherinnen – viele von ihnen werden in kirchlichen Kindergärten arbeiten, da ist der Bezug zur Religion schon von der Praxis her gegeben. ist bei meinen Maurern und Fliesenlegern nicht so offensichtlich… 😉 Gruß, Uta
Hey Uta,
wohl wahr, ich bin echt zu beneiden…
Und auch wahr: Die beiden Schlüssel sind für mich die konsequente Orientierung an dem, was „dran“ ist (nicht unbedingt tagesaktuell, auch prinzipiell – aber eben nicht für mich, sondern für die Gruppe/Einzelne) und die guten Beziehungen. Wenn beides stimmt, gibt das einen wunderbaren Kreislauf: Je mehr die Schülerinnen mir und meiner Haltung vertrauen, desto mehr vertrauen sie mir an, was dran ist, und je mehr ich mich daran orientiere, desto mehr Vertrauen wächst – ich liebe das, und auch das steckt an. Erst heute morgen war ich in einer „neuen“ Klasse, wo das alles noch nicht so ist, und es fühlt sich völlig anders an… aber das wird.
Der direkte Berufsbezug würde mir bei den Fliesenlegern auch nicht sofort einfallen. Vermutlich passen da die allgemeinmenschlichen „Anforderungssituationen“ von G. Obst insgesamt besser.
Übrigens bringst Du mich auf eine Idee: Statt viele, viele Lernsituationen für alle Bildungsgänge unter der Sonne zusammenzustellen (ein uferloses Projekt, und dann ja doch wieder nicht speziell genug auf die Lerngruppe zugeschnitten), würde es Sinn machen, verschiedene pfiffige Methoden zusammenstellen, mit denen wir herausfinden können, was in der Gruppe „dran“ ist – also den Schritt vor den Lernsituationen anlegen, der den SchülerInnen das Mitgestalten ermöglicht. Varianten für verschiedene Gruppen bräuchten wir immer noch, aber nicht so viele.
Scheint mir konsequent… und praktikabel, weil entlastend (ich muss die Ideen nciht alleine haben, sondern teile die Verantwortung). Und dazu fällt mir auch gleich das ein oder andere ein. Das Ergebnis kann ich auch im Seminar gebrauchen. Wunderbar, gefällt mir gut.
Was meinst Du dazu?
By the way: Am 1. 11. startet bei mir eine neue Referendarin mit der Fächerkombination Bautechnik/Ethik – ziemlich nah an Deinen Fliesenlegern 😉 Da fallen bestimmt ein paar gute Ideen ab… und sie (überhaupt die neue Gruppe, aber auch die älteren Hasen) würde von methodischen Impulsen dieser Art profitieren. ich werde das mal bebrüten und freu mich, wenn Du mitdenkst.
Gruß, Marion